Das Versprechen (eBook)

Eine Geschichte von Liebe und Vergessen

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42078-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Versprechen -  Nadine Ahr
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Es ist Liebe auf den ersten Blick, als sich Ria und Edwin 1945 kennenlernen. Doch das Schicksal trennt sie und lässt sie erst Jahre später zueinanderfinden. Von da an bleiben sie 39 glückliche Jahre zusammen. Dann erkrankt Ria an Demenz. Sie verwechselt Edwin mit ihrem ersten Ehemann, der sie geschlagen hatte. Und Edwin verliert die Liebe seines Lebens ein zweites Mal, nun an eine tückische Krankheit, die die Erinnerung an das glückliche Leben zunichtemacht.

Nadine Ahr, geboren 1982 in Hannover, besuchte nach ihrem Studium die Evangelische Journalistenschule in Berlin und erhielt das 'Stipendium für begabte Journalisten' der Süddeutschen Zeitung. Seit 2011 schreibt sie für die ZEIT. Für ihr ZEIT-Dossier 'Das Versprechen' wurde sie mehrfach ausgezeichnet. In ihrem Buch erzählt sie die Geschichte ihrer Großeltern.

Nadine Ahr, geboren 1982 in Hannover, besuchte nach ihrem Studium die Evangelische Journalistenschule in Berlin und erhielt das "Stipendium für begabte Journalisten" der Süddeutschen Zeitung. Seit 2011 schreibt sie für die ZEIT. Für ihr ZEIT-Dossier "Das Versprechen" wurde sie mehrfach ausgezeichnet. In ihrem Buch erzählt sie die Geschichte ihrer Großeltern.

1


August 1945. Mit einem letzten Ruck kam der Wagen zum Stehen. Edwin saß auf der Ladefläche, gemeinsam mit den anderen. Drei Tage waren sie nun schon unterwegs, losgelaufen an der Küste im Norden Deutschlands. Dann weiter bis Hamburg mit dem Zug. Gegen Abend hatten sie die Hansestadt erreicht, hatten die Kerzen in den Fenstern und Ruinen gesehen. Angezündet für sie. Für die Heimkehrer. Die Soldaten.

Vier Jahre hatte Edwin im Zweiten Weltkrieg für Hitler gekämpft. Im Norden Frankreichs war er gewesen, dann in Russland. Er hatte Glück gehabt. Dem Kessel von Stalingrad war er knapp entkommen. Mit seiner Einheit war er immer tiefer nach Russland vorgedrungen. Nur zwei, vielleicht drei Tagesmärsche trennten sie von jenem Ort, der eigentlich für Ruhm und Erfolg des Deutschen Reiches stehen sollte. So hatte man es ihnen gesagt. Doch die Geschichte hatte etwas anderes vor. Stalingrad wurde zum Massengrab.

Der Streifschuss hatte Edwin am Oberschenkel getroffen. Wochenlang lag er im Lazarett, das Bein wollte nicht heilen. Als Edwin wieder kampffähig war, gab es seine Einheit nicht mehr. Sie saß fest. In Stalingrad. Lebende Tote. Edwin hatte Glück gehabt.

Nun, anderthalb Jahre später, war er hier. In Hannover. Mit nichts als einem kleinen Zettel in der Hand, Unterwäsche und ein wenig Hoffnung im Gepäck. »Absteigen«, schrie jemand von vorne. In wenigen Sekunden waren sie von der Ladefläche gesprungen, junge und alte Männer, gewohnt, Befehle auszuführen. Der Lastwagen fuhr los, zurück blieb nur eine Wolke aus aufgewirbeltem Staub, der sich auf die schmutzverkrusteten Uniformen legte. Edwin klopfte seine Kleidung ab. Nach ein paar unbeholfenen Versuchen ließ er es sein. Es brachte doch nichts. Seit Wochen, gefühlt seit Jahren, trug er diese Uniform. Schon längst sah er darin aus wie ein Lumpensack und nicht wie ein Soldat. Ein paar Minuten standen sie unschlüssig herum, die Männer und er, als könnten sie es nicht fassen, dass sie es doch, warum auch immer, geschafft hatten. Suchend, ein wenig hilflos blickten sie sich um. Eine Gruppe Heimkehrer. In einer Heimat, die nicht mehr nach Heimat aussah. Nicht nach dem, was sie kannten. Woran sie gedacht hatten, wenn sie nachts keinen Schlaf finden konnten.

»Hat sich einiges verändert«, sagte ein junger Soldat.

»Kann sein«, brummte Edwin, »ich weiß es nicht. Ich komm nicht von hier.« Seine Finger umklammerten das kleine Stückchen Papier, das er vier Kriegsjahre lang bei sich getragen hatte. Die Buchstaben waren schon verblasst, nur mit Mühe konnte man die Schriftzeichen lesen. Edwin hatte die Wörter im Kopf. Hatte sie sich fest eingeprägt.

»Du«, fragte er den jungen Soldaten, der ihn angesprochen hatte. »Weißt du, wie ich …« – er blickte noch einmal auf den Zettel, nur um sicherzugehen – »… zur Helenenstraße 4 komme?«

Der junge Soldat, ein schmaler, fast dürrer Mann mit blonden, kurzen Haaren, grinste. »Ja, das weiß ich ganz genau. Ich wohne nämlich in der Helenenstraße 8. Komm einfach mit mir.« Und dann: »Wie heißt du eigentlich?«

»Ich bin Edwin.«

»Ich bin Otto. Woher kommst du?«

»Thüringen«, sagte Edwin.

 

Am 19. April 1921 wurde Edwin in Katzhütte, einem kleinen Dorf in Thüringen, geboren. Das zweite Kind seiner Eltern. Der Vater ein einfacher Arbeiter, der im Eisenwerk schaffte, die Mutter Hausfrau. Leute vom Dorf, die keine Reichtümer hatten, doch genug zum Leben. Ein einfaches, ein gutes Leben. Selbst Ende der zwanziger Jahre, als Freunde und Nachbarn ihren Job verloren und man am Gartenzaun von Hitler sprach – ein beherzter Mann, mit dem nun endlich alles besser werden würde –, hatte sein Vater Arbeit gehabt. Das Eisenwerk ging gut. Vielleicht war auch das ein Grund, warum Arno, Edwins Vater, stets ein überzeugter Kommunist blieb. Selbst dann, als man das schon nicht mehr laut äußern durfte. »Arno«, sagte Edwins Mutter immer, wenn der Vater einen über den Durst getrunken hatte und gegen die Faschisten, »diese Elenden«, hetzte. »Arno, sei still. Du bringst uns noch in Teufels Küche.« »Ich? Die werden uns in Teufels Küche bringen. Die, nicht ich!«

Edwin, damals kaum älter als zehn Jahre, hatte nur wenig verstanden von den Reden seines Vaters. Von Proletariern, die sich vereinigen sollten, und all dem politischen Kram. Er zog lieber durch den Thüringer Wald. Ein Abenteuerspielplatz, in dem sie Räuber und Gendarm spielten und später die Mädchen hinters Gebüsch zogen für den ersten heimlichen Kuss. Die Welt in Katzhütte, Edwins Welt, war lange heil geblieben. Selbst dann noch, als »heil« schon für etwas ganz anderes stand. Als Hitler Polen überfallen hatte und der Krieg etwas war, das nicht mehr nur in der Luft lag, sondern Realität geworden war. Da hatte Edwin gerade seine Lehre zum Eisenformer beendet, in der Gießerei, in der auch sein Vater schaffte. Hatte seine erste große Liebe kennengelernt, Nächte in den Scheunen getanzt, sich einen Kuss und auch noch mehr erstohlen.

Es war im Winter 1940, Edwin war gerade 19 Jahre alt, als der Einberufungsbefehl kam. Vier Jahre hatte er, der Sohn eines Kommunisten, danach für den Endsieg gekämpft. Hier, in Hannover, weit weg von Daheim, auf einem Schotterplatz, ging seine Zeit als Soldat zu Ende.

 

Im Marschtempo setzten sich Otto und Edwin in Bewegung. Ein Stück geradeaus, dann rechts um auf eine Hauptstraße, an einem künstlich angelegten See entlang.

»Das ist der Maschsee«, sagte Otto und deutete mit einem Kopfnicken auf das Wasser. »Naherholungsgebiet. Hitler hat den See bauen lassen.«

Edwin brummte. Der Frieden war noch zu frisch, es waren nicht die Tage, in denen man über Hitler sprechen wollte. Man wollte gar nichts mehr. Nur Ruhe. Frieden. Und irgendwie nach Hause.

Als hätte er Edwins Gedanken erraten, fragte Otto: »Warum bist du hier und gehst nicht nach Hause?«

»Die Russen«, sagte Edwin.

Mehr brauchte er nicht zu sagen. Otto nickte stumm. Kein Soldat, der noch bei Verstand war, wollte in eine russische Besatzungszone gehen. Edwin hatte selbst Russen getötet, hatte gesehen, was die Männer der SS und andere in Russland angerichtet hatten. Er wusste, dass es in fast jeder russischen Familie Tote gegeben hatte. Wusste, wie groß der Hass auf sie, die deutschen Soldaten, die Nazis war. Deshalb war er nicht nach Hause gefahren. In seinen Thüringer Wald, in sein Dorf, mit dem kleinen Bach hinter dem Elternhaus, der im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze kam, zu einem reißenden Fluss wurde.

»Und was willst du hier?«

»Mein Onkel wohnt hier«, sagte Edwin und tastete nach dem Zettel in seiner Tasche mit der Adresse, die ihm sein Vater zugesteckt hatte. Helenenstraße 4. »Für alle Fälle«, hatte der Vater gesagt.

Sie brauchten kaum mehr als eine halbe Stunde, bis sie in die Helenenstraße einbogen. Die meisten Häuser in der Straße waren unversehrt. Nur hinten links, da wo früher ein Haus gestanden hatte, war nun nichts mehr. Nur Schutt und Asche.

Sie verabschiedeten einander mit einem Handschlag. Otto und er. Gefährten auf dem Weg in ein neues Leben.

»Da vorne, das ist die Nummer 4«, rief Otto ihm noch zu, bevor er im Hauseingang verschwand.

Edwin lief die letzten Meter zum Haus seines Onkels allein.

Die Haustür stand offen. Draußen dämmerte es bereits. Der Flur, in den Edwin eintrat, war dunkel und kühl, es roch nach einem Gemisch aus Eintopf und Schweiß. An der Wohnung im Erdgeschoss kein Name an der Tür, also weiter, die Treppen hoch. Im ersten Stock, gleich links, ein kleines Schild. »Acker« war darauf zu lesen. Der Nachname seines Onkels. Stimmengewirr von drinnen. Edwin klopfte. Einmal. Zweimal. Dann öffnete sich die Tür.

Eine rundliche Frau mit Falten um die Augen und einer Schürze um die Hüfte sah ihn an. Schweigend standen sie sich gegenüber. Ein paar Sekunden vielleicht. Dann brach es aus ihr heraus. »Edwin«, schrie die kleine Dicke und drückte den Soldaten, ein großer stattlicher Mann, etwas ausgemergelt zwar, doch immer noch breitschultrig, an ihre Brust. Drückte fest. Erdrückte ihn fast, bevor sie ihn endlich losließ und sich umdrehte. »Vater, du glaubst es nicht, komm her, der Edwin ist hier! Hol den Selbstgebrannten aus dem Keller! Edwin, wie schön! Komm rein, mein Junge! Edwin, nun komm doch!«

Der Onkel trat aus einem der Zimmer. Er sah älter aus, als Edwin ihn in Erinnerung hatte. Zuletzt hatten sie sich zu Hause in Katzhütte gesehen. Aber das war lange bevor der Krieg ausgebrochen und sein Onkel mit seiner Familie nach Hannover gezogen war. Nur seine Augen waren unverändert. Wach und listig. Dieselben wie die seines Vaters. Von der Mutter, seiner Großmutter, hatten sie die Augen geerbt. Zweimal war sie verheiratet gewesen, je einen Sohn, erst seinen Onkel, in der zweiten Ehe dann seinen Vater, hatte sie ihren Ehemännern geschenkt.

Edwin folgte den beiden in die Küche. Am Herd stand Lene, die älteste Tochter. »Marie, unsere Jüngste ist noch unterwegs«, sagte seine Tante. »Hamstern beim Bauern. Na, du weißt ja, wie das ist. Furchtbare Zeiten.«

»Ach...

Erscheint lt. Verlag 17.10.2013
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alter • Altersheim • Altwerden • Alzheimer • Alzheimer Buch • Alzheimer Demenz • Alzheimer Roman • Biografie • biografische Romane • Biographien • Demenz • Demenz Buch • Demenz Roman • demenz und alzheimer • Ehepaar • Eheroman • Erfahrungen und Schicksale • Erfahrungen und wahre Geschichten • Großeltern • Lebensgeschichten • Lebensgeschichten Schicksal Bücher • Liebesgeschichte • Nachkriegszeit Romane • Paar • Pflegeheim • Romane nach wahren Begebenheiten • Romane nach wahren Geschichten • Romane über Ehe • Roman wahre Begebenheiten • schicksalsromane • Wahre GEschichte • wahre geschichten bücher • Wahre Liebesgeschichten • Zeitgeschichte Roman
ISBN-10 3-426-42078-3 / 3426420783
ISBN-13 978-3-426-42078-2 / 9783426420782
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