Schab nix gemacht! (eBook)

Geschichten aus der Hauptschule

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42015-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schab nix gemacht! -  Kai Lange
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Obwohl die Schüler sein Nervenkostüm oft sehr strapazieren, gibt es für Kai Lange keinen schöneren Beruf, als Lehrer zu sein. Zwar gilt es, nicht zu verzweifeln, wenn man jede Pause erneut herausfinden soll, wer denn nun zuerst »Hurensohn« gesagt hat. Oder wenn Schüler Akin nach vier Jahren Englischunterricht immer noch glaubt, 'I would' heiße auf Deutsch 'Ich bin wötend'. Aber Kai Lange nimmt seinen Job mit Humor. Seit Jahren notiert er sich die ebenso aberwitzigen wie lustigen Geschichten, die er tagtäglich erlebt. So schafft er es nicht nur, im Chaos des Alltags einen kühlen Kopf zu bewahren, sondern auch, seinen Schülern tatsächlich etwas beizubringen.

Kai Lange, geboren 1969 am Niederrhein, ist seit vielen Jahren als Deutsch- und Erdkundelehrer an Hauptschulen im Ruhrgebiet tätig. Die Schulrealität wollte es, dass er mittlerweile auch fast alle anderen Fächer unterrichtet. Um Mathematik kam er zum Glück aller Beteiligten bis jetzt herum. Vier Tage in der Woche ist Kai Lange mit Leib und Seele Lehrer, am fünften Tag wäre er gerne Gärtner. Er hat zwei Kinder und lebt am Niederrhein.

Kai Lange, geboren 1969 am Niederrhein, ist seit vielen Jahren als Deutsch- und Erdkundelehrer an Hauptschulen im Ruhrgebiet tätig. Die Schulrealität wollte es, dass er mittlerweile auch fast alle anderen Fächer unterrichtet. Um Mathematik kam er zum Glück aller Beteiligten bis jetzt herum. Vier Tage in der Woche ist Kai Lange mit Leib und Seele Lehrer, am fünften Tag wäre er gerne Gärtner. Er hat zwei Kinder und lebt am Niederrhein.

Brief an Philipp


Philipp! Was mag aus dir geworden sein? Als du in meiner ersten 5. Klasse saßest, warst du der Inbegriff des Backpfeifengesichts. Dir stand gewissermaßen auf der Stirn geschrieben, dass es mit dir zwar nicht einfach, aber sehr unterhaltsam werden würde. Du warst ein herzensguter Kerl, noch viel kindlicher als alle anderen, die schon übten, cool zu sein. Und du warst irgendwie so wackelig auf den Beinen. Dein Vater erzählte mir damals, dass du erst sehr spät in der Lage warst, ein paar Meter mit dem Tretroller zu fahren, ohne hinzufallen. Daher warst du auch der, den die coolen Kerle vom Bolzplatz ins Tor stellten, weil sie nichts mit dir anzufangen wussten.

Philipp, du konntest dich so wunderbar erfreuen an den Scherzen, die wir in der Klasse machten, und bei mir gingst du in die sicher nicht immer einfache Schule der Ironie.

Aber ich erinnere mich genau, wie ehrgeizig du warst. Und, was auf einer Hauptschule die halbe Miete ist: Du hattest Eltern im Rücken, die dich förderten und forderten.

Dein Vater hatte einen ganz besonderen Singsang in der Stimme, den hat er dir vererbt. Das »i« gab es bei euch nur gekiekst, das »e« nur gedehnt. Auch hattet ihr beide Probleme mit dem »s-Laut«, dein Vater sogar mehr als du. Es klang wie ein Zischen. Stell dir vor, du bleibst im vollen Lauf mit dem kleinen Zeh am Stuhlbein hängen, musst das Schreien aber unterdrücken, weil nebenan ein Baby schläft. Du beißt dir auf die Zähne, machst den Mund ganz breit und atmest gequält ein und aus. Du kannst nicht erahnen, wie oft mein Kollege Ohlsen und ich im Lehrerzimmer den Papa Winkler machen mussten. Aber das war nie böse gemeint!

Philipp, deine Handschrift war so skurril, dass ich sie auch heute noch aus Zehntausenden erkennen würde. Jeder Buchstabe war harte Arbeit, und auf den Hilfslinien deines Heftes ging es drunter und drüber. Aber komisch: Wenn man eine ganze voll geschriebene Seite betrachtete, war es irgendwie ein Gesamtkunstwerk. Alles hatte eine gewisse Ordnung, denn alles war gleichmäßig krumm geschrieben.

Wahrscheinlich wirst du dich nicht mehr an die Motorikstunden in der 5. Klasse erinnern. Ihr wart alle ganz neu auf der Schule und ich zum ersten Mal Klassenlehrer. Schon nach wenigen Stunden stellte ich fest, wie schwer es für dich und viele deiner Mitschüler war, konzentriert mit dem Geodreieck umzugehen und exakte Striche zu ziehen. Und da hatte ich dann die Motorikstunden ins Leben gerufen, in denen wir unsere eigenen Mandalas zeichneten.

Mit dem Lineal zeichnete ich Linie um Linie an die Tafel, die ihr ins Heft übertragen solltet. Am Ende ergaben sie ein symmetrisches Konstrukt, dessen Lücken ihr dann farbig ausmalen durftet. Am Anfang war es richtig tragisch mit dir: Du bliebst so früh auf der Strecke, weil du nicht eine einzige Linie so zeichnen konntest, wie es sein sollte, und dich zudem mit dem Geodreieck beinahe verletzt hattest, bis du schließlich weinend über der Zeichnung zusammenbrachst. Aber später klappte es immer besser, und am Ende des Schuljahres sahen die Zeichnungen in deinem Heft fast so aus wie auf der Tafel. Höchstens dein Daumen war beim Linienzeichnen mal im Weg. Aber es war ein Quantensprung in deiner feinmotorischen Entwicklung.

Weißt du eigentlich noch, dass du ein hyperaktives Ritalin-Kind warst? Die Tabletten sollten dafür sorgen, deine Konzentrationsfähigkeit zu erhöhen und das Zappeln zu unterbinden. Ich sollte dich im Namen deines Vaters immer an die Einnahme erinnern, meistens war das nach der zweiten Pause.

Dazu fällt mir eine Geschichte ein. Als du in der 6. Klasse warst, waren wir alle auf Klassenfahrt auf einem niederrheinischen Ponyhof. Auch Herr Ohlsen war mit seiner 6 c dabei. Und du weißt ja, wie Herr Ohlsen ist: Nur Quatsch im Kopf. Mit deinem Vater hatte ich im Vorfeld besprochen, zu welchen Uhrzeiten du deine rationierten Tabletten bekommen solltest. Und wenn es irgendwelche Schwierigkeiten wegen völliger Aufgedrehtheit geben sollte, würde er dich abholen kommen.

»Der Junge icht schliechlich noch nie cho lange von chu Hauche ferngeblieben«, erklärte dein Vater.

Für meinen Kollegen Ohlsen war klar, wie man die Sache mit dem Ritalin angehen sollte: »Wir geben ihm schon auf der Hinfahrt alle Pillen auf einmal und gucken, wie lange die Wirkung anhält. Und wenn er nach ein paar Tagen abdreht, lassen wir ihn einfach abholen.«

Flachster Paukerhumor, den ich zweifellos nicht teile!

Dein Vater beauftragte mich auch, unter allen Umständen dein Taschengeld in Verwahrung zu nehmen. Er wusste genau, dass du damit nicht gut umgehen kannst. Schon wenige Minuten nach unserer Ankunft hattest du so viele Colaflaschen aus dem Automaten gezogen, dass man den Eindruck gewinnen konnte, du wüsstest mehr als wir, und am nächsten Tag käme eine große Dürre. Und weil du fünf Flaschen gleichzeitig auf dem Arm hattest, landete natürlich eine davon auf dem Boden. Das alles war typisch Philipp.

Wenn ich daran denke, wie grausam Kinder untereinander sein können, dann hattest du ganz tolle Schulkameraden. Sie wussten natürlich, dass du irgendwie in einer anderen Welt lebtest, und sie machten sich ein bisschen lustig über dich, aber du wurdest nur selten ausgegrenzt. Wenn ich mich recht erinnere, halfen sie dir sogar, die klebrige Cola und die Glasscherben wegzuwischen.

Auf dem Ponyhof gab es – du wirst dich sicher erinnern – einen Hofhund. Das war irgendein Terrier, jedenfalls hatte er ganz viele kleine Locken. Anfangs interessierten sich einige von uns für den Hund, später aber achtete kaum noch jemand auf ihn. Deine Mitschüler spielten Fußball und Frisbee oder sammelten Holz für das große Lagerfeuer.

Auf einmal riefst du begeistert aus größerer Entfernung: »Herr Lange. Gucken Sie mal. Der hööört auf mich!«

Und wir sahen diese Töle, die dich an einer langen Leine hinter sich herschleifte, und Ohlsen und ich schüttelten uns vor Vergnügen. Als ihr auf unserer Höhe wart, wurde mein Kollege aber zum Fiesling.

»Philipp!«, sprach er in geharnischtem Ton. »Wie sieht denn der arme Hund auf einmal aus? Der hatte eben doch noch glattes Fell!«

»Nein!«, stammeltest du zurück. »Der sah immer schon so aus.«

»Erzähl mir nichts!«, sagte Ohlsen streng. »Der Hund hatte heute Morgen noch keine Locken!«

Du warst ziemlich verunsichert, hast dich aber tapfer verteidigt. »Der Samet hat mir den so gegeeeben!«, protestiertest du in einer Mischung aus Wimmern und Entrüstung.

Kurze Zeit später erklärte ich dir, dass das alles ein Witz war. Und du warst nicht böse, sondern hast auch gelacht.

Eines Morgens wolltest du eigentlich nur dein Ritalin abholen, aber du wecktest mich mit den Worten: »Herr Lange, wussten Sie chon, dass der durchchnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an Nuuudeln in Italien bei über fünfundzwanzig Kiiilogramm liegt?«

»Ist nicht wahr!«, murmelte ich noch verschlafen, während Ohlsen prustend auf den Flur flüchtete.

Von draußen rief er scheinheilig: »Woher weißt du das, Philipp?«

»Von Galileeeeeeeo!«, sagtest du, und deine Augen leuchteten wie die Sonne im August.

Alle Welt wusste, was deine Lieblingssendung war, aber wir hatten immer große Freude daran, wie du den Titel aussprachst: jede Silbe stark betont, inklusive gekiekstem »i«, sehr langem »e« und garniert mit einem Backpfeifengesichtstrahlen, dass man dich einfach nur knuddeln wollte. Das hättest du jedoch nicht verstanden, also nahm ich immer Abstand vom Knuddeln. Aber es fiel schwer.

Weißt du noch, als du in der 7. Klasse warst, besuchten wir mit drei Klassen den Burgers’ Zoo in Arnheim. Schon beim Eintreffen hatte ich, warum auch immer, irgendwie ein mulmiges Gefühl und warnte meine Kollegen: »Wir müssen heute auf Philipp aufpassen. Irgendwas passiert sonst.« Ihr durftet in euren Grüppchen frei herumlaufen, und alles schien zu klappen. Doch als Herr Ohlsen und ich ins Zoocafé kamen, hast du da bereits gesessen. Und zwar in einem Blaumann, den dir ein Tierpfleger so lange geliehen hatte, bis deine Hose, mit der du in irgendeinen Fischteich gestolpert bist, wieder trocken war.

Ach, Philipp, und dann ging mit uns natürlich wieder die Phantasie durch, und wir stellten uns vor, wie unsere Schule in wenigen Tagen Post vom Burgers’ Zoo bekommen würde: »Wir erlauben uns in Rechnung zu stellen: Ein Arbeitsanzug, ein Brückengeländer, vierzehn Schwertlilien, diverse Fische, ein Alligator und so weiter.« Für mich ist der Burgers’ Zoo mit deinem Namen verbunden und wird mir unvergesslich bleiben.

Aber ich will dich gar nicht nur an deine Missgeschicke erinnern. Denn was mir am meisten in Erinnerung bleiben wird, ist deine außergewöhnliche Entwicklung, auf die du dein Leben lang stolz sein solltest.

Als Integrationskind warst du das, was man früher Sonderschüler nannte. Aber du wurdest immer besser in der Schule, deine Schrift wurde langsam, aber sicher flüssiger, du warst fleißig, deine Auffassungsgabe wurde stetig besser, deine Hände taten immer automatischer, was du von ihnen wolltest, und überhaupt hörte dein ganzer Körper immer besser auf dich. So kamst du in beide Erweiterungskurse: Mathematik und Englisch. Das allein war schon sensationell, doch kurz bevor ich die Schule verlassen musste, weil sie bald darauf geschlossen wurde, hob man deinen Förderstatus auf. Du warst zu gut für einen Förderschüler. Du warst nun ein richtiger Hauptschüler. Und als wäre das nicht schon eine hinreißende Erfolgsgeschichte, landetest du sogar später in der 10B. Wie ich später erfahren durfte, hattest du am Ende den Realschulabschluss in der Tasche.

Philipp, es ist so unglaublich, was du geschafft hast. Ganz,...

Erscheint lt. Verlag 26.7.2013
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Erfahrungsberichte • Erfahrungsberichte wahre Geschichten • Geschenk Lehrer • Geschichten • gute Lehrer • Hauptschule • Humor • Lehrer • lehrer buch • lustig • Schule • Schule Lehrer Alltag Chill mal lustig Witze Anekdoten Hauptschule blöde Schüler • Schulen in Deutschland • Schüler • Schulformen • Schulgeschichten • Schulgeschichten Buch • Wahre GEschichte
ISBN-10 3-426-42015-5 / 3426420155
ISBN-13 978-3-426-42015-7 / 9783426420157
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