Bis zur bitteren Neige (eBook)

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2012 | 1. Auflage
576 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41913-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bis zur bitteren Neige -  Johannes Mario Simmel
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Peter Jordan, einst der gefeierte Kinderstar Hollywoods, inzwischen vergessen, dem Alkohol verfallen und in persönliche Schuld verstrickt, kämpft verzweifelt um sein Comeback, ohne in seinen Mitteln besonders wählerisch zu sein. Damit die Rückkehr auf die Leinwand auch ein menschliches Comeback wird, muss Jordan jedoch den 'schweren Weg' gehen und seine Schuld büßen.

Johannes Mario Simmel, 1924 in Wien geboren, gehörte mit seinen brillant erzählten zeit- und gesellschaftskritischen Romanen und Kinderbüchern zu den international erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Seine Bücher erscheinen in 40 Ländern, ihre Auflage nähert sich der 73-Millionen-Grenze. Der Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse wurde 1991 von den Vereinten Nationen mit dem Award of Excellence der Society of Writers ausgezeichnet. »Simmel hat wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor einen fabelhaften Blick für Themen, Probleme, Motive«, sagte Marcel Reich-Ranicki über den Schriftsteller. Johannes Mario Simmel verstarb am 1. Januar 2009 im Alter von 84 Jahren in der Schweiz.

Johannes Mario Simmel, 1924 in Wien geboren, gehörte mit seinen brillant erzählten zeit- und gesellschaftskritischen Romanen und Kinderbüchern zu den international erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Seine Bücher erscheinen in 40 Ländern, ihre Auflage nähert sich der 73-Millionen-Grenze. Der Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse wurde 1991 von den Vereinten Nationen mit dem Award of Excellence der Society of Writers ausgezeichnet. »Simmel hat wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor einen fabelhaften Blick für Themen, Probleme, Motive«, sagte Marcel Reich-Ranicki über den Schriftsteller. Johannes Mario Simmel verstarb am 1. Januar 2009 im Alter von 84 Jahren in der Schweiz.

3


Dreizehn Jahre lang war ich verheiratet. Zehn Jahre älter als ich war meine Frau, und also nicht mehr jung. Mit ihrer Tochter betrog ich sie: mit ihrer Tochter, die meiner Erziehung, Ausbildung, Aufsicht und Betreuung anvertraut war. Verlassen wollte ich meine Frau, für immer von ihr fortgehen dieses Mädchens wegen, ihrer Tochter, meiner Stieftochter.

Ein Mensch, der solches tut, der solches will, muß Abscheu und Erbitterung erregen bei seiner Umwelt. Wäre dies bloß ein Roman und nicht vor allem ein klinischer Bericht, hauptsächlich für zwei ganz bestimmte Menschen angelegt, er stellte ein gefährliches Unterfangen dar. Der Held eines Romans, heißt es, muß stets sympathisch sein. Die Leser müssen sich in ihn verlieben können. In eine Gestalt, der meinen gleich, könnte sich kein Leser (und erst recht keine Leserin, also selbst Gattin, Mutter, junges Mädchen) verlieben. Ich wäre sozusagen das Gegenstück des üblichen Romanmittelpunkts, der Anti-Held wäre ich wohl.

Es steht zu fürchten, daß auch die beiden Fachleute, für die dieses Geständnis angefertigt wird, sich in der Folge oft mit Grausen von den Seiten wenden werden, die sie lesen. Indessen bitte ich sie, ihren Widerwillen zu bezähmen und in der Lektüre fortzufahren. Ich verspreche ihnen, Zug für Zug die Hintergründe jenes Dramas zu enthüllen, die tiefen Wurzeln der Tragödie bloßzulegen, deren fluchbeladener Akteur ich war. Vielleicht daß sie dann mehr Verständnis für mich haben werden. Verständnis sage ich, beileibe nicht Mitleid. Geduld also. Bezähmte Abscheu, bitte.

Nachdem ich den Hörer in die Gabel gelegt hatte, überfiel mich eine Art von Trance, eine gespenstische Gelassenheit. Gleich einem Schlafwandler stand ich auf, suchte unter dem raschelnden Zeitungsberg Pantoffeln hervor, zog den Morgenrock an, öffnete die schweren Vorhänge.

Durch den halben Fensterflügel traf mich der eiskalte Sturm. Ich sah die grünlichgraue Binnenalster, die kahlen, schwarzen Bäume, Straßen, glänzend naß noch vom Regen der vergangenen Nacht, die alte Lombardsbrücke und die neue. Ich sah nur wenige Menschen. Vorgebeugt kämpften sie gegen den Orkan. Von der Höhe des sechsten Stocks, aus der ich herabsah, wirkten sie so spielzeughaft und lächerlich klein wie die wenigen Autos. Auf dem sturmgepeitschten Wasser schlingerten ein paar weiße Dampfer. Die meisten lagen an den Molen vertäut. Unter den nassen Bohlen der verlassenen Landebrücken saßen Dutzende von Möwen, dicht aneinandergedrängt.

Über den Himmel jagten schwarze Wolken, braune, grüne, schmutziggraue. An den Ufern der Alster brannten alle Kandelaber, die Milchglaskugeln bildeten lange Schnüre leuchtender Perlen.

Der Paragraph 32, Absatz IV des ›Penal-Code For The State Of California‹ lautet: »Mit Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer einen seiner Erziehung, Ausbildung, Aufsicht oder Betreuung anvertrauten Menschen unter 21 Jahren zur Unzucht mißbraucht …«

Den Absatz IV des Paragraphen 327 kannte ich auswendig. Niemand soll glauben, daß ich anders als in fortwährendem Schrecken gelebt hätte seit jener Nacht, da es geschehen war, niemand soll leichthin mutmaßen, daß mir die Schwere des Verbrechens nicht bewußt war, welches ich begangen hatte – damals und danach immer wieder, immer wieder. Jedoch, was stellten Ethik und Moral und Schuld dar gegen die ärgste aller Pestilenzen, die fürchterlichste aller Seuchen und mörderischste der Plagen, welcher wir, vermessen wie wir waren, den Namen Liebe gaben?

Der Paragraph 327, Absatz IV des ›Penal Code For The State Of California‹ lautet …

Nicht nur aus Furcht allein kannte ich seinen Wortlaut. Es hatte eine Zeit gegeben, da wollte ich mich anzeigen und büßen, da wollte ich allem selbst ein Ende setzen. Die Zeit war nun vorüber. Ich war entschlossen, meine Liebe zu verteidigen, die einzige Liebe meines Lebens, die doch niemand entschuldigen, niemand verstehen konnte. Um ihretwillen, um sie zu behalten und zu bewahren, hatte ich mich auf das Abenteuer eingelassen, das es für mich nun hier, in Hamburg, zu bestehen galt.

I love you, Shirley, I love you with all my heart.

Ich schloß das Fenster, dessen Scheibe klirrte, dann ging ich (immer stärker ergriff ein Gefühl des Schwindels von mir Besitz) hinüber in den Salon des Appartements. Auch hier zog ich die Vorhänge zurück. Vor den tiefen Fenstern gab es einen Balkon. Im Windschatten seiner steinernen Balustrade erblickte ich eine tote Möwe. Zum Flug aufsteigend, mußte sie vom Sturm gegen die Hotelmauer geschleudert worden und dann auf den Balkon gefallen sein. Gebrochene Federn lagen wirr herum, der Brustkorb war geplatzt, blutiges Gekröse quoll heraus, und nur der Kopf hatte das Ende ohne Verletzung überstanden. Die scharfen, listigen Augen des Tieres standen offen und musterten mich heimtückisch, als ob auch sie den Paragraphen kennen würden.

Was war ein Paragraph? Wer machte ein Gesetz? Menschen, um Menschen vor Menschen zu schützen. Allein, was waren das für Menschen, die Gesetzemacher? Konnten sie sich hineindenken in alle Situationen, in die Menschen kamen? Auch in die schlimmsten, in die äußersten? Konnten sie trinken, die Gesetzemacher, aus jenem Kelch, aus welchem ich getrunken hatte?

Die toten Möwenaugen blickten mich an, als sagten sie: Lästerer, Lügner, Lump. Ich sah schnell fort.

Vorbei am Schreibtisch ging ich zum Kamin, auf welchem eine Fotografie Shirleys stand. Der Schreibtisch war vollgeräumt. Ich erblickte Münzen, Geldscheine, Rechnungen, die großen Bogen einer Filmkalkulation und auch ein Drehbuch, so beschriftet:

Peter Jordan in

Come Back

ein Film der Jorkos Productions

Mattglänzende Seidentapeten in breiten kardinalroten und goldenen Streifen hatte der Salon. Die zierlichen Barockmöbel waren mit jenem goldgetönten Damast überzogen, aus dem die Vorhänge bestanden. Den Fußboden verdeckte kardinalroter Velours, auf welchem eine einzige Chinabrücke lag. An den Wänden gab es Appliken aus Kristall und alte Stiche. Auf meinem Weg zu dem schon lange, lange erkalteten Kamin ging ich an einigen vorbei. Die Belagerung der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Dänen im Jahre 1686 sah ich, Gotthold Ephraim Lessing vor dem neugegründeten Deutschen Nationaltheater, Napoleons Marschall Davout bei der Verteidigung der Nordlandfestung in den Freiheitskriegen. Nun war ich beim Kamin, nun stand ich dicht vor Shirleys Bild.

Es war eine Farbfotografie in einem Silberrahmen, sie zeigte nur den Kopf. Shirleys Haut war makellos, so glatt, so jung! Sie zeigte einen tiefen Goldton. Das leuchtend rotbraune Haar trug sie glatt; in einem breiten, offenen Pferdeschweif fiel es über ihre rechte Schulter. Die Nase war schmal, der Mund groß und zyklamenfarben geschminkt. Die grünen Augen lagen in violetten Höhlen unter dichten schwarzen Brauen. So kindlich ihre Stimme klang, so fraulich wirkte sie mit ihren neunzehn Jahren.

Neunzehn Jahre!

Ich war siebenunddreißig, doppelt so alt beinahe. Was ich getan, was ich zu tun noch vorhatte, war nicht allein Verbrechen in den Augen der Gesetzemacher, auch Wahnsinn mußte es wohl sein. Voller Bewunderung, gemischt mit Neid, sprachen die Freundinnen meiner Frau von Shirley.

»Eine so große Tochter hast du – und noch so unschuldig, so unberührt.«

»Ich habe sie beobachtet. Sie flirtet nie. Sie interessiert sich überhaupt nicht für die Männer.«

»Wie glücklich du doch sein kannst, Joan. Meine Ramona ist erst fünfzehn. Ich wage nicht zu sagen, was sie anstellt.«

»Mary ist mir mit siebzehn durchgebrannt, du weißt es ja. Verdorben ist die Jugend heute, frühreif, schlecht. Shirley erscheint mir wie ein Wunder. Das Große Los hast du mit ihr gezogen, Joan!«

Und meine Frau erwiderte dann wohl: »Wenn sie sich doch nur ein wenig besser mit meinem Mann verstehen würde. Sie liebt noch immer ihren Vater. Sie kann mir nicht verzeihen, daß ich wieder geheiratet habe …«

Vor Shirleys Bild stand ich nun reglos. Und lautlos sagte ich zu ihr: Dieses Kind darfst du nicht haben. Es ist das letzte Opfer, das ich noch verlangen muß von dir. Bald bin ich frei. Bald können alle wissen, daß wir einander lieben. Dann werden wir ein Kind haben, ein Kind der Liebe, ich verspreche es dir. Und in Frieden werden wir leben, du und ich.

»Nein«, hörte ich sie plötzlich sagen. Die hohe Stimme kam zu mir durch das Rasen des Sturms wie ein todtrauriges Seufzen von den Enden der Welt. In meiner benommenen Erregung, die nun wuchs und wuchs, hörte ich die Worte, die sie an jenem glutheißen Sommertag in meinem Bungalow gesprochen hatte, nackt, ausgelaugt von Leidenschaft und Schuld, in meinen nackten Armen: »Wir werden nie in Frieden leben, weil wir nichts tun, um diese Sünde zu beenden. Gott verzeiht das nicht.«

»Gott! Gott! Mußt du denn immer von ihm reden?«

»Du glaubst nicht an ihn, du hast es leicht.«

Das stimmte. Es mußte ziemlich schlimm sein an ihn zu glauben, nach allem, was ich mitbekam. Arme Shirley. Erbitterung erfaßte mich. »Wenn sich zwei Menschen lieben, vergibt er ihnen alles, das hast du gesagt!«

»Nicht, wenn sie nicht bereuen …«

»Shirley!«

»Gott wird uns nicht vergeben, denn er liebt uns nicht, er kann uns nicht mehr lieben …«

Wie war das also nun mit Shirleys Gott? Ich hörte ihre Stimme: »Paddy, ich bekomme ein Kind …«

Und dieses Kind durfte nicht leben.

Verweht hörte ich Shirley jene Worte sprechen, die ich in unserem Telefongespräch verboten hatte: »Das ist Mord. Wenn ich das tue, bin ich ein Mörder.«

Ein Mörder, der an Gott...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2012
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alkohol • anspruchsvolle Romane • Betrug • Comeback • Kinderstar • Liebe • Schauspieler • Schuld • Sucht
ISBN-10 3-426-41913-0 / 3426419130
ISBN-13 978-3-426-41913-7 / 9783426419137
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