Die Nacht des Don Juan (eBook)

Roman
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2013 | 1. Auflage
384 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-10869-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Nacht des Don Juan -  Hanns-Josef Ortheil
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An einem Herbstabend des Jahres 1787 kommt Giacomo Casanova auf Einladung des Grafen Pachta nach Prag. Auch Mozart befindet sich in der Stadt an der Moldau. Er bereitet die Uraufführung der Oper aller Opern mit ihrer vollendet schwebenden Musik vor - 'Don Giovanni'. Aber die Arbeit stockt. Der Librettist Lorenzo da Ponte gibt dem Verführer vulgäre, bestenfalls grobe Züge, die Sängerinnen neiden einander jede Arie, und Mozart fehlt die Ruhe, seine Partitur zu beenden; überall wird er von Verehrerinnen verfolgt. Casanova aber bringt den Glanz aus einer großen alten Zeit in die Stadt, er versteht Feste zu feiern, er weiß, über welche Rafinesse und Wortgewandtheit ein wahrer Verführer verfügen müsste. Und er hat es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, diese Oper zur Vollendung zu bringen - auch wenn er dazu einige höchst irdische Intrigen einfädeln muss ...

Nach 'Faustinas Küsse' und 'Im Licht der Lagune' hat Ortheil nun das große Finale seiner erotischen Kunst- und Künstler-Trilogie geschrieben. In diesem Roman geht es um Musik und das, was die Musik allein zu gestalten vermag: um Liebe. In einem Wirbel von Geschichten schildert Ortheil, wie eine der bedeutendsten europäischen Opern entstanden ist. Überwältigend zart und klug wie Mozarts Musik entspinnt sich dieses Buch, und obwohl drei Männer das große Wort führen, halten andere darin die Hauptrolle besetzt und führen insgeheim Regie: die Frauen.

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

2


Casanova erwachte. Einen Augenblick lang versuchte er sich zu erinnern, richtig, gestern abend war er in Prag eingetroffen, er war jetzt in Prag, solch einen frühmorgendlichen Lärm gab es nur in dieser Stadt, die zu viele Musiker beherbergte, Blechbläser vor allem, die sich anscheinend schon sofort nach dem Erwachen an ihre Instrumente machten. Er reckte sich auf und lauschte ins Dunkel. Wahrhaftig, da blies jemand auf der Trompete, spitze, an der Decke entlanglaufende Töne, die sich zu knatternden Schauern verdichteten, unglaublich.

Er preßte die Zeigefinger in die Ohrmuscheln, doch das half nichts, jetzt hörte er sogar noch ein zweites Instrument, eine Klarinette, ja, eine sich verausgabende, Ton für Ton eine nicht enden wollende Treppe herunterpolternde Klarinette. Auf dem Tisch stand das Nachtglöckchen; es war aus Kristall, ein winziges Spielzeug, er läutete, so heftig er konnte, aber der zarte Glasklang wirkte gegen die Klänge von draußen nur wie ein schwaches, sich im weiten Raum verflüchtigendes Mäuserascheln.

Doch immerhin, die Tür öffnete sich. Casanova erkannte einen jungen, schlecht gekleideten Mann, der sich dem Bett näherte. Er machte eine umständliche Verbeugung, wahrscheinlich stammte er vom Land, die meisten jungen Diener kamen von dort, man konnte ihnen die Steifheit nicht austreiben.

»Guten Morgen, gnädiger Herr«, sagte der Bursche. »Graf Pachta hat mir aufgetragen, Ihnen als seinem willkommenen Gast behilflich zu sein. Er sagte, ich solle mir Mühe geben, Sie zufriedenzustellen. Der Herr Graf ist in der Früh nach Wien abgereist, wo er seine Söhne besucht.«

»Was redet Er da?« Casanova setzte sich auf. »Warum erklärt Er mir, was ich längst weiß? Ich habe gestern abend noch mit dem Herrn Grafen gespeist.«

»Verzeihen Sie, gnädiger Herr, das wußte ich nicht«, antwortete der Bursche. »Der Herr Graf hatte wenig Zeit in der Früh. Mit mir wechselte er nur einige Worte.«

»In der Früh? Wann in der Früh? Wie spät ist es denn?«

»Gegen Zehn, beinahe Zehn, wenige Minuten vor Zehn.«

Casanova drehte sich zur Seite und schwenkte die Füße auf den Boden. »Schon Zehn? Rasch, ich stehe sonst niemals so spät auf. Die Vorhänge und die Läden geöffnet!«

Der Junge ging schnell zu den Fenstern, zog die schweren Vorhänge auf und öffnete mit geübten Handgriffen einen Laden nach dem andern. Die Musik war noch lauter geworden, zwei Trompeten, eine Klarinette, eine Oboe.

»Was ist das denn für ein Lärm? Es ist unerträglich, verdaut man in Prag Noten zum Frühstück?«

»Entschuldigen Sie, es sind Mitglieder der Hauskapelle des Grafen, gegen Zehn beginnen sie mit den Proben.«

»Gegen Zehn! Wenn sie morgens so loslegen, werden sie am Abend erschöpft sein.«

»Ich werde es ihnen ausrichten.« Der Bursche verneigte sich, er war in der Nähe der Fenster stehengeblieben. Casanova beugte sich vor. Nein, er sah nicht übel aus, groß, schwarzhaarig, ein schmaler, feiner Kopf, Graf Pachta hatte ihm einen hübschen Jungen an die Seite gegeben.

»Wie heißt Er? Wie ruft man Ihn hier?«

»Ich heiße Paul, gnädiger Herr.«

»Und ich heiße Giacomo, Signor Giacomo!«

»Jawohl, gnädiger Herr!«

»Nicht gnädiger Herr, nichts davon! Signor Giacomo, nur das, hast Du verstanden? Ich werde Dich Paolo nennen, das kommt mir leichter über die Lippen.«

»Ich habe verstanden, Signor Giacomo.«

»Du kommst vom Land, Paolo?«

»Ja, Signor. Meine Eltern sind früh gestorben, ich bin in eine Waisenschule gegangen.«

»Und was lernt man dort?«

»Das Horn blasen, Signor.«

»Das Horn? Du willst sagen, daß Du das Horn blasen kannst?«

»Ja, Signor, ich kann es sehr gut blasen, auch ich spiele in der Kapelle des Grafen, seit mehr als vier Jahren.«

»Wie alt bist Du?«

»Neunzehn Jahre, Signor. Der Herr Graf hat meine Ausbildung bezahlt, viele Hohe Herren machen das so, denn viele der Hohen Herren halten sich eine eigene Kapelle oder sogar ein großes Orchester.«

»Das Horn ist ein edles Instrument, Paolo, ich liebe das Horn. All dieses Bläsergeschmetter da draußen ist nichts gegen den Wohllaut des Horns, habe ich recht?«

»Signor Giacomo ist zu freundlich, ich danke Ihnen.«

»Nun gut, Paolo, wir werden uns schon verstehen. Beginnen wir diesen Tag mit einem exzellenten Frühstück!«

»Gern, Signor Giacomo, ich eile sofort in die Küche!«

Casanova lächelte, der Bursche war schon an der Tür. »Warte, so warte doch! Was willst Du mir bringen, aus Deiner Küche?«

»Das Frühstück, Signor.«

»Das Frühstück! Woraus besteht denn Dein Frühstück?«

»Kaffee, Signor Giacomo, Brot, Butter, vielleicht etwas Käse und ein paar Eier?«

»Aber Paolo, Du wirst lernen müssen, viel lernen. Ich wünsche Kaffee, ja, aber den kräftigen, schwarzen, und Brot, ja, aber das duftende, weiche, leicht süße, Rahmbutter dazu, drei sehr weiche Eier. Dann Orangengelee und etwas Schale von der Zitrone, denn das Gelee machen die Prager zu süß, weil sie nichts davon verstehen. Das Ganze stell bitte hier auf den kleineren Tisch, es soll mir den Mund lediglich wässern. Denn wenn mir das alles gemundet hat, wechsele ich hinüber zum größeren Tisch, wo das Frühstück eingenommen wird: einen kleinen Teller mit Sardellen, etwas vom gestrigen Braten, dunkle Oliven, einen reifen, am besten schon leicht zerlaufenen Käse, dazu das dunkle Nußbrot. Ein Glas Wein könnte nicht schaden. Und nun lauf!«

Paolo zögerte einen Moment, dann verbeugte er sich und verschwand. Casanova stand auf und begann, sich anzukleiden, während er das Zimmer durchschritt. Die Räume in diesem stillen Seitenflügel, den niemand außer ihm bewohnte, waren herrschaftlich groß, wie für ihn geschaffen. In seinen besseren Tagen hatte er in solchen Räumen gelebt, in Venedig, in Paris, in London, in den Hauptstädten der Welt. Gewiß, diese hier wirkten gedämpfter, ein wenig gedrückt, aber in Prag gehörten sie zum Besten, was es gab. Mit Paris oder Venedig konnte Prag sich natürlich nicht messen, im Grunde war Prag eine Provinzstadt und die geschmackvollsten Häuser erinnerten einen höchstens an Wien.

Ein Glück, daß er mit dem Grafen Pachta seit langem befreundet war, so brauchte er sich keine Zimmer zu mieten oder gar ein Quartier in einem der Gasthöfe zu suchen. Hier, in diesem verlassen wirkenden Seitenflügel des Pachtaschen Palais, war er ungestört und wurde zudem noch fürstlich versorgt. In Ruhe konnte er seine Gedanken aufs Papier bringen, Besuch empfangen, sich den Lektüren widmen. Der Graf würde einige Zeit verreist sein, das war nur von Vorteil, denn sonst hätte ihn dieser alte Schwätzer ununterbrochen belästigt und ihn nach längst vergangenen Geschichten gefragt.

Etwa dreißig Bediente hatte der Graf, die Mitglieder der Kapelle nicht gerechnet. Hätte man ihm, Giacomo Casanova, freie Hand gegeben, so hätte er mit Hilfe dieser Bedienten herrliche Feste gefeiert, für eine kleine Schar sorgfältig ausgesuchter Menschen von Stand und mit Geschmack! Denn der Graf, nein, der verstand nichts davon, er überließ solche Dinge den Köchinnen, die ihn seit Kindesbeinen mit immer denselben Speisen versorgten, schweren, zerkochten Gerichten, wie man sie auf dem Land aß, woher die Köchinnen stammten, die nie in einen italienischen oder französischen Kochtopf geschaut hatten, nein, nie. In den kommenden Wochen würde er ihnen etwas von diesen fremden Kochkünsten beibringen, bis sie es nicht mehr wagten, den Braten in dunklen Saucen zu verkochen. Austern, gefüllte Perlhühner, Kutteln auf venezianische Art! Ja, langsam und unauffällig würde er in diesem Palais die Regie übernehmen, und wer weiß, vielleicht wäre es am Ende doch möglich, aus diesem Palais, das viel von seinem alten Reiz verloren hatte, ein wahrhaft herrschaftliches und sogar gastfreundliches Haus zu machen!

Doch um das zu erreichen, mußte er sich das Wohlwollen der Dienerschaft sichern, zunächst mußte er Paolo für sich gewinnen, dann die Frauen der Küche, langsam, wie eine Krake, würde er seinen geheimen Einfluß ausdehnen, bis er sogar der Kapelle, die wahrscheinlich nichts anderes als böhmische Tänze kannte, die richtigen Töne beigebracht hatte. Eine solche Aufgabe, ja, die war seiner würdig! In Prag einen Glanzpunkt zu setzen, für einige Wochen, so hell, so erregend, daß man noch lange davon sprechen würde!

Aber zunächst hatte er noch einiges zu erledigen, dies und das, Besuche, ein paar Gespräche. Wo hatte er den Brief bloß hingesteckt? Er öffnete die Schublade des Nachtschränkchens und zog ihn heraus. Richtig, damit würde er den Anfang machen, mit diesem Halunken! Sie würden sich um den Hals fallen und so tun, als wären sie die besten Freunde, seit langem. Aber er wußte, wen er vor sich hatte, so wie er jede Regung dieses Halunken seit ihrer ersten Begegnung vor vielen Jahren kannte. Sie waren beide Venezianer, doch er, Giacomo Casanova, war der ältere, klügere, weitgereiste, der wahre Sohn Venedigs, während der Halunke bloß eine mißratene Fehlgeburt war, die durch viele Zufälle zu leidlichem Ruhm gekommen war. Er würde sich einen Spaß daraus machen, ihn an der Nase herumzuführen, diesen Prag-Aufenthalt sollte er in schlechter Erinnerung behalten, dafür würde er sorgen!

Paolo klopfte, öffnete die Tür und kam mit einem großen Tablett herein. Er stellte alles auf den kleinen Tisch und seufzte laut: »Mehr konnte ich so schnell nicht beschaffen, Signor Giacomo! Die Köchin sagt, der Herr Graf habe nur sehr bescheiden gefrühstückt.«

»Was erlaubt sie sich, diese Köchin?« rief Casanova und lief sofort an den Tisch, um das Beschaffte zu mustern. »Ein matter...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2013
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 18. Jahrhundert • Casanova • Don Giovanni • eBooks • Historische Romane • Morzart • Oper • Prag
ISBN-10 3-641-10869-1 / 3641108691
ISBN-13 978-3-641-10869-4 / 9783641108694
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