Faustinas Küsse (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
352 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-10868-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Faustinas Küsse -  Hanns-Josef Ortheil
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Der römische Herumtreiber Giovanni Beri tut sich gerade an einem Teller Makkaroni gütlich und träumt von seinem nächsten Glas Wein. Da fällt ihm ein Reisender auf. Der sonderbare Herr gestikuliert mitten auf der Piazza del Popolo, als hätte ganz Rom auf ihn gewartet. Wer ist dieser Mann, ein adeliger Spinner, ein Advokat oder gar ein Spion? Beri, der neben seinen Gelegenheitsarbeiten auch den Patres des Vatikans mit Informationen zu Diensten ist, beschließt, den merkwürdigen Fremden näher unter die Lupe zu nehmen. Doch bevor er sich's versieht, verliert Beri nicht nur den Überblick, sondern auch seine Geliebte Faustina, und zwar ausgerechnet an den Mann, den er observiert, den berühmtesten aller Italienreisenden: Goethe.

'Am 3. September 1786, morgens oder vielmehr nachts um drei, damit niemand die Abreise bemerkt, stiehlt sich Goethe in der Postchaise davon, nur einen Jagdranzen und Mantelsack als Gepäck', so beschreibt Richard Friedenthal in seiner Goethe-Biographie die heimliche Ausreise aus Weimar. Was hier so geheimnisvoll angedeutet ist, hat Hanns-Josef Ortheil zum Anlaß genommen, eine höchst amüsante Geschichte um den Besuch des Dichtervaters in der ewigen Stadt zu spinnen.

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

5


In dem kleinen Weinausschank in der Nähe der Kirche Il Gesù drängten sich die Trinker. Beri schlich hinein, bestellte ein Glas und verhielt sich ruhig. Wie viele Diener Seiner Heiligkeit hier wohl sein mochten? Er musterte die anderen verstohlen, die meisten waren schon betrunken und redeten mit großen Gebärden aufeinander ein. Ob sich einige verstellten? Beri versuchte, ihr Mienenspiel zu ergründen, doch er kam nicht weit mit seinen Beobachtungen. Die meisten hier sind arme Teufel‹, dachte er, ›sie haben keine Ahnung, welcher Künste es bedarf, die Geheimnisse der Fremden zu erforschen! ‹ Er, Beri, glaubte sich darauf zu verstehen, doch bisher hatte Seine Heiligkeit ihn noch nicht mit einem Auftrag bedacht. Mehrere Male hatte er schon versucht, einen solchen Auftrag zu erhalten, aber Seine Heiligkeit hatte es sich nach kurzer Bedenkzeit meist anders überlegt.

Tausende von Spionen waren im großen Rom für den Heiligen Vater unterwegs, manche seit Jahren oder gar Jahrzehnten, die besten erhielten sogar ansehnliche Pensionen und lebten gut von den Nachrichten, die sie gesammelt hatten. Das Ausspionieren war ein eigenes rentables Geschäft, man mußte die Eigenarten der Fremden begreifen, zumindest einige Worte ihrer Sprache beherrschen und jeden Winkel des großen Rom kennen, um sich jederzeit verbergen zu können.

Ecco..., gab es für solche Dienste einen, der besser geeignet gewesen wäre als er, Giovanni Beri? Und doch hatte man ihn bisher übersehen. Aus seiner Zeit als Corriere kannte er die Stadt wie kaum ein anderer, kaum einen Palazzo gab es, den er nicht betreten hatte, kaum eine Gasse, in der er nicht ein paar Treppenstufen und Seitentüren wußte, um sofort aus dem Blickfeld zu verschwinden. ›Iich eiße Filippo Millär...‹, dachte Beri lächelnd auf deutsch, ›iich koome auss Deutschlaand.‹ Solche Sätze beherrschte er mühelos und noch viele andere, schwierige, in dieser holprigen, unmöglichen Sprache, deren Laute so klangen, als habe sie ein verstimmter Kontrabaß zusammengeschrummt.

Gut, jetzt kam es darauf an! Dieser Ausschank hier war eine der bekanntesten Anlaufstellen für solche, die ihre Nachrichten loswerden wollten. Die meisten Römer wußten von ihr. Hier befand man sich auf dem untersten Niveau, der untersten Sprosse der Leiter, die weit hinauf führte, bis zu den geheimen Zimmern Seiner Heiligkeit drüben in den vatikanischen Gemächern. Jeder wußte, wie mißtrauisch und vorsichtig Seine Heiligkeit war, alles, was in Rom vor sich ging, wollte er wissen, Tag und Nacht. Die besten seiner Spione setzten lange Schriftsätze auf, Seite um Seite, wahre Wunder an Beobachtungsgabe und Scharfsinn, die Seine Heiligkeit über alle Vorgänge in Europa in Kenntnis setzten, so daß er die Staatsgeschäfte der Völker jederzeit vorauszuberechnen wußte. Daher stand er in dem Ruf, der bestinformierte Mann des Erdkreises zu sein, wie es sich für einen Stellvertreter Christi gehörte.

Beri grinste, als er sich die geheimen Gemächer Seiner Heiligkeit ausmalte. Überall lagen stapelweise ausführliche Berichte und Aufzeichnungen herum, nach Ländern und Erdkreisen sortiert. Die vielen Zimmer Seiner Heiligkeit versanken allmählich in diesen Botenmeldungen, sie überschwemmten Möbel und Fußböden, sie wuchsen an den Wänden hinauf wie gierige Pflanzen, die von immer neuen Stapeln gestützt und genährt wurden.

Schluß damit, er durfte sich solche Phantasien jetzt nicht erlauben. Langsam, Schritt für Schritt, arbeitete er sich zu den Holzfässern vor, mit deren Wein unaufhörlich die Karaffen gefüllt wurden. Dann beugte er sich hinüber zu dem Schankwirt, der sein Näherkommen bemerkt zu haben schien.

»Ich möchte mit dem Padre sprechen«, flüsterte Beri ihm zu.

»Wie heißt Du?«

»Giovanni Beri.«

»Gedulde Dich etwas, ich sage dem Padre Bescheid.«

Der Schankwirt verschwand in einem Durchgang zum hinteren Teil des Gebäudes. ›Jetzt werden sie versuchen herauszubekommen, wer Giovanni Beri ist‹, dachte Beri, und er spürte, wie ein eigentümlicher Stolz ihn bei diesem Gedanken beinahe durchquoll. ›Ob sie von meinen Sünden wissen? Sicher wissen sie von meinen Sünden, sie wissen ja alles. Ich werde nicht darauf zu sprechen kommen, ich werde vorsichtig sein, davon hängt alles ab.‹

Nach einer Weile kam der Schankwirt zurück und wies Beri den Weg, die letzte Tür dort hinten, ganz links, er solle hineingehen und Platz nehmen. Beri nickte, sein Herz schlug jetzt rascher, das machte ihm Angst. Immer wenn sein Herz so schlug, bedeutete das nichts Gutes, er verlor seine Ruhe, sein ganzer Körper verlor etwas von seiner Gefaßtheit.

Der Raum, den er betrat, war erschreckend kahl. Ein Stuhl, ein Tisch, auf dem Tisch eine gut gefüllte Karaffe mit Wein, ein einfaches Glas, einige Blätter, ein Tintenfaß mit einer Feder. Und, ja, über der Tür hing ein Kruzifix, der gepeinigte Leib, schmerzgekrümmt. In einer Ecke befand sich eine Spanische Wand, es war nicht zu erkennen, was sich dahinter befand. Doch Beri wußte, daß der, den man den ›Padre‹ zu nennen hatte, jetzt dort saß. Alle, die eine Nachricht loswerden wollten, überbrachten sie einem Padre, Hunderte solcher Padres mochte es in Rom geben, man wußte es nicht genau. Sie blieben unsichtbar, man hörte nur ihre Stimme, und nur dieser Stimme vertraute man sich an.

Beri wartete.

»Setz Dich«, sagte die Stimme, und Beri bemerkte, daß er ruhiger wurde. Die Stimme war gut, das spürte er sofort, es war eine sonore, gesetzte Stimme, die ihm Vertrauen einflößte. Vor allem aber zählte, daß er diese Stimme noch nie gehört hatte. Noch nie, da war er sich sicher! Denn er, Giovanni Beri, hatte ein fabelhaftes Gehör, ein Gehör, das sich selbst auf das Wasser verstand.

»Setz Dich, Giovanni«, sagte die Stimme, »und schenk Dir ein!«

Beri nahm Platz, langsam zog er den Stuhl näher an den Tisch. Dann goß er das Glas halbvoll.

»Mehr, Giovanni, mehr!«

»Ich mache mir nicht viel daraus, Padre«, sagte Beri und spürte, wie er der Lüge wegen rot wurde.

»Du machst Dir sehr viel daraus, Giovanni«, sagte die Stimme. »Weil Du Dir soviel daraus machst, hast Du eine gute Stelle verloren. Trink also!«

»Sie haben recht, Padre«, antwortete Beri, »früher bedeuteten die Freuden des Weins mir sehr viel, ich war ein unwissender Kerl, doch jetzt ist das anders, ganz anders!«

Beri nippte an dem Wein, Gott, es war ein vorzüglicher, schwerer Wein, wie er seit Monaten keinen mehr getrunken hatte! Er bemühte sich, gleichgültig zu bleiben.

»Warum kommst Du hierher, Giovanni, sprich!«

»Mir ist ein Fremder aufgefallen, der heute, am frühen Abend, hier eingetroffen ist, in der Postkutsche, vom Norden her.«

»Hast Du gesehen, wie er hier eingetroffen ist?«

»Ich habe ihn gesehen. Er sprang aus der Kutsche und gebärdete sich wie einer, der nicht recht bei Sinnen ist.«

»Inwiefern?«

»Er lief über die Piazza del Popolo, als wollte er..., als versuchte er..., die Stadt zu umarmen.«

»Wie hast Du Dir sein Benehmen erklärt?«

»Ich dachte, er sei ein Schauspieler.«

»Und weiter?«

»Ich ging ihm hinterher, er ist kein Schauspieler.«

»Nein?«

»Nein, denn als ich hinter ihm herging, kam es mir plötzlich so vor, als sei der Fremde schon viele Male in Rom gewesen.«

»Warum sollte er auch nicht schon einmal in Rom gewesen sein?«

»Den Wachbeamten der Porta del Popolo hat er gesagt, daß er zum ersten Mal in Rom sei.«

»Das hast Du gehört?«

»Ganz deutlich, ich hatte mich herangeschlichen.«

»Und weiter?«

»Der Fremde ging zum Packhof und ließ sein Gepäck visitieren. Ich konnte erkennen, daß er sehr viele Bücher dabei hatte, schöne, edle, mit bestem Leder gebundene. Außerdem hatte er eine große Kiste mit kostbaren Steinen dabei.«

»Auch diese Steine hast Du gesehen?«

»Ganz aus der Nähe, er konnte mich nicht erkennen.«

»Und weiter?«

»Vom Packhof ging der Fremde zur Locanda dell’orso, dort bezog er Quartier.«

»In der alten Locanda am Tiber?«

»Genau dort, Padre. Warum ging er nicht dorthin, wohin es alle Fremden zieht, zu einem Hotel am Spanischen Platz?«

»Ja, warum nicht, Giovanni?«

»Weil er kein Hotel suchte, sondern ein Versteck!«

»Warum sollte der Fremde sich denn verstecken?«

»Es ist ein großer, stattlicher Mann, ich halte ihn für einen Advokaten oder einen Kaufmann oder einen Dottore, der in geheimer Mission unterwegs ist.«

»In welcher geheimen Mission?«

»Ich weiß es noch nicht, Padre. Aber ich könnte mich bemühen, es herauszubekommen.«

»Weißt Du den Namen des Fremden, Giovanni?«

»Ja und nein, Padre.«

»Sprich nicht in Rätseln, Giovanni!«

»Verzeihung, Padre. Der Fremde hat sich in die Gästelisten der Locanda eingetragen. Er hat geschrieben: Filippo Miller, Maler.«

»Du hast diese Eintragung gelesen?«

»Ich habe sie mit eigenen Augen gelesen, Padre.«

»Und weiter?«

»Ich glaube nicht, daß es der richtige Name des Fremden ist.«

»Warum glaubst Du das nicht?«

»Ich sah ihn später, nachdem er seine Reisekleidung abgelegt hatte, noch einmal in der Locanda. Der Fremde trug einen prächtigen, grünen Rock, er sah aus wie...«

»Sag es, Giovanni!«

»Wie ein hoher Herr!«

»Hat Dich der Fremde bemerkt, Giovanni?«

»Aber nein, Padre. Ich habe ihn ganz heimlich beobachtet.«

»Und warum hast Du das getan?«

»Ich möchte Seiner Heiligkeit dienen, Padre! Ich werde Seiner Heiligkeit alles über den Fremden berichten.«

Beri nahm einen zweiten Schluck....

Erscheint lt. Verlag 11.3.2013
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Historische Romane • Italienisische Reise • Johann Wolfgang Goethe • Krieg gegen den Papst? • Rom • Spionage im 19. Jahrhundert • Verlust der Geliebten • Werther
ISBN-10 3-641-10868-3 / 3641108683
ISBN-13 978-3-641-10868-7 / 9783641108687
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,8 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99