Oben ist besser als Unten (eBook)

Eine literarische Expedition in die Alpen
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
320 Seiten
Rogner & Bernhard (Verlag)
978-3-95403-023-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Oben ist besser als Unten -  Andreas Lesti
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Andreas Lesti erzählt seine Geschichte der Alpen anhand von Büchern, die ihm den Weg weisen. Er begleitet Goethe über den Furkapass, folgt Sherlock Holmes Spuren im Berner Oberland und steigt mit Thomas Mann auf den Zauberberg. Er sucht die großen Schauplätze der Alpen auf, das Matterhorn, den Montblanc, die Zugspitze, und er entschlüsselt für uns den Mythos Berg. Denn seit dem »Zauberberg« wissen wir: Wer oben war, kann unten nicht mehr leben.

Andreas Lesti, geboren 1975 in Augsburg, ist Journalist und Germanist und lebt seit einigen Jahren im bergfernen Berlin. Doch seine Recherchereisen, etwa für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, die »Neue Zürcher Zeitung« oder »GEO Saison«, führen ihn regelmäßig in die Alpen. Lesti ist für seine Bergreportagen mit dem Berg- Welten-, dem Graubünden- und dem Meridian- Journalistenpreis ausgezeichnet worden.

Prolog: MEINE WELT SIND DIE BERGE

In einem anderen Tal

Eigentlich wollte ich nur für drei Wochen bleiben. Doch dann dauerte alles sieben Jahre.

Aber das wusste ich natürlich noch nicht, als ich damals diese fünf Telefonate führte. Zuerst sprach ich mit dem Bürgermeister Franz Lorenz seiner Mutter, und die gab mir seine Telefonnummer, und als ich den Franz Lorenz anrief, musste der eine Weile überlegen:

»Naaaa«, sagte er dann, und es klang, als würde jemand ganz langsam eine quietschende Türe öffnen, »so was gibt’s bei uns nicht.« Und da schien das Gespräch schon wieder beendet. Aber dann sagte er noch: »Der Markus von Sankt Johann, der könnt’ so was haben, der Scheidle Markus.« Aber der Scheidle Markus lachte nur und sagte: »Ist schon lange ausgebucht.« Und dann überlegte auch er noch eine Weile. »Ja – doch – der Alois aus Hinterhornbach, der weiß, wer so was haben könnte. Aber jetzt, der Alois, wie heißt der noch, der Alois von der Gemeinde?« Könnte man nicht in der Gemeinde von Hinterhornbach anrufen?

»Jaaaa«, sagte der Scheidle Markus, und es klang, als würde nun jemand die quietschende Türe wieder schließen: »Wenn die Gemeinde besetzt ist – und das ist eher nicht der Fall … Also der Alois, der heißt … heißt Alois. Moment. Ja, jetzt: Leitner. Der Leitner Alois von Hinterhornbach, der weiß, wer so was haben könnte.«

Und so nahm ich zum ersten Mal Kontakt zum Alois auf, natürlich ohne zu wissen, was das für Folgen haben würde. Er war damals ganz schnell bei der Sache, fast schon mit militärischer Knappheit: »Aha, was suchst? Eine Almhütte für drei Wochen? Strom? Wasser?«, fragte er zielstrebig und fuhr fort, ohne weiter zu überlegen: »Die Maria hat so was, die rufst jetzt an und sagst einen schönen Gruß vom Alois.«

Die Maria hat eine Telefonnummer mit drei Ziffern und war unerwartet nett, als ich sie vom Alois grüßte, und schien sich überhaupt über meinen Anruf zu freuen. Einen Bauernhof habe sie und etwa 200 Höhenmeter drüber eine kleine Hütte und »Ja, drei Wochen im Sommer können Sie schon kommen«.

So war das, als ich vor sieben Jahren auf die Idee kam, drei Wochen auf einer schlichten Berghütte zu verbringen, im Hornbachtal in Österreich, einem Seitental des Lechtals. Das Lechtal, im Volksmund vokalsparend »Lechtl« genannt, ist – sagen wir mal – touristisch nicht besonders weit entwickelt. Es sieht nach Kanada aus. Oder nach Alaska. Nach Yukon oder Rocky Mountains, und als ich zum ersten Mal dort war, wäre ich nicht erstaunt gewesen, Lachse fangende Bären am Fluss zu sehen. Tatsächlich ist der Lech einer der letzten Wildflüsse Europas. Das heißt, zwischen seiner Quelle am Formarinsee oberhalb des Ortes Lech und dem Lechfall in Füssen im Allgäu darf er fließen, wie er will, und über die Stränge schlagen, ohne dabei gezähmt, gestaut oder sonst irgendwie eingeengt zu werden. In dem Reiseführer Deutsche Alpen, erschienen 1896, ist von einem vom Flusse stark verwüsteten Thal mit unwirtlichem Charakter, der sich auch in den ärmlichen Ortschaften ausspricht, die Rede. Besonders viel hat sich seither nicht geändert. Der Fluss wütet noch immer, und man weiß nie so genau, was wilder und abweisender ist: die Landschaft oder die Bewohner.

Touristen fahren durch das Tal hindurch, statt zu bleiben. Im Winter manövrieren Reisebusse aus bayerischen Städten 70 Kilometer über den Talboden und halten erst in den Wintersportorten, die weiter oben die Hänge erschlossen haben und nichts mit den Niederungen zu tun haben wollen. Die Menschen ärgern sich darüber, sowohl die Einheimischen als auch die Wintersportler, weil die Straße viel zu schmal, zu winklig und zu lang ist. Sie wurde noch für die Breite einer Postkutsche angelegt. An manchen Stellen ragen die Häuser wie zackige Keile in die Fahrbahn, und weil die Busse und Autos immer wieder hineinrauschen, haben die Lechtaler Riffelbleche an die Hauswände montiert. Die Art, mit der sie mit dem Durchgangsverkehr umgehen, sagt schon eine ganze Menge über die Bewohner aus.

Die Mentalität der Menschen, die in dieser Transitzone leben, besteht aus einer Mischung aus Grundskepsis und Missgunst, die gelegentlich in offene Unfreundlich- oder gar Feindseligkeit umschlägt, die man nur mit viel Wohlwollen als Charme auslegen kann. Wenn sich jemand von »draußen« zum Beispiel einem frisch geteerten Stück Fußweg nähert und davor stehen bleibt, sagt der Bauarbeiter bestimmt: »Das kostet 20 Euro.« Ganz einfach, weil er davon ausgeht, dass Fremde nichts anderes im Sinn haben können, als ihm das Leben schwer zu machen, ihm seine Arbeit mutwillig zerstören zu wollen, und er in dieser Annahme schon einen Preis für das Vergehen festgelegt hat. Man gerät also, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, in eine Art Deliktbringschuld.

In einer Wirtschaft, von der jeder vernünftige Gast günstige Preise erwarten würde, kostet ein Schnitzel so viel wie am Münchner Viktualienmarkt, dafür ist die Qualität so schlecht wie der kaum vorhandene Service. Der deutsche Wirt hat sowohl die Unfreundlichkeit als auch das Zwangsverhalten der Talbewohner übernommen und untersagt aus nicht nachvollziehbaren Gründen das Essen im Biergarten, auch wenn man das Schnitzel selber hinausträgt. Nebenan beschränkt das Hotel Alpenrose die Nutzung des Wellnessbereiches strikt auf Hotelgäste, auch wenn man dafür bezahlen würde. Die Holzschnitzschulen bieten »Kettensägenschnitzkurse« an, und an einem Haus am Taleingang steht in Holz geschnitzt die präzise gedachte meteorologische Weisheit: »Wenn’s Wetter so bleibt, isch’s morgen genauso wie heit.«

Das ist natürlich alles nur ein, zugegeben, im Tourismus unglücklicher Abwehrmechanismus, mit dem die Lechtaler ihre zarte Seele schonen. Denn wenn man den Menschenschlag erst einmal kennengelernt und er einen akzeptiert hat, man also einen Schritt von »draußen« nach »drinnen« gemacht hat, oder auch von »unten« nach »oben«, dann fällt auch wieder ein bisschen Sonne ins Tal; zum Beispiel in Form eines selbst gebrannten Zirbenschnapses oder eines Stücks Bergkäse. Und nur, dass wir uns jetzt nicht falsch verstehen: All diese schrulligen Merkwürdigkeiten machen dieses Tal zu einem der interessantesten und meistunterschätzten der Alpen.

Ich reiste damals an einem wolkenverhangenen Tag in der Dämmerung an und war mir nicht sicher, ob es gut oder schlecht war, dass ich nicht im Haupt-, sondern in einem Seitental gelandet war, über dessen Bewohner die Lechtaler so dachten, wie ich über das Lechtal dachte. Ich folgte den Schildern und bog rechts auf eine schmale Straße ab. Schon auf den ersten Metern schossen die Felswände bedrohlich empor, und ihre Schatten verdunkelten den Boden. Alles wirkte so finster, eng und abweisend, dass ich fürchtete, mein Ziel niemals zu erreichen. Im Dezember und im Januar, erzählten sie mir später, vermutlich um mich aufzumuntern, fällt überhaupt kein Sonnenlicht in dieses Tal. Ich versuchte mir das vorstellen, aber es gelang mir nicht. Einige Kurven weiter war dann tatsächlich Schluss. Hinter der Kirche, dem Brunnen und dem Dorfwirt, der, wie ich bald erfuhr, sein ganzes nicht unbeträchtliches Vermögen verspielt hatte, stand auf der rechten Seite der Bauernhof von der Maria. Zuerst begrüßten mich die Katzen, dann kam Maria selbst aus der Stube. Sie trug eine blaue Schürze und eine rot gefärbte Strähne im schwarzen Haar.

»Wir fahren gleich hoch zur Hütte. Ich fahre im Traktor voraus«, sagte sie sehr zielgerichtet. Sie ging noch mal zurück in die Stube, kam mit einem Schlüssel so groß wie ein Korkenzieher wieder und schaute, als wären ihr nun Bedenken gekommen, kurz auf mein Auto. Dann befand sie: »Wird schon klappen.« Die Straße führte in steilen Serpentinen nach oben, zunächst auf Asphalt, dann auf Schotter. Die Vorderreifen verloren immer wieder die Haftung. Auf der linken Seite sollten der Länge nach platzierte Baumstämme ins Rutschen geratende Fahrzeuge davor schützen, in die Schlucht zu stürzen. Ich stellte mir vor, dass dort unten schon Dutzende zerschmetterter und ausgebrannter Wracks lagen und die Baumstämme nach jedem Unfall erneuert würden. Ich stellte mir vor, wie ich selbst in meinem alten braunen Kombi rückwärtsrutschen, den Baumstamm wegdrücken und dann nach unten fliegen würde, auf die Felsen krachend, mich wieder und wieder überschlagend, bis schließlich alles still wäre. Wenn ich, wie in einem Computerspiel, drei Leben hätte, ich glaube, ich würde eines davon für so ein Erlebnis...

Erscheint lt. Verlag 17.10.2013
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Alpen • Andreas Lesti • Gletscher-Gesellschaft • Klettern • Lechtal • Lechtal; Zauberberg; Gletscher-Gesellschaft; Andreas Lesti; Literatur; Alpen; Abenteuer; Mythos Berg; Wandern; Klettern • Literatur • Mythos Berg • Wandern • Zauberberg
ISBN-10 3-95403-023-3 / 3954030233
ISBN-13 978-3-95403-023-1 / 9783954030231
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