Die Stimme des Herrn (eBook)

Roman
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2013 | 1. Auflage
281 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74337-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Stimme des Herrn -  Stanis?aw Lem
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Ein pulsierender Neutrinostrahl ist entdeckt worden. Handelt es dich um ein rein phyikalisches Phänomen? Oder aber um eine interstellare Botschaft, ausgesandt von einer der Menschheit weit überlegenen Zivilisation? Dieser Sience-fiction-Roman läßt ein faszinierendes Geflecht aus Hypothesen und Vermutungen entstehen und zeigt, wie abhängig die modernen Wissenschaften von den politisch-gesellschaftlischen Bedingungen sind.



<p>Stanis?aw Lem wurde am 12. September 1921 in Lw&oacute;w (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. M&auml;rz 2006 starb. Er studierte von 1939 bis 1941 Medizin. W&auml;hrend des Zweiten Weltkrieges musste er sein Studium unterbrechen und arbeitete als Automechaniker. Von 1945 bis 1948 setze er sein Medizinstudium fort, nach dem Absolutorium erwarb Lem jedoch nicht den Doktorgrad und &uuml;bte den Arztberuf nicht aus. Er &uuml;bersetzte Fachliteratur aus dem Russischen und ab den f&uuml;nfziger Jahren arbeitete Lem als freier Schriftsteller in Kr&aacute;kow. Er wandte sich fr&uuml;h dem Genre Science-fiction zu, schrieb aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zu Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanis?aw Lem z&auml;hlt heute zu den erfolgreichsten Autoren Polens. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, verfilmt und in 57 Sprachen &uuml;bersetzt.</p>

Stanisław Lem wurde am 12. September 1921 in Lwów (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Er studierte von 1939 bis 1941 Medizin. Während des Zweiten Weltkrieges musste er sein Studium unterbrechen und arbeitete als Automechaniker. Von 1945 bis 1948 setze er sein Medizinstudium fort, nach dem Absolutorium erwarb Lem jedoch nicht den Doktorgrad und übte den Arztberuf nicht aus. Er übersetzte Fachliteratur aus dem Russischen und ab den fünfziger Jahren arbeitete Lem als freier Schriftsteller in Krákow. Er wandte sich früh dem Genre Science-fiction zu, schrieb aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zu Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanisław Lem zählt heute zu den erfolgreichsten und meist übersetzten Autoren Polens. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

I


Die Literatur über das »Master’s Voice«-Projekt ist riesig – umfangreicher und weit mannigfaltiger als die über das Projekt »Manhattan«. Als das Projekt bekannt wurde, überschwemmte Amerika und die übrige Welt eine solche Flut von Artikeln, Aufsätzen und Monographien, daß ihre Bibliographie einen stattlichen Band von der Stärke eines Nachschlagewerkes füllt. Die offizielle Version ist in Baloynes »Report« enthalten, den die American Library später in 10 Millionen Exemplaren herausgab, sein Extrakt schlug sich im achten Band der Encyclopaedia Americana nieder. Über das Projekt haben auch noch andere geschrieben, Leute, die an führender Stelle daran mitarbeiteten, wie S. Rappaport – »The First Case of Interstellar Communication«, W. Dill – »Master’s Voice – I was there«, oder D. Prothero – »MAVO Project – Physical Aspects«. Letztgenannter Beitrag aus der Feder meines inzwischen verstorbenen Freundes gehört zu den genauesten Darstellungen, wenngleich er eigentlich zur Fachliteratur gezählt werden muß, die immer dort entsteht, wo der Gegenstand der Forschung definitiv getrennt wird von den Forschern.

Abhandlungen über die Geschichte des Projekts gibt es zu viele, um sie hier alle aufzuführen. Ein Monumentalwerk stellt die vierbändige »Chronicle of 747 Days« des Wissenschaftshistorikers William Angers dar. Die Sorgfalt dieser Arbeit erfüllte mich mit Bewunderung – Angers nämlich drang bis zu allen damals am Projekt Beteiligten vor und gibt eine Zusammenfassung ihrer Ansichten. Ich habe sein Werk allerdings nicht zu Ende gelesen: Das erschien mir ebenso unmöglich wie die Lektüre des Telefonbuchs.

Eine besondere Sparte bilden jene Bücher, die kein Faktenmaterial, sondern eine Interpretation des »Master’s Voice«-Projekts liefern, was sich von der Philosophie über die Theologie bis hin zur Psychiatrie erstreckt. Die Lektüre von solcherlei Veröffentlichungen hat stets Verdruß und Langeweile in mir ausgelöst. Es ist gewiß kein Zufall, daß Leute, die nicht unmittelbar mit dem Projekt zu schaffen hatten, am meisten darüber zu sagen wissen.

Das erinnert an das Verhältnis, das der Physiker und das der gebildete Leser populärwissenschaftlicher Bücher zur Gravitation oder zu den Elektronen hat. Dieser bildet sich ein, er verstünde etwas von Dingen, die der Experte nicht einmal beim Namen zu nennen wagt. Die Information aus zweiter Hand nimmt sich immer gut aus, im Unterschied zu jener lückenhaften und ungesicherten, die dem Wissenschaftler zu Gebote steht. Besagte Interpreten des Projekts zwängen ihre Kenntnisse in der Regel in das Korsett ihrer Anschauungen und schnippeln, was dort nicht hineinpaßt, kurz und schmerzlos weg. Manche dieser Bücher sind, zumindest ob des Einfallsreichtums ihrer Autoren, zu bewundern. Doch gleitet dieses Genre unmerklich in eine eigentümliche Variante ab, die man als »MAVO«-Schund bezeichnen kann. Die Wissenschaft ist seit eh und je vom Dunstkreis einer aus allen möglichen unausgegorenen Köpfen emporbrodelnden Pseudowissenschaft umgeben gewesen, kein Wunder also, daß das »MAVO«, als Erscheinung ohne Präzedens, ein nachgerade beunruhigend heftiges Aufschäumen verrenkter Hirne ausgelöst hat, die in der Entstehung einer Reihe religiöser Sekten gipfelte.

Die Informationsmenge, die vonnöten ist, um sich wenigstens einigermaßen Einblick in die Problematik des Projekts zu verschaffen, übersteigt, genaugenommen, das Fassungsvermögen eines einzelnen menschlichen Gehirns. Doch die Unwissenheit, die den Eifer der Vernünftigen bremst, hält Dummköpfe mitnichten ab, und so kann denn in dem Meer von bedrucktem Papier, das auf das »Master’s Voice«-Projekt zurückgeht, jeder das richtige für sich finden, vorausgesetzt, es kommt ihm nicht allzusehr auf die Wahrheit an. Im übrigen haben sich durchaus höchst achtbare Personen darin versucht, über »Master’s Voice« zu schreiben. »Die neue Offenbarung« des geschätzten Patrick Gordiner ist immerhin logisch klar, was ich freilich nicht mehr vom »Brief des Antichristen« des Paters Bernard Pignan behaupten könnte. Der fromme Pater nämlich verweist das »MAVO« in den Bereich der Dämonologie (nicht ohne zuvor das nihil obstat seiner Kirchenoberen eingeholt zu haben), und sein letztliches Mißlingen schreibt er der Fürsprache der Vorsehung zu. Das rührt wohl, wie ich vermute, vom »Herrn der Fliegen« her, einer während des Projekts geschmiedeten scherzhaften Bezeichnung, die Pater Pignan für ernst nahm und also handelte wie ein Kind, das glaubt, die Sterne und Planeten seien deutlich beschriftet und die Astronomen läsen die Namen durch ihre Teleskope ab.

Was aber soll man erst zu der Unmenge von sensationellen Versionen sagen, die an jene tiefgefrosteten, zum sofortigen Verzehr bereiten, ja fast schon vorgekauten Fertiggerichte erinnern, welche hinter ihrer Zellophansichtscheibe bedeutend leckerer aussehen, als sie schmecken. Der Grund für ihr scheinbar verschiedenes Aussehen ist eine immer andere, aber stets märchenhaft bunte Soße. Mit einer Soße aus Politik und Spionage würzte die »Look« ihre Reportagenfolge (und legte mir dabei Worte in den Mund, die ich niemals geäußert habe), im »New Yorker« bestand sie aus einer feineren, weil durch Beigabe gewisser philosophischer Extrakte aufbereiteten Substanz, in »MAVO – the True Story« hinwiederum lieferte ein Dr. med. W. Shaper eine psychoanalytische Interpretation der Ereignisse, aus welcher ich erfuhr, daß die Leute des Projekts motiviert waren von einer durch die Übertragungen der neuesten – kosmischen – Sexmythologie entarteten Libido.

Dr. Shaper befindet sich zudem im Besitz genauer Kenntnisse über das Sexualleben kosmischer Zivilisationen.

Ich bin außerstande zu begreifen, wieso man Leute ohne Führerschein im Straßenverkehr nicht zuläßt, auf die Bücherregale hingegen in beliebiger Anzahl die Bücher von Leuten ohne Anstand gelangen können, von ihrem Wissen ganz zu schweigen. Ausgelöst wurde diese Inflation des gedruckten Wortes zweifelsohne durch das exponentielle Anwachsen der Zahl der Schreibenden, aber gleichermaßen auch durch die Verlagspolitik. Die Kinderzeit unserer Zivilisation war ein Zustand, da nur auserwählte Personen mit gediegener Bildung lesen und schreiben konnten, und ein ähnliches Kriterium war auch nach der Erfindung der Buchdruckerkunst noch wirksam, ja selbst wenn die Werke von Dummköpfen verlegt wurden (was sich wohl schwerlich ganz umgehen läßt), dann war ihre Zahl insgesamt niemals so unübersehbar groß wie heutzutage. Heute müssen wertvolle Publikationen in einem Meer von Schund untergehen, denn unter zehn miserablen Büchern findet man leichter ein gutes Buch heraus als tausend unter einer Million. Überdies wird das Pseudoplagiat unvermeidlich – die ungewollte Wiederholung fremder, aber nicht bekannter Gedanken.

Ich kann mir nicht sicher sein, ob das, was ich schreibe, nicht ähnlich bereits geschrieben worden ist. Das ist das Risiko einer Zeit, in der die Menschheit eine Explosion durchgemacht hat. Wenn ich mich entschlossen habe, meine eigenen Erinnerungen über die Arbeit an »Master’s Voice« niederzulegen, dann deshalb, weil mich nichts von dem, was ich darüber gelesen habe, zufriedenstellt. Ich verspreche nicht, »die Wahrheit und nichts als die Wahrheit« zu schreiben. Wenn unsere Anstrengungen von Erfolg gekrönt gewesen wären, wäre dies möglich, und es würde zugleich mein Vorhaben überflüssig machen, denn jene Endwahrheit hätte die Umstände, unter denen sie erlangt wurde, in den Schatten treten lassen und wäre eine ins Herz der Zivilisation gerammte materielle Tatsache gewesen. Unser Scheitern jedoch hat alle diese Anstrengungen gewissermaßen wieder zu ihren Quellen zurückgedrängt. Da wir das Rätsel nicht verstehen, bleibt uns eben nichts als jene Umstände, die lediglich das Gerüst, nicht das Gebäude, der Übertragungsvorgang, nicht aber der Inhalt des Werkes hatten sein sollen. Ersteres indessen ist, wie sich herausstellte, alles, womit wir von unserer Fahrt nach dem Goldenen Vlies der Sterne heimgekehrt sind. Schon an dieser Stelle weiche ich ab vom Tenor auch solcher Versionen, die ich als objektiv bezeichnet habe, angefangen bei Baloynes »Report«, weil selbst ein Wort wie »Scheitern« dort nicht vorkommt. Sind wir denn aus dem Projekt nicht unvergleichlich reicher hervorgegangen, als wir es waren bei seinem Beginn? Die neuen Kapitel der Kolloidphysik, der Physik der starken Wechselwirkung, der Neutrinoastronomie, der Nukleonik, der Biologie und vor allem die neuen Erkenntnisse über den Kosmos sind ja schon die ersten Prozente jenes Informationskapitals, welches, nach Ansicht der Fachleute, weitere Profite abzuwerfen verspricht.

Sehr wohl. Allein, der Nutzen hat vielerlei Gestalt. Die Ameisen, die auf ihrer Wanderschaft an einen toten Philosophen geraten, ziehen daraus auch ihren Gewinn. Falls das Beispiel schockierend ist – eben darauf kommt es mir an. Die Literatur hatte seit ihrer Geburt angeblich einen Feind: die Beschränkung des geäußerten Gedankens. Es zeigt sich jedoch, daß die Freiheit des Wortes für den Gedanken noch tödlicher sein kann; verbotene Gedanken kursieren insgeheim, was aber bleibt uns dort, wo eine bedeutungsvolle Tatsache in einer Schwemme von Fälschungen untergeht und die Stimme der Wahrheit übertönt wird von unsäglichem Getöse und, obwohl sie ungehindert erklingt, nicht gehört werden kann, denn die Informationstechniken haben bisher einzig dazu geführt, daß man am deutlichsten den vernimmt, der am lautesten brüllt, und brülle er noch so falsch?

Ich, der ich so manches über das Projekt zu sagen habe, habe lange geschwankt, ehe ich mich an den Schreibtisch setzte, weil ich sehr wohl weiß, daß...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2013
Übersetzer Roswitha Buschmann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Außerirdischer • Science Fiction • ST 2494 • ST2494 • suhrkamp taschenbuch 2494 • Wissenschaftskritik
ISBN-10 3-518-74337-6 / 3518743376
ISBN-13 978-3-518-74337-9 / 9783518743379
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