Die Rückkehr der Karavellen (eBook)

Roman
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2013 | 1. Auflage
288 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-11143-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Rückkehr der Karavellen -  António Lobo Antunes
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In Lissabon rasen Pferdekarren und Autos aneinander vorbei, vor Anker liegen Öltanker und Karavellen. Die großen Seefahrer der Frühen Neuzeit drängen sich mit Touristen neugierig durch die engen Gassen der Altstadt. Mit diesem karnevalesken Roman, in dem er den portugiesischen Nationalmythos gegen den Strich bürstet, hatte António Lobo Antunes 1988 nach sechs autobiographischen Büchern ein großes historisches Thema gefunden und sich endgültig international etabliert.
So wie die deutsche Sage will, daß eines Tages der im Kyffhäuser schlafende Kaiser Friedrich alles zum Guten wendet, so haben die Portugiesen niemals an den Tod von König Sebastian geglaubt. Er ward zwar nicht mehr gesehen, seit er 1578 in Afrika vergebens versuchte, die Moslems zum rechten Glauben zu bringen, aber noch heute harrt das fromme lusitanische Volk seiner Wiederkehr.
António Lobo Antunes greift diese Legende auf, und vor dem König läßt er zunächst die bedeutendsten Entdeckungsreisenden auf ihren Karavellen den Atlantik noch einmal überqueren, um zwischen Öltankern und Flugzeugträgern auf Lissabon zuzusteuern. Pedro Alves Cabral ist unter ihnen, den es genau 500 Jahre, nachdem er Brasilien entdeckt hat, ins Rotlichtviertel verschlägt. Vasco da Gama, der als erster das Kap der Guten Hoffnung umsegelte, muß seinen Unterhalt mit kleinen Gaunereien verdienen. Und Luís de Camões, dem wir das portugiesische Nationalepos verdanken, beginnt seine Lusiaden auf dem Rechnungsblock eines Kellners.
Alle diese Männer, die Angola, Brasilien und Moçambique für Portugal entdeckt haben, unterhalten sich mit den Menschen unserer Tage darüber, was aus den Neuen Welten geworden ist. Um diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen herzustellen, läßt Lobo Antunes mal die
Sätze tropisch und barock wuchern, mal sich knäueln wie die Lianen des afrikanischen Urwalds oder die Ornamente des manuelinischen Baustils, mal schildert er lapidar und sarkastisch den heutigen Alltag, dazwischen läßt er ironische und komische Blitze leuchten.

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den »Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes«, den »Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft« und den Camões-Preis.

Die Portugiesen waren nicht nur die letzten Europäer, die sich aus Afrika zurückzogen, sie waren auch die ersten gewesen, die über den gefürchteten Cabo Bojador an der Westküste Afrikas hinausgelangt waren (1434), die südlichste Spitze des Schwarzen Kontinents, das Kap der Guten Hoffnung umschifft und damit den lang gesuchten Seeweg nach Indien gefunden hatten (1499).

Das Zeitalter der Entdeckungen, fortan als »Goldenes Zeitalter« der portugiesischen Geschichte bezeichnet, hatte im 15. Jahrhundert begonnen und war endgültig erst dann vorbei, als nach dem Verschwinden des jungen Königs Sebastian in der Schlacht von Alcácer Quibir (1578) das Land an Spanien fiel. Der Verlust der nationalen Unabhängigkeit dauerte insgesamt zwar nur 60 Jahre, ist jedoch ein Trauma der portugiesischen Geschichte geblieben, auf das man bis heute empfindlich reagiert. Als anläßlich der Weltausstellung 1998 in Lissabon die Spanier ihren Pavillon dort mit einem Bild zu schmücken gedachten, das die Ankunft des habsburgischen »Fremdherrschers« Philipp III. in Lissabon darstellt, löste dieser »Affront« einen Sturm im Wasserglas aus.

 

Es war das Goldene Zeitalter der Entdeckungen, welches jahrhundertelang den Mythos von der historischen Legitimität der portugiesischen Präsenz in Afrika genährt hatte und mit dem noch die Generation von Lobo Antunes im zweiten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts aufgewachsen war. Um auch nur eine annähernde Vorstellung von der Gewalt dieses in die Köpfe schon der Kleinsten eingetrichterten Imaginariums zu bekommen, welches sich um die Helden und deren Taten rankt, genügt ein Blick in die Schulbücher mit all ihren Königen und Infanten, die diese Entdeckungen finanzierten, Seefahrern, die im Auftrag der Krone das wohl gigantischste Abenteuer der damaligen Zeit durchführten, und Missionaren, die überall in den neuentdeckten Gebieten die Heiden mit dem katholischen Glauben zwangsbeglückten.

Während die Menschheit inzwischen schon auf dem Mond gelandet war, stöberte Portugal noch immer unentwegt in den alten Folianten, in denen peinlich genau all die Kontinente und Landstriche, Archipele, Inseln und Inselchen aufgelistet waren, die Männer mit langen Bärten und in seltsamen Kostümen einst zum Ruhme jenes Landes eingefahren hatten, das der portugiesische Dichter Miguel Torga als »vom großen Atlas nur ein Menschenstrich« bezeichnete.

Es war der Generation von Lobo Antunes vorbehalten, zum ersten Mal eine radikale Entmystifizierung des portugiesischen Nationalismus vorzunehmen, dessen unzertrennliche Komponente der imperiale Anspruch war. Eine Generation, die wie Lobo Antunes selbst die Fragwürdigkeit der portugiesischen Präsenz in Afrika gerade durch die Teilnahme am Kolonialkrieg erfahren hatte und deswegen ihrer Desillusionierung auch glaubwürdiger Ausdruck verleihen konnte als jene Zeitgenossen, die, wie es in einem frühen Antunes-Roman heißt, die Revolution am Kaffeehaustisch in Paris entwarfen.

Die schonungslose Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist bis dato ein Thema der Literatur geblieben – während sie in der portugiesischen Gesellschaft noch immer ein Tabu ist, an das niemand gerne rührt. Wenn jedes Land seine eigene Leiche im Keller hat, so ist diese Leiche in Portugal noch immer das Imperium. Es ist jene Leiche, die in der Rückkehr der Karavellen »der Mann namens Luís«, von dem noch die Rede sein wird, aus Afrika mitbringt und mit der er am Kai in Alcântara landet, an dem einst die Schiffe mit den Soldaten unter Jubel aufgebrochen waren und an den bis 1974 die Särge unter Ausschluß der Öffentlichkeit zurückkehrten.

 

Die Rückkehr der Karavellen erschien 1988 als siebentes Buch von António Lobo Antunes (der mit seiner Trilogie über den Kolonialkrieg zunächst in den USA Aufsehen erregt hatte) und in einer hohen Auflage in Lissabon. Der Erfolg seiner Bücher gestattete es dem Autor fortan, seinen Beruf als Psychiater niederzulegen und sich nur mehr der Schriftstellerei zu widmen, bis zu achtzehn Stunden am Tag.

Mehr als ein Jahrzehnt war vergangen, seit unmittelbar vor der bevorstehenden Unabhängigkeit der Kolonien im Jahr 1975 Hunderttausende Afrikarückkehrer in Lissabon gelandet, oder besser gestrandet waren: Per Flugzeug auf ausweglos überfüllten Luftbrücken, per Schiff in stickigen Frachträumen, ja manchmal sogar auf winzigen, selbstgezimmerten Booten, die an die Abenteuer gemahnten, die einst ihre Vorfahren auf unbekannten Meeren erlebten. Fast alle waren in Panik geflüchtet, aus Angst vor dem Kommunismus, vor den Russen, den Kubanern, vor der MPLA, ihrer Gegenbewegung União Nacional para a Independência Total de Angola (UNITA) oder ganz allgemein vor den »triumphierenden Wilden, die mit dem Maschinengewehr die kleinen Fenster der Fassaden zersplitterten«.

Der Großteil von ihnen hatte alles zurückgelassen und fand, meist jeglicher Mittel beraubt, eine provisorische Unterkunft in nun leerstehenden Hotels und Pensionen, die ein zu diesem Zweck eilig ins Leben gerufener Fonds ihnen zugeteilt hatte. Die Zahlungskräftigen unter den Touristen waren in jenem »heißen Sommer« angesichts der »drohend bevorstehenden Machtergreifung der kommunistischen Partei in Portugal« zum Glück ohnehin ausgeblieben.

Das Gepäck unzähliger retornados lagerte über Kilometer verstreut am Ufer des Tejo-Flusses, unweit des Viertels Belém, wo der Turm mit demselben Namen an den Aufbruch der Flotte Vasco da Gamas erinnert und wo König Manuel I. wenig später das berühmte Hieronymitenkloster als Dank für die geglückte Seefahrt nach Indien errichten ließ.

Die bodenständige Bevölkerung war diesen unerwünschten Heimkehrern meist nicht gerade freundlich gesinnt, und nicht nur deswegen fühlten sich viele retornados fremd in einem Land, dessen neue Regierung sie ihrerseits zum Großteil für das erlittene Desaster verantwortlich machten. Mit Portugal hatten diese weißen Afrikaner (und noch weniger Schwarze, Mulatten aus Angola und Inder aus Moçambique) jedenfalls nichts am Hut. Und sie konnten in der damaligen Gesellschaft, welche in revolutionärem Eifer und sozusagen über Nacht alles über Bord geworfen hatte, was jahrhundertelang ihre offizielle und inoffizielle Legitimation gewesen war, vorläufig keinen Platz finden.

In Lobo Antunes’ Roman ist diese reale Ebene zunächst der Ausgangspunkt und wird besonders deutlich in den Episoden mit dem namenlosen Ehepaar, das nach einer über fünfzigjährigen Existenz in Guinea-Bissau ebenso bitterarm zurückkehrt, wie es ursprünglich dorthin gezogen war. Wenn das Paar zunächst im Luxushotel Ritz mitten im Lissabonner Stadtzentrum logieren darf, um im Herbst in den feuchttriefenden und nebelkalten Ort Ericeira umgesiedelt zu werden, so entspricht das ebenso der Realität wie die Ermahnungen, in den Hotelzimmern keine Sardinen zu braten oder aus Vorhängen keine Kleider zu schneidern, die ihnen die »göttliche, ungeheure, autoritäre, pompöse Stimme« des Leutnants predigt, der seinen Mund plötzlich mit bis dato verpönten Worten wie Demokratie und Sozialismus allzu voll nimmt.

 

Eine zweite Ebene ist von Anfang an die historische, oder besser gesagt fiktiv-historische, welche nicht nur permanent um Symbole aus dem glorreichen Zeitalter der Entdeckungen kreist, sondern in ebenso realen wie barocken Bildern fünfhundert Jahre portugiesischer Geschichte durcheinanderwirbelt.

Indem er den retornados des 20. Jahrhunderts Namen gibt, die an die großen Helden von früher erinnern, reißt der Autor diese zunächst von jenem Sockel, auf den sie eine pathetische Geschichtsschreibung in unermeßliche Distanz gerückt hatte. So kehrt Vasco da Gama aus Angola zurück, um im heimatlichen Vila Franca de Xira unweit von Lissabon wieder den Beruf eines Schusters auszuüben und für den Rest seines Lebens Karten zu spielen. Doch der adelige Entdecker Indiens holt ihn nach und nach ein, und er folgt dem Ruf an den Hof des Königs Manuel, der im Lissabon des 20. Jahrhunderts mit einer Krone aus Blech und einem gelbgestrichenen Rohr als Szepter das vermeintlich noch immer ihm gehörende Land regiert.

Da ist, stellvertretend für alle Pioniere unter den Seefahrern, jener legendäre Diogo Cão, der 1482 das Delta des Zaïreflusses erreichte, von wo er wenige Jahre später flußaufwärts in das sagenhafte Reich des Königs vom Kongo gelangte, um dort jene ersten friedvollen Kontakte zwischen Europäern und Afrikanern zu knüpfen, die sich später als so verhängnisvoll erwiesen. Das grandiose Scheitern des Diogo Cão vollzieht Lobo Antunes symbolisch nach, indem er diesen einstigen Bezwinger unbekannter Meere, den Körper von Skorbut und Alkohol und die Seele von maritimen Illusionen zerfressen, durch die Kneipen eines postrevolutionären Lissabon treiben läßt, bis ihn seine frühere angolanische Geliebte, eine alternde Prostituierte, in der »Metropole«, wo sich niemand mehr an den Namen Diogo Cão erinnert, durch Zufall aufstöbert. Es ist dem einstigen Initiator der frühesten euro-afrikanischen Verbindungen vorbehalten, das Kolonialreich endgültig in den Mistkübeln der Hauptstadt zu versenken, bevor er als einfacher, pensionierter Angestellter der städtischen Wassergesellschaft von Luanda sein Leben (wahrscheinlich bald) beenden wird.

Wenn auch – durchaus der Wirklichkeit entsprechend – die retornados aus Angola hier in der Mehrzahl sind, so hat Lobo Antunes mit der Gestalt des Francisco Xavier, Inder aus Moçambique, einen anderen, nicht unwesentlichen Aspekt der...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2013
Übersetzer Maralde Meyer-Minnemann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel As Naus
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Altstadt • Dichter • eBooks • Gegenwartsliteratur • Geschichte • Ironie • Karnevaleske • Kultur • Legende • Lissabon • Mythos • Nation • Nationalepos • Pedro Alves Cabral • Portugal • Roman • Romane • Seefahrer • Tourismus • Touristen • Vasco da Gama • Witz
ISBN-10 3-641-11143-9 / 3641111439
ISBN-13 978-3-641-11143-4 / 9783641111434
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