Deichmörder (eBook)

Ein Nordsee-Krimi

(Autor)

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2014 | 1. Auflage
352 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-11858-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Deichmörder -  Hendrik Berg
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Ein nordfriesischer Krimi voller Atmosphäre und Legenden - und atemberaubender Spannung
Vor den Nachstellungen eines gewissenlosen Triebtäters flüchtet die junge Eva mit ihrem Mann in aller Heimlichkeit aus Berlin nach Nordfriesland. Hier, in einem kleinen, aber wunderschönen Haus direkt am Rand der nordfriesischen Marsch will sie den Erinnerungen an die Bedrohung durch den skrupellosen Mario Stein entkommen, der geradezu besessen war von ihr - dem die Polizei jedoch nie etwas nachweisen konnte. Anfangs scheint das junge Paar in der Idylle Nordfrieslands seinen Frieden gefunden zu haben. Doch bald fühlt sich Eva erneut verfolgt und bedroht - und diesmal von weit mehr als nur von der eigenen Vergangenheit ...

Hendrik Berg wurde 1964 in Hamburg geboren. Nach einem Studium der Geschichte in Hamburg und Madrid arbeitete er zunächst als Journalist und Werbetexter. Seit 1996 verdient er seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Drehbüchern. Er wohnt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Köln.

1

Früher

»Und wenn der Tag der Verdammnis kommt – und er wird bald kommen, da könnt ihr gewiss sein, ihr nichtswürdigen Schafe – dann solltet ihr euch alle fragen, ob ihr dem Herrn allzeit wohlgetan habt! Denn mit Seinem göttlichen Hammer wird Er die strafen, die in Seinem Angesicht gesündigt haben. Er wird sie mit Seiner nassen Hand zerschmettern und in die tiefsten Abgründe der Hölle schicken, auf dass sie ihr sündhaftes Leben bis in alle Ewigkeiten, bis ans Ende aller Zeiten bereuen! Hört ihr den Sturm, hört ihr Ihn?! Jawohl, das ist Er, der Einzige und Ewige! Er ruft euch! Und nur die, die ein Leben in Keuschheit und Demut vor Ihm gelebt haben, können Seinen Erzengeln entfliehen! Nur die, die Seinen Namen und den Seines Sohnes gepriesen, die ihr Leben nach Seinen strengen, aber gerechten Regeln gelebt haben, können auf Seine Gnade hoffen! Alle anderen wird das Meer in einer gewaltigen Woge hinwegspülen und auf den dunklen, kalten Grund der See hinabziehen! Also, tut Buße, ihr alle, tut Buße, jetzt!«

Die Balken im Dachstuhl knirschten und krachten. Nervös blickte die junge Frau in der dunklen Sonntagstracht nach oben. Der heftige Sturm, der draußen über der Marsch tobte, ließ die kleine Kirche bis in ihre Grundfesten erzittern. Blitze erleuchteten die Heiligenfiguren im Altar in grellen Farben. Der heilige Bonifatius, der heilige Severin, der heilige Martin, ja, der heilige Gottvater selbst, sie alle schauten streng auf sie und die anderen Männer, Frauen und Kinder herunter, die sich hier zum Gottesdienst versammelt hatten und voller Angst der Predigt lauschten.

Sie mochte Pastor Hermanns Predigten nicht. Wieso nur musste er immer mit fürchterlichen Strafen und der Hölle drohen? War das Leben denn nicht schon hart genug? Warum musste er ihnen solche Angst machen?

Sie betrachtete die anderen Dorfbewohner, die sich an diesem dunklen Tag zur Messe versammelt hatten. Die harte Arbeit auf den Feldern, der tägliche Kampf gegen die Urgewalten, gegen Kälte, Wind und die stürmische See, hatten tiefe Spuren in ihren Gesichtern hinterlassen. Sie sah den alten Schroeder, der sein Leben lang Schafe gezüchtet hatte. Wenn er mit seinem langen Stock zwischen seinen Tieren auf dem Feld stand, sah er aus wie eine der schiefen Birken, vom Westwind gebeugt.

Neben ihm saß Bauer Heiner mit seiner Frau Agnetha, die bei der Sturmflut von 1857 nicht nur ihren Hof, sondern auch zwei ihrer Kinder an den Blanken Hans verloren hatten. Agnetha, eine Schwedin, die Heiner auf dem Markt in Schleswig kennengelernt hatte, hatte seitdem kein Wort mehr gesprochen.

Sie blickte zur alten Trine. Ihr ganzes Leben hatte sie nur hinter dem Spinnrad gesessen. Ihre Hände, die sich jetzt angstvoll in das Gesangbuch krallten, waren voller Schwielen und Narben vom scharfen Garn. Ihre vom grauen Star getrübten Augen blickten ergeben zur Kanzel hinauf. Neben der Alten saß ihr Sohn Volker, dessen Augen im Gegensatz zu denen seiner fast blinden Mutter wie blaue Sterne leuchteten. Er war einer der Fischer des Dorfes. Das Salzwasser hatte ihm mittlerweile auch die letzten Haare vom kantigen Schädel gewaschen. Die Hände waren von der Arbeit mit den Netzen gezeichnet und von dicker Hornhaut überzogen. Zwei Finger fehlten; sie waren ihm vor vielen Jahren abgerissen worden, als sein Netz sich in einem Riff verfangen hatte, draußen vor der Tiefen Senke. Die Strafe für sein unzüchtiges Leben, wurde im Dorf gemunkelt. Sie hatte nie herausgefunden, warum, denn Volker lebte immer noch bei seiner Mutter und war fast jeden Tag alleine auf See.

Wieder ließ ein heftiger Donner die Kirche erzittern. Putz rieselte von der hohen Decke, die Kerzen auf dem Altar flackerten. Mehnert, der Bürgermeister, und Goedeke, der alte Schulmeister, blickten sich in der ersten Reihe nachdenklich an. Dahinter sah sie Mütter, die besorgt ihre Kinder an sich drückten, welche mit großen, ängstlichen Augen zu den im Sturm klirrenden Fenstern starrten.

»Und es kam ein anderes Ross daher, feuerrot, und dem, der auf ihm saß, wurde gegeben, den Frieden hinwegzunehmen von der Erde und dass sie einander hinschlachten, und es wurde ihm ein großes Schwert gereicht …«

Ein lauter Knall unterbrach den Pastor und ließ die Gemeinde zusammenfahren. Alle drehten sich erschrocken um: Der Wind hatte die Tür aufgeschlagen. Sofort brauste der Sturm wie ein unheimlicher Gast in die Kirche und blies einen Großteil der Kerzen auf dem Altar aus. Ein paar Kinder schrien erschrocken auf, während die Dorfbewohner zu der offenen, wild hin und her schwingenden Tür blickten, als erwarteten sie, dass Satan persönlich hereintreten und sie alle mit sich in den Abgrund der Hölle ziehen würde.

Aber das tat er nicht. Stattdessen sprangen zwei der Knechte, die auf der letzten Bank saßen, auf und drückten die schwere Holztür mit vereinten Kräften wieder zu. Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Gemeinde, während Mehnert den beiden Burschen dankbar zunickte.

Die beiden setzten sich wieder zu ihren Freunden. Sie sah, dass einer der Knechte sie mit einem begehrlichen Grinsen anstarrte. Sie kannte ihn nur zu gut. Sein Name war Hans. Er arbeitete auf dem Mannsen-Hof, stammte aus Hallstedt und lebte erst seit zwei Jahren im Dorf. Vom ersten Tag an hatte er ihr Angst gemacht. Er war fast zwei Köpfe größer als sie. Seine Haare hingen ihm in wirren Strähnen über die breiten Schultern. Wenn er ihr auf diese unverschämte Weise direkt in die Augen blickte, bekam sie jedes Mal eine Gänsehaut.

Aber er hatte es nicht bei Blicken belassen.

Vor drei Monaten, als sie nach dem Kirchfest alleine nach Hause gegangen war, hatte er ihr aufgelauert und sie brutal gegen eine Scheunenwand gedrängt. Mit seiner Schlangenstimme hatte er behauptet, sie würde ihm ständig freche Blicke zuwerfen. Dann hatte er seine riesigen Pranken auf ihre Brüste gelegt und versucht, sie in die Scheune zu schieben. Nie würde sie seinen Gestank, den Anblick seiner verfaulten Zähne und das böse Funkeln in seinen Augen vergessen. Sie hatte versucht, sich loszureißen, aber er war viel zu stark für sie gewesen. Zum Glück hatte sich in diesem Moment ein Bauer mit seinem Knecht genähert. Gesehen hatten sie nichts, aber es hatte gereicht, dass Hans von ihr abgelassen hatte und weggelaufen war.

Sie hatte sich bei Mehnert über den Knecht beschwert. Doch Hans hatte alles abgestritten, und der Bürgermeister hatte ihm geglaubt. Hans sei ein fleißiger Bursche, hatte Mehnert gesagt. Sein Bauer sei sehr zufrieden mit ihm und habe noch nie einen Grund zur Beschwerde gehabt. Mehr wollte Mehnert zu dem Thema nicht sagen. Sie hatte die leise Verachtung in den Augen des Bürgermeisters gesehen. Seit zwei Jahren wohnte sie jetzt schon hier im Dorf. Aber sie war noch immer eine Außenseiterin. Die meisten unterstellten ihr, etwas Besseres sein zu wollen, nur weil sie aus einer alten Föhrer Kapitänsfamilie stammte. Dummes Zeug, dachte sie und erinnerte sich voller Wehmut an ihre lieben Eltern und ihre Geschwister, an die stolze Insel mitten im Wattenmeer und an das schmucke Häuschen in Wyk, in dem sie aufgewachsen war. Oben vom Deich konnte sie die grüne Insel am Horizont sehen, trotzdem erschien ihr ihre alte Heimat an manchen Tagen unendlich fern. Hier im Dorf fühlte sie sich immer noch fremd. Es würde wohl noch Jahre dauern, bis ihre Nachbarn sie als eine der Ihren sehen würden.

Für einen kurzen Moment traf sich ihr Blick mit dem von Hans. Der Knecht verzog seinen Mund zu einem gierigen Lächeln. Hastig drehte sie sich weg.

Was für ein Widerling! Seit der Sache bei der Scheune ging sie nicht mehr alleine durch den Ort und schloss ihre Haustür doppelt ab. Immerhin, er hatte sie seit damals nicht mehr belästigt und nie wieder angesprochen. Er hatte ihr lüsterne Blicke zugeworfen, aber mehr war zum Glück nicht passiert. Vielleicht hatten Mehnert oder sein Bauer ihm gesagt, dass er sich von ihr fernhalten sollte.

Aber da war noch etwas anderes gewesen.

Vor zwei Wochen war ein junges Mädchen, nicht älter als sechzehn Jahre, das als Magd auf der Jessen-Warft arbeitete, in einen Pflug gestürzt. Ein tragischer Unfall, sagten alle. Aber sie hatte beobachtet, wie Hans ihr vorher auf einem Hochzeitsfest hinterhergesehen hatte, dann aufgestanden und ihr gefolgt war. Zwei Stunden später war das Mädchen tot gewesen.

Sie war wieder zu Mehnert gegangen und hatte ihm erzählt, was sie gesehen hatte. Doch der Bürgermeister hatte sie weggeschickt. Dummes Weibergeschwätz, hatte er geschimpft und sie aufgefordert, mit ihrem Getratsche nicht den Dorffrieden zu stören.

Aber sie wusste, was sie gesehen hatte. Und als Hans ihr später voller Genugtuung einen verächtlichen Blick zuwarf, wusste sie, dass sie recht hatte.

Sie schüttelte sich und versuchte sich auf einen Punkt am Altar zu konzentrieren, während sie seine begehrlichen Blicke in ihrem Rücken spürte. Zwischen den anderen Frauen auf der Bank fühlte sie sich völlig wehrlos. Verzweifelt schloss sie die Augen.

Boye, dachte sie voller Wehmut und Schmerz. Warum hast du mich alleine gelassen?

Instinktiv fasste sie sich ans Kopftuch, unter dem sie als verheiratete Frau eine mit Perlen bestickte Haube trug. Da merkte sie, dass etwas fehlte. Auch wenn sie jetzt auf dem Festland lebte, trug sie sonntags und zu den Feiertagen die Föhringer Tracht. Zu der gehörte normalerweise auch der Knooper, eine mit Silberschmuck verzierte Kette. Mit Rücksicht auf die eher ärmeren Bäuerinnen des Dorfes trug sie dieses Kettengeflecht nur selten, aber auf ein Schmuckstück verzichtete sie nie. Erschrocken tastete sie unter ihrem schwarzen Leinenkleid und...

Erscheint lt. Verlag 17.3.2014
Reihe/Serie Ein Fall für Theo Krumme
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Dunkle Fluten • eBooks • Friesland • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Mystery-Thriller • regional • Regional, Friesland, Mystery-Thriller, Dunkle Fluten, Verfolgung, Stalker • Stalker • Verfolgung
ISBN-10 3-641-11858-1 / 3641118581
ISBN-13 978-3-641-11858-7 / 9783641118587
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