Katerstimmung (eBook)

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2013 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-49311-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Katerstimmung -  Philipp Reinartz
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Und weg ist das Ziel ... Max arbeitet bei einem Fernsehsender, bei dem Nachrichten News heißen. Seine Freunde haben Geld, Zeit und Frauen, er beschäftigt sich mit Paris Hilton und neugeborenen Pandas. Und dann streicht ihm sein Chef auch noch den Urlaub. Auf einer Party tröstet sich Max mit Gin - und der schönen Spanierin Ana, die ihm die letzten Sinne raubt. Am nächsten Morgen wacht er in einem fremden Bett auf. Ana ist weg, Max´ Erinnerung auch. Auf der Suche nach der verlorenen Traumfrau fliegt er Hals über Kopf nach Spanien. Seine besten Kumpels Lenny und Wilhelm kommen mit, und eine wilde Reise beginnt. Denn als Nachrichtenredakteur kann Max den Trip nur rechtfertigen, wenn dort unten etwas passiert. Dafür muss er sorgen ...

Philipp Reinartz, 1985 in Freiburg geboren, studierte Theater, Film und Fernsehen, Germanistik, Geschichte, Journalismus und Design Thinking in Köln, Saragossa und Potsdam. Macht auch sonst komische Sachen und gründete daher vor kurzem mit Freunden eine Firma für Smartphonespiele. Er hat bislang keinen Bestseller, Sendeplatz oder Grimme-Preis, dafür aber im Urlaub 2003 am Strand von Side Andi Brehme getunnelt.

Philipp Reinartz, 1985 in Freiburg geboren, studierte Theater, Film und Fernsehen, Germanistik, Geschichte, Journalismus und Design Thinking in Köln, Saragossa und Potsdam. Macht auch sonst komische Sachen und gründete daher vor kurzem mit Freunden eine Firma für Smartphonespiele. Er hat bislang keinen Bestseller, Sendeplatz oder Grimme-Preis, dafür aber im Urlaub 2003 am Strand von Side Andi Brehme getunnelt.

Allererste Sahne


Wenn es mir schlechtgeht, hasse ich Reis. Ich habe keine Ahnung, warum, da er mir eigentlich gut schmeckt, aber mein inneres Reishassbarometer ist ein sicherer Indikator für meinen Seelenzustand. Dementsprechend merke ich beim Betreten der Küche, dass es mir heute nicht besonders gut geht. Denn das Letzte, worauf ich jetzt Lust habe, ist Reis. Genau an solchen Tagen finden sich im Vorratsschrank dann aber weder Nudeln noch Kartoffeln, sondern nur ebenjener vermaledeite Reis in allen Variationen. Basmati-, Langkorn- und Wildreis fauchen mich abwechselnd an, und ich frage mich, wieso ich beim letzten Einkauf eigentlich wieder so masochistisch war, gleich drei Packungen von dem Teufelszeug zu kaufen. Aber dann fällt mir ein, dass mein breitgefächertes Reissortiment schon seit vielen Einkäufen den Platz im Schrank hütet und deshalb nicht weniger wird, weil das Barometer in letzter Zeit meist gewaltig ausschlägt.

Ich nehme einen Stift und schreibe «Reis» auf eine an den Kühlschrank magnetete Liste, die mit «Nie mehr kaufen:» überschrieben ist und auf der bisher nur das Wort «Torten» steht. Auf die Idee mit dem Nicht-Einkaufszettel bin ich immer noch ein bisschen stolz. Anstatt aufzuschreiben, was ich kaufen möchte, schreibe ich mir nur auf, was ich nicht kaufen möchte, was den großen Vorteil hat, dass es den Supermarktaufenthalt, das entspannendste Freizeitvergnügen, das sich mir derzeit bietet, erheblich in die Länge zieht. Zehn von 35000 Produkten hat man schnell zusammen, aber beliebig viele von 34998 Produkten, das kann dauern.

Mein Supermarkt ist mein Sportverein, mein Fernseher, mein Partner – mein Ausgleich nach einem stressigen Arbeitstag. Wie andere gespannt auf Aktienkurse oder Lottozahlen sind, stehe ich aufgeregt vor der Gemüseauslage und frage in Gedanken ZDF-Börsenexpertin Valerie Haller in Frankfurt, wie sich die Stimmung in der Wirtschaft auf die Kurse auswirkt.

«Bislang reagieren die Märkte eher verhalten. Nur der Paprika-Mix konnte um ordentliche 20 Cent zulegen und steht momentan bei 1,99 Euro. Schwere Kursverluste mussten Auberginen und Kaiserschoten hinnehmen, die im Vergleich zur Vorwoche über 30 Prozent an Wert eingebüßt haben. Aus dem Esel macht man kein Reitpferd, man mag ihn zäumen, wie man will: So ist bei undurchsichtigen Fonds wie ‹Suppengrün› Vorsicht geboten, da dem Anleger hier die genaue Zusammensetzung des Pakets verschwiegen wird. Voll im Trend sind hingegen heimische Produkte: Trotz des hohen Kaufpreises von 2,99 Euro pro Kilo sind momentan keine Bio-Karotten mehr im Markt.»

Vielen Dank, Valerie Haller, für diese Informationen, heinzwolfe ich dann geistesgegenwärtig und investiere meistens in den Gewinner der Woche, da dessen Kurs vermutlich weiter nach oben klettert und ich mich dann beim nächsten Einkauf freuen kann, rechtzeitig eingestiegen zu sein.

Ich merke, dass ich noch immer in den Vorratsschrank starre und unterbewusst bereits verschiedene Möglichkeiten durchspiele, wie ich mir die Ekelkörner wenigstens halbwegs schmackhaft machen kann. Gefüllte Paprika? Dauert zu lange. Was mit Curry und Kokosmilch? Die Kokosmilch ist seit vier Wochen abgelaufen. In die Pfanne mit angebratenen Gambas? Bräuchte man Gambas für. Ich gebe es auf, mich zu überwinden, und schiebe mir eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Bei so viel Reis im Markt auch mal antizyklisch handeln. Valerie wäre stolz auf mich.

 

45 Minuten und einen Kioskbesuch später stehe ich mit einem Sixpack Kölsch vor einer Klingelschildarmada am Kölner Ring und suche «Hober». Ganz egal, wie oft ich hier schon war: Mein Gedächtnis widersetzt sich konsequent der Idee, sich den Ort der Klingel auch nur ungefähr zu merken. Nach dem ersten Überfliegen des babylonischen Namengewirrs bin ich sogar meistens noch der festen Überzeugung, dass da kein «Hober» dabei war. Heute auch. Petroschek, Janzen, Csikszentmihalyi, Schulze, Hoogdal, Möhrenschläger.

«Klingelbingo!», stößt es freudig aus mir heraus, was mir verstörte Blicke eines vorbeigehenden Pärchens einbringt. «Hober» habe ich zwar noch nicht gefunden, aber einmal mehr Lennys magisches Dreieck deutscher Hausgemeinschaften. Seine Drei-Namen-Theorie besagt nämlich, dass man beim Betrachten der Klingelschilder eines jeden Hauses mit mehr als zehn Parteien immer auf die gleichen drei Bewohner stößt: erstens den mit einem der fünf häufigsten deutschen Nachnamen, zweitens den mit einem für Mitteleuropäer unaussprechlichen Namen und drittens den mit einem völlig absurden, nicht ernstzunehmenden Namen. Müller – N’dy Letsholonyane – Bömmelburg. Schmidt – Tharmakulasingam – Kotze. Meier – Stamatiadou/Fragkiadaki– Schniedel. Oder eben Schulze – Csikszentmihalyi – Möhrenschläger.

Gefühlte Minuten später entdecke ich endlich den Hober-Schriftzug. Mir wird klar, dass man den auch früher hätte finden können – schließlich ist es der einzige Name, der nicht in Standardschrift auf vergilbtem Papier modert, sondern in schicker Designschrift auf weißem Hintergrund glänzt. Andererseits sind die Buchstabenlinien so fein, dass man froh sein kann, überhaupt etwas lesen zu können.

«Ja?», meldet sich Lennys Stimme aus der Sprechanlage.

«Juten Abend, Ordnungsamt Köln. Die Buchstaben Ihres Klingelschildes verstoßen leider jejen die Türschild-, Klingelknopf- und Briefkastenverordnung», kölsche ich, so gut es geht.

«Bitte? Um was geht’s?»

«Zum Beispiel um dat O, dat ist zu eckisch. Und Sie überschreiten durschjängisch die Buchstabenmaximallängen, da sind jetzt 0,77 Zentimeter vorjeschrieben. Außerdem …»

«Max? Du hast doch echt en Schaden.»

 

Das karge Treppenhaus sieht weniger nach Design aus als vielmehr nach Petroschek. Doch im obersten Stockwerk angekommen, weiß ich mich wieder in Lennys schöner neuer Welt: Durch die halbgeöffnete Wohnungstür erspähe ich ein frisch erworbenes Möbelstück, das ich für einen Holzklotz halte, das sich mir bei näherer Betrachtung jedoch als wandmontiertes Hängemodul aus schwarz gebeiztem Eichenfurnier vorstellt. Wär ich selbst nicht drauf gekommen, aber das noch nicht entfernte BoConcept-Produktetikett spielt Visitenkarte. Mitten im Raum beugt sich Lenny oberkörperfrei über ein wohl gerade geöffnetes Großpaket, aus dem er verschiedene T-Shirts hervorholt, die alle mit auffälligem Abercrombie & Fitch-Schriftzug benäht sind. Als er mich sieht, jauchzt er mir sogleich das Hober’sche Halleluja entgegen:

«Alter!»

Niemand kann diese kumpelhafte Anrede so zelebrieren wie Lenny. Es ist nicht das runtergerotzte Alta, das Souley-G zu MC Frauenfänger auf dem Weg von Sunpoint zum Hiphop-Battle im Jugendzentrum raunt. Es ist ein kultiviertes, weltoffenes, auf beiden Silben gleich begeistert betontes, beinahe gesungenes Alll-teer.

«Was sollte denn das mit der Klingel?», beschwert sich Lenny, «ich find Alien League total geil.»

»Was hat das mit der Klingel zu tun, dass du jetzt Online-Fantasyspiele zockst?»

«Das ist die Schriftart, du Penner.»

«Könntest du dir vielleicht was anziehen? Dein Oberkörper macht mir ein schlechtes Gewissen.»

Genüsslich spannt Lenny noch einmal sämtliche Muskelgruppen an, bevor er sich eines seiner importierten Amishirts überwirft.

«Cuba Libre?»

«Ich hab Bier dabei.»

«Ja, egal, ich mach uns jetzt erst mal zwei Cuba Libre.»

Bevor Lenny den Raum verlässt, klickt er noch auf eine futuristische Fernbedienung, wodurch beatlastige Musik startet, der passende Videoclip auf dem Fernseher erscheint und bunte Lichter angehen.

«Geil, oder? Ich hab auch noch ’ne App gebastelt, über die ich das dann auch unterwegs mit dem iPhone machen kann.»

«Du kannst, während du in der Bahn sitzt, die Lichtstimmung in deinem Wohnzimmer ändern? Glückwunsch!»

«Ach, leck mich, Alter», sagt Lenny im Rausgehen, und es ist dieses Mal kein Lenny-Alter. Mein Blick wandert von dem Flachbildungeheuer mit tanzenden Blondchen über eine grazile schwarze Stehlampe mit Alien-League-verdächtig dünner Stele hin zu einem weiß lackierten Schreibtisch, der bei IKEA vermutlich Stabil oder Lasse heißen würde, Lenny in seinen Einrichtungstempeln aber wohl eher als Portofino oder Rustique verkauft wurde. Doch dann lande ich wieder bei den bunten Lampen, die ihre Farbe stets dem Farbspektrum des Fernsehbildes anpassen. Wahnsinn, was es heutzutage alles gibt. Ich fühle mich irgendwie loungemäßig. Trendy, aber nicht hip.

Als ich plötzlich eine Türklingel höre, überlege ich kurz, ob das vielleicht auch zu Lennys Heimtheatershow gehört, merke dann aber, dass es wirklich nur an der Tür geläutet hat. Stimmt, Wilhelm wollte vor der Party ja auch noch vorbeikommen. Ich drücke auf das Schlüsselsymbol der Gegensprechanlage.

Auf dem Rückweg zur Couch erspähe ich auf einer der Einkaufstüten in Lennys Postpaket eine äußerst attraktive Miss Fitch, die vor ländlichem Seenpanorama einen lasziv an eine Säule gelehnten Mister Abercrombie bewundert. Er ist oberkörperfrei, muskulös und sehr verschwitzt, was mir vermutlich sagen soll, dass er gerade vom Kanufahren, der Cranberry-Ernte oder einer freundschaftlichen Rauferei unter kernigen Countryboys kommt. Auf jeden Fall lässt die Atmosphäre des Schwarzweißbildes keinen Zweifel, dass Mister Abercrombie die nächste seiner zahlreichen sportlichen Aktivitäten mit Miss Fitch unternehmen wird....

Erscheint lt. Verlag 2.5.2013
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Barcelona • Fernsehsender • Medien • Moderator • Nachrichten • Party • Privatfernsehen • Redakteur • Spanien
ISBN-10 3-644-49311-1 / 3644493111
ISBN-13 978-3-644-49311-7 / 9783644493117
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