Eigensinn macht Spaß (eBook)

Individuation und Anpassung
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
189 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-73553-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eigensinn macht Spaß -  Hermann Hesse
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Die Schilderungen dieses Bandes zeigen, auf welche Weise eine produktive Balance zwischen Eigen- und Gemeinschaftssinn, zwischen Individuation und Anpassung erreicht werden kann.



<p>Hermann Hesse, geboren am 2.7.1877 in Calw/W&uuml;rttemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und der Tochter eines w&uuml;rttembergischen Indologen, starb am 9.8.1962 in Montagnola bei Lugano.</p> <p>Er wurde 1946 mit dem Nobelpreis f&uuml;r Literatur, 1955 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Nach einer Buchh&auml;ndlerlehre war er seit 1904 freier Schriftsteller, zun&auml;chst in Gaienhofen am Bodensee, sp&auml;ter im Tessin.</p> <p>Er ist einer der bekanntesten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts. </p>

Hermann Hesse, geboren am 2.7.1877 in Calw/Württemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und der Tochter eines württembergischen Indologen, starb am 9.8.1962 in Montagnola bei Lugano. Er wurde 1946 mit dem Nobelpreis für Literatur, 1955 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Nach einer Buchhändlerlehre war er seit 1904 freier Schriftsteller, zunächst in Gaienhofen am Bodensee, später im Tessin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts.

Neues Erleben


??Wieder seh ich Schleier sinken,
??Und Vertrautestes wird fremd,
??Neue Sternenräume winken,
??Seele schreitet traumgehemmt.

 

??Abermals in neuen Kreisen
??Ordnet sich um mich die Welt,
??Und ich seh mich eiteln Weisen
??Als ein Kind hineingestellt.

 

??Doch aus früheren Geburten
??Zuckt entfernte Ahnung her:
??Sterne sanken, Sterne wurden,
??Und der Raum war niemals leer.

 

??Seele beugt sich und erhebt sich,
??Atmet in Unendlichkeit,
??Aus zerrißnen Fäden webt sich
??Neu und schöner Gottes Kleid.

 

 

Wenn Sie dazu geboren sind, ein eigenes und kein Dutzendleben zu führen, so werden Sie den Weg zur eigenen Persönlichkeit und zum eigenen Leben auch finden, obwohl es ein schwerer Weg ist. Wenn Sie nicht dazu bestimmt sind, wenn die Kraft nicht reicht, so werden Sie früher oder später verzichten müssen und werden sich der Moral, dem Geschmack und der Sitte der Allgemeinheit anschließen.

Es ist eine Frage der Kraft. Oder, wie ich lieber denke, eine Frage des Glaubens. Denn man findet oft sehr starke Menschen, die rasch versagen, und findet sehr zarte und schwache, die trotz Krankheit und Schwäche prachtvoll mit dem Leben fertig werden und ihm ihren Stempel auch im Dulden aufzwingen.

 

 

Jeder von uns muß für sich selber finden, was erlaubt und was verboten – ihm verboten ist. Man kann niemals etwas Verbotnes tun und kann ein großer Schuft dabei sein. Und ebenso umgekehrt. – Eigentlich ist es bloß eine Frage der Bequemlichkeit! Wer zu bequem ist, um selber zu denken und selber sein Richter zu sein, der fügt sich eben in die Verbote, wie sie nun einmal sind. Er hat es leicht. Andere spüren selber Gebote in sich, ihnen sind Dinge verboten, die jeder Ehrenmann täglich tut, und es sind ihnen andere Dinge erlaubt, die sonst verpönt sind. Jeder muß für sich selber stehen.

 

 

Alle Dinge, die man gegen sein Gefühl und gegen sein inneres Wissen tut, anderen zuliebe, sind nicht gut, und müssen früher oder später teuer bezahlt werden.

 

 

Ich lebe in meinen Träumen. Die anderen Leute leben auch in Träumen, aber nicht in ihren eigenen, das ist der Unterschied.

 

 

Meine Sache war, das eigene Schicksal zu finden, nicht ein beliebiges, und es in sich auszuleben, ganz und ungebrochen. Alles andere war halb, war Versuch zu entrinnen, war Rückflucht ins Ideal der Masse, war Anpassung und Angst vor dem eigenen Innern. Furchtbar und heilig stieg das neue Bild vor mir auf, hundertmal geahnt, vielleicht oft schon ausgesprochen, und doch erst jetzt erlebt. Ich war ein Wurf der Natur, ein Wurf ins Ungewisse, vielleicht zu Neuem, vielleicht zu Nichts, und diesen Wurf aus der Urtiefe auswirken zu lassen, seinen Willen in mir zu fühlen und ihn ganz zu meinem zu machen, das allein war mein Beruf. Das allein!

 

 

Die wirklichen Persönlichkeiten haben es auf Erden schwerer, aber auch schöner, sie genießen nicht den Schutz der Herde, aber die Freuden der eigenen Phantasie, und müssen, wenn sie die Jugendjahre überstehen, eine sehr große Verantwortung tragen.

Weltgeschichte


Als ich ein Knabe war und in eine schlechte Lateinschule ging, da war mir das, was man »Weltgeschichte« nannte, etwas unendlich Ehrwürdiges, Fernes, Edles, Mächtiges, so etwa wie Jehova und Moses. Weltgeschichte war früher einmal gewesen, war einmal Gegenwart und Wirklichkeit gewesen, hatte geblitzt und gedonnert und war jetzt lang vergangen, fern und ehrwürdig geworden, stand in Büchern und wurde von Schülern gelernt. Das letzte aus der Weltgeschichte, wovon wir Knaben vernahmen, war der Siebziger Krieg. Das war schon erstaunlicher und erregender: da waren unsere Väter und Onkel noch dabeigewesen, ja es fehlten bloß ein paar Jahre, so hätten wir selber das noch erlebt. Und wie herrlich mußte es gewesen sein: Krieg, Heldentum, wehende Fahnen, reitende Feldherrn, neugewählter Kaiser. Wie uns glaubwürdig und heilig versichert wurde, waren in diesem Krieg Wunder und Heldentaten geschehen, war es wahrhaft großzügig und wirklich weltgeschichtlich zugegangen, nicht bloß so wie gestern und heut und immer. Männer und Frauen hatten Unerhörtes geleistet, Unerhörtes ertragen, Massen Volks hatten geweint und gelacht, hingerissen vom Rausch des Erlebnisses, Fremde hatten sich auf der Straße umarmt, Tapferkeit und Selbstlosigkeit waren selbstverständlich gewesen. Herrgott, wenn man das noch erlebt hätte! Die Leute, die wir kannten, waren alle keine Helden, auch die Lehrer nicht, die zu gewissen Zeiten uns diese erhebenden Geschichten erzählten, auch unsere Väter und Onkel nicht, deren so viele noch wirklich jenen großen heldischen Krieg mitgemacht hatten. Aber irgend etwas mußte daran sein, es waren dicke illustrierte Bücher darüber gedruckt, der Bismarck hing an allen Stubenwänden, und in jedem Herbst wurde das Sedansfest gefeiert, der schönste Tag im Jahr. Mit fünfzehn Jahren erst sah ich diesen Schimmer verblassen. Ich begann an der Ehrwürdigkeit der Weltgeschichte zu zweifeln, ich ließ mir nicht mehr vorreden, es seien in früheren Zeiten Menschen und Völker anders gewesen als heute, sie hätten damals nicht das Alltagsleben, sondern Opern und Heldenstücke gelebt. Ich wußte, unsere Lehrer hatten die Aufgabe, uns möglichst zu belasten und niederzudrücken, sie forderten Tugenden von uns, die sie selber nicht hatten, und so war wohl auch die Weltgeschichte, die sie uns vorsetzten, so ein Schwindel der Erwachsenen, um uns herabzusetzen und kleinzumachen.

Daß ich so töricht und respektlos über die Weltgeschichte denken konnte, hatte seine Gründe. Junge Menschen leben nicht von Kritik und Negationen, sondern von Gefühlen und Idealen. Und in mir ging damals etwas vor, was seither angedauert hat: Ich wurde mißtrauisch gegen die Stimmen von außen, und desto mißtrauischer, je offizieller sie waren. Und überhaupt begann ich zu fühlen, daß das eigentlich Interessante und Lebenswerte, das, was eigentlich uns erfüllen und beschäftigen und in Atem halten kann, nicht außer uns liegt, sondern in uns. Nicht, daß ich davon etwas gewußt hätte – aber ich fühlte es, und ich begann, Philosophen zu lesen, Freigeist zu werden, mich in geliebte Dichter einzuwühlen – alles mit dem dunklen Gefühl, das sei mein Weg, das sei der Weg zu mir, zu mir selbst, und alle anderen Wege seien nicht die, die ich brauche und auf die ich gehöre. Es begann in mir das, was der Christ »Einkehr«, der Psychoanalytiker »Introversion« heißt. Ich kann nicht sagen, ob dieser Weg, diese Art zu sein und zu leben, irgend besser ist als eine andere; ich weiß nur, für den Religiösen und für den Dichter ist sie notwendig, und ihnen wird es niemals, auch nicht, wenn sie wollen und sich darum Mühe geben, gelingen, das zu lernen, was die neueren offiziellen Weisheitslehrer »historisch denken« heißen.

Viele Jahre lang konnte ich die Welt ihren Lauf gehen lassen, und sie mich. Für mich war das, was in der Welt wichtig genommen wurde und in den Reden und Leitartikeln die große Rolle spielte, nur Oper und Getue – für die Welt hingegen war das, was ich tat und was ich ernst und heilig nahm, eine Schrulle und Spielerei. Und dabei hätte es bleiben können. Aber auf einmal war wieder die Weltgeschichte da! Auf einmal behaupteten Leitartikel, Universitätsprofessoren und Oberlehrer, jetzt sei wieder Weltgeschichte, nicht mehr Alltag, jetzt sei eine »große Zeit« angebrochen. Wir Dichter und andern Außenweltler, welche darüber die Achseln zuckten, und wir Religiösen, die wir vor dem wahnsinnigen Übermut und der grausigen Sorglosigkeit unserer Führer warnten, wir waren jetzt nicht mehr harmlose Poeten, über die man lacht – wir waren jetzt Vaterlandsfeinde, Defaitisten, Miesmacher und wie alle die neuen hübschen Worte hießen. Wir wurden denunziert, wir wurden auf schwarzen Listen geführt, man schlug uns in »gutgesinnten« Zeitungen giftige Schmähartikel um die Ohren. Im Privatleben war es nicht anders. Als ich im Frühjahr 1915 einem deutschen Freunde sagte, warum denn der Gedanke eigentlich so schrecklich sei, daß wir unter Umständen das Elsaß wieder herausgeben sollten, da ließ er mich merken, daß er persönlich mir zwar manches verzeihe, daß ich aber mit solchen Reden bei andern meine Knochen riskieren würde.

Immer noch sprach man von der »großen Zeit«, und immer noch gelang es mir nicht, sie zu sehen. Das heißt, ich verstand wohl, warum diese Zeit den andern groß schien. Sie schien ihnen so, weil für Tausende zum erstenmal ein Stück inneres Leben aufblitzte, ein wenig Seele aufglimmte. Alte Jungfern, die vorher ihre Möpse gefüttert hatten, konnten nun Verwundete pflegen, junge Menschen trugen ihre Haut zu Markt und empfanden dabei tief schauernd zum erstenmal in aller Fülle, was Leben sei. Das war nicht wenig, das war etwas Großes, etwas Ungeheures – aber es war es nur für jene, die geschichtlich dachten und von großen und andern Zeiten wußten. Für uns andere, für die Religiösen und die Dichter, die auch werktags an Gott glaubten, und denen das Dasein der Seele schon zuvor bekannt war, für uns konnte die Zeit nicht größer, nicht kleiner aussehen als jede. Denn wir lebten mit unserem Innersten und Innigsten nicht in ihr.

So geht es uns auch jetzt, wo wieder Weltgeschichte aufgeführt...

Erscheint lt. Verlag 20.1.2014
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anpassung • Eigensinn • Hermann • Hesse • Hesse, Hermann • insel taschenbuch 2856 • IT 2856 • IT2856
ISBN-10 3-458-73553-4 / 3458735534
ISBN-13 978-3-458-73553-3 / 9783458735533
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