Schlecht aufgelegt (eBook)

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2013 | 1. Auflage
352 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-49561-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schlecht aufgelegt -  Sven Stricker
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«Das war mit Abstand die fürchterlichste Woche seines Lebens. Und es war gerade erst Dienstag.» Paul Uhlenbrock schleppt sich so durchs Leben: Er hasst Berlin. Er hasst den Job im Call-Center, die unfreundlichen Kunden und die verkrachten Existenzen um sich herum. Und Kuli, den neuen, nervigen und anhänglichen Kollegen, den mag er auch nicht. Doch dann werden Kuli und Paul am Telefon unfreiwillig Zeugen eines Verbrechens. Tags darauf ist eine junge Floristin tot, und in Kulis Briefkasten steckt ein Foto: Es zeigt das Opfer mit einem berühmten Berliner Politiker - in eindeutiger Pose. Plötzlich ist Pauls Ehrgeiz geweckt. Er und Kuli beschließen, auf eigene Faust zu ermitteln. Und stolpern mitten in einen hochbrisanten Fall, der sich schnell als mindestens eine Nummer zu groß entpuppt ... «Er kann lustig, er kann genau, er kann spannend, Stricker kann schreiben! Ein Debütroman, der sich gewaschen hat! Großartig.» (Bjarne Mädel) «Wunderbare Unterhaltung. Komisch, irrsinnig und nachdenklich zugleich.» (Florian Lukas)

Sven Stricker wurde 1970 in Tönning geboren und wuchs in Mülheim an der Ruhr auf. Er studierte Komparatistik, Anglistik und Neuere Geschichte. Seit 2001 arbeitet er als freier Wortregisseur, Bearbeiter und Autor und gewann in dieser Funktion mehrmals den Deutschen Hörbuchpreis. Mit «Sörensen hat Angst» war Sven Stricker für den Glauser-Preis 2017 nominiert, die gleichnamige Verfilmung gewann 2021 den Deutschen Fernsehkrimipreis sowie den österreichischen Fernsehpreis Romy. 2022 wurde Stricker für das Drehbuch mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Potsdam und hat eine Tochter.  

Sven Stricker wurde 1970 in Tönning geboren und wuchs in Mülheim an der Ruhr auf. Er studierte Komparatistik, Anglistik und Neuere Geschichte. Seit 2001 arbeitet er als freier Wortregisseur, Bearbeiter und Autor und gewann in dieser Funktion mehrmals den Deutschen Hörbuchpreis. Mit «Sörensen hat Angst» war Sven Stricker für den Glauser-Preis 2017 nominiert, die gleichnamige Verfilmung gewann 2021 den Deutschen Fernsehkrimipreis sowie den österreichischen Fernsehpreis Romy. 2022 wurde Stricker für das Drehbuch mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Potsdam und hat eine Tochter.  

Spaß macht das


Wie, Spaß?», fragte Paul, stützte sich auf einen Stuhl und zog ein Gesicht, als hätte ihm jemand den Urlaub gekürzt.

Kuli antwortete nicht sofort, er musste sich konzentrieren. Er versuchte nun schon zum dritten Mal, sich einen Latte macchiato aus dem so riesigen wie unförmigen Kaffeeautomaten zu ziehen, der nichts weniger war als das Herz der T2-Vermittlung, zentrale Anlaufstelle, Kontaktbörse und Trostspender zugleich. An diesem Kaffeeautomaten wurden Beförderungen beschlossen, Kollegen gemobbt und Schichtpläne geändert.

Beim ersten Mal hatte Kuli vergessen, den Plastikbecher unter die Düsen zu stellen, beim zweiten Mal zwar die Milch hineinfließen lassen, dann aber den Becher weggezogen, bevor der Kaffee kam. Um sich nichts anmerken zu lassen, hatte er ein paar kräftige Schlucke der entsetzlich wässrigen Milch getrunken, den Rest unauffällig in den Ausguss gekippt und nun den Becher ein drittes Mal untergestellt. Paul hatte all das unkommentiert gelassen.

Der Pausenraum, in dem sie sich befanden, war niemals für eine so große Anzahl von Telefonisten konzipiert worden. Es gab zwei kleine Tische, einen Kühlschrank, eine Spüle und ein paar selbstgemalte Bilder an der Wand, die der Belegschaft freundlicherweise von Frau Stefanie Baldrup aus der Kundenbetreuung zur Verfügung gestellt worden waren. Das verrieten kleine Hinweisschilder an den Rahmen, die gleichzeitig den Kaufpreis des jeweiligen Kunstwerks verrieten. Was genau auf den Bildern zu sehen war, wusste Paul nicht, irgendwas mit Meer und Blumen und Katzen, er hatte sich den Kram noch nie richtig angesehen. Er wusste nur, dass zumindest in den letzten zwei Jahren kein einziges Bild abgehängt worden war und Frau Stefanie Baldrups Nebenverdienstmöglichkeiten offensichtlich beschränkt waren.

Es roch nach ewigem und nicht auszumerzendem kalten Rauch; früher, vor dem Nichtraucherschutz, war es hier zugegangen wie in einer Absturzkneipe nachts um halb fünf; in dem dichten Gedränge aus Rauchern und ihren Schwaden sollte der Sage nach sogar der eine oder andere Mitarbeiter verschwunden und nie wieder aufgetaucht sein. So erzählten es jedenfalls die Alteingesessenen, allesamt Nichtraucher, aber die waren ja sowieso alle verrückt, dachte Paul, denn das waren ja die, die für die anderen mitarbeiteten. Heute ging man zum Rauchen vor die Eingangstür im Erdgeschoss, was das kleine Durchschnaufen aufs angenehmste um zwei Minuten verlängerte.

«Ja, Mensch, wann kommt man schon mal in so kurzer Zeit mit so vielen Leuten in Kontakt», sagte Kuli endlich und beobachtete zufrieden, wie die braune Brühe auf seine Milch lief. «Ist doch super. Macht doch Spaß!»

Paul konnte seine Verachtung nicht verbergen. «Redest du dir das jetzt schön hier? Was denn für ein Kontakt? Die haben’s eilig, wir halten sie hin, stellen uns blöd an und werden dafür angeschissen. Das hält man doch im Kopf nicht aus, was das für ein Scheißjob ist.»

«Also, als so unfreundlich hab ich die Kunden gar nicht empfunden», antwortete Kuli. Paul schaute nur kurz hoch.

«Okay, ein paar schon», gab Kuli zu. »Aber ich bin ja auch noch ein bisschen langsam. Au, Scheiße! Scheiße, au!»

Er hatte sich die Lippen verbrannt.

Paul verlor sich in Gedanken. Das passierte ihm manchmal, das tat ihm gut, das war sein Ausstieg aus der Zeitachse der Wirklichkeit, wenn es gar zu blöd wurde. Und gerade wurde es ziemlich blöd. Er fragte sich, ob so ein Kaffeeautomat eigentlich eine FSK-Freigabe benötigte. Gut, das hieß bei Kaffeeautomaten sicherlich ganz anders, meinte aber eigentlich dasselbe. TÜV hieß das, fiel ihm ein, und er fand den Gedanken schön, dass da so ein Kaffeeautomat auf so einer Hebebühne stand und sich mehrere Mechaniker in blauen Overalls und mit ölverschmierten Händen darunterbeugten und ihn für den Straßenverkehr freigaben. Dann dachte er, dass in Amerika der Kaffeemaschinenhersteller jetzt wohl verklagt worden wäre und dass sich Kuli mit dem erstrittenen Geld ein Haus am See in der Stadt hätte kaufen können, auch wenn er, Kuli, bislang der Einzige gewesen war, der jemals den Kampf mit dem Kaffeeautomaten verloren hatte. Weiter wollte er dann aber doch nicht abschweifen. Denn eigentlich ging es hier ja um Grundsätzliches.

«Die sind auch unfreundlich, wenn du schnell bist, die Kunden», sagte er. «Die sehen dich ja nicht. Da haben die keinen Respekt. Geht’s?»

Kuli machte eine wegwerfende Geste und nahm die Hand vom Mund. «Wiefo ham die kein Reschpeckt?» Er befingerte seine Unterlippe.

«Ist halt anonym. Da kann man schön die Sau rauslassen», schimpfte Paul.

«Ischt das nicht ein bischschen zu …»

«Nee, gar nicht, das ist gar nicht zu

Jetzt war Paul auf Betriebstemperatur. «Ich sag dir mal was: Niemand wird freiwillig Call-Center-Agent, okay? Es gibt drei Berufe, ja, drei Berufe gibt es. Wenn du auf die Welt kommst, wenn du in die erste Klasse kommst und gefragt wirst, was willst du denn mal werden, wenn du groß bist, was bist du denn da von Beruf, da gibt es genau drei Berufe, die niemals, nicht ein einziges Mal genannt werden: Müllmann bei den Jungs, Prostituierte bei den Mädchen und Call-Center-Agent bei beiden. Leichenbestatter, okay. Imbissbude, meinetwegen. Aber nicht Call-Center-Agent. Allein schon dieses Wort: Call-Center-Agent! Wie klingt das denn? Wollen die uns eigentlich verarschen, wollen die uns lächerlich machen? Call-Center-Agent! Mit der Lizenz zum Quatschen, oder was? Sag das mal auf einer Party, hey, ich bin Call-Center-Agent, da werden dir die Frauen aber nachrennen, da bist du aber mal ’ne ganz fette Partie, bist du da!» Er holte tief Luft. «James Bond ist Agent! Wir sind das nicht. Niemand wird freiwillig Call-Center-Agent, das heißt, wir alle hier sind woanders gescheitert oder hatten keine Alternative. Und die Idioten, die hier anrufen, die wissen das, die schauen auf uns herab. Wenn du hier überleben willst, musst du dagegenhalten, konfrontieren, aggressiv sein, keine Gefangenen machen. Du musst selbst so unfreundlich sein, wie’s nur irgendwie geht.»

«So habe ich das noch nicht betrachtet», sagte Kuli und stellte seinen Kaffee auf den Tisch, um ihn nie wieder anzurühren.

Paul klopfte sich zwei Mal gegen die Brust. «Das ist eine Frage der Würde.»

Er nahm einen Becher aus der Halterung des Automaten, ging zur Spüle, füllte ihn mit Leitungswasser und gab ihn Kuli, der dankbar einen Schluck trank und sein T-Shirt nur ganz leicht bekleckerte.

«Wie lange machst du das denn schon?», fragte Kuli und suchte nun offensichtlich nach einem Taschentuch.

Paul seufzte. Höchste Zeit, eine rauchen zu gehen. «Zwei Jahre. Zwei Jahre Schichtdienst», versetzte er knapp, zeigte auf die Einweghandtücher an der Spüle und wollte schon den Raum verlassen, als ihm Sandy Schorndorf in die Quere kam.

«Hi», sagte sie, lächelte ihn an, schob sich sehr nah an ihm vorbei durch den Türrahmen und bewegte sich in Richtung Kühlschrank. Paul beschloss, noch ein wenig zu bleiben.

«Was hast du denn vorher gemacht?», fragte Kuli, schien aber ebenfalls leicht abgelenkt zu sein.

«Was?»

«Was du vorher gemacht hast?»

«Studiert», sagte Paul.

«Okay», sagte Kuli.

Sandy Schorndorf hatte einen Apfel aus dem Kühlschrank genommen und grinste die beiden Männer an. «Ein Apfel», sagte sie treffend.

Paul und Kuli nickten. Sie setzte sich an den Tisch.

«Ich bin Kuli», sagte Kuli.

«Okay», sagte Sandy Schorndorf und vertiefte sich in ihr Obst. Kuli wandte sich wieder Paul zu.

«Was denn?»

«Was denn, ‹was denn›?», fragte Paul.

«Studiert. Du.»

«Ach so. Germanistik, Psychologie und Politik.»

«Was denn, du?»

«Wieso denn nicht?», antwortete Paul barsch. «Traust du mir das nicht zu, oder was?»

«Doch, na klar. Natürlich, wieso denn nicht. Studiert, klar. Ja, sicher. Aber …»

«Was?»

Kulis Lächeln ähnelte dem eines Buddhas. «Na ja … Keinen Job gefunden?»

«Nee, keinen Abschluss gemacht. Hat mich genervt, an der Uni. Lauter Schwätzer.»

Darauf wusste Kuli erst mal nichts zu sagen. Sandy Schorndorfs grüner Apfel trug mittlerweile leicht rote Spuren. Paul hoffte, es kam vom Lippenstift und nicht vom Zahnfleisch.

«Ich bin ja gerade erst hierhergezogen», nahm Kuli den Faden wieder auf.

«Soso.» Paul hatte jetzt wirklich keine Lust mehr. «Ich geh mal noch schnell eine rauchen», sagte er.

Kuli reckte sich.

«Aus Dortmund. War da beim Bund.»

«Was? Du?», unterbrach ihn Paul.

«Ja, wieso denn nicht?» Kuli war nun seinerseits beleidigt. «Was dagegen?»

«Nee. Aber du wirkst so …»

«Wie denn?»

«Unsoldatisch.»

Kuli schnaubte. «Kann ja nicht jeder immer sofort den einen Plan haben, der ihn ganz nach vorne bringt, oder?»

«Nee, klar.»

«Muss man sich ja erst mal ausprobieren. ’ne Idee kriegen.»

«Klar. Aber du bist doch bestimmt … na ja, vierzig oder so.»

Kuli zupfte an der Kordel seines Kapuzenpullovers. «Na und? Hab ja auch noch andere Sachen gemacht. Außerdem war das ein super Arbeitgeber.»

«Klar.»

«Gute Kameradschaft und so.»

«Okay.»

«Und viel an der frischen Luft war man.»

«Na, prima», sagte Paul. «Alles genau wie bei uns.»

Sandy Schorndorf kicherte. Kuli errötete. «Holger Staniak aus meiner Grundschule», sagte er nach einer kurzen Pause.

Paul stöhnte innerlich auf. «Wer?», fragte er notgedrungen.

«Holger Staniak. Der wollte Müllmann werden. Ganz viele wollten...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2013
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Call Center • Krimikomödie
ISBN-10 3-644-49561-0 / 3644495610
ISBN-13 978-3-644-49561-6 / 9783644495616
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