Ludvigshöhe (eBook)

Roman

(Autor)

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2014 | 1. Auflage
448 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-10919-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ludvigshöhe -  Herman Bang
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Ihr altes Leben haben sie hinter sich gelassen - nun stehen Ida und Karl ein wenig verloren und ratlos vor dem Neuanfang. Im Kopenhagen an der Wende zum 20. Jahrhundert entspinnt sich eine anrührende Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die in stürmischer Zeit beieinander Halt suchen.

Ludvigshöhe ist ein Sehnsuchtsort, ein idyllischer Gutshof in Jütland, wo alles seine Ordnung hat und jeder weiß, wohin er gehört: Die kleine Ida, die Tochter des Gutsverwalters, ebenso wie Karl, Sohn aus gutem Hause, der seine Sommerferien auf Ludvigshöhe verbringt. Als die beiden sich als Erwachsene in Kopenhagen wiederbegegnen, sind ihnen alte Gewissheiten abhandengekommen. Ida hat ihre Eltern und damit ihren Platz im Leben verloren, Karl sein Vermögen. Die Erinnerung an die unbeschwerte Kindheit ist den beiden geblieben, doch gibt es auch eine gemeinsame Zukunft?

Einfühlsam und mit leiser Melancholie erzählt der Roman von der Suche nach Heimat und Geborgenheit, von verzehrender Sehnsucht und Lebenshunger. Er zeichnet ein feines, bitter-ironisches Porträt der in Konventionen erstarrten Kopenhagener Gesellschaft, in der der Status einer ganzen Familie von der richtigen Wahl des Ehepartners abhängt. Diese Neuübersetzung zeigt Herman Bang (1857-1912) einmal mehr als Meister der subtilen Sprachkunst: Großes Glück und großer Kummer offenbaren sich bei ihm in einer scheinbar beiläufigen Geste, einem Erröten, einem Blick.

  • Neuübersetzung
  • Platz 3 der SWR-Bestenliste im Juli / August 2014


Herman Bang (1857-1912), als Pfarrerssohn in der dänischen Provinz aufgewachsen, versuchte sich als Schauspieler, Regisseur und Feuilletonist, ehe er sich ganz der Literatur zuwandte. Reisen führten ihn durch ganz Europa. Bang gilt als Vollender der impressionistischen Erzählkunst, stilistisch wie thematisch gehört er zur künstlerischen Avantgarde seiner Zeit.

I

Der Wärter war gekommen, um die drei Patienten abzuholen, die Kellerarbeit zu verrichten hatten, und er rief der Nummer zwei, dem Mann mit der Leibbinde, der an der Kachelofenwand auf und ab, auf und ab lief, rief ihm laut und geradewegs ins Gesicht: «Wir müssen los.»

«Ja.» Patient Nummer zwei blieb stehen und blickte den Wärter an. «Ja», wiederholte er und nickte, er drehte sich verwirrt um die eigene Achse, wie ein Hund, der seinen Platz sucht. Das tat er immer, bevor er auch nur das Geringste unternahm. Dann schlüpfte auch er, wie die anderen, in den Kittel, und die drei machten sich auf den Weg. Man hörte die Schlüssel des Wärters durch die Korridore rasseln, als er auf- und zuschloss – erst oben, dann unten.

Fräulein Brandt stapelte auf dem Küchentisch die gespülten Tassen, ging in den Saal und «horchte». Die beiden Alten schliefen und atmeten tief.

Und in der «A» war es ganz still

Fräulein Brandt stieg im Vorraum auf den Stuhl, um zum Fenster zu gelangen. Sie rückte die Blumen etwas zur Seite und setzte sich auf das Fenstersims. «Die Brandt ist verrückt geworden», sagte Fräulein Brun von den Frauen, «sie flattert auf wie ein Huhn.»

Ida Brandt lehnte den Kopf an die Wand und blickte durch das große Fenster. Wie ruhig lagen «die Seen» 1 da, ein einziges Flammenrot, jetzt im Sonnenuntergang.

Ida Brandt zog einen Brief hervor; sie saß aber lange einfach nur da, während das Rot der Seen verblasste und still entschwand – dann begann sie zu lesen:

Horsens 2 , der erste Oktober.

Mein liebes Mädchen.

Du erhältst diesen Brief fünf Posttage zu spät. Ich weiß das wohl. Aber Du hast auch nicht fünf schreckliche Blagen, von denen zwei letzte Woche ein Bein vom Schreibtisch abbrachen. Sie wollten damit nur «Schiff spielen», Du, während geputzt wurde. Das Bein ist inzwischen wieder angeleimt, und heute Morgen habe ich die letzten Wintergardinen aufgehängt, sodass jetzt Du die Glückwünsche bekommst: Gott segne Dich, mein Mädchen, Du weißt, das wünschen wir Dir alle hier in der «Villa».

Jetzt bist Du tatsächlich achtundzwanzig. Ja Du, wie doch die Zeit verrinnt, und jedes Mal, wenn ich am Spion 3 in der Nørregade vorbeigehe, ist mir, als hätte ich Dich erst gestern brav hinter dem Fenster im Mahagonistuhl kauern sehen – alles an Dir war so brav, Ida, Augen, Haare, wie ordentlich gekämmt Du warst mit deinen Rattenschwänzen und überhaupt. Du starrtest auf uns herab, Fräulein Jørgensens herumtollende Zöglinge, wenn wir mit unseren Schultaschen durch die Straße rannten und in den Torwegen Fangen spielten, dass die Faltenröcke nur so flogen. Schließlich wagtest Du Dich auf die Treppe heraus, wo Du Dich am Geländer entlang tastetest, als hättest Du Angst, ins Wasser zu fallen – bis Deine Mutter Dich mit einem «I-da» ins Haus zurückrief. Und Du gingst hinein, mit steifen Rattenschwänzen (als Kind hattest Du einen altjüngferlichen Gang, Ida), und Deine Mutter schloss die Haustür.

Wir schlichen davon. Deine Mutter wirkte stets so einschüchternd.

Ich holte immer erst in unserem Torweg tief Luft. Ich wusste, dass Mutter am Spion saß. «Bist du da?» (Ich hatte mich durch die Tür hineingedrückt)… «Lass dich anschauen», und ich drehte mich im Kreis. «Olivia, die Finger aus dem Mund! So, ich hab’s dir gesagt, das ist dein letzter Mantel mit Pelzbesatz…» Ich maulte, das eine oder andere Teil löse sich immer und baumele dann herab; ich weiß nicht wieso, aber ich und Regine, wir waren nun einmal etwas wild.

«Ja, dann geh.»

Und prompt rannte ich mit der Tasche gegen den Türrahmen.

«Ob dieses Kind je lernen wird, seine Augen zu gebrauchen» – ich hatte schon geahnt, dass es von der Estrade her so tönen würde – «und nur einen Riemen an der Tasche… ja, geh jetzt…»

Und weg war ich.

«Wenn Karen so freundlich sein möchte, dich erst zu kämmen», tönte es von der Estrade. «Es ist eine Schande, wie du aussiehst.» Die Haare waren das Schlimmste. Es endete immer damit, dass Karen vor Mama mit den Bürsten erscheinen musste. Sie bürstete und bürstete. «Nein», seufzte Mama, «dein Haar ist nicht zu bändigen. Nein, das Haar der kleinen Ida Brandt, das hat Fasson.» Ich kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, und Karen bürstete. Du warst eben immer der Ausbund an Tugend

Und weißt Du noch, wie Mama und ich Deine Mutter besuchten – zuvor hatten die beiden keinen Umgang –, sie plauderten in der Stube, und wir saßen im Schlafzimmer auf Deinen Stühlchen zwischen dem Bett Deiner Mutter und dem Fenster und beäugten einander und kauten an den Fingernägeln – – da plötzlich packte ich Deine beiden Schwänze und stieß Dich gegen die Bettkante, immer wieder und ohne ein Wort zu sagen. Du wehrtest Dich nicht und rührtest Dich nicht und weintest nur leise – ganz leise. Weißt Du, mein Mädchen: Ich glaube, von dem Augenblick an mochte ich Dich, weil Du so leise weintest

Wie ich mich an all die Tage erinnere, als ich Dich um fünf Uhr abholte. Kaum war ich eingetreten, rief Deine Mutter von ihrem Fensterplatz zur Schlafkammer hinüber, wo Du über den Hausaufgaben saßest. Dann hast Du immer so ausgesehen, als wolltest Du auf die Kommode kriechen. «Ida… I-da! Olivia Frank ist da.» Während Deine Mutter mit langen Nadeln strickte, nickte sie mir zu und sagte: «Setz dich, mein Mädchen.»

Und ich setzte mich neben die Tür – bei Euch setzte man sich mitten auf den Stuhl –, bis Du vollständig angekleidet warst – mit der Weste, dem kleinen Tuch, dem Mantel und dem großen Tuch. Danach knicksten wir vor Deiner Mutter. «Hat Ida ihr Taschentuch?», sagte sie – dann fasste ich immer an die eigene Tasche. Und war dann alles in Ordnung

Und wir gingen am Fenster vorbei, jede auf ihrer Plattenreihe.

Wenn aber abends die Decke vom Tisch genommen war – ich sehe noch heute, wie Deine Mutter die Lampe von einem Tisch zum anderen trug, das machte sie immer selbst –, legten wir Patiencen. Und Deine Mutter spielte mit den Fräulein Whist (Herrgott, jetzt ist auch die Erbelin tot, bis zum Schluss trug sie ihr mächtiges Doppelkinn mit stolzem Trotz). Ich trat Dich unter dem Tisch gegen die Beine, wenn die alte Bonnitz vor Freude ob ihrer Stiche lachte – sie lachte, bis sie gluckste. Um halb neun, wenn ich nach Hause musste und Eure Sofie den Johannisbeerwein auftrug, bekamen wir die zwei Äpfel, und mein Mantel wurde in die Wärme gehängt

Mama sagte: «Wenn sie bei Ida Brandt gewesen ist, benimmt sich Olivia einen ganzen Tag lang gesittet.»

Sonntags warst Du vom Morgen an bei uns. Weißt Du noch? Eure Sofie brachte Dich mit einem «Gruß der Gnädigen», sie zog Dich aus, Stück für Stück, als schnüre sie ein Bündel auf. Niemand konnte Mama einen solchen Schrecken einjagen wie Eure Sofie. «Ich weiß nicht», sagte sie, «aber ihre Augen scheinen noch das kleinste Staubkörnchen auf unseren Möbeln aufzuspüren.» Mutter pflegte vor fremden Dienstboten zu erröten. Im allerhöflichsten Ton sagte sie: «Möchte Sofie nicht eine Tasse Kaffee trinken?» Und Sofie trank den Kaffee, stocksteif auf dem Stuhl beim schwarzen Bücherschrank sitzend, und sprach kein Wort

Und wupps, waren wir draußen. Wie großartig war doch der alte Hof (so einen Hof hab ich mir für meine Jungs oft gewünscht); Houmanns Scheune mit unseren «Nestern» im Heu und Dessaus Boden, wo Du durch das Korn waten musstest, Du in Deinen Wollstiefeln. Und was hab ich Dich herumkommandiert. Noch heute sehe ich, wie Du mit der Spitze des großen Zehs gehorsam am Trapez hingst, wenn wir in der Werkstatt Kunstreiter spielten, die Augen starr vor Schreck, die Zunge aus dem Mund gestreckt, als würde man Dich die Verben abhören.

Wenn wir mit den Jungs «Schiff» spielten, war es am tollsten. Erinnerst Du Dich an Müllers Zuckertonnen? Sie dienten als «Kajüten», aber auch als «Verliese», wenn wir «Räuber» spielten. Schlimmer waren die «Kajüten». Brach ein «Sturm» los, wurden wir hineinbeordert, und die Jungs rollten sie bei «hohem Seegang»Du kauertest da, Du Ärmste, die Schürze über den Kopf geschlagen, wie bei einem Regenschauer

Da geschah es, dass Dein blaues Musselinkleid an einem Nagel hängen blieb. Du sagtest kein Wort und versuchtest nur immer wieder, den Riss über Deinen Knien zu glätten. Ich stand vor Dir, sah Dir zu und fing dann auch an, mit beiden Daumen zu glätten, als könnten wir den Riss kleben – bis ich atemlos ausstieß: «Wir müssen es Mama sagen.» Und wir rannten zu Mutter hinauf, und schon in der Tür rief ich: «Ida hat ihr Kleid zerrissen.» Dann brach ich in Tränen aus, Du aber gabst keinen Mucks von dir.

«Wo?» Mama packte Dein Kleid am Saum und hielt es wie eine Fahne in die Höhe. «Ja, hab ich’s doch geahnt. Was soll Frau Brandt nur von diesem verrückten Haus halten?» Zitternd und ohne zu weinen standest Du da. Mama riss sich mit der Häkelnadel das Haar hinterm Ohr los. «Wir müssen nach Jungfer Finsen schicken», sagte sie, ebenso erschrocken wie wir. «Zieh das Kleid aus.» Karen lief los, um Jungfer Finsen zu holen, während Du in einem von Mutters Nachthemden dasaßest und...

Erscheint lt. Verlag 17.3.2014
Nachwort Aldo Keel
Übersetzer Aldo Keel, Ingeborg Keel
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Original-Titel Ludvigsbakke
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Dänemark • eBooks • Historische Liebesromane • Jahrhundertwende • Kopenhagen • Kopenhagen, Jahrhundertwende, Liebesdrama, Dänemark • Liebesdrama • Liebesromane
ISBN-10 3-641-10919-1 / 3641109191
ISBN-13 978-3-641-10919-6 / 9783641109196
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