Pulphead (eBook)

Vom Ende Amerikas
eBook Download: EPUB
2012 | 2. Auflage
416 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-78890-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pulphead -  John Jeremiah Sullivan
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Kann man ganz Amerika in ein Buch packen? Geschichte und Gegenwart? Popkultur und Frömmigkeit? Glänzende Oberfläche und enttäuschte Versprechen? Mit »Pulphead« hat John Jeremiah Sullivan bewiesen, dass das möglich ist. In der Tradition von Meistern wie Tom Wolfe und Hunter S. Thompson verwischt er die Grenze zwischen Literatur und Journalismus, Erzählung und Reportage, Hochliteratur und Unterhaltung, Hemingway und Hollywood. Wie in einem Panoptikum entsteht aus Artikeln über Axl Rose, christliche Rockfestivals, Reality TV, die Tea-Party-Bewegung, vergessene Naturforscher und den heruntergekommenen Süden das Panorama eines Landes, das der Rest der Welt immer weniger versteht. Pulphead löste in den USA wahre Jubelstürme aus, und die Begeisterung hat längst auch die alte Welt respektive die Bundesrepublik erreicht: »Noch jeder ungläubige Thomas, der dem konzertierten Entzücken misstrauen wollte, kehrte mit leuchtenden Augen von der Lektüre zurück.« Der Tagesspiegel »Essays aus und über Amerika von einem, der schreiben kann, dass einem der Mund offen stehen bleibt.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung »Die besten Geschichten über Amerika, die Popkultur und die Gegenwart seit langem.« Süddeutsche Zeitung »... die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben, und das ist Sullivans Stoff.« Tages-Anzeiger »Sehr, sehr gute, wahre, berührende Geschichten darüber, was es heißen kann, heute zu leben« Süddeutsche Zeitung

<p>John Jeremiah Sullivan, geboren 1974 in Louisville/Kentucky, arbeitet als Reporter für das The New York Times Magazine, GQ, Harper's Magazine, die Paris Review und andere amerikanische Zeitschriften. Er lebt in North Carolina.</p>

[Cover] 1
[Informationen zum Buch oder Autor] 2
[Titel] 3
[Impressum] 4
[Widmung] 5
[Motti] 7
Inhalt 9
Pulphead 11
Auf diesen Rock will ich meine Kirche bauen 13
Das finale Comeback des Axl Rose 55
1. 55
2. 56
3. 61
4. 61
5. 65
6. 71
7. 72
8. 75
Füsse im Rauch 84
Mr. Lytle 95
Nach Katrina 120
Hey, Mickey! 129
Der wahre Kern der Wirklichkeit 152
Michael 171
In unserem Amerika 190
Höhlen ohne Namen 221
Geister des Blues 260
Der letzte Wailer 287
Das Haus der Peyton Sawyer 317
Das Treiben der Lämmer 343
LA-HWI-NE-SKI. Aus dem Leben eines exzentrischen Naturforschers 380
Textnachweise 413
Danksagung 415

Auf diesen Rock will ich meine Kirche bauen


Man soll ja nicht prahlen, aber mein ursprünglicher Plan war perfekt. Ich hatte den Auftrag erhalten, über das Cross-Over-Festival am Lake of the Ozarks, Missouri, zu schreiben. Drei Tage auf einem abgeschiedenen Gelände im Mittleren Westen, zusammen mit dem Nonplusultra christlicher Bands und ihren Fans. Ich stellte mir vor, wie ich am Rand der Menge stehen und mir Notizen machen, gelegentlich jemanden aus dem Publikum anquatschen (»Was ist schwerer, Homeschooling oder normale Schule?«) und dann meine Akkreditierung zücken würde, um backstage noch mit den Musikern zu plaudern. Der ein oder andere Sänger würde mir erklären, dass jede Musik, wenn sie mit entsprechender Hingabe gespielt wird, allein Seinem Lobpreis diene, und ich würde jedes zehnte Wort mitschreiben und inwendig grinsen. Später am Abend würde ich in meinem Mietwagen ein bisschen Alk einschmuggeln und mich ungefragt zu einer Gebetsrunde am Lagerfeuer einladen, schon der Geselligkeit wegen. Heimflug, ein bisschen Statistik reinrühren, Rechnung stellen.

Aber wie lautet mein Frühstücksmantra? Ich bin ein Profi. Und nur fürs Mitwippen kriegt man keine Preise. Ich wollte wissen, was das für Menschen sind, die von sich behaupten, diese Musik zu lieben, und die Hunderte von Meilen fahren und dabei ganze Bundesstaaten durchqueren, um sie live zu hören. Und da war sie, meine Offenbarung: Ich würde mit ihnen fahren. Beziehungsweise: Sie mit mir. Ich würde einen Kleinbus mieten, und zwar einen ultraschicken, und wir würden gemeinsam losfahren, ich und drei oder vier Hardcore-Fans, den ganzen Weg von der Ostküste zu diesem See mit dem unglaubwürdigen Namen, diesem Lake of the Ozarks. Wir würden uns die ganze Nacht unterhalten, sie würden versuchen, mich zu bekehren, und ich würde die ganze Zeit mein kleines Aufnahmegerät laufen lassen. Irgendwann, das wusste ich, würden wir uns mögen und gegenseitig bemitleiden. Was für eine Geschichte – Stoff für kommende Generationen!

Die einzige Frage war: Wo sollte ich Willige finden? Aber eine wirkliche Frage war auch das nicht, denn jedes Kind weiß, dass sich Leute mit einem Hau und Spezialinteressen allnächtlich in »Chatrooms« versammeln. Und unter Jesus-Jüngern herrscht kein Mangel an jenen, bei denen mehr als nur ein Schräubchen locker ist. Offenbar wollte Er es so.

Ich veröffentlichte also meine Einladung anonym auf www.youthontherock.com und in zwei Internet-Fanforen der christlichen Pop-Punk-Band Relient K, die beim Cross-Over-Festival bereits gebucht war. Ich stellte mir Jungs und Mädchen vor, die in ihrem Dachzimmer davon träumen, die Männer von Relient K mit eigenen Augen den Song »Gibberish« vom Album Two Lefts Don't Make a Right .?.?. But Three Do live spielen zu sehen. Aber wie hinkommen? Die Benzinpreise würden nicht sinken, und in Florida treten Relient K nie auf. Bitte, Gott, mach, dass es geschieht. Und plötzlich erscheint mein Forumseintrag, wie ein helles Licht. Wir konnten uns gegenseitig eine Hilfe sein. »Ich suche echte Fans von christlicher Rockmusik, die mit mir zum Festival fahren«, schrieb ich. »Ob Frau oder Mann ist egal, aber du solltest nicht älter als, sagen wir, achtundzwanzig sein, denn ich beschäftige mich mit dem Thema vor allem als Jugendphänomen.«

Klingt erst mal harmlos. Wie sich allerdings herausstellte, hatte ich keine Vorstellung davon, wie jugendlich das Phänomen tatsächlich ist. Die meisten in diesen Chatrooms sind Teenager, und zwar keine neunzehnjährigen, sondern vierzehnjährige. Da war ich also einfach mal ins World Wide Web gezottelt und hatte eine Horde zwölfjähriger Christinnen und Christen gefragt, ob sie eine Ausfahrt in meinem Van machen wollten.

Es dauerte nicht lang, bis die Kinder zurückschlugen. »Super gemacht, deine Mailadresse zu unterdrücken«, schrieb »Mathgeek29« in einem Ton, der mir so gar nicht christenmäßig vorkam. »Ich bezweifle, dass irgendjemand seine kompletten Kontaktdaten einem total Fremden im Internet gibt .?.?. Habt ihr denn in Manhattan keine christlichen Jugendlichen, die da mitmachen wollen?«

Einige wenige Jugendliche schenkten mir aber tatsächlich auch Glauben. »Riathamus« schrieb: »ich bin 14 und wohne in indiana, außerdem würden meine eltern mich wahrscheinlich nicht lassen, so mit einem fremden aus dem internet, aber super wärs.« Ein Mädchen mit dem Nutzernamen »LilLoser« versuchte sogar, nett zu sein:

 

Ich glaub nicht, dass meine Eltern ihre kleine Tochter mit einem Typen fahren lassen würden, den sie nicht kennen und ich auch nur über E-Mail, vor allem nicht für die ganze Zeit, wie Sie wollen, und überall hin und so .?.?. Ich sag ja gar nicht, dass Sie pädophil sind, lol, aber ich glaub nicht, dass Sie viele Leute finden, die mitmachen .?.?. weil wie gesagt, irgendwie klingts creepy .?.?. aber hey – viel Glück bei Ihrer Mission da. lol.

 

Das Glück, das sie mir wünschte, war mir nicht hold. Die Christen hörten auf, mit mir zu chatten, und chatteten nur noch untereinander, wobei sie sich gegenseitig vor mir warnten. Schließlich zischelte ein Teilnehmer auf der offiziellen Relient-K-Website den anderen zu, sich vor meinen Machenschaften in Acht zu nehmen, denn aller Wahrscheinlichkeit nach sei ich »ein 40-jähriger Kidnapper«. Als ich mich bald darauf erneut einloggte, hatten die Moderatoren meinen Beitrag mitsamt dem immer länger werdenden Anklage-Thread kommentarlos entfernt. Zweifelsohne waren sie bereits dabei, Alarmrufe an ein Mütternetzwerk zu faxen. Vor Schreck zog ich mich zurück und rief meinen Anwalt in Boston an, der mir sagte, ich solle »aufhören, Computer zu benutzen« (der Plural ist von ihm).

Alles in allem löste diese Erfahrung in mir Widerwillen gegen das gesamte Festival-Thema aus, und ich beschloss, den Auftrag abzulehnen. Ich gab auf.

Das Problem mit einem Hochglanzmagazin wie Gentlemen's Quarterly ist, dass es dort immer irgendeinen übereifrigen Jungredakteur gibt, der manchmal Greg heißt, der in seinem Leben noch keine schmerzlichen Niederlagen einstecken musste und der sich, wenn man ihn der Höflichkeit halber anruft, um ihn wissen zu lassen, dass »die Cross-Over-Sache ins Wasser gefallen ist« und man sich wieder melden würde, sobald man eine neue Idee habe, sofort diesem rätselhaften Segen namens Internet zuwendet und herausfindet, dass das Festival, zu dem man hatte fahren wollen, sowieso nicht »das landesweit größte« ist, wie man angenommen hatte. Das wirklich größte im Lande – und in der gesamten Christenheit – ist das im Jahr 1979 gegründete Creation Festival, ein wahrhaftes Godstock. Und es findet auch nicht im ländlichen Missouri statt, sondern im noch viel ländlicheren Pennsylvania, in einem grünen Tal, auf einer Farm namens Agape. Und es ist auch nicht schon seit einem Monat vorbei, sondern geht übermorgen los. Sie strömen schon zusammen, die Zehntausenden. Viel Glück bei Ihrer Mission da.

Ich stellte eine Forderung: nur, wenn ich nicht zelten müsste. Ich würde irgendein Fahrzeug mit einer Matratze drin bekommen, eventuell einer zum Aufblasen. »In Ordnung«, sagte Greg. »Ich habe rumtelefoniert. Die Sache ist, im Umkreis von hundert Meilen um Philadelphia sind alle Kleinbusse vermietet. Aber wir haben Ihnen ein Wohnmobil organisiert. Neun Meter lang.« Wir waren uns beide sicher (zumindest machte er den Anschein, dass auch er sich da sicher war), dass ich, sobald ich beim Vermieter wäre, auf eine etwas leichter zu handhabende Größe umbuchen könnte.

Der Grund, warum neun Meter eine so gängige Länge für Wohnmobile ist, ist schätzungsweise darin zu suchen, dass man für noch längere Fahrzeuge einen Spezialführerschein braucht. Und das würde bedeuten: Formulare, Kosten, wahrscheinlich sogar Hintergrundüberprüfung. Aber Sie können bei egal welchem Wohnmobilvermieter mit auf ein Skateboard geschnallten Oberschenkelstümpfen aufkreuzen, wild mit ihren Handhaken wedeln und brüllen, dass Sie dieses Neun-Meter-Ding da hinten für Ihren Trip nach Sag-ich-nicht-wohin brauchen, und das Einzige, was man von Ihnen wissen will, ist: bar oder Kreditkarte, der kleine Herr?

Zwei Tage später stand ich mit einem Koffer zu meinen Füßen auf einem Parkplatz. Debbie kam auf mich zu. Das Gesicht unter ihrem haarspraygehärteten Pony war so süß wie ein Geburtstagskuchen. Bevor einer von uns etwas gesagt hatte, hob sie entschlossen den Arm und deutete auf etwas. Auf ein Gefährt, das aussah, als hätten die alten Ägypter es in der Wüste vergessen.

»Ähm, hallo«, sagte ich. »Wissen Sie, ich brauche eigentlich nur einen kleinen Campingbus. Ich bin alleine und hab fünfhundert Meilen vor mir.«

Sie betrachtete mich nachdenklich. »Wohin soll's denn gehen?«

»Creation. So ein Christenrockfestival.«

»Wie alle!«, sagte sie. »Die Leute, die unsere Busse gemietet haben, wollen da auch hin. Von Ihrer Sorte gibt's ne ganze Menge.«

Ihr Ehemann und Mitarbeiter Jack tauchte auf – tätowiert, untersetzt, grauer Vokuhila – und ließ seiner Abscheu vor MapQuest freien Lauf. Von ihm würde ich die wahre Wegbeschreibung bekommen. »Aber erst mal eine Probefahrt.«

Wir besichtigten die äußeren Gefilde meines Mausoleums in spe. Es dauerte. Irgendwie war alles, was Jack sagte, das Einzige, das ich mir merken sollte. Weißes Wasser, graues Wasser, schwarzes Wasser (zum Trinken, zum Duschen, für die Notdurft). Hier dies, und auf keinen Fall das. Meckern über die »Wochenend-Partyfraktion«. Ich konnte ihm nicht zuhören, denn zuzuhören hätte bedeutet, das Ganze als Wirklichkeit zu...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2012
Übersetzer Thomas Pletzinger, Kirsten Riesselmann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Essay • Popkultur • ST 4491 • ST4491 • suhrkamp taschenbuch 4491 • USA
ISBN-10 3-518-78890-6 / 3518788906
ISBN-13 978-3-518-78890-5 / 9783518788905
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