Teufeliaden (eBook)

Erzählungen
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
304 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-09937-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Teufeliaden -  Michail Bulgakow
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'Teufeliaden', der berühmte Zyklus des großen russischen Satirikers Michail Bulgakow: ein wahres Feuerwerk an literarischen Einfällen, meisterhafte, bissig-witzige Parabeln auf die grotesken Zustände im Russland der zwanziger Jahre. (Enthält u.a. 'Hundeherz' und 'Die verhängnisvollen Eier')

Phantastisch, sarkastisch, böse: Neben 'Meister und Margarita' haben Bulgakows Erzählungen ihren festen Platz in der Weltliteratur.

Der Straßenköter Bello, der sich nach einem genialen, aber widernatürlichen chirurgischen Eingriff in den intriganten, bösartigen und gemeingefährlichen Lumpenproletarier Genosse Bellow verwandelt, macht seinem Schöpfer das Leben schwer. Ein übereifriger Weltverbesserer züchtet mit Hilfe eines roten Strahls aus Versehen riesenhafte Schlangen und Krokodile, die einen gewaltigen Vernichtungsfeldzug starten und - ähnlich wie Napoleons Heer - erst kurz vor Moskau durch einen plötzlichen Kälteeinbruch zu besiegen sind. Oder Tschitschikow, der Gauner aus Gogols 'Toten Seelen', der im Moskau der 'Neuen Ökonomischen Politik' noch dreister sein Unwesen treiben kann als zu zaristischen Zeiten: Bulgakows Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Alltag gerät zu witzigen, bitterbösen Parabeln. Neben 'Der Meister und Margarita' haben diese genialen, hintergründigen und unterhaltsamen Satiren ihren festen Platz in der Weltliteratur.

Michail Bulgakow wurde am 15. Mai 1891 in Kiew geboren und starb am 10. März 1940 in Moskau. Nach einem Medizinstudium arbeitete er zunächst als Landarzt und zog dann nach Moskau, um sich ganz der Literatur zu widmen. Er gilt als einer der größten russischen Satiriker und hatte zeitlebens unter der stalinistischen Zensur zu leiden. Seine zahlreichen Dramen durften nicht aufgeführt werden, seine bedeutendsten Prosawerke konnten erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Seine Werke liegen im Luchterhand Literaturverlag in der Übersetzung von Thomas und Renate Reschke vor.

Die Arbeiterkommune im Elpit-Haus


Das war so. Allabendlich erstrahlte das fünfgeschossige mausgraue Riesenhaus mit seinen einhundertsiebzig Fenstern, die auf den asphaltierten Hof mit dem steinernen Mädchen am Springbrunnen sahen. Die grüngesichtige, stumme nackte Schöne mit dem Krug auf der Schulter blickte den ganzen Sommer über schmachtend in den runden Wasserspiegel. Im Winter legte sich ein Schneekranz auf ihre toupierten steinernen Haare. Auf dem riesigen glatten Halbrund vor den Hauseingängen tuckerten und ratterten allabendlich Autos, und an den Deichselenden der Kutschen glänzten herrschaftliche Lämpchen. Ach, es war bekannt und piekfein, das Elpit-Haus …

Einmal zum Beispiel hielt um zehn Uhr abends ein hundertpferdiger Wagen mit einem fröhlichen Mehrklanghupen vor dem ersten Aufgang. Wie Schatten entsprangen zwei Spitzel der Erde und flitzten in den Schatten, und ein weiterer schlüpfte durch die schwarze Haustür, die glatten Stufen hinunter in die Souterrainwohnung des Hausmeisters. Der Schlag des lackierten Gefährts öffnete sich, und ein teurer Gast, in einen Pelz vermummt, stieg aus.

Bis drei blieb er in der Wohnung Nr. 3 des Kavalleriegenerals de Barrein zu Gast.

Bis drei wachte, an den Fuß der grauen Karyatide gedrückt, von seinem Hundeleben zermürbt, der eine Spion. Der zweite stand bis drei auf dem halbdunklen Treppenabsatz, rauchte und horchte auf die von Teppichen gedämpfte Musik – bald eine ungarische Rhapsodie, capriccioso, bald stürmisches Zigeunergetön:

Heute zechen! Morgen zechen!
Hei – die ganze Woche zechen!
Und dann noch einmal!

Bis drei saß der dritte auf Kattunlumpen in der Behausung des Chefhausmeisters. Scharfe weiße Lichtkegel beleuchteten bis drei das Halbrund. Und von Etage zu Etage huschte durch unsichtbare Telephondrähte wispernd das stolze Gerücht: Rasputin ist hier. Rasputin. Der bräunliche Eigner eines Safes und Händler mit lebender Ware Boris Samoilowitsch Christi, genialster aller Moskauer Hausverwalter, schien nach der Nacht bei de Barrein noch rätselhafter, noch hochmütiger.

Funken stählernen Stolzes blinkten in seinen schwarzen Augen, und die Wohnungsmieten wurden gnadenlos erhöht.

Aber bei der Wohnung Nr. 2 spürte Christi, was sag ich, Christi … Sogar Elpit persönlich zog, ob es stürmte oder schneite, die Persianermütze, wenn er der dem spiegelnden Gefährt entstiegenen Dame im Chinchilla begegnete. Und lächelte. Die Rechnungen der Dame beglich ein Herr, der so hoch stand, daß er nicht mal einen Namen hatte. Er unterschrieb mit einem pfiffigen Schnörkel … Aber wozu reden. Das war ein Haus … Große Leute, großes Leben.

An Winterabenden, wenn der Dämon, als Schneesturm getarnt, unter den blechernen Dachrinnen heulte und kobolzte, schoben flinke Hausmeister auf dem Hof mit Schiebern Schneehaufen vor sich her und legten den blanken Asphalt frei. Vier Fahrstühle glitten geräuschlos auf und nieder. Morgens und abends füllten sich wie durch Zauberei die grauen Rohrsysteme in allen fünfundsiebzig Wohnungen mit Wärme. In den Konsolen auf den Treppenabsätzen brannten Lampen … Im Innern der Wohnungen gab es weiße Badezimmer, in den pompösen halbdunklen Dielen mattes Blinken von Telephonapparaten … Teppiche … In den Arbeitszimmern lautlose Feierlichkeit. Schwere Ledersessel. Bis hinauf zu den obersten Treppenabsätzen wohnten große schwere Leute. Ein Bankdirektor, ein gescheiter Kerl, ein Staatsmensch mit dem Gesicht des Saint-Bris aus den »Hugenotten«, nur ein wenig verdorben durch die irgendwie sonderbaren kranken oder verbrecherischen Augen, ein Fabrikant (griechische Nächte mit Blitzlichtaufnahmen), goldfunkelnde feiste Frauen, ein Baßsolist von Weltrang, noch ein General, noch … Und Kleinzeug: Rechtsanwälte in kurzem Einreiher, Fachärzte für Aborte …

Es war eine große Zeit …

Nichts davon ist geblieben. Sic transit gloria mundi!

Es ist schlimm zu leben, wenn Reiche einstürzen. Selbst die Erinnerung begann zu verlöschen. Hat es das überhaupt gegeben, Herrschaften? Kavalleriegeneral! Welch ein Wort!

Ja … Aber die Sachen waren geblieben. Niemand hatte etwas heraustragen dürfen.

Elpit selbst war gegangen mit dem, was er auf dem Leib hatte. Damals wurde am Tor neben der Laterne (eine leuchtende »13«) ein weißes Schild angepappt mit der seltsamen Aufschrift »Arbeiterkommune«. In sämtlichen fünfundsiebzig Wohnungen hauste ein hier nie gesehenes Volk. Die Klaviere waren verstummt, aber die Grammophone lebten und dudelten oft mit bedrohlichen Stimmen. Quer durch die Salons zogen sich Leinen mit nasser Wäsche. Primuskocher zischten wie Schlangen, Tag und Nacht zog widerlicher Brodem über die Treppen. Von sämtlichen Konsolen waren die Glühbirnen verschwunden, und allabendlich trat Finsternis ein. In der Finsternis stolperten Schatten mit Bündeln, und wehmütige Rufe ertönten:

»Manja, Maaanja! Wo bist du! Verdammt noch mal!«

In der Wohnung Nr. 50 war in zwei Zimmern das Parkett ruiniert. Die Fahrstühle … Na ja, was soll man da erzählen …

Aber ein Wunder gab es: Die Elpit-Arbeiterkommune wurde geheizt.

Dies kam, weil in der Souterrainwohnung mit ihren zwei Zimmern einer geblieben war – Christi.

Die drei Personen, denen der Löwenanteil an den Elpitschen Teppichen zugefallen war und die an der Tür de Barreins in der Beletage einen Fetzen »Hausleitung« angehängt hatten, sie wußten, daß das Haus der Arbeiterkommune ohne Christi keinen Monat stehen, sondern zerfallen würde. Darum durfte der Geschäftsmann mit der mattbräunlichen Haut und der Lackschirmmütze auf dem Kopf hinter den grünen Vorhängen im Souterrain bleiben. Es war eine ungeheuerliche Verbindung: einerseits die laute, schwielenreiche Hausleitung, andererseits der »Aufseher«! So nannte sich Christi. Aber es war die dauerhafteste Verbindung der Welt. Christi war der Mann, der nicht minder als die Hausleitung wünschte, die Arbeiterkommune möge als unversehrtes mausgraues Riesenhaus stehenbleiben, nicht aber zu Staub zerfallen.

Daher geschah Christi nicht nur kein Leids, man zahlte ihm sogar Gehalt. Ein nichtiges freilich. Vielleicht ein Zehntel dessen, was Elpit ihm zahlte, der, ohne Lebenszeichen von sich zu geben, in zwei Zimmerchen am anderen Ende von Moskau hockte. »Was scheren mich Klosettbecken, was scheren mich Stromleitungen«, sagte Elpit heftig, mit geballten Fäusten. »Wenn nur geheizt wird. Erhalten – darauf kommt es an. Boris Samoilowitsch, behüten Sie mir das Haus, bis all das vorbei ist, und ich werde es Ihnen zu danken wissen! Was? Glauben Sie mir!«

Christi glaubte ihm, nickte mit dem ergrauenden Bürstenkopf und ging finster und sorgenvoll. Als er bei dem Haus vorfuhr, sah er im Tor die Leitung des Hauses und schloß, vor Haß erbleichend, die Augen. Aber nur für einen Moment. Dann lächelte er. Er verstand sich zu gedulden.

Hauptsache, es wurde geheizt. Bezugscheine wurden beschafft, Heizöl antransportiert. Die Röhren wurden warm. Zwölf Grad, zwölf Grad! Wenn da, wo das Heizöl herkam, etwas stockte, warf Elpit mit Geld um sich. Seine Augen glühten.

»Gut, ich bezahle. Geben Sie allen beiden und dem Sekretär auch. Was? Nicht heizen? Auf keinen Fall! Keine einzige Minute.«

 

Christi war genial. Im mittleren Aufgang, vierter Stock, belegte er eine Wohnung, in der früher ein Studio gewesen war, mit Tabu.

»Da könnten wir Jegor Niluschkin reinsetzen …«

»Aber nein, Genossen, seien Sie vernünftig. Ohne Lagerraum komme ich nicht zurecht. Es ist ja für das Haus, für euch.«

Es war eigentlich lauter Plunder. Irgendwelche blöden Dekorationen, Armaturen. Aber … Aber da waren auch dreißig Kannen mit Elpitschem Benzin und noch dies und jenes Eingewickelte, was Christi für bessere Tage aufhob.

Und so lebte denn die graue Arbeiterkommune Nr. 13 unter einem immer wachen Auge. Freilich, im linken Flügel ging dauernd das Licht aus. Der Elektriker, der im Januar 1918 zu trinken begonnen hatte, der wie ein Filzlatschen abgewetzte, vertierte Elektriker schrie die Weiber an:

»Krepieren sollt ihr! Schmeißt nur immer weiter die Türen zu hier beim Schaltkasten! Bin ich ein Zuchthäusler für euch? Bezahlt mir die Überstunden.«

Und die Weiber heulten ingrimmig und wehmütig in der Finsternis:

»Manja! Maaanja! Wo bist du?«

Wieder gingen sie zum Elektriker:

»Du Mistkerl! Saufloch! Wir werden uns bei Christi beschweren.« Und allein von dem Namen Christi ging wie durch Zauberei das Licht an.

Jawohl, Christi war ein Mensch.

Er setzte der Hausleitung so lange zu, bis sie ihm eines ihrer Mitglieder, Jegor Niluschkin, mit dem Titel »sanitärer Beobachter« beigab. Jegor Niluschkin ging zweimal in der Woche durch sämtliche fünfundsiebzig Wohnungen. Er hämmerte mit den Fäusten an verschlossene Türen, trat ungeniert in unverschlossene Zimmer, ob da nackte Weiber waren oder nicht, kroch unter den nassen Unterhosen herum und schrie heiser und drohend:

»Wer hier Dreck macht, fliegt sofort raus!«

Und von Ertappten kassierte er Tribut.

So ging das Leben hin, doch im Februar beim schlimmsten Frost stockte wieder einmal die Heizölzufuhr.

Auch Elpit konnte nichts ausrichten. Sie nahmen sein Schmiergeld, sagten aber:

»Wir liefern nächste Woche.«

Christi rapportierte bei Elpit und sprach stöhnend:

»Ach, bin ich müde! Wenn Sie wüßten, wie müde ich bin, Adolf Jossifowitsch! Wann ist all das vorbei?«

Tatsächlich, der stählerne Christi hatte wehmütige, verhärmte Augen.

Elpit antwortete eindringlich:

»Boris Samoilowitsch, vertrauen Sie mir? Nun,...

Erscheint lt. Verlag 31.10.2012
Übersetzer Thomas Reschke
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1920er • 20erjahre • eBooks • Erzählungen • Groteske • Hundeherz • Klassiker • Parabeln • Russland • Sarkasmus • Satiren • Zyklus
ISBN-10 3-641-09937-4 / 3641099374
ISBN-13 978-3-641-09937-4 / 9783641099374
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