Spiegelbild im goldnen Auge (eBook)

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2013 | 1. Auflage
192 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60213-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spiegelbild im goldnen Auge -  Carson McCullers
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Ein Militärcamp in einem trostlosen, verlassenen Südstaatennest, zwei Paare, die in ihrer monotonen Existenz gefangen sind und deren zwischenmenschliche Verstrickungen unausgesprochen bleiben. Jeden Abend sitzen der Major und seine kränkliche Frau beim Kartenspiel mit Hauptmann Penderton und dessen Frau Leonora, heimlich beobachtet vom Gefreiten Williams, der von der flamboyanten Frau Penderton magisch angezogen ist.

Carson McCullers, geboren 1917 in Columbus (Georgia), wollte eigentlich Pianistin werden. Mit 500 Dollar fuhr sie mit achtzehn alleine nach New York, um an der renommierten Juilliard-Musikschule zu studieren. Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise, doch sie blieb in New York, arbeitete als Sekretärin, Kellnerin, Barpianistin und beschloss, Schriftstellerin zu werden. Mit 23 erlitt sie den ersten von drei Schlaganfällen, ihr Leben wurde bestimmt durch die Krankheit, der sie ihr Werk abrang, und durch Einsamkeit, besonders nach dem Suizid ihres Mannes 1953. Carson McCullers starb 1967 in Nyack (New York).

Carson McCullers, geboren 1917 in Columbus (Georgia), wollte eigentlich Pianistin werden. Mit 500 Dollar fuhr sie mit achtzehn alleine nach New York, um an der renommierten Juilliard-Musikschule zu studieren. Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise, doch sie blieb in New York, arbeitete als Sekretärin, Kellnerin, Barpianistin und beschloss, Schriftstellerin zu werden. Mit 23 erlitt sie den ersten von drei Schlaganfällen, ihr Leben wurde bestimmt durch die Krankheit, der sie ihr Werk abrang, und durch Einsamkeit, besonders nach dem Suizid ihres Mannes 1953. Carson McCullers starb 1967 in Nyack (New York).

[7] I

Eine Garnison in Friedenszeiten ist ein langweiliger Ort. Es geschieht wohl hin und wieder etwas, aber fast immer das Gleiche; und die bloße Anlage eines Forts genügt, diese Eintönigkeit noch zu steigern. Die riesigen Betonkasernen, die langen Reihen der Offiziershäuser, blitzblank und eins ums andere demselben Modell folgend, die Turnhalle, die Kirche, der Golfplatz und die Badeplätze – alles ist streng nach Plan entworfen. Vielleicht aber ist an dieser Eintönigkeit vor allem die inselhafte Abgeschiedenheit schuld und ein Übermaß an Muße und Routine; denn wer einmal ins Heer eingetreten ist, braucht fortan in allem nur noch seinem Vordermann nachzueifern. Dennoch geschehen gelegentlich sogar in einer Garnison Dinge, die sich nicht so leicht wiederholen.

Es gibt in einem der Südstaaten ein Fort, wo vor einigen Jahren ein Mord geschah. An dieser Tragödie waren beteiligt: zwei Offiziere, ein Soldat, zwei Frauen, ein Filipino und ein Pferd. Der [8] Soldat war Private Ellgee Williams. Gegen Abend sah man ihn oft allein auf einer der vielen Bänke sitzen, die den Bürgersteig vor den Kasernen säumen. Es war ein angenehmer Ort, man saß unter zweireihig gepflanzten jungen Ahornbäumen, die ihre luftig zarten Schatten auf den Weg und den Rasen warfen. Im Frühling war das Laub der Bäume leuchtend grün, in den heißen Monaten nahm es einen dunkleren, gedämpften Ton an, um sich dann im Spätherbst in flammendes Gold zu verwandeln. Hier pflegte Private Williams zu sitzen und auf das Signal zum Abendessen zu warten. Er war ein schweigsamer junger Mann, der in der Kaserne weder Feinde noch Freunde hatte. Wachsame Unschuld prägte seine runden, sonnengebräunten Züge. Seine vollen Lippen waren rot, und die Ponyfransen fielen ihm dicht und braun in die Stirn. In seinen seltsam bernsteinfarbenen Augen lag jener stumme Ausdruck, den man sonst bei Tieren findet. Auf den ersten Blick wirkte Private Williams etwas schwerfällig und linkisch. Aber der Eindruck täuschte. Er bewegte sich mit der lautlosen Geschicklichkeit eines Raubtieres oder eines Diebes; und wiederholt kam es vor, dass Soldaten, die sich allein glaubten, ihn plötzlich wie aus dem Nichts neben sich auftauchen sahen. Seine Hände waren klein, feingliedrig und sehr kräftig.

[9] Private Williams trank nicht, rauchte nicht, ging nicht zu Huren und spielte auch nicht um Geld. In der Kaserne war er meistens allein, seinen Kameraden war er ein Rätsel. Den Großteil seiner Freizeit verbrachte Private Williams in den Wäldern rund um das Fort. Das über zwanzig Quadratkilometer große Festungsgebiet war wildes, unberührtes Land, mit riesigen uralten Kiefern, den verschiedensten Blumen, sogar so scheue Tiere wie Hirsche, Wildschweine und Füchse gab es dort. Abgesehen vom Reiten konnte er nichts mit den Sportarten anfangen, die den Soldaten sonst offenstehen. Niemand hatte ihn je in der Turnhalle oder im Schwimmbad angetroffen; und nie hatte jemand ihn lachen, sich ärgern oder in irgendeiner Weise leiden sehen. Er aß dreimal am Tag gesund und reichlich und murrte nie über das Essen, wie es die anderen taten. Er schlief in einem Saal mit einer langen Doppelreihe von etwa drei Dutzend Feldbetten. Dort ging es selten still zu. Nachts, wenn die Lichter aus waren, hörte man die Kameraden schnarchen, fluchen und in ihren Träumen stöhnen. Private Williams aber verhielt sich ruhig; nur manchmal war ein leises Rascheln aus seinem Bett zu hören, wenn er einen Schokoladenriegel aus dem Papier wickelte.

Als Private Williams schon zwei Jahre gedient [10] hatte, schickte man ihn eines Tages zur Unterkunft eines gewissen Hauptmanns Penderton. Das kam folgendermaßen: Private Williams hatte ein Händchen für Pferde bewiesen und war in den letzten sechs Monaten oft zum Stalldienst abkommandiert worden. Hauptmann Penderton hatte mit dem Unteroffizier telefoniert; und da gerade viele Pferde auf Manöver waren und es in den Ställen wenig zu tun gab, wurde Private Williams mit dieser besonderen Aufgabe betraut, die im Übrigen sehr einfach war. Hauptmann Penderton wollte einen Teil des Unterholzes hinter seinem Haus roden lassen, um dort später einen Bratrost für Gartenpartys aufzustellen. Die Arbeit würde etwa einen Tag in Anspruch nehmen.

Private Williams begann sein Werk gegen halb acht morgens. Es war ein milder, sonniger Oktobertag. Er wusste bereits, wo der Hauptmann wohnte, da er auf seinen Spaziergängen durch den Wald mehrmals an dem Haus vorbeigekommen war. Auch den Hauptmann selber kannte er vom Sehen, ja, einmal hatte er ihm gar versehentlich einen Schaden zugefügt. Vor anderthalb Jahren war der Soldat für ein paar Wochen als Bursche abkommandiert worden, und zwar zum befehlshabenden Leutnant seiner Einheit. Eines Nachmittags hatte Hauptmann Penderton dem Leutnant einen Besuch [11] gemacht. Private Williams servierte einen Imbiss und goss dem Hauptmann eine Tasse Kaffee über die Hose. Außerdem sah er den Hauptmann häufig im Stall, denn er sorgte für das Reitpferd der Frau des Hauptmanns – ein kastanienbrauner Hengst, das mit Abstand schönste Pferd in der Garnison.

Der Hauptmann wohnte am Rand des Forts. Sein mit Mörtel verputztes Haus war zweistöckig, hatte acht Zimmer und sah aus wie alle anderen Häuser in dieser Straße, außer dass es ein Eckhaus war. Auf zwei Seiten grenzte der Rasen an den Wald des Festungsgeländes; rechts wohnte der einzige Nachbar des Hauptmanns, Major Morris Langdon. Die Häuser in der Straße blickten auf eine weite braune Rasenfläche, die noch vor kurzem als Polofeld benutzt worden war.

Als Private Williams eintraf, kam der Hauptmann heraus, um ihm im Einzelnen zu erklären, was zu erledigen war. Das Zwergeichengebüsch und die Brombeersträuche sollten gerodet und die Äste der größeren Bäume abgesägt werden, wenn sie tiefer als etwa zwei Meter hinabreichten. Der Hauptmann bezeichnete eine mächtige alte Eiche etwa zwanzig Meter hinter dem Rasen als Grenze des zu bearbeitenden Geländes. An einer seiner teigigen Hände hatte der Hauptmann einen goldenen Ring. Er trug an diesem Morgen kurze [12] Khakihosen, lange Wollstrümpfe und eine Wildlederjacke. Sein scharfgeschnittenes Gesicht wirkte angespannt. Er hatte schwarzes Haar und wasserblaue Augen. Der Hauptmann schien Private Williams nicht wiederzuerkennen und gab seine Befehle in einem nervösen, gezierten Ton. Er erklärte ihm, dass er noch an diesem Tag mit seiner Arbeit fertig werden müsse, und setzte hinzu, er werde gegen Abend zurückkommen.

Der Soldat arbeitete den ganzen Vormittag ohne Unterbrechung. Um die Mittagszeit ging er zum Essen in die Kantine. Um vier Uhr war er mit der Arbeit fertig. Er hatte sogar mehr getan, als der Hauptmann ausdrücklich verlangt hatte. Die alte Eiche, die ihm als Grenze bezeichnet worden war, hatte eine ungewöhnliche Gestalt. Die Äste auf der Rasenseite waren so hoch, dass man bequem unter ihnen hindurchgehen konnte, während die Äste auf der anderen Seite in der anmutigsten Weise bis auf den Boden reichten. Diese tiefhängenden Äste hatte der Soldat mit viel Mühe abgesägt. Als er mit allem fertig war, lehnte er sich gegen den Stamm einer Kiefer und wartete. Er schien mit sich zufrieden zu sein und durchaus bereit, hier für alle Ewigkeit zu stehen und zu warten.

»Was machen Sie denn hier?«, fragte plötzlich eine Stimme.

[13] Der Soldat hatte die Frau des Hauptmanns aus der Hintertür des Nachbarhauses herauskommen und über den Rasen auf sich zugehen sehen; aber erst als sie ihn anredete, nahm sein dämmriges Bewusstsein sie wirklich wahr.

»Ich war gerade drüben bei den Ställen«, sagte Mrs. Penderton. »Firebird ist getreten worden.«

»Jawohl, Ma’am«, erwiderte der Soldat vage. Er hielt kurz inne, um den Sinn ihrer Worte zu erfassen. »Wie denn?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht so ein verdammtes Maultier… vielleicht hat man ihn auch zu den Stuten gelassen. Ich war wütend und habe nach Ihnen gefragt.«

Die Frau des Hauptmanns legte sich in eine Hängematte, die zwischen zwei Bäumen am Rand des Rasens aufgehängt war. Selbst in ihrer Sportkleidung – hohe Stiefel, schmutzige Reithosen aus Kord, die an den Knien abgeschabt waren, und ein grauer Wollpullover – war sie eine hübsche Frau. Sie hatte die friedlich-versonnenen Gesichtszüge einer Madonna und trug ihr glattes bronzefarbenes Haar in einen Knoten geschlungen dicht überm Nacken. Während sie sich ausruhte, kam das Dienstmädchen, eine junge Schwarze, mit einem Tablett heraus, auf dem eine Flasche Schnaps, ein Glas und ein Krug Wasser standen. [14] Mrs. Penderton war nicht kleinlich mit dem Schnaps. Sie trank schnell zwei volle Gläser und goss dann einen Schluck kaltes Wasser hinterher. Sie sagte nichts mehr zu dem Soldaten, und er fragte sie nicht weiter nach dem Pferd. Keiner schien sich um die Gegenwart des anderen zu kümmern. Der Soldat lehnte sich zurück gegen seine Kiefer und starrte ohne zu blinzeln ins Weite.

Die späte Herbstsonne warf einen goldenen Lichtschleier über den frischverlegten Winterrasen; und selbst im Wald blitzte sie hier und da durch das Blätterdach und malte leuchtende Goldmuster auf den Boden. Dann plötzlich war sie verschwunden. Die Luft kühlte sich ab, und ein leichter, frischer Wind kam auf. Es war Zeit, ins Haus zu gehen. Aus der Ferne klang der Ruf des Signalhorns milde herüber, und sein flüchtiges Echo hallte dumpf in den Wäldern wider. Die Nacht war nah.

In diesem Augenblick kehrte Hauptmann Penderton zurück. Er parkte seinen Wagen vor dem Haus und ging sofort in den Garten, um sich die geleistete Arbeit...

Erscheint lt. Verlag 22.1.2013
Übersetzer Richard Moering
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belletristik • Blicke • Frau • Gegenwartsliteratur • Leidenschaft • Major • Militärcamp • Naher Osten • Paare • Roman • Steinbock • Südstaaten • USA
ISBN-10 3-257-60213-8 / 3257602138
ISBN-13 978-3-257-60213-5 / 9783257602135
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