Ein altes Haus am Hudson River (eBook)

Roman
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2013 | 1. Auflage
624 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-10661-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein altes Haus am Hudson River -  Edith Wharton
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Einfühlsamer Entwicklungsroman über das Heranwachsen eines jungen Mannes zum Schriftsteller
Wie hoch darf der Preis für einen Lebenstraum sein? Und wie bleibt man sich auf dem Weg dorthin treu? In kraftvollen Bildern erzählt Edith Wharton vom schmerzhaften Prozess künstlerischen Reifens. Pünktlich zum 150. Geburtstag der vielfach ausgezeichneten amerikanischen Klassikerin liegt dieser bewegende Entwicklungsroman nun erstmals in deutscher Sprache vor.

Für den jungen Vance Weston, den Sohn eines Immobilienspekulanten, hält die Zukunft ein komfortables Leben in der amerikanischen Provinz bereit. Doch der zarte 19-Jährige mit der lebhaften Fantasie hat eigene Pläne. Sein Herz führt ihn ins New York der Roaring Twenties - in die ersehnte Metropole des Geistes und der Literatur, aber auch der Macht und des Geldes. Auf den kometenhaften Aufstieg zum Liebling der Society folgt allzu rasch die große Ernüchterung. Vances einziger Lichtblick: die umsichtige Heloise Spear. In einem verlassenen Haus hoch über dem Hudson River hatte sie ihm einst die Augen für die Schönheit der Literatur geöffnet.

  • Deutsche Erstübersetzung zum 150. Geburtstag der Autorin am 24. Januar 2012


Edith Wharton (1862 - 1937) entstammte der New Yorker Patrizierschicht. Als Kind verbrachte sie längere Zeit in Frankreich, Deutschland und Italien, so dass sie, wie sie später meinte, Europa 'unausrottbar im Blut' hatte. Sie genoss eine sorgfältige Erziehung, ihre frühen literarischen Neigungen wurden jedoch kaum gefördert; schriftstellerische Ambitionen ziemten sich für Töchter aus ihren Kreisen nicht. Edith Wharton übersiedelte nach einer schwierigen Ehe 1906 nach Paris. Sie widmete sich nun ganz ihrer dichterischen Aufgabe, schrieb Romane, Erzählungen, Reiseberichte, kulturhistorische Essays.
Ihre Vielseitigkeit und ihr Erzähltalent wurden mehrfach geehrt: 1921 erhielt sie den Pulitzerpreis, 1923 verlieh ihr die Yale University als erster Frau die Ehrendoktorwürde; es folgten die Goldene Medaille des National Institute of Arts and Letters und die Aufnahme in die American Academy of Arts and Letters. Edith Wharton gehört zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen Amerikas.

1


Als Vance Weston neunzehn war, hatte er in Euphoria, Illinois, wo seine Eltern damals lebten, das College abgeschlossen, hatte eine Woche in Chicago verbracht, eine neue Religion ersonnen und ein paar Monate lang eine Collegezeitung namens «Ins Ziel!» herausgegeben, zu der er selbst mehrere Liebesgedichte und eine Reihe bilderstürmerischer Aufsätze beigesteuert hatte. Auch war er eine ganze Woche mit dem Anlass der Gedichte verlobt gewesen, einem um einige Jahre älteren Mädchen namens Floss Delaney, der doch recht übel beleumundeten Tochter eines erfolglosen Immobilienmaklers aus einem tristen Randbezirk der Stadt.

Nachdem der junge Weston sich in diese Höhen emporgeschwungen und diese Abgründe ausgelotet hatte, stand er nun vor der Frage, wie sich seine verschiedenen Begabungen und Erfahrungen am vorteilhaftesten einsetzen ließen.

Von allem, was ihm bisher widerfahren war, schien Vance Weston nichts so schwerwiegend wie seine Erfindung einer neuen Religion. Er war in eine Welt hineingeboren, in der alles reformiert worden war oder gerade reformiert wurde, und er hielt es für regelwidrig, dass sämtliche Religionen, von denen er je gehört hatte, schon existierten, seit er denken konnte, also seit mindestens sechzehn Jahren. Das war umso seltsamer, als Religion in dieser oder jener Form im Leben der meisten ihm bekannten Menschen eine beachtliche, wenn auch etwas unstete oder sporadische Rolle spielte und als er seit dem ersten Bewusstseinsdämmern mitbekam, wie jeder jeden beschwor, sich nur ja nicht in ausgefahrenen Gleisen zu bewegen, sondern mit der Zeit zu gehen, wie es sich für einen guten Amerikaner gehört.

Der Aufstieg seiner Familie hatte sich überwiegend so abgespielt wie der aller Familien, die er kannte. Seit Mrs Westons Heirat, seitdem seine Großmutter in Pruneville, Nebraska, als Lehrerin die ganze Familie ernährt hatte, bis jetzt, da sie und Großvater es sich in einem Vorort von Euphoria in einem Acht-Zimmer-Häuschen aus der Kolonialzeit gut gehen ließen und Kunden bis aus Chicago anreisten, um Mr Weston wegen Immobilien um Rat zu fragen, war es für die Familie immer steil bergauf gegangen. Lorin Weston, der nach Pruneville gezogen war, um dort vielleicht eine Stelle beim Lokalblättchen zu ergattern, hatte das Immobilienpotenzial dieser erbärmlichen Gemeinde sofort erkannt, seinen letzten Penny in ein Fleckchen Sumpfland in der Nähe des künftigen Bahnhofs gesteckt, es dann, als die Eisenbahn kam, mit großem Gewinn wieder abgestoßen und erneut sein gesamtes Geld in ein Grundstück investiert, in dessen Nähe die neue Highschool gebaut werden sollte, wie seine Schwiegermutter herausgefunden hatte. Danach war die Entwicklung von Pruneville ins Stocken geraten, und Mr Weston war mit seiner Frau und der jungen Familie nach Halleluja, Missouri, gezogen, wo er das Experiment mit wachsendem Erfolg wiederholte. In dieser Zeit tauchte eines Tages ein Immobilienmakler aus Advance auf, um sich ein wenig umzusehen; er erzählte Weston von Advance und weckte seine Neugier. Also ging die ganze Familie nach Advance und wurde dafür, dass sie Halleluja verließ, mit einem größeren und besseren Haus entschädigt. In Advance wurde den Westons der Sohn und Erbe geboren und nach seinem Geburtsort benannt, der sich für Mr Weston als so nützlich erwiesen hatte, dass er, sobald Vance neun oder zehn war, nach Euphoria umsiedeln konnte, dort fast das gesamte Viertel um die Pig Lane aufkaufte, es in den Vorort Mapledale verwandelte und sich selbst ein Haus mit Rasen, Garage, Schlafbalkon und Wintergarten baute, das für Architekturzeitschriften fotografiert wurde und Mrs Weston den Neid des Kirchennähkreises von der Alsop Avenue einbrachte. Selbst Großmama Scrimser, die nie großes Geschick im Umgang mit Geld gezeigt hatte und die der Pfarrer von der Alsop-Avenue-Kirche als «idealistisch» bezeichnete, stellte die Bedeutung materiellen Wohlstands oder den Wert von Mr Westons geschäftlicher «Klugheit» nicht infrage und hatte irgendwo im geräumigen Hinterstübchen ihres Gehirns ein Plätzchen gefunden, wo Jenseitsglaube und Gewitztheit in gutem Einvernehmen beieinander wohnten.

Angesichts dessen und der Tatsache, dass Wörter wie «altmodisch», «erledigt», «vorbei» und dergleichen in Hörweite des jungen Vance nur in ihrer negativen Bedeutung gebraucht wurden, fragte er sich, wieso die aufgeklärten Millionen, für die es ein Zeichen von Gewitztheit und Wohlstand war, wenn man Immobilien, Warenbestände, Autos und Ehefrauen bzw. -männer beinahe jährlich erneuerte, sich Jahr für Jahr mit derselben Religion zufriedengaben – oder vielmehr denselben Religionen, denn fast jeder ihm bekannte Mensch glaubte an etwas anderes.

In der Tat konnte Vance Weston Stabilität nicht von Stagnation unterscheiden, in der Religion ebenso wenig wie im Berufsleben. Jeder, von dem es hieß, er hätte sich nicht im rechten Augenblick in Bewegung gesetzt, in welche Richtung auch immer, war erledigt. Selbst die weltfremdesten Geistlichen ließen dies gelten und betonten, von allen bekannten Wegen zum Erfolg sei die Religion der großartigste. (Wer in ihre Sonntagabendschule für junge Männer ging und den «Lichtstrahl auf Zion» abonnierte, erfuhr Näheres.) Trotzdem hatte es zu Vance Westons Lebzeiten niemand fertiggebracht, eine neue Religion zu entwickeln; alle versuchten sie immer noch, eine neue Generation mit den alten Ködern zu fangen.

Sich Gedanken über Religion zu machen lag in der Familie – zumindest mütterlicherseits. Großmama Scrimser war dies stets wichtiger gewesen als alles andere. Mit fünfundsechzig sah sie noch immer großartig aus, fast wie eine deutsche Primadonna in der Rolle einer Walküre, hatte zerzauste schwarze Brauen, kurzes, gelblich-weißes Haar ( Jahre bevor sich die jungen Frauen einen Bubikopf schneiden ließen) und einen üppigen, ausladenden Körperbau, der Vance, nachdem er Einblick in die moderne Kunst erlangt hatte, vorkam wie das Bild eines Künstlers mit Genie, aber ohne zeichnerisches Talent.

Es hieß, als Mädchen sei Großmama wunderschön gewesen, und Vance glaubte das gern. Sie selbst machte kein Geheimnis daraus – warum auch, da sie es doch nur als lästige Nebensächlichkeit ansah, als peinliche Eigenheit und (so soll sie in vertraulichen Momenten gestanden haben) als Hindernis auf Großpapa Scrimsers Weg zur Vollkommenheit. Der Vollkommenheit galt Großmamas Leidenschaft – und die von Großpapa galt den Damen. Solange seine Frau jung war, hätte sie mit Hilfe ihrer Schönheit seine Gelüste im Zaum halten können, wenn sie sich nur dazu entschlossen hätte, davon Gebrauch zu machen. Doch der Gedanke, die Gabe der Schönheit zu gebrauchen, zu verstärken, geltend zu machen und einzusetzen, war für sie nicht so sehr unmoralisch wie einfach unvorstellbar. Sie meinte, mit ihrer griechischen Nase, den üppigen bernsteinfarbenen Locken und dem dunkel schimmernden Teint geschlagen zu sein wie andere Frauen mit dem Kreuz eines Muttermals oder einem Buckel. Sie verstand nicht, «was die Leute darin sahen» oder was sie sich von den Genüssen versprachen, zu denen dieses goldene Tor führte. Sie begegnete diesen Genüssen mit Verachtung und Unglauben. Sie wollte einzig die Welt verbessern, und Schönheit und Leidenschaft hinderten sie nur daran. Sie wollte alles reformieren  – was, war dabei eher nebensächlich: Kochen, Ehe, Religion (Religion ganz gewiss), Zahnmedizin, Salons, Korsetts – sogar Großpapa. Großpapa pflegte zu klagen, beim Kochen sei sie auf dem Weg zur Vollendung nicht gerade weit gekommen – nur weit genug, um ihm Verdauungsstörungen zu bescheren. Aber da sie auf seine ehelichen Zärtlichkeiten nicht übermäßig willig einging, war er dankbar, dass ihr Streben nach Vervollkommnung ihr zu wenig Zeit ließ, seinen privaten Machenschaften nachzuspüren. Und so galt die Ehe im Großen und Ganzen als glücklich, und die vier daraus hervorgegangenen Kinder wurden dazu angehalten, beide Eltern zu ehren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Großmama wurde natürlich verehrt, weil sie eine «Mutter in Israel»3 war, und Großvater, weil er einstens ein erfolgreiches Immobiliengeschäft getätigt hatte und am 4. Juli4 die besten Reden in ganz Drake County hielt. Außerdem gaben sie ein prächtiges Paar ab, und als landesweit die Old Home Weeks eingeführt wurden, waren Mr und Mrs Scrimser äußerst gefragt, wenn es darum ging, die gute alte Zeit in lebenden Bildern darzustellen: Mrs Scrimser beim Spinnen am heimischen Herd und Großpapa (ohne das neue Gebiss, um seine Ähnlichkeit mit George Washington hervorzuheben) gestützt auf einen Krückstock mit Silberknauf, das Nussknackerkinn auf einen makellosen steifen Kragen gebettet. Lieber spielte Großmama allerdings die Pioniersfrau in der Holzhütte, Großpapa (jetzt wieder mit dem neuen Gebiss) zielte dabei in Cowboymontur mit der Flinte durch eine Ritze im Fensterladen, und hinter den Kulissen stießen die Kinder Indianergeheul aus. «Ich hätte niemals lange genug stillsitzen können, um all den Flachs für die Bettwäsche zu spinnen, wie die Frau auf diesem Bild von Lady Washington5, aber ich hätte bestimmt eine richtig gute Pioniersfrau abgegeben», erklärte sie nicht ohne Stolz.

«Du hast den Haushalt immer so geführt, als wärst du eine», pflegte Großpapa zu brummen, während er den lauwarmen Kaffee und schrumpeligen Speck beiseiteschob, und Mrs Scrimser antwortete dann immer: «Tut mir leid, dass dir dein Frühstück heute nicht ganz zusagt, Vater, aber es wird dich wohl auf dem Weg zur ewigen Seligkeit nicht allzu weit zurückwerfen. Ich musste das Dienstmädchen gestern Abend zur Zeltmission gehen lassen, und von diesen Zusammenkünften kommen sie immer schlapp wie nasse Waschlappen heim, deshalb musste sie mir den...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2013
Nachwort Rüdiger Görner
Übersetzer Andrea Ott
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Original-Titel Hudson River Bracketed
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerika • Aufstieg • eBooks • Entwicklungsroman • Erfolg • ernüchterung • Erwachsenwerden • Klassiker • Liebe • Literatur • New York • NewYork • Roman • Romane • Ruhm • Schriftsteller • USA
ISBN-10 3-641-10661-3 / 3641106613
ISBN-13 978-3-641-10661-4 / 9783641106614
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