Heartland (eBook)

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
720 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60372-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Heartland -  Joey Goebel
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Was haben Biertrinker und Wrestlingfans mit der großen Politik in Washington zu tun? Antwort: alles Stimmen entscheiden, wer gewählt wird. John Mapother, Sohn der mächtigsten Familie im Provinznest Bashford, will in den amerikanischen Kongress, er hat nur keine Ahnung von der Welt seiner Wähler. Die hat aber sein jüngerer Bruder Blue Gene, das schwarze Schaf der Familie. Ein großer amerikanischer Roman, hochintelligent, voller Witz und Melancholie.'

Joey Goebel, 1980 in Henderson, Kentucky, geboren, ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Musiker - ein weltweit gefeiertes Multitalent. Seine Romane ?Vincent?, ?Freaks? und ?Heartland? wurden in 14 Sprachen übersetzt. Joey Goebel hat einen Sohn und lebt in Henderson, wo er englische Literatur unterrichtet.

Joey Goebel, 1980 in Henderson, Kentucky, geboren, ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Musiker – ein weltweit gefeiertes Multitalent. Seine Romane ›Vincent‹, ›Freaks‹ und ›Heartland‹ wurden in 14 Sprachen übersetzt. Joey Goebel hat einen Sohn und lebt in Henderson, wo er englische Literatur unterrichtet.

[15] 1

Auf dem Parkplatz des Flohmarkts stand zwischen all den Pick-ups, Thunderbirds, Camaros und El Caminos ein nagelneuer Lexus LS. Eine elegante Dame, die wie Danielle Steele, die Autorin von Liebesromanen, aussah, entstieg dem grauen Geländewagen, schloss die Tür und drückte auf eine Taste, worauf das Auto brav piepste. Sie sah sich um und vergewisserte sich, dass niemand sie überfallen wollte, schließlich war der Story Boulevard, wo zahlreiche Drogendealer und Prostituierte ihren Geschäften nachgingen, nur einen Steinwurf entfernt.

Ihre hohen Absätze klapperten zielstrebig auf das Gebäude zu. Als sie näher kam, roch sie in der schwülen Juniluft den Duft von Gegrilltem, den sie köstlich fand, bis sie sah, wer sich über den Grill beugte und das Fleisch mit einer Gabel wendete.

Es war ein untersetztes, androgynes Wesen mit dem Tattoo eines Zwergspitzes auf einem schlabberigen Arm, der zum Rhythmus eines Songs wackelte, in dem es immer wieder hieß, jemand wolle es irgendwem »besorgen«. Während die gutgekleidete Dame durch ihre Cartier-Sonnenbrille hindurch das verschwitzte Gesicht und die unanständig knappen, in die Pofalte hochgerutschten Shorts des korpulenten Kochs betrachtete, stellte sie sich vor, der Grillmief sei dessen [16] natürlicher Körpergeruch. Einen Sekundenbruchteil lang kam es ihr so vor, als würde Satans grellrotes Gesicht sie über den Grill hinweg angrinsen.

Elizabeth – so hieß die 61-jährige Frau – schritt durch die Automatiktür und musterte den riesigen Raum der Länge nach, seine fünfzehn Reihen mit Verkaufsständen, jeder ein langer, rechteckiger Tisch, bedeckt mit, wie es aussah, Müll. Einige Stände waren aufwendig gestaltet, beispielsweise mit hohen Trennwänden voller T-Shirts, die mit Sprüchen wie WANTED: REDNECKS MIT BECK’S UND PICK-UP-TRUCKS bedruckt waren. Andere Stände hatten nur Tische, an denen Flohmarktverkäufer versuchten, Konföderiertenfahnen, Camel-Zigaretten-Produkte und Sport-Fanartikel an den Mann zu bringen.

In der Hoffnung, eine Art Infostand zu finden, sah Elizabeth sich um. Dabei entdeckte sie eine verstörend große Menge Flip-Flops, jeder einzelne grellbunt und mit Rüschen und Tüll besetzt. Auf einem Pappschild stand: PHANTASIE-FLIP-FLOPSAB 8 $. Verblüfft bemerkte sie, dass ein kleiner Junge das feminine Schuhwerk anprobierte.

Lange Reihen Leuchtstoffröhren erhellten die gesamte Szenerie. Die Wände waren in einem faden Beigeton gehalten, stark beschmutzt und schmucklos. Von der hohen Decke hingen Ketten, an manchen waren Schilder befestigt, die meisten baumelten einfach nur herab. Der gewaltige Raum war zwar kalt und nichtssagend, kam ihr aber irgendwie bekannt vor.

Nach einem weiteren prüfenden Blick in den Raum fand sich Elizabeth damit ab, das Gebäude zu Fuß abklappern zu müssen. Sie hielt sich ganz rechts, ging vorbei an einem [17] Mann mit schadhaften Zähnen, der alle Frauen schamlos von Kopf bis Fuß musterte und ihnen seine Erdnüsse anbot, vorbei an einem Nigerianer, der Holzarbeiten verkaufte und gerade zu jemandem »Ich gebe Ihnen mal meine Karte« sagte. Sie war peinlich darauf bedacht, vollkommen desinteressiert zu wirken, aus Sorge, von den Verkäufern an ihre Stände gelockt zu werden. Den Blick hielt sie auf den schmutzigen, ehemals weißen Fußboden mit seinen quadratischen Fliesen gesenkt, und wenn sie doch einmal aufblickte, sah sie schlaffe Orangenhaut und Pferdeschwanzfrisuren mit zur Seite gekämmten Fransen.

Bald war sie mittendrin im Flohmarktland, hatte Körperkontakt mit gemischtrassigen Paaren und vierzigjährigen Großmüttern, mit langhaarigen Männern und Leuten, auf deren T-Shirts und Basecaps die Namen von College-Sportteams standen – obwohl Elizabeth sehr wohl wusste, dass die wenigsten von ihnen jemals studiert hatten. Außerdem sah sie einige überdrehte Mexikaner, die mit einem ferngesteuerten Auto spielten, eine üppige Schwarze in einem Tube-Top, das mit ihrem überquellenden Fleisch verschweißt zu sein schien, sowie einen Mann, der als Zwillingsbruder des Weihnachtsmanns hätte durchgehen können.

Als sie endlich am Ende der ersten Reihe angekommen war, wurde ihr klar, warum ihr die Halle so bekannt vorkam. Sie hatte es nur vergessen, weil sie erst ein Mal hier gewesen war. In einer anderen Epoche hatte dieses Gebäude – nur einen Steinwurf vom ehemals soliden Story Boulevard entfernt – Bashfords profitablen allerersten Wal-Mart beherbergt. Er war vor über zwanzig Jahren geschlossen worden, für einen zweiten, größeren Wal-Mart, den wiederum man [18] letzten Winter aufgegeben hatte, als ein nagelneues Wal-Mart-Supercenter seine pompöse Eröffnung feierte.

Blue Genes Tisch stand in der hintersten Ecke, zwischen einem Samuraischwerter verkaufenden Mittfünfziger und einem älteren Paar, das Weißkopfseeadlerfiguren und religiösen Glasfaserkrimskrams im Angebot hatte. Tag für Tag hockte Blue Gene auf einem metallenen Klappstuhl – einem von der Sorte, mit dem sich Profi-Wrestler gegenseitig vermöbeln – an seinem Tisch, zwirbelte häufig seinen Kung-Fu-Schnauzbart und horchte manchmal in sich hinein, um herauszufinden, ob seine Tabletten halfen, was er für unwahrscheinlich hielt, da jedes Antidepressivum, das er bisher probiert hatte, auf der Liste seiner Nebenwirkungen »Depressionen« führte.

Nach längeren Versuchen mit Prozac, Celexa und Paxil war Blue Gene schließlich bei Zoloft gelandet, das er mittlerweile seit zwei Jahren regelmäßig nahm. Was außer seinem Arzt und den Mädels in Ralphs Apotheke niemand wusste. Er hütete dieses Geheimnis sorgfältig, da er um nichts in der Welt wollte, dass ein anderer Mann ihm ein bestimmtes obszönes Wort an den Kopf warf, ein Wort, mit dem man ihn beherrschte, da er es zugleich scheute und herbeisehnte. Eine ähnliche Beziehung hatte er zu dem Wort Weichei.

Blue Gene hielt sich für schwach, weil er Medikamente nahm, doch wenn er versuchte, sie abzusetzen, wurde er so launisch, dass er die Flohmarktkunden völlig grundlos anraunzte. Er wusste nicht, ob die Tabletten wirklich halfen. Er fühlte sich immer noch müde, immer noch bedrückt, andererseits fragte er sich, in welchem Zustand er sonst wäre.

[19] Jackie Stepchild sollte Blue Gene gegenüber später die Theorie vertreten, er und alle anderen in seiner Situation fühlten sich indisponiert, weil sie an Brucellose erkrankt seien, die durch ein im Labor hergestelltes Virus übertragen werde, das seinen menschlichen Wirt völlig gleichgültig werden lasse und ihm jede Lebensfreude austreibe. Sie ging sogar so weit, zu behaupten, das Virus werde von in Labors gezüchteten Stechmücken verbreitet, die die Regierung im Dunkel der frühen Morgenstunden überall im Land zigmillionenfach aussetze, eine Armee blutsaugender Soldaten. Blue Gene verwarf Jackies Theorie und fasste seine Müdigkeit mit den Worten eines ehemaligen Kollegen bei Wal-Mart zusammen: »Der Draufgänger in mir ist draufgegangen.« Der Kollege war damals Mitte siebzig gewesen.

Doch Blue Gene glaubte, dass das Leben genau das bewirkte, vor allem wenn man seine besten Jahre mit Arbeiten verbrachte: Es machte einen jungen Mann alt.

Sein Arbeitstag hatte wie immer begonnen: Blue Gene trank aus einem Styroporbecher Kaffee und sah zu, wie die anderen Händler eintrudelten und die alten Bettlaken von ihren Waren nahmen. Um zwei Minuten vor neun machte der Besitzer des Commonwealth-County-Flohmarkts seine morgendliche Lautsprecherdurchsage, erhob seine Stimme über die Apollo-13-Gläser und Spielzeugfiguren aus Cornflakes-Packungen, den Modeschmuck und die NSYNC-Figuren, die Vom-Winde-verweht-Teller und Plüschtiere, die Wackeldackel und Legosteine. Sein sanfter Bariton klang wie der von Johnny Cash, nur optimistischer.

»Guten Morgen, liebe Flohmarkthändler. Wie immer gilt: Wer etwas Illegales hat, packt es unter den Tisch. Wir [20] werden uns bemühen, im Laufe des nächsten Monats die Klimaanlage für Sie in Gang zu bringen, was heißt, dass wir auch im nächsten Monat hier sein werden. Ganz egal, was Curran Boggs sagt. Wir werden auch im nächsten Monat noch hier sein und im übernächsten und überübernächsten und bis in alle Ewigkeit, Amen. Ich weiß, die Geschäfte laufen schleppend, aber diesen Sommer wird es besser werden. Und nun wünsche ich uns allen einen erfolgreichen Tag. Ach ja – fast hätte ich es vergessen. Wussten Sie, dass es Zeit wird, die Bettwäsche zu wechseln, wenn man anfängt, in seinem Bett Staub zu saugen? Na, dann wollen wir mal loslegen. Macht die Tore auf, und lasst sie rein.«

Jeden Morgen hörte sich Blue Gene die Ansage des Besitzers aufmerksam an – hauptsächlich weil er die Witze mochte. Es waren immer knackige, bodenständige Witze wie: »Unterhalten sich zwei Farmer: ›Hast du gehört, was man in der Stadt über uns erzählt?‹ – ›Nein, was denn?‹ – ›Man sagt, wir treiben es mit Schafen… und Ziegen… und Hühnern… und Schlangen…‹ Darauf der andere: ›Mit Schlangen?‹« Mehr als den Humor an sich wusste Blue Gene zu schätzen, dass der Besitzer sich die Mühe machte, jeden Tag einen neuen Witz zu erzählen.

Wie immer verbrachte Blue Gene die Stunden nach der morgendlichen Durchsage damit, vorbeischlendernde Kunden zu beobachten, denen er allerdings höchstens kurz zunickte. Er sprach grundsätzlich keine Kunden an, wenn sie ihn nicht von sich aus ansprachen, denn er wollte auf keinen Fall für einen professionellen Händler gehalten werden. Das war einer seiner strikten Grundsätze, die er sich für den Flohmarkt...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2013
Übersetzer Hans M. Herzog
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bevölkerung • Bier • Brüder • Familie • Gesellschaft • Humor • Kongress • Melancholie • Politik • Provinz • Roman • Stimmfang • Unterschichte • USA • Wähler • Witz • Wrestling
ISBN-10 3-257-60372-X / 325760372X
ISBN-13 978-3-257-60372-9 / 9783257603729
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