Die weiße Garde (eBook)

Roman
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2012 | 1. Auflage
400 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-09936-7 (ISBN)

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Die weiße Garde -  Michail Bulgakow
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Krieg und Frieden in Kiew: Michail Bulgakows erster, autobiografisch gefärbter Roman.

Dezember 1918: In Russland herrscht Bürgerkrieg. Die Truppen des kaiserlichen Deutschland haben weite Teile der Ukraine besetzt. Kiew wird zum Sammelbecken für die 'Weißen': Bankiers, Adlige, Halbweltdamen auf der Flucht vor der 'roten Gefahr'.



Michail Bulgakow wurde am 15. Mai 1891 in Kiew geboren und starb am 10. März 1940 in Moskau. Nach einem Medizinstudium arbeitete er zunächst als Landarzt und zog dann nach Moskau, um sich ganz der Literatur zu widmen. Er gilt als einer der größten russischen Satiriker und hatte zeitlebens unter der stalinistischen Zensur zu leiden. Seine zahlreichen Dramen durften nicht aufgeführt werden, seine bedeutendsten Prosawerke konnten erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Seine Werke liegen im Luchterhand Literaturverlag in der Übersetzung von Thomas und Renate Reschke vor.

2


Es war also ein weißzottiger Dezember. Rasch näherte er sich seiner Mitte. Schon war der Abglanz von Weihnachten auf den verschneiten Straßen zu spüren. Das achtzehnte Jahr würde bald zu Ende sein.

Oberhalb des zweigeschossigen Hauses Nummer dreizehn, das eine ganz seltsame Bauart hatte (die Turbinsche Wohnung lag zur Straße im ersten Stock und zu dem kleinen, zum Haus her abfallenden gemütlichen Hof im Erdgeschoß), in dem Garten, der an einem steilen Berg klebte, hingen die Zweige, vom Schnee gebeugt. Der Berg war verschneit, und die Schuppen im Hof hatten sich in einen riesengroßen Zuckerhut verwandelt. Das Haus hatte eine Generalsmütze aufgesetzt, in der unteren Etage (zur Straße hin Erdgeschoß, zum Hof aber, unter Turbins Veranda, Kellergeschoß) glomm das gelbliche Licht beim Ingenieur, Feigling, Bourgeois und Scheusal Wassili Iwanowitsch Lissowitsch auf, und in der oberen Etage leuchteten hell und lustig die Fenster der Turbins.

In der Dämmerung gingen Alexej und Nikolka in den Schuppen nach Holz.

»Oh, verdammt wenig Holz. Sieh mal, sie haben wieder gestohlen.«

Aus Nikolkas Taschenlampe sprang ein bläulicher Lichtkonus, in dem man sah, daß die Bretterwand von außen abgerissen und flüchtig wieder angenagelt worden war.

»Weiß Gott, ich würde die Halunken gerne abschießen. Setzen wir uns doch heute nacht hier auf Wache! Ich weiß, das sind die Schuhmacher aus Nummer elf. Diese Schurken! Dabei haben sie mehr Holz als wir.«

»Laß sie. Komm, faß an.«

Das rostige Schloß quietschte, Schnee fiel vom Dach auf die Brüder, sie trugen das Holz in die Wohnung. Um neun konnte man die Kacheln schon nicht mehr anfassen.

Der herrliche Ofen hatte auf seinen blendendweißen Kacheln folgende historische Inschriften und Zeichnungen, draufgetuscht zu verschiedenen Zeiten des Jahres achtzehn von Nikolka und erfüllt von tiefem Sinn und Bedeutung:

 

Wenn man dir sagt, die Verbündeten würden uns zu Hilfe eilen, glaube es nicht. Die Verbündeten sind Schurken.

Er sympathisiert mit den Bolschewiken.

 

Eine Zeichnung: Die Fratze von Momus.

Unterschrift:

»Der Ulan Leonid Jurjewitsch.«

 

Schreckliches Gerücht im Lande:
Zieht heran die rote Bande!

 

Eine farbige Zeichnung: Ein schnauzbärtiger Kopf mit einer Papacha, von deren Spitze ein langer blauer Schwanz hängt.

Unterschrift:

»Nieder mit Petljura!«

 

Jelena und die alten zärtlichen Jugendfreunde der Turbins, Myschlajewski, Karausche und Scherwinski, hatten mit Farben, Tusche, Tinte und Kirschsaft geschrieben:

Jelena liebt uns alle sehr,
den einen noch, den andern nicht mehr.

 

Jelena, ich habe Karten für »Aida«
1. Rang, Loge 8, rechts.

 

Am 12. Mai 1918 habe ich mich verliebt.

 

Sie sind dick und häßlich.

 

Jetzt bleibt mir nur eines – Selbstmord.

(Darunter war, gut getroffen, ein Browning gezeichnet.)

Es lebe Rußland!
Es lebe die Monarchie!

 

Juni. Barkarole.

Und nicht umsonst gedenkt ganz Rußland
des Heldentags von Borodino.

Mit Druckbuchstaben hatte Nikolka darunter geschrieben:

 

Ich befehle nachdrücklich, kein unnützes Zeug auf den Ofen zu kliern. Bei Zuwiderhandlung droht jedem Genossen Erschießung nebst Entzug der bürgerlichen Rechte. Der Kommissar des Stadtbezirks Podol. Damen-, Herren- und Frauenschneider Abram Prushiner

30. Januar 1918

 

Die bemalten Kacheln verstrahlten Hitze, die schwarze Uhr ging wie vor dreißig Jahren: ticktack. Der ältere Turbin  – blond, glattrasiert, seitdem 25. Oktober 1917 finster und gealtert – lag in einem Uniformrock mit riesigen Taschen, in blauer Reithose und neuen weichen Schuhen im Sessel – seine Lieblingsstellung. Zu seinen Füßen saß auf einer Fußbank Nikolka mit seinem Haarwirbel, die Beine fast bis zum Büfett ausgestreckt – das Eßzimmer war klein. An den Füßen hatte er Schnallenstiefel. Seine Freundin, die Gitarre, sang zärtlich und dumpf: »Trrrum.« So unbestimmt – »trrrum«, denn, sehen Sie, vorläufig wußte man nichts Bestimmtes. Unruhig, nebelhaft, schlimm war es in der STADT.

Auf den Schultern hatte Nikolka Unteroffiziersklappen mit weißer Litze und auf dem linken Ärmel einen dreifarbigen Winkel. (Erstes Infanteriebataillon, dritte Kompanie. Es wird in Anbetracht der herannahenden Ereignisse schon den vierten Tag neu aufgestellt.)

Aber ungeachtet aller Ereignisse ist es im Eßzimmer eigentlich sehr schön. Warm, gemütlich, die cremefarbenen Vorhänge zugezogen. Die Ofenhitze macht die Brüder träge.

Der Ältere legt das Buch zur Seite und reckt sich.

»Spiel doch mal die ›Aufnahme‹.«

Trum-ta-tam-ta … Trum-ta-tam-ta …

»Schicke Stiefel,
flotte Mützen,
Junkeringenieure marschieren!«

Der Ältere fällt ein. Seine Augen sind finster, aber in ihnen flammt ein Fünkchen auf, das Blut pulsiert schneller. Doch leiser, meine Herren, leiser, leiser.

»Seid gegrüßt, ihr Sommerfrischler,
seid gegrüßt, ihr schönen Fraun …«

Die Gitarre spielt einen Marsch, im Takt der Saiten marschiert die Ingenieurkompanie – eins, zwei! Vor Nikolkas Augen tauchen Erinnerungen auf:

Die Infanterieschule. Die abgebröckelten Alexandersäulen, die Geschütze … Junker kriechen auf dem Bauch von Fenster zu Fenster und erwidern das Feuer. In den Fenstern stehen Maschinengewehre.

Eine Wolke von Soldaten belagert die Schule, eine wahre Wolke. Was tun? General Bogorodizki, eingeschüchtert, ergibt sich, ergibt sich zusammen mit den Junkern. Diese Schande …

»Seid gegrüßt, ihr Sommerfrischler,
seid gegrüßt, ihr schönen Fraun,
längst begann die Geländevermessung.«

Auf Nikolkas Augen legt sich ein Schleier.

Hitzewellen über den rotgoldenen ukrainischen Feldern. In einer Staubwolke marschieren die staubgepuderten Junkerkompanien. Das alles war einmal, war wirklich, und nun ist es aus. Eine Schande. Ein Blödsinn.

Jelena zog die Portiere auseinander, und in der dunklen Öffnung zeigte sich ihr rötlichblonder Kopf. Den Brüdern schickte sie einen sanften Blick, der Uhr aber einen beunruhigten, sehr beunruhigten. Das war verständlich. In der Tat, wo blieb Talberg? Die Schwester war aufgeregt.

Um ihre Aufregung nicht zu zeigen, wollte sie mitsingen, hielt aber plötzlich inne und hob den Finger.

»Wartet mal. Hört ihr?«

Die Kompanie blieb plötzlich auf allen sieben Saiten stehen: Haalt! Alle drei horchten – ja, Kanonendonner. Schwer, fern und dumpf. Da, noch einmal: Bum … Nikolka legte die Gitarre beiseite und stand rasch auf, ächzend erhob sich auch Alexej.

Im Wohnzimmer war es stockdunkel. Nikolka stieß gegen einen Stuhl. Vor den Fenstern die Oper »Die Nacht vor Weihnachten« – Schnee und Lichter. Flimmernd und blinkend. Nikolka drückte sich ans Fenster. Aus seinen Augen schwanden die Hitze und die Schule, die Augen forschten höchst gespannt: Wo? Er zuckte die Unteroffiziersschultern.

»Weiß der Teufel. Scheint, als ob bei Swjatoschino geschossen wird. Merkwürdig, so nah kann’s doch nicht sein.«

Alexej stand im Finstern, Jelena näher zum Fenster, und es war zu sehen, daß ihre Augen vor Angst dunkel waren. Warum ist Talberg noch nicht da? Der Ältere spürte ihre Erregung und sagte daher kein Wort, obwohl er gerne etwas gesagt hätte. In Swjatoschino also. Kein Zweifel. Geschossen wird zwölf Kilometer vor der STADT, nicht weiter. Was bedeutet das?

Mit einer Hand faßte Nikolka den Fensterriegel, mit der anderen drückte er die Nase gegen die Scheibe, als wolle er sie zerdrücken und hinauskriechen.

»Ich möcht gerne hin, erfahren, was los ist.«

»Ja, du hast dort gerade noch gefehlt.«

Jelenas Stimme klang beunruhigt. So ein Unglück. Ihr Mann sollte spätestens – hören Sie: spätestens heute nachmittag um drei zurückkehren, und jetzt war es schon zehn.

Schweigend kehrten sie ins Eßzimmer zurück. Die Gitarre schwieg finster. Nikolka brachte aus der Küche den Samowar, der drohend zischte und spuckte. Auf dem Tisch standen Tassen, außen mit zarten Blumen verziert und innen vergoldet, besondere Tassen, kunstvollen Säulen gleich. Als die Mutter Anna Wladimirowna noch lebte, war dies das Sonntagsservice der Familie gewesen, jetzt benutzten die Kinder es jeden Tag. Das Tischtuch war trotz der Kanonen, der zermürbenden Unruhe und allen Unsinns schneeweiß gestärkt. Dafür sorgte Jelena, die nicht anders konnte, dafür sorgte die im Hause Turbin aufgewachsene Anjuta. Der Fußboden glänzte, und jetzt, im Dezember, standen auf dem Tisch in einer hohen Milchglasvase hellblaue Hortensien und zwei traurige, glühende Rosen, die die Schönheit und Festigkeit des Lebens bestätigten, obwohl auf den Zugangswegen zur STADT ein heimtückischer Feind lauerte, der wohl imstande war, die herrlich verschneite STADT zu zerschlagen und die Reste der Ruhe mit den Stiefeln zu zertreten. Blumen. Diese Blumen waren ein Geschenk von Jelenas treuem Verehrer, dem...

Erscheint lt. Verlag 31.10.2012
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1918 • 20.Jahrhundert • Abenteuerroman • Autobiografie • Besatzung • Bulgakow • Bürgerkrieg • eBooks • Erster Weltkrieg • ErsterWeltkrieg • Geschichte • Gesellschaft • Intellektuelle • Kiew • Klassiker • kleine geschenke für frauen • Roman • Romane • Russland • Sowjetunion • Ukraine • Weltkrieg
ISBN-10 3-641-09936-6 / 3641099366
ISBN-13 978-3-641-09936-7 / 9783641099367
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