Für immer und ewig (eBook)

Eine Art Reigen
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2013 | 1. Auflage
304 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60087-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Für immer und ewig -  Doris Dörrie
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Achtzehn Erzählungen: Von der Teeny-Romantik über die ersten herben Enttäuschungen der Twens zu den Irrungen und Wirrungen der Forties und Fifties ­ Dörries Erzählungen übertreffen sich an Dichte und lakonischer Genauigkeit. Ihr trockener Witz, ihre plastische, unprätentiöse Erzählweise konzentrieren sich auf die Entwicklung ihrer Figuren. Sie zeigt, wie er an uns nagt, der Zahn der Zeit.

Doris Dörrie, geboren in Hannover, studierte Theater und Schauspiel in Kalifornien und in New York, entschloss sich dann aber, lieber Regie zu führen. Parallel zu ihrer Filmarbeit (u. a. ?Männer?, ?Mitten ins Herz?, ?Kirschblüten - Hanami?) veröffentlichte sie Kurzgeschichten, Romane, ein Buch über das Schreiben (?Leben, schreiben, atmen?) und Kinderbücher. Sie leitet den Lehrstuhl ?Creative Writing? an der Filmhochschule München und gibt immer wieder Schreibworkshops. Sie lebt in München.

Doris Dörrie, geboren in Hannover, studierte Theater und Schauspiel in Kalifornien und in New York, entschloss sich dann aber, lieber Regie zu führen. Parallel zu ihrer Filmarbeit (u. a. ›Männer‹, ›Mitten ins Herz‹, ›Kirschblüten – Hanami‹) veröffentlichte sie Kurzgeschichten, Romane, ein Buch über das Schreiben (›Leben, schreiben, atmen‹) und Kinderbücher. Sie leitet den Lehrstuhl ›Creative Writing‹ an der Filmhochschule München und gibt immer wieder Schreibworkshops. Sie lebt in München.

[24] Unglück will Gesellschaft

»Ja, die Kette mit den großen grünen und roten Steinen«, sagte das Mädchen leise und sah zu Boden.

Ich beneide sie um ihren Busen, dachte die Juwelierin, was für ein Busen! Die Juwelierin ging lautlos über den grünsamtenen Fußboden zur Schaufenstervitrine und nahm vorsichtig die Kette mit den großen Turmalinen heraus. Sie legte sie auf eine schwarze Unterlage. Die Turmaline glänzten wie frisch aufgeschnittene Wassermelonenstücke, von dunkelgrün über hellgrün an den Rändern, bis zu pink und karmesinrot in der Mitte.

»Turmaline in dieser Farbe sind äußerst selten«, sagte die Juwelierin und strich mit dem Zeigefinger über die Steine. Sie fühlten sich angenehm kühl und glatt an.

»Ich bewundere die Kette schon seit Wochen im Fenster«, sagte das Mädchen, streckte die Finger nach den Steinen aus und berührte sie vorsichtig.

Die Juwelierin verschränkte die Arme. Sie musterte das Mädchen von der Seite und addierte im Geist die Preise der Kleider, die es trug: Das klassische Yves-Saint-Laurent-Kostümchen in Dunkelblau für rund viertausend DM, die lila Wildlederschuhe für zwölfhundert – das wußte die Juwelierin genau, weil sie erst neulich genau diese Schuhe in einem Laden in der Hand gehabt und wegen des [25] wahnwitzigen Preises voller Bedauern ins Regal zurückgestellt hatte –, die alte Lederjacke, die das Mädchen über dem Arm trug, war wahrscheinlich auch nicht gerade billig gewesen, die Zeiten, wo man so ein Stück günstig auf dem Flohmarkt ergattern konnte, waren längst vorbei. So um die sechs-, siebentausend Mark hatte das junge Ding am Leib. Woher haben diese Kinder so viel Geld? dachte die Juwelierin erbost.

»Möchten Sie die Kette einmal umlegen?« fragte sie das Mädchen. Das Mädchen sah sie zweifelnd an.

»Ich weiß nicht«, sagte es, »wenn ich sie anprobiere, will ich sie vielleicht unbedingt haben.«

»Das kann passieren«, sagte die Juwelierin, hielt die Kette hoch, ließ sie leicht hin- und herschwingen und wartete ab. Sie schwiegen. Das Mädchen starrte die Kette an, die Juwelierin sah aus dem Fenster und beobachtete, wie der Buchhändler von gegenüber Kisten mit reduzierten Taschenbüchern auf die Straße vor sein Geschäft stellte. Er trug ein rotweiß kariertes Hemd und sehr enge, ausgewaschene Jeans. Er hat bestimmt einen hübschen Schwanz, dachte die Juwelierin und lächelte ein bißchen. Das Mädchen streichelte die Turmaline.

»Darf ich vielleicht doch mal…?« Die Juwelierin hob die schweren, dunklen Haare des Mädchens im Nacken an und legte ihm die Kette um. Das Mädchen roch nach Eau Sauvage. Die Erinnerung an dieses Parfüm und ihren Exmann Jochen traf die Juwelierin wie eine Bombe. Sie wich zurück und hätte fast die Glaskonsole umgerissen. Das Mädchen drehte sich neugierig zu ihr um. Die Turmaline ließen seine Augen leuchten.

[26] »Eau Sauvage, nicht?« sagte die Juwelierin.

»Nein«, sagte das Mädchen gleichgültig, »Halston.«

Blödsinn, natürlich ist es Eau Sauvage, dachte die Juwelierin, natürlich, du dumme Gans. Das Mädchen drehte sich vor dem Spiegel. Es hielt seine dichten, schwarzen Haare im Nacken zusammen, dann türmte es sie auf dem Kopf, ließ sie wieder fallen, schüttelte sie, strich sie sich aus dem Gesicht.

Sie kann sich nicht entscheiden, dachte die Juwelierin ungeduldig, sie weiß nicht, was sie will.

»Mein Freund möchte mir gern etwas schenken«, sagte das Mädchen zu seinem Spiegelbild.

Aha, dachte die Juwelierin, und du willst, daß er dir die Kette schenkt. Das Mädchen atmete tief ein. Sein Busen hob sich und die Kette zitterte.

Wie frage ich sie, dachte das Mädchen, wie soll ich sie bloß fragen? Sie sieht so streng und unnachgiebig aus.

Die Juwelierin sah wieder aus dem Fenster. Der Buchhändler rückte seine Kisten in eine Reihe, dann drehte er sich um sah vage in die Richtung des kleinen Juweliergeschäfts. Hat die kleine Goldschmiedin eigentlich einen Kerl? dachte er. Ganz frisch ist die ja auch nicht mehr.

Ich könnte ihn heute nachmittag auf ein Glas Wein herüberbitten, dachte die Juwelierin.

»Bringen Sie Ihren Freund doch einfach einmal mit«, sagte sie zu dem Mädchen. Das Mädchen wandte sich vom Spiegel ab und ging ein paar Schritte auf und ab. Sie kann sich gut bewegen, dachte die Juwelierin, sehr selbstbewußt. Woher nimmt sie das? Warum sind diese jungen Küken so verdammt selbstbewußt?

[27] Sie wischte ein paar Staubkörnchen von der Glasplatte der Vitrine. Ich lebe gern allein, dachte sie trotzig, ich lebe sehr gern allein.

Das Mädchen starrte auf den Sonnenstreifen auf dem grünen Teppichboden. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete sie die Juwelierin, die sich jetzt über die Glasplatte beugte, sie anhauchte und mit dem Zipfel ihres Ärmels die Fingerabdrücke des Mädchens wegputzte. Ich traue mich nicht, dachte das Mädchen. Sie sieht so verbittert und geschieden aus, sie sagt bestimmt nein. Warum fragt sie nicht endlich nach dem Preis, dachte die Juwelierin. Meine Lieblingskette. Eigentlich will ich sie gar nicht verkaufen. Sie ist in meiner glücklichsten Zeit mit Jochen entstanden. Ich werde einen viel zu hohen Preis nennen. Ich muß etwas verkaufen. Den ganzen Monat habe ich erst 5000 DM Umsatz gemacht. Jochen würde vor Schadenfreude platzen, wenn ich den Laden wieder aufgeben müßte. Sein Laden, mein Laden. Jetzt ist es mein Laden. Mein, mein, mein. Alles meins. Ich könnte ein bißchen Salbei verbrennen und den Laden von Jochens Verwünschungen reinigen. Schade, daß ich an so etwas nicht glaube. Kein Mann wird sich trauen, mir Schmuck zu schenken. Bekommen Blumenhändlerinnen von ihren Verehrern auch nie Blumen?

»Die Kette steht Ihnen besonders gut«, sagte sie zu dem Mädchen. Es reagierte kaum. Sie ist Komplimente gehöhnt, dachte die Juwelierin. Ich werde ihr die verdammte Kette verkaufen.

»Schmuck sucht seinen Besitzer«, sagte sie lächelnd, »nicht andersherum. Diese Kette hat auf Sie gewartet. [28] Viele Kundinnen wollten sie schon haben, weil die Steine wirklich außergewöhnlich schön sind, aber für die einen war die Kette zu schwer, man muß groß sein, um sie tragen zu können, für die anderen zu teuer.«

»Glauben Sie wirklich?« Das Mädchen sah sie ernst an.

»Was?«

»Daß Schmuck seinen Besitzer sucht.«

»Ja, ganz bestimmt«, sagte die Juwelierin und blickte an dem Mädchen vorbei. Der Buchhändler stand vor seiner Markise und studierte den aufreißenden Himmel. Wenn sie die Kette kauft, lade ich ihn heute nachmittag ein. dachte die Juwelierin.

»Wieviel soll sie denn kosten?« fragte das Mädchen.

»Fünftausend«, sagte die Juwelierin leichthin. Ein Schatten flog über das Gesicht des Mädchens. Wie sagt sie’s ihrem Freund? dachte die Juwelierin schadenfroh. Soviel wird er für die kleine Gans nicht ausgeben wollen. Außer er steht sehr tief in ihrer Schuld. Vielleicht verspricht er ihr seit Jahren, sich scheiden zu lassen. Das Übliche. Ich versorge die Lügner und Ehebrecher mit Trostpreisen für ihre Geliebten und Ehefrauen. Ausgerechnet ich.

»Mein Freund…« sagte das Mädchen, verstummte dann und räusperte sich. Die Juwelierin half ihr nicht weiter, sah sie nur unbewegt an. Die ist stur wie ein Bock, dachte das Mädchen wütend.

»Mein Freund«, fing das Mädchen wieder an, »verdient nicht besonders viel Geld.« Es machte eine Pause. »Zur Zeit«, fügte es dann hinzu und sah die Juwelierin [29] konzentriert an. Dann nimm die Kette ab, Mädchen, dachte die Juwelierin, und geh mit ihm zu Karstadt in die Schmuckabteilung.

»Ich würde die Kette selbst bezahlen«, fuhr das Mädchen fort, »jetzt gleich. Aber ich würde sie nicht mitnehmen. Wenn Sie die Kette dann vielleicht wieder ins Fenster legen würden… so als wäre sie unverkauft…«

»Ich verstehe nicht«, sagte die Juwelierin kühl. Das Mädchen sprach jetzt schneller, ein rosa Schimmer überzog seinen Hals.

»Vielleicht könnten Sie ein Preisschild an die Kette machen und so etwa achthundert Mark draufschreiben, oder achthundertfünfzig, das klingt besser.«

»Achthundert Mark für diese Kette?« Das Mädchen trat unruhig von einem Fuß auf den andern.

»Mein Freund versteht nichts von Schmuck. Gar nichts. Er würde den Preis glauben. Und achthundertfünfzig findet er wahrscheinlich auch noch viel zuviel.«

»Ach ja?« Die Juwelierin lachte. Es sollte belustigt klingen, entrutschte ihr aber und klang gehässig.

»Er ist sehr stark gegen den Materialismus eingestellt«, sagte das Mädchen entschuldigend. Weil er kein Geld hat, dachte die Juwelierin.

»Wissen Sie, er verachtet Geld«, redete das Mädchen weiter, »aber er leidet sehr darunter, daß ich mehr verdiene als er.«

»Und jetzt will er Ihnen etwas schenken, und ich soll die Kette billiger machen, damit er glaubt, er kann sie sich leisten«, sagte die Juwelierin.

»Ja«, sagte das Mädchen und sah unglücklich aus.

[30] »Und was sage ich all den anderen Kunden, die die Kette dann auch für achthundert kaufen wollen?« Das Mädchen seufzte. Beide schwiegen. Es war ganz still im Laden. Die Juwelierin verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere, ihr Knie knackte laut. Drüben ging der Buchhändler zurück in seinen Laden. Ich werde ihn doch nicht einladen, dachte die Juwelierin, ich habe keine Lust auf die ganzen Höflichkeiten und Peinlichkeiten für das bißchen banalen Sex.

»Das habe ich nicht bedacht«, sagte das Mädchen.

»Was?« fragte die...

Erscheint lt. Verlag 28.5.2013
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beziehung • Erzählung • Erzählungen • Liebe • Zeit
ISBN-10 3-257-60087-9 / 3257600879
ISBN-13 978-3-257-60087-2 / 9783257600872
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