Junge rettet Freund aus Teich (eBook)

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02791-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Junge rettet Freund aus Teich -  Heinz Strunk
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Der Held dieses Romans heißt Mathias Halfpape, so wie Heinz Strunk auch, bevor er sich Heinz Strunk nannte. Erzählt wird eine Kindheit und frühe Jugend in Harburg und Umgebung; es ist ein wunderbarer, von Melancholie, Schmerz und Liebe erfüllter Rückblick, ein Buch, mit dem Heinz Strunk einen neuen Ton findet und sich ganz und gar treu bleibt. «Heinz Strunk ist die Dreifaltigkeit der neueren, mit Leiden und Hochkomik aufwartenden Literatur.» EDO REENTS | FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG «Spaß und Depression derart authentisch und gekonnt miteinander zu verbinden, ist eine große Kunst. Heinz Strunk beherrscht sie meisterhaft.» FRIEDRICH POHL | DIE WELT

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman Fleisch ist mein Gemüse hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. Der goldene Handschuh stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane Es ist immer so schön mit dir und Ein Sommer in Niendorf waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman «Fleisch ist mein Gemüse» hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. «Der goldene Handschuh» stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane «Es ist immer so schön mit dir» und «Ein Sommer in Niendorf» waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

1966


Gehacktesstippe


Ich wache in aller Herrgottsfrühe auf. Norbert schreit und brüllt und lacht draußen auf der Straße, dass man es bis zu mir unters Dach hört. Heute ist sein erster Schultag. Ich bin neidisch auf ihn, weil ich erst nächstes Jahr eingeschult werde. Ich stehe auf und luge durchs Bodenfenster. Norberts Schultüte ist fast so groß wie Norbert selber und bis oben hin voll mit Süßigkeiten und Spielkrams, dass er Mühe hat, das Gleichgewicht zu halten. So wird er den Schulweg nie schaffen! Irgendwann kracht er mit seiner Tüte um, und die ganzen Süßigkeiten fliegen in den Matsch. Selber schuld, wenn sie so vollgepackt ist. Ein wenig würde ich es ihm sogar gönnen, denn Norbert nimmt jetzt immer fünf Pfennig Eintritt in seinen Garten. Auf so eine Idee kann wirklich nur Norbert kommen, Eintrittsgeld für den Garten zu nehmen. Wir könnten natürlich auch zu Jens oder Heike oder anderswohin, wo es umsonst ist. Aber Norberts Garten ist der schönste und größte überhaupt, das muss man ihm schon lassen. Man kann bequem Boccia und Kricket und sogar Fußball spielen, wenn man die Bälle nicht zu doll tritt, damit sie nicht über den Zaun gehen. Und einen Geräteschuppen gibt es auch, wo man sich bei Regen unterstellen kann. Das nutzt er jetzt aus. Ich drehe mich auf die andere Seite und versuche, es mir wie in einer Höhle gemütlich zu machen. Dann klopft es, und Oma kommt rein.

«Es ist gleich neun, Mathias. Du musst bald mal aufstehen.»

Statt einer Antwort drehe ich mich so hin, dass Oma sich auf mein Bett setzen kann, um mich zu krabbeln. Sie krault erst meinen Kopf und dann den Rücken. Ich brumme wohlig, damit sie weitermacht, sie soll am besten niemals damit aufhören. Ich könnte den ganzen Tag im Bett liegen und mich krabbeln lassen! Mutter krabbelt besser, weil sie dünnere Finger hat, aber sie krabbelt nicht so gerne, und wenn, dann nur kurz. Am schlechtesten krabbelt Opa, und das auch nur einmal in der Woche, am Sonntagvormittag, wenn ich bis zum Mittagessen zu ihm ins Bett darf und er mir Geschichten aus dem Ersten Weltkrieg erzählt. Er bewegt beim Krabbeln nur seinen Daumen hoch und runter, mehr nicht. Opa war als Soldat in Frankreich und hat dort Geschichten erlebt, die er mir wieder und wieder erzählt und an denen ich mich gar nicht satthören kann. Ich weiß zum Beispiel, dass die dicke Berta die schwerste Kanone des ganzen Ersten Weltkriegs war. Und die Franzosen hatten am Anfang gar keine Tarnuniformen, sondern so rote Jacken wie anno dunnemals, dass man sie abschießen konnte wie Tontauben. Und wie die Soldaten im Steckrübenwinter 1916 nichts zu essen hatten und Opa fast verhungert wäre und Spinat aus Brennnesseln essen musste. Nur wenn ich Opa frage, ob er jemand totgeschossen hat, antwortet er nicht. Oma schimpft manchmal mit Opa und sagt, dass ich für solche Geschichten noch zu klein bin. Das finde ich aber nicht.

Im Zweiten Weltkrieg war Opa nicht, weil er als Oberingenieur in den Wilhelmsburger Zinnwerken eine wichtige Arbeit hatte. Opa hat noch mit über siebzig gearbeitet. Dann haben sie ihn vor die Tür gesetzt, weil er allen auf die Nerven gegangen ist. Hat mir meine Mutter mal erzählt. Opa ist klein wie Napoleon, nur einen Meter sechzig, darum haben sie ihn auf der Arbeit immer «den Halben» genannt. Er heißt ja auch mit Nachnamen Halfpape, deshalb. Opa trägt jeden Tag Anzug und Schlips und nachts wie Oma Nachthemd. Er hat noch nie was anderes als Nachthemd oder Anzug getragen, auch nicht Arbeitskleidung für den Keller oder Badehose im Sommer. Aber in die Sommerfrische fahren die Großeltern sowieso nicht mehr. Wenn sonst nichts Besonderes ist, geht Opa nach unten in den Keller und werkelt dort vor sich hin. Er hat sich da unten einen riesigen Werkzeugkeller eingerichtet, und es gibt wohl kein Werkzeug, das er nicht hat. Wenn Opa wollte, könnte er alles machen, es gibt wohl nichts, wofür er kein Geschick hätte. Manchmal schickt mich Oma nach unten, damit Opa mir was beibringen soll, aber es geht ihm bei mir immer zu langsam, und das macht ihn rasend. Das sind die einzigsten Male, dass er unfreundlich zu mir ist. Einmal nannte er mich einen ungeschickten Kaffeetrinker. Oma ist dann böse mit ihm geworden und hat ihn ausgeschimpft, aber Opa ist stur geblieben. Außerdem kann er kein Moll hören. Meine Mutter arbeitet als Musiklehrerin und hat auch ein paar Privatschüler, die sie am Flügel im Wohnzimmer unterrichtet. Immer wenn ein Stück in Moll gespielt wird, hält sich Opa die Ohren zu und geht in den Garten oder spazieren oder in den Keller. Dur kann er gut hören.

 

Um Punkt eins am Sonntag hat Oma immer das Mittagessen fertig. Mein Lieblingsgericht ist Geflügel oder Sauerbraten mit gefüllten Klößen. Zum Nachtisch Fürst-Pückler-Eis. Zum Sonntagsmahl trinken die Erwachsenen ein Glas Weißwein, sonst trinken sie höchstens mal Silvester einen Piccolo, aber da bin ich ja schon im Bett. Früher hat Mutter manchmal abends nach dem Unterricht eine Flasche Bier getrunken, aber jetzt nicht mehr, weil ihr das Bier irgendwann zu bitter wurde, sagt sie. Vor jedem Essen beten wir.

«Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast und segne, was du uns bescheret hast, Amen.»

Wir haben noch zwei andere Tischgebete auf Lager, aber dieses nehmen wir am häufigsten. Wenn ich mal wieder krumm sitze, sagt Opa «Gerade sitzen, Kopf nicht stützen, Hände falten, Schnabel halten», aber er meint das nicht ernst, sondern lustig. Wir beten immer reihum, und ich bin genauso dran wie die Erwachsenen. Nach dem Essen schauen wir die politische Sendung «Fragen zur Zeit» im zweiten Programm, und wenn ich nur einen Pieps sage oder klappere, werden sie fünsch. Danach räumen die Frauen das Geschirr ab und machen den Abwasch, Opa geht in den Sessel zum Dösen, und ich darf «Flipper» gucken. Sonst darf ich im Fernsehen noch den «Hasen Cäsar» gucken und «Pan Tau». Danach unternimmt die ganze Familie einen Sonntagsausflug. Meistens geht es zur Sennhütte. Die Sennhütte liegt ganz oben auf einem Berg oder Hügel, wir müssen erst dreizehn Stationen mit dem Bus fahren, dann kilometerweit geradeaus gehen und zum Schluss die Serpentinen raufkraxeln zur Sennhütte. Die Erwachsenen essen Schwarzwälder Kirschtorte und trinken ein Kännchen Kaffee. Oma sagt, dass die Schwarzwälder Kirschtorte hier so gut schmeckt wie sonst nirgendwo. Ich mag lieber Obstkuchen, am liebsten Pflaumenkuchen mit Schlagobers und zum Trinken Bluna. Weil die Bedienungen mich schon gut kennen, geben sie mir Spielzeug, damit ich mich im Kreis der Erwachsenen nicht so langweile. So kann ich spielen, und meine Familie genießt den herrlichen Rundblick.

Aber heute ist ja Montag. Oma krabbelt mich immer noch, sie hat wohl die Zeit vergessen. Dann ist doch plötzlich Schluss.

«So, Mathias, jetzt reicht’s aber. Steh mal auf. Herr Marek fährt gleich.»

Mareks sind unsere Nachbarn links von uns. Herr Marek arbeitet in einem Geschäft für Herrenbekleidung und nimmt mich jeden Morgen mit seinem blauen Käfer zum Kindergarten mit. Meine Mutter sagt, dass Mareks mich gern als ihren eigenen Sohn hätten. «Den würden wir auch nehmen», hat Frau Marek früher oft gesagt. Mareks selbst haben keine eigenen Kinder. Man bekommt sehr wenig von ihnen mit, nur ganz selten ruft Frau Marek laut nach ihrem Mann, dass es einem durch Mark und Bein geht: ADOLF! Mutter äfft Frau Marek dann immer nach, obwohl das sonst gar nicht ihre Art ist und sie viel zu höflich ist, um jemanden nachzuäffen. Sonst verbringen die Mareks ihre Zeit im Garten, wo sie vor sich hin werkeln, aber sehr leise. Außer Rasenmähen hört man nichts von der Gartenarbeit, fast als wollten sie einen Weltrekord in Leisesein aufstellen, nach dem sich alle anderen dann richten müssen. Wenn irgendjemand von den anderen Nachbarn etwas Lautes macht oder auch nur laut spricht, schauen die Mareks ganz böse rüber, bis derjenige verstummt. Am meisten kriegen natürlich wir ab, weil wir direkte Nachbarn sind, wir bewohnen nämlich von den drei Reihenhäusern das Mittelreihenhaus und haben auch nur einen kleinen Garten, der ruck, zuck gemacht ist. Im Vorgarten stehen ein Apfel- und ein Kirschbaum, und hinten ist nur Rasenfläche und ein Beerenstrauch und eine Kompostkuhle und eine Terrasse und eine Sandkiste, die Opa damals für mich gebaut hat. Da halte ich mich aber kaum noch auf, außerdem hat der Wind mit der Zeit den Sand weggeweht, und Opa ist schon fast achtzig und hat keine Kraft, den immer nachzuschütten.

Oma ist richtig eingeschüchtert von Frau Marek. Herr Marek ist eigentlich ganz friedlich mit seinem dicken Bauch und der Glatze, und an der linken Hand fehlt ihm ein Daumen, den er im Krieg verloren hat, aber man sieht es nur, wenn man genau hinguckt. Frau Marek geht einmal die Woche zum Friseur. Sie hat sehr drahtiges Haar, das aussieht wie angeleimt. In ihrem ganzen Leben hat sie noch keine Hose getragen, auch nicht zur Gartenarbeit, sondern immer nur schwere Röcke und Blusen wie aus Stahl. Mareks Garten ist ungefähr viermal größer als unserer, und es ist schon eine Aufgabe, den in Schuss zu halten. Früher hat Frau Marek halbtags als Verkäuferin gearbeitet, aber jetzt ist sie nur noch Hausfrau. Obwohl sie so unfreundlich ist, waren wir an ihrem letzten Geburtstag zum Geburtstagskaffee eingeladen. Es war kein Staubkörnchen zu entdecken. Sie hat uns wohl nur eingeladen, damit sich Oma schlecht fühlt, weil es bei uns zu Hause niemals so geleckt aussieht mit vier Personen. Wenn sie zum Gegenbesuch zu uns kommen, macht Oma schon im Voraus eine Woche sauber, aber so wie Frau Marek kriegt sie es...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2013
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Demenz • Familie • Hamburg • Harburg • Jugend • Kindheit • Komik • Tragik
ISBN-10 3-644-02791-9 / 3644027919
ISBN-13 978-3-644-02791-6 / 9783644027916
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