Jakob der Lügner (eBook)

Roman

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
288 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73140-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Jakob der Lügner -  Jurek Becker
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Das Buch erzählt eine Geschichte aus dem Ghetto während des Krieges. Es ist nicht eine Geschichte vom Widerstand, sondern von einem Heldentum ganz anderer Art; eine melancholisch-heitere, leise, eine kunstvoll komponierte Geschichte ist es, die ohne Phantasie und Menschlichkeit nicht denkbar wäre und deren Held Jakob ein »Lügner aus Barmherzigkeit« ist.



<p>Jurek Becker wurde am 30. September 1937 in Lodz/Polen geboren und starb am 14. März 1997 in Sieseby/Schleswig-Holstein. Von 1939 bis 1945 wuchs Becker im Ghetto in Lodz auf und wurde später in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen inhaftiert. 1945 siedelte er in den Ostteil Berlins über, wo er von 1957 bis 1960 Philosophie an der Humboldt-Universität studierte. 1960 wurde Becker aus politischen Gründen vom Studium ausgeschlossen und ging an die Filmhochschule Babelsberg. Becker ist Autor zahlreicher Drehbücher. 1969 wurde sein erster Roman veröffentlicht - <em>Jakob der Lügner</em> wurde weltbekannt. Jurek Beckers Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold und dem Bundesverdienstkreuz.</p>

Jurek Becker wurde am 30. September 1937 in Lodz/Polen geboren und starb am 14. März 1997 in Sieseby/Schleswig-Holstein. Von 1939 bis 1945 wuchs Becker im Ghetto in Lodz auf und wurde später in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen inhaftiert. 1945 siedelte er in den Ostteil Berlins über, wo er von 1957 bis 1960 Philosophie an der Humboldt-Universität studierte. 1960 wurde Becker aus politischen Gründen vom Studium ausgeschlossen und ging an die Filmhochschule Babelsberg. Becker ist Autor zahlreicher Drehbücher. 1969 wurde sein erster Roman veröffentlicht – Jakob der Lügner wurde weltbekannt. Jurek Beckers Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold und dem Bundesverdienstkreuz.

Jakob geht gehobenen Herzens zur Arbeit, wer seine Haltung und den zügigen Schritt bemerkt und Vergleiche anstellt zu gestern oder zu den letzten Tagen, dem springen Veränderungen ins Auge, da schreitet ein ausgeglichener Mensch. Gehobenen Herzens, denn die Stunden im Bett waren reich an wichtigen Entschlüssen, die Verbindung zur Außenwelt ist wiederhergestellt. Das Radio hat die halbe Nacht gespielt, gleich nachdem Lina abgeschüttelt war, ist es angegangen und hat gespielt, bis der Schlaf ungerufen gekommen ist, aber da hatte man schon die und jene Botschaft im Ohr, und nicht von schlechten Eltern. Gehobenen Herzens, denn das Flämmchen der Erwartung soll nicht verlöschen, so Jakobs Ratschluß, die halbe Nacht hat er dafür Reisig, Holz und Zunder gesucht. Ihm ist ein beachtlicher Sprung nach vorne gelungen, ihm und den Russen, er hat sie in aller Stille eine große Materialschlacht gewinnen lassen, an dem Flüßchen Rudna, das nicht gleich vor der Haustür plätschert, aber doch erfreulich näher als die Stadt Bezanika.

Beim Überschlagen der bisher gelieferten Nachrichten ist Jakob aufgefallen, daß es sich rundum besehen nur um in die Länge gezogene Nichtigkeiten handelt, bis auf die allererste von Bezanika nichts mit Hand und Fuß. Aus jedem Einfall hat er eine Riesengeschichte gemacht, oft unglaubwürdig und durchschaubar, Zweifel sind bis zur Stunde nur deshalb ausgeblieben, weil die Hoffnung sie blind und dumm gemacht hat. Doch in der Nacht ist vor der Schlacht an der Rudna eine Erkenntnis gewonnen worden, Jakob hat endlich die Quelle seiner Schwierigkeiten gesehen. Mit anderen Worten, kaum war das Licht gelöscht, da leuchtete ihm auf, warum ihm die Erfindungen so mühsam und zuletzt fast gar nicht mehr gelangen. Er war zu bescheiden, argwöhnte er, er hatte stets versucht, sich mit seinen Nachrichten in Bereichen zu bewegen, die später einmal, wenn das Leben wieder seinen geregelten Gang geht, nicht nachzuprüfen sind. Bei jeder Neuigkeit hat ihm Befangenheit im Wege gestanden, irgendein schlechtes Gewissen, die Lügen kamen holprig und widerwillig von seinen Lippen, als suchten sie ein Versteck, um sich in aller Eile zu verkriechen, bevor sie jemand näher betrachtete. Aber dieses Vorgehen war von Grund auf falsch, so wurde letzte Nacht errechnet, ein Lügner mit Gewissensbissen wird sein Leben lang ein Stümper bleiben. In dieser Branche sind Zurückhaltung und falsche Scham nicht angebracht, du mußt da aus dem vollen schöpfen, die Überzeugung muß dir im Gesicht geschrieben stehen, du mußt ihnen vorspielen, wie einer auszusehen hat, der das schon weiß, was sie erst im nächsten Augenblick von dir erfahren. Man muß mit Zahlen und mit Namen und mit Daten um sich werfen, die Schlacht an der Rudna soll nur ein bescheidener Anfang sein. Sie wird nie in die Geschichte eingehen, aber in unserer Geschichte erhält sie einen Ehrenplatz. Und wenn alles ausgestanden ist, wenn jeder, den es interessiert, den wahren Kriegsverlauf in Büchern nachlesen kann, dann sollen sie ruhig kommen und einen fragen: »He, du, was hast du damals für einen Blödsinn erzählt? Wann hat es je eine Schlacht an der Rudna gegeben?« – »Hat es nicht?« wird man dann verwundert antworten. »Zeigt mal das Buch her … Tatsächlich, es hat sie nicht gegeben. Sie steht nicht drin. Dann habe ich mich wohl verhört damals, entschuldigt bitte.« Sie werden einem wohl verzeihen, im schlimmsten Fall werden sie mit Schulterzucken gehen, vielleicht werden sogar solche unter ihnen sein, die sich für den Irrtum bedanken.

Jakob hat, was den Fortgang der Kampfhandlungen betrifft, ein wenig vorgearbeitet, wobei ihm seine Ortskenntnis von großem Nutzen war. Die Schlacht an der Rudna mit all ihren Nachwirkungen soll für die nächsten drei Tage ausreichen, die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Denn das Überschreiten des Flusses ist nicht ganz ohne Probleme, so leicht machen wir es den Russen nicht, die Deutschen haben die einzige Brücke gesprengt, hat sich Jakob gedacht. Bevor der Vormarsch fortgesetzt werden kann, muß eine behelfsmäßige Pontonbrücke gebaut werden, und darüber vergehen die drei oder vier Tage. Dann ist auch das erledigt, die Russen marschieren auf das Städtchen Tobolin, aus dem die Deutschen eine Art Festung gemacht haben. Die hält wieder drei Tage stand, sie wird umzingelt, von der Artillerie reif geschossen und von der Infanterie gestürmt, in hoffnungsloser Lage unterschreibt Major Karthäuser, ein prächtiger Name mit vertretbarem Rang, die Kapitulationsurkunde, Tobolin ist befreit. Ganz nebenbei, darüber wird sich Mischa freuen, er hat dort eine Tante zu wohnen, die diesen Sieg hoffentlich noch erlebt. Die Tante Lea Malamut, sie besaß ein Galanteriewarengeschäft und hat, als Mischa noch ein Junge war, zu jedem seiner Geburtstage ein Kästchen mit bunten Knöpfen und Schnüren geschickt. Aber wir wollen uns nicht länger als nötig in Tobolin aufhalten, von dort bis zur Kreisstadt Pry, der nächsten in unserer Richtung, ist ein weiter Weg. An die siebzig Kilometer, die sind in groben Zügen schon entworfen, jedoch noch nicht in allen Einzelheiten fertig. Das wird Jakobs Nachtarbeit für die nächste Zeit, bis Tobolin ist vorläufig alles klar, und heute wird auf dem Bahnhof das Ergebnis der ruhmreichen Schlacht an der Rudna verkündet.

Gehobenen Herzens geht Jakob zur Arbeit, ihm kommt ein hübsches kleines Glanzlicht in den Sinn, das er dem Geschehen an der Rudna aufstecken könnte. Ob nicht vielleicht geheime deutsche Pläne den Russen in die Hände gefallen sein sollten, wodurch alle Aktionen des Gegners an dieser Front auf Wochen hinaus bekannt sind und daher wirkungslos. Das wären ein paar Rosinen in Jakobs Kuchen, aber sofort melden sich Zweifel, die Wahrscheinlichkeit betreffend, denn bewahrt man geheime Pläne an solch unsicherem Ort auf, immerhin sind die Deutschen keine Idioten. Und auch die Russen sind keine Idioten, selbst wenn sie Pläne der genannten Art erbeuten, werden sie es nicht per Radio in die Welt posaunen, sie werden es schön für sich behalten und in aller Stille ihre Vorkehrungen treffen. Also verzichten wir auf das kleine Glanzlicht, auch das Vorhandene genügt, um den Juden ein wenig von der Haltung zu geben, mit der Jakob immer noch zur Arbeit geht, gehobenen Herzens.

An der Ecke Tismenizer sieht er Kowalski warten, an sich nichts Besonderes, Kowalski wartet oft hier auf ihn, er wohnt hier. Beim Näherkommen stellt sich allerdings heraus, daß Kowalski in Begleitung ist, neben ihm steht ein junger Mann, das ist schon eher ungewohnt, vor allem hat man den jungen Mann noch nie gesehen.

Bereits von weitem zeigt Kowalski mit dem Finger auf Jakob, der fremde junge Mann läßt seine Blicke dem Finger folgen, als wollte Kowalski ihm erklären, jener da ist es, der mit der dunkelgrauen Jacke.

Jakob erreicht sie, man gibt sich die Hand und setzt den Weg zu dritt fort, die Vorstellung steht noch aus. Kowalski sagt: »Du kommst heute spät. Wir haben schon eine ganze Weile auf dich gewartet.«

»Waren wir vielleicht verabredet?« fragt Jakob. Er betrachtet den jungen Mann, der kein Wort redet, von der Seite, er wirkt ein wenig unbeholfen und verlegen, er blickt starr geradeaus, und ein Blinder muß erkennen, daß es mit seiner Anwesenheit etwas auf sich hat. Kowalski hat gesagt, »wir haben gewartet«, also ist der junge Mann nicht zufällig hier, Kowalskis Finger sind im Spiel, er muß ihn herbestellt haben.

»Willst du uns nicht bekannt machen?« sagt Jakob.

»Ihr kennt euch nicht?« tut Kowalski verwundert. »Das ist Josef Najdorf.«

»Ich heiße Jakob Heym.«

»Ich weiß«, sagt der schüchterne junge Mann, der also Najdorf heißt, seine ersten Worte, die noch auf gar nichts schließen lassen.

»Du arbeitest nicht auf dem Bahnhof?« fragt Jakob.

»Nein.«

»Sondern?«

»In der Werkzeugfabrik.«

»Aber dann gehst du ganz falsch. Du mußt doch genau in die entgegengesetzte Richtung.«

»Wir fangen später an als ihr«, sagt Najdorf, und man sieht, ihm ist nicht wohl bei seiner Erklärung.

»Aha. Und weil du noch etwas Zeit hast, begleitest du uns eben das Stück bis zum Bahnhof. Ganz klar.«

Najdorf bleibt plötzlich stehen, wie man stehenbleibt, bevor man wegläuft, er macht einen verstörten Eindruck, leise sagt er zu Kowalski: »Geht es nicht doch ohne mich? Verstehen Sie, ich will mit dieser ganzen Sache nichts zu tun haben. Verstehen Sie, ich habe Angst.«

»Fang doch nicht schon wieder an. Habe ich dir nicht alles von vorne bis hinten erklärt?« sagt Kowalski nervös und nimmt ihn am Arm, bevor er ihm desertieren kann. »Begreif doch endlich! Er wird schweigen, ich werde schweigen, und du wirst auch schweigen. Außer uns dreien erfährt kein Mensch davon. Was soll da passieren?«

Najdorf sieht immer noch ganz unglücklich aus, aber er bleibt, als Kowalski ihn vorsichtig losläßt.

»Worüber werde ich schweigen?« fragt Jakob, der nun doch Näheres erfahren möchte. Kowalski heißt ihn mit einer Handbewegung abwarten, die Handbewegung bedeutet vielerlei, sie bedeutet, du siehst doch, in welchem Zustand der Junge ist, man muß ihm einen Augenblick Ruhe gönnen, daß er mit sich und seiner Angst ins reine kommt. So inhaltsreiche Handbewegungen kann Kowalski machen. Er zwinkert Najdorf aufmunternd zu, was nicht so einfach ist bei den geschwollenen Augen, er sagt: »Jetzt kannst du ihm erzählen, was du bist.«

Najdorf zögert noch, Jakob ist nicht wenig neugierig, eine Überraschung am frühen Morgen, bei der ein junger Mann sich fürchtet und über die man, wenn auch aus bis jetzt unbekannten Gründen, Stillschweigen bewahren muß, so eine gelingt Kowalski nicht alle Tage.

»Eigentlich bin ich...

Erscheint lt. Verlag 20.5.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • Deutsche Besatzung • Erzählungen • Getto • Romane • Schullektüre • ST 774 • ST774 • suhrkamp taschenbuch 774
ISBN-10 3-518-73140-8 / 3518731408
ISBN-13 978-3-518-73140-6 / 9783518731406
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