Who the fuck is Kafka (eBook)

Eine israelische Schriftstellerin, ein palästinensischer Journalist. Er will einen Film über sie drehen, sie erzählt sein Leben.

(Autor)

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2015 | 2. Auflage
264 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42412-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Who the fuck is Kafka -  Lizzie Doron
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Hass ist ein Gefühl, aber Frieden ist eine Entscheidung Zuerst: Ein Hotel in Rom. Eine israelischpalästinensische Konferenz: Aber ist der Mann, der mit Lizzie auf dem Podium sitzt, nicht vielleicht doch ein arabischer Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürtel? Nein, Nadim pflegt nur seine Reiseunterlagen mit schwarzem Klebeband am Hosenbund zu befestigen, und dafür gibt es Gründe ... Dann: High Heels in Ost-Jerusalem? Ein Palästinenser im vornehmen Tel Aviver Apartmentgebäude? Von Anfang an ist es eine wechselvolle Freundschaft, die sich zwischen der israelischen Schriftstellerin Lizzie Doron und dem arabisch-palästinensischen Journalisten Nadim entwickelt, begleitet von Vorurteilen und Unverständnis. Es gibt Grenzen der Verständigung. Lizzie hat den Holocaust im Gepäck, Nadim die Nakba - die große Katastrophe -, wie die Palästinenser die Folgen des 48er-Krieges nennen. Sie begreifen, dass sie dieselbe Irrenanstalt bewohnen, nur in verschiedenen geschlossenen Abteilungen. Nadims Frau ist aus Gaza, hat aber keinen Ort, an dem sie bleiben kann ...

Lizzie Doron, 1953 in Tel Aviv geboren, erhielt 2018 den Friedenspreis der Geschwister Korn und Gerstenmann-Stiftung. 2019 war sie Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorin für Weltliteratur an der Universität Bern. Lizzie Doron lebt in Tel Aviv und Berlin.  

Lizzie Doron, 1953 in Tel Aviv geboren, erhielt 2018 den Friedenspreis der Geschwister Korn und Gerstenmann-Stiftung. 2019 war sie Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorin für Weltliteratur an der Universität Bern. Lizzie Doron lebt in Tel Aviv und Berlin.  

Rom
Cinecittà


Ich bin Nadim aus Jerusalem«, hörte ich einen Mann in fließendem Englisch und mit starkem arabischen Akzent sagen. Ich hatte den Vortragssaal zu spät betreten. Maria, die italienische Gastgeberin, eine etwa vierzigjährige Frau mit mediterranem Aussehen, brünettem Haar und der heiseren Stimme einer Raucherin, drängte mich, schnell meinen Platz auf dem Podium einzunehmen.

Ich gab mir Mühe, mich leise auf den freien Stuhl zu setzen, der mich erwartete, und betrachtete neugierig den Menschen, der jetzt sprach.

Die dämmrige Beleuchtung erschwerte mir die Sicht. Ich hörte Nadims warme, angenehme Stimme und in meinem Kopf wurde eine andere Stimme laut.

 

»Operation gegossenes Blei« hatte der Nachrichtensprecher den Krieg genannt, der in dem Land herrschte, aus dem ich kam. Er berichtete, die Luftwaffe und Bodentruppen seien in Gaza eingedrungen und hätten das Feuer erwidert, als Reaktion auf Schüsse an der Grenze zum Gazastreifen. Er nannte die Terrororganisationen, die während der letzten Wochen über sechzig Raketen auf die grenznahen Siedlungen abgeschossen hatten.

 

Es war schon Krieg, als mich die Einladung zu einem Wochenende in Rom erreichte. Eine Vereinigung von Träumern, die die Realitäten im Nahen Osten verändern wollten, lud israelische und palästinensische Friedensaktivisten zu einem dreitägigen Kongress ein.

Ich hatte zugesagt, war nach Rom gereist und lauschte jetzt den Worten Nadim Abu Henis aus Ost-Jerusalem.

 

»Ich kam vier Stunden vor dem Abflug zum Flughafen«, sagte er, »und gab dem Sicherheitsmenschen mein Ticket. Ich wurde zum Security Check geführt und der Willkür des Metalldetektors überlassen, der mir zu Ehren begeistert zu pfeifen begann. Man brachte mich in einen Nebenraum, und dort ging es los mit den Fragen. Ein Sicherheitsbeauftragter wollte wissen, wohin ich fuhr und warum. Ich sagte, ich führe nach Rom, um Frieden zu bringen. Bei diesen Worten brachen die Umstehenden in lautes Gelächter aus.«

 

Bevor ich das Haus verlassen hatte, hatte Dani, mein Mann, beklagt, dass uns dieser Traum viel Geld koste, seit Jahren würden wir meine Reisen in Sachen Frieden finanzieren. Für ihn, als Finanzberater, lohnten sich solche Ausgaben nicht. »Du bist schon seit dreißig Jahren damit beschäftigt, ohne dass es etwas gebracht hätte. Wärst du meine Klientin, hätte ich dir schon längst geraten, den Laden dichtzumachen.«

Ich hatte geschwiegen. Ich wusste, dass er Recht hatte.

»Vor dreißig Jahren bist du allerdings nur zu Demonstrationen gegangen«, erklärte er, »und das hat nichts gekostet.«

Etwas in mir sagte mir, dass dies eine meiner letzten Friedenskonferenzen sein würde.

»Danach werden wir nur noch für Kriege Geld ausgeben«, versprach ich, um Dani aufzumuntern.

 

Ich brachte die Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, zum Schweigen und konzentrierte mich auf Nadims Worte.

 

»›Ich verstehe‹, sagte der Securitymensch mit übertriebenem Ernst und bat mich zu warten. Erst, nachdem er in seinem Rechner Informationen eingeholt hatte, erklärte er, ich sei vermutlich in Ordnung und entschuldigte sich dafür, dass er die Gefahr, die von meiner Familiensituation ausgehe, kontrollieren müsse. Er stellte eine Reihe von Fragen zu meiner Frau und meinen Kindern und erkundigte sich, ob unter ihnen ein Terrorist sei. Was Laila, meine Frau, betraf, fiel meine Antwort eindeutig aus, doch in Bezug auf meine Kinder, sagte ich, falle es mir schwer zu antworten, denn mein ältester Sohn sei zehneinhalb und der jüngere neun. Dann kamen die anderen Verwandten an die Reihe. Ich erklärte, dass ich acht Geschwister hätte, oder besser gesagt Schwestern, leider sei ich der einzige Sohn meines Vaters.

›Gibt es Terroristen in Ihrer Familie?‹, wollte er wissen.

Falls es einen Terroristen gibt, dachte ich, kann nur ich es sein. Meine Schwestern sind längst verheiratet und haben sich in alle Winde verstreut, sie leben in Jordanien, in Gaza, in Dubai, in Ägypten.

›Sind Sie Mitglied einer terroristischen Vereinigung?‹

›Nein.‹

›Hat sich jemand aus ihrer Familie an Terroraktionen beteiligt? Dafür gespendet? Sich freiwillig gemeldet?‹

Acht Mal antwortete ich mit Nein.

Über zwei Stunden später gestatte er mir zwar auszureisen, ließ mich aber wissen, dass das Flugzeug, mit dem ich fliegen wollte, schon gestartet sei. Er versuchte mich mit der Mitteilung zu beruhigen, dass gleich, das hieß in fünfeinhalb Stunden, die nächste Maschine fliege, und mir war klar, dass ich auch diesmal die Zeit im Duty free shop vertrödeln würde.

Bestimmt verstand der Mann nicht, warum ich ihn anlächelte, er konnte ja nicht wissen, dass ich das Duty Free liebte, und das Duty Free liebte mich. Alle dort kannten mich – Nadim Abu Heni aus Ost-Jerusalem, er kauft Schuhe, Hemden, Trainingsanzüge, Unterhosen … er kauft alles, er hat immer Zeit.

Wie Sie gewiss verstanden haben, verpasste ich meinen geplanten Flug und kam verspätet in Rom an, dafür aber mit neuen Turnschuhen. Er deutete auf seine Füße.

Im Publikum wurde wieder gelacht, und ich merkte, dass ich ebenfalls lachte.

»Ich bitte Sie, meine Verspätung zu entschuldigen«, schloss er.

 

Er weiß, wie man eine Geschichte erzählt, dachte ich bewundernd.

 

»Was tun Sie? Ich meine beruflich?«, erkundigte sich einer der Zuhörer.

»Für meinen Lebensunterhalt unterrichte ich Italienisch an der Universität, und in meiner Freizeit arbeite ich für Menschenrechtsorganisationen.«

»Was tun Sie da?«, fragte der Mann.

»Ich filme«, antwortete er kurz und schwieg.

»Sie filmen also das, was sie Ihnen antun?«, kam ein Ruf aus dem Publikum.

Nadim antwortete nicht, er hatte das Mikrofon schon an Maria weitergereicht.

 

Ich ahnte nicht, dass an diesem Tag etwas zwischen uns begann, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass ich drei Jahre später an einem Juniabend in meiner Küche sitzen und mich fragen würde, ob wir uns am folgenden Morgen um elf Uhr dreißig bei Gericht treffen würden.

 

Ich betrachtete ihn genauer, die schön geschwungenen Lippen, das runde Gesicht. Mein Blick blieb an den langen Wimpern hängen, die seine Augen verschatteten. Eine hochgeschobene Brille mit silbernem Gestell schmückte sein Haar wie eine Krone.

Araber tragen keine Brille, schoss es mir durch den Kopf, und sofort schob ich diesen rassistischen Gedanken beiseite.

Das Publikum dankte Nadim mit einem Applaus für seine Rede.

Maria wandte sich mit einer Frage an mich.

»Ich bin aus Israel, aus Tel Aviv«, antwortete ich.

»Sind Sie am Flughafen auch ausgezogen worden?«, rief jemand.

Ich wollte dem netten Mann antworten, dass wir keine Flugzeuge kidnappten und keine Wohnblocks sprengten oder Bomben in Straßen explodieren ließen, und dass wir im allgemeinen auch keine Sprengladungen in Schultertaschen spazierentrugen, aber ich entschied, den Zwischenruf zu ignorieren. Höflich entschuldigte ich mich für die Verspätung.

»Der Abflug verzögerte sich, wie üblich, aus Sicherheitsgründen, und deshalb bin ich zu spät gekommen.«

Abermals traf mich ein Zwischenruf: »Warum habt ihr wieder einen Krieg angefangen?«

Gewiss würde ich die Raketen gegen israelische Ziele nicht gegen die Kampfflugzeuge aufrechnen, die Hintergründe der Kämpfe waren schwer zu erklären, und um die Wahrheit zu sagen, war ich auch über die Einzelheiten nicht informiert. Ich beschloss, mich nicht auf eine direkte Konfrontation einzulassen.

 

»Der Staat Israel hat alle Juden aufgenommen, die in der Diaspora vertrieben wurden«, fing ich stattdessen an. »In unser Land kamen Überlebende des Holocaust. Es kamen auch diejenigen, die vor der stalinistischen Bedrohung und vor den Pogromen in den arabischen Ländern flohen. Der Staat Israel ist im Grunde eine psychiatrische Anstalt für posttraumatisierte Juden.« Ich überlegte, wie ich es erklären könnte. »Wir alle kamen nach Israel, um uns gegenseitig zu helfen, um Schutz vor einer existenziellen Bedrohung zu finden. Wir suchten Heilung für unsere Seele und unsere Körper, wir wollten unsere Traumata überwinden.«

Ich sagte, dass die Menschen in meinem Land hospitalisiert seien, dass sie sich nach einem normalen Leben sehnten, verzweifelt einen Arzt suchten, der ihnen Heilung und Ruhe bringe. »Die Menschen in diesem Land suchen nach einem Weg, um zu überleben. Doch bis heute, weder im Frieden noch im Krieg, haben sie die Ruhe und die Sicherheit gefunden, nach der sie sich sehnen.«

 

Ich sagte, unser Sanatorium treffe auf weitere Probleme, die Situation werde immer komplizierter, denn weder die Palästinenser noch unsere arabischen Nachbarn würden unsere Anwesenheit akzeptieren.

Ich suchte Nadims Augen, ich wollte sehen, ob meine Worte ihn berührten, aber ich konnte seinem Blick nichts entnehmen.

Ich war enttäuscht.

Ich trank einen Schluck Wasser, um Zeit zu gewinnen. Maria nutzte die Unterbrechung und griff nach dem Mikrofon.

»Eine psychiatrische Anstalt«, sagte sie, »damit haben Sie uns überrascht.« Das Publikum lachte.

Sie wollte wissen, ob es Fragen gebe.

Es gab keine.

 

»Dann ist es Zeit, zum Schluss zu kommen«, sagte Maria und dankte dem Publikum und allen Gästen auf dem Podium. Ich atmete erleichtert auf, ich hatte bereits Erfahrung mit derartigen Konferenzen und wusste, dass die harten Fragen noch kämen, aber vorläufig würde ich mich...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2015
Übersetzer Mirjam Pressler
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Doku-Roman • eBook • Faction • Israel • Jerusalem • Literatur • Nahostkonflikt • Palästina • Premium • Reportage-Roman • Tel Aviv • Verständigung
ISBN-10 3-423-42412-5 / 3423424125
ISBN-13 978-3-423-42412-7 / 9783423424127
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