Solar (eBook)

(Autor)

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2012 | 1. Auflage
460 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60029-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Solar -  Ian McEwan
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Michael Beard ist Physiker und Frauenheld. Er hat den Nobelpreis erhalten, doch ist er alles andere als nobel: Im Beruf ruht er sich auf seinen Lorbeeren aus, privat hält es ihn auf Dauer bei keiner Frau. Bis die geniale Idee eines Rivalen für Zündstoff in seinem Leben sorgt. In Solar geht es nicht nur um Sonnen-, sondern auch um kriminelle Energie.

Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg ?Abbitte? ist jeder seiner Romane ein Bestseller, viele sind verfilmt, zuletzt ?Am Strand? (mit Saoirse Ronan) und ?Kindeswohl? (mit Emma Thompson). Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts, der American Academy of Arts and Sciences und Träger der Goethe-Medaille.

Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg ›Abbitte‹ ist jeder seiner Romane ein Bestseller, viele sind verfilmt, zuletzt kamen ›Am Strand‹ (mit Saoirse Ronan) und ›Kindeswohl‹ (mit Emma Thompson) in die Kinos. Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts, der American Academy of Arts and Sciences und Träger der Goethe-Medaille.

Wie sich herausstellte, war Beard der einzige Wissenschaftler inmitten einer Schar engagierter Künstler. Die ganze Welt mit all ihren Torheiten, von denen eine darin bestand, den Planeten aufzuheizen, lag südlich von ihnen, andere Himmelsrichtungen schien es hier gar nicht zu geben. Vor dem Abendessen in der Messe gab es eine Ansprache vom Leiter der Zusammenkunft am achtzigsten nördlichen Breitengrad, Barry Pickett, einem freundlichen, drahtigen Mann, der allein in einem Ruderboot den Atlantik überquert und dann sein Leben dem Aufzeichnen von Naturmusik (Rascheln von Blättern, sich brechende Wellen) gewidmet hatte.

»Wir sind Herdentiere«, begann er mit einem dieser Biologismen, denen Beard prinzipiell misstraute, »und können nur überleben, wenn wir uns an gewisse Regeln des [92] Zusammenlebens halten. Das gilt erst recht unter den hier oben herrschenden Bedingungen. Die erste betrifft die Stiefelkammer.«

Eigentlich war es ganz einfach. Unter dem Steuerhaus befand sich ein enger, schlecht beleuchteter Umkleideraum. Jeder, der an Bord kam, musste dort haltmachen und die Kälteschutzkleidung an einen Haken hängen. Auf keinen Fall durften feuchte, verschneite oder vereiste Sachen in die Kabinen mitgenommen werden. Ausdrücklich verboten waren Helme, Schutzbrillen, Biwakmützen, Handschuhe, Stiefel, gebrauchte Socken und Schutzanzüge. Egal, ob sie nass, mit Schnee oder Eis bedeckt oder trocken waren, diese Sachen mussten in der Stiefelkammer bleiben. Verstöße wurden mit dem Tod geahndet. Die braven Künstler, verständige Leute in dicken Pullovern und Arbeitshemden, quittierten das mit einem nachsichtigen Lachen. Mit seinem fünften Glas libyschem Landwein in einer Ecke eingepfercht, trotz Schmerzmitteln unter Schmerzen leidend, heuchelte Beard, von Natur aus ein Einzelgänger, ein Lächeln. Er hasste es, Teil einer Gruppe zu sein, aber das brauchte hier niemand zu wissen. Es folgten weitere Vorschriften und organisatorische Dinge, doch er schweifte ab. Aus der Kombüse jenseits der eichengetäfelten Wand hinter Pickett duftete es nach gebratenem Fleisch und Knoblauch, man hörte Löffel klappern und die bullige Stimme des internationalen Kochs, der einen Gehilfen zusammenstauchte. Schwer zu ignorieren, wenn es bereits zwanzig nach acht war und es seit Stunden nichts zu essen gegeben hatte. Doch die Freiheit, essen zu können, wann er wollte, hatte Beard im törichten Süden zurückgelassen.

[93] Die Sonne hatte es den ganzen Tag lang keine fünf Grad über den Horizont geschafft und war schon um halb drei, als habe sie es endgültig satt, erleichtert untergegangen. Beard verfolgte das Ereignis durch ein Bullauge über seiner Koje, in der er sich vor Schmerzen wand. Er sah die flache Schneewüste des Fjords blau werden, dann schwarz. Wie hatte er sich nur einbilden können, es wäre ein Weg in die Freiheit, achtzehn Stunden am Tag mit zwanzig anderen auf engstem Raum zusammengepfercht zu verbringen? Als er bei der Ankunft auf der Suche nach seinem Quartier durch die Messe gekommen war, hatte er dort als Erstes in einer Ecke eine Wandergitarre entdeckt: Schon hörte er das Geschrammel und sah sich zum Mitsingen genötigt. Ein Bücherregal war mit Brettspielen und uralten Spielkarten vollgestopft. Genauso gut hätte er in ein Altersheim gehen können. Bestimmt war auch Monopoly dabei – und das erinnerte ihn wieder an die andere betrübliche Tatsache. Jan hatte ihm vom Motorschlitten geholfen, ihn mehr oder weniger die Gangway hinaufgetragen und in die Stiefelkammer geführt. Ächzend und stöhnend hatte Beard sich darangemacht, die äußeren Schichten seiner Kleidung abzulegen, hatte voller Panik, was ihn erwartete, den Reißverschluss des Kälteschutzanzugs aufgezogen – in der Finsternis dauerte es eine Weile, bis er einen freien Platz gefunden hatte, wo er seine Sachen aufhängen konnte –, und gerade als er an Haken Nummer achtundzwanzig herumfummelte, sagte hinter ihm eine tiefe Frauenstimme in freundlichem Ton: »Das ist Ihnen eben aus einem Hosenbein gefallen.«

Er fuhr herum. Vor ihm stand Stella Polkinghorne und [94] hielt ihm ein dünnes graues Ding hin. Sie hielt es doch tatsächlich in der Hand, zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Ich glaube, das ist Ihr Fettstift.«

Sie nannte ihren Namen, er den seinen, sie gaben sich die Hand. Sie sagte, es sei ihr eine Ehre, einen so bedeutenden Wissenschaftler kennenzulernen, er sagte, er bewundere ihre Arbeit schon seit langem. Erst jetzt ließen sie die Hand des anderen wieder los. Ihr Gesicht war nicht direkt schön, aber offen und freundlich, umrahmt von blonden Haaren, die unter ihrer Wollmütze hervorquollen. Ihm gefiel der neugierige Blick, mit dem sie ihm in die Augen sah. Ein abgebrochener Schneidezahn verlieh ihr einen verwegenen, lustigen Touch. Sie sagte, sie freue sich darauf, ihn näher kennenzulernen, und er sagte, ihm gehe es nicht anders. Ihr anschließendes Zögern ließ darauf schließen, dass sie nicht gehen wollte, aber nicht wusste, was sie noch sagen sollte, und auch ihm, der von heftigen Schmerzen geplagt wurde, fiel nichts mehr ein.

Schließlich meinte sie: »Also bis später«, und verschwand im Bauch des Schiffs.

Den ganzen Nachmittag lag er halb betäubt in seiner Koje, schmiedete alberne Pläne, verfluchte sich, untersuchte ein ums andere Mal seine Verletzung, nahm sich vor, sofort abzureisen, spielte die Begegnung in Gedanken noch einmal durch. Er könnte sich selbst eine E-Mail schicken, die ihn dringend nach England zurückrief. Aber mit dem Motorschlitten würde er auf keinen Fall zum Flughafen zurückfahren. Er würde sich aus Longyearbyen einen Hubschrauber kommen lassen. Was mochte das kosten? Tausend Pfund die Stunde? Drei Stunden, die jeden Penny wert [95] wären, wenn ihm dafür erspart bliebe, irgendwelche blöden Kinderlieder zu singen. Sie freute sich darauf, ihn näher kennenzulernen. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Nein, es bedeutete nur das eine. Und was für ein Glück – auf dem Belegungsplan am Schwarzen Brett hatte er gesehen, dass er als Einziger an Bord eine Kabine für sich allein hatte. Aber er war außer Gefecht gesetzt, wahrscheinlich für mehrere Wochen. Er schaute noch einmal nach. Sah aus wie verbrüht, rot und geschwollen. Er wollte allein sein, er wollte nach Hause, er musste zusehen, dass er nachher beim Abendessen neben ihr saß. Doch dann wäre er längst nicht mehr da. Der Hubschrauber war im Anflug. Aber bei Dunkelheit würde er nicht fliegen. Beim Sex gab es natürlich auch andere Möglichkeiten, für Stella jedenfalls. Aber was sollte das? Vielleicht ging es ihm bis dahin besser. Er sah noch einmal nach.

Am Ende hatte ihn der Hunger aus seiner Kabine getrieben; außerdem brauchte er dringend einen Drink. Nach Picketts Ansprache schaffte es Beard nicht rechtzeitig aus seiner Ecke heraus, um einen Platz neben Stella Polkinghorne zu ergattern, saß vielmehr eingekeilt zwischen der Wand zur Küche und einem für seine Eisskulpturen berühmten Bildhauer aus Mallorca. Der ältere Mann hieß Jesús, hatte ein trauriges Gesicht, einen fahlgelben Zwirbelbart, roch stark nach Zigarren, und in seiner Stimme, die an einen Teddybären erinnerte, schwang ein pfeifendes Keuchen mit. Nachdem sie sich einander vorgestellt hatten, bemerkte Beard, Eisskulpturen auf den Balearen anzufertigen sei bestimmt nicht einfach. Jesús erklärte, früher habe es in den Bergen Eishäuser gegeben, die die Fischhändler von [96] Palma im Sommer mit großen Eisblöcken belieferten, und dort habe sein Großvater die Fertigkeiten erworben, die er an seinen Sohn und dieser an ihn selbst weitergegeben habe. Jesús hatte mit seinen Skulpturen viele Wettbewerbe überall auf der Welt gewonnen, den vorerst letzten in Riad. Seine Spezialität waren Pinguine. Wenn er nicht schnitzte, importierte er Whisky; er hatte vier Söhne, fünf Töchter, und vor zwanzig Jahren hatte er am Hafen von Andratx eine Schule für blinde Kinder gegründet. Seine Frau und zwei der Söhne verwalteten das Oliven- und Weingut in der Serra de Tramuntana, fünfzehn Kilometer südlich von Pollença hoch über dem Meer, nicht weit von der berühmten Cova de ses Bruixes, der Hexenhöhle. Beards Schmerzen ließen allmählich nach, das Schmerzmittel hatte eine stark euphorisierende Wirkung. Noch nie hatte er etwas so sehr genossen wie dieses Steak, die Pommes frites, den Blattsalat und den Rotwein. Und sein Tischnachbar – er hatte noch nie jemanden getroffen, der Jesus hieß, wusste aber, dass das in Spanien kein ungewöhnlicher Name war – erschien ihm als die interessanteste Bekanntschaft seit Jahren.

Beard antwortete auf die Gegenfrage, er beschäftige sich mit theoretischer Physik. Das hörte sich immer wie eine Lüge an. Der Bildhauer schwieg kurz, vielleicht um sich sein Englisch zurechtzulegen, stellte dann eine überraschende Frage. Señor Beard möge nachsichtig sein gegenüber der Naivität und Unwissenheit eines ungebildeten Mannes, aber sei die von der Quantenmechanik beschriebene seltsame Realität eine Beschreibung der wirklichen Welt oder einfach nur ein System, das zufällig funktioniere? Angesteckt von der höflichen Redeweise des Mallorquiners [97] sprach Beard ihm zu der Frage seinen Glückwunsch aus. Er selbst hätte sie nicht besser formulieren können, das sei die beste Frage, die man an die Quantentheorie richten könne. Einstein habe sich jahrelang intensiv damit beschäftigt und sei schließlich zu der Auffassung gelangt, die Theorie sei korrekt, aber unvollständig. Er habe intuitiv nicht akzeptieren können, dass es ohne Beobachter keine Realität geben solle beziehungsweise dass diese Realität vom Beobachter festgelegt werde, wie Bohr und die anderen zu sagen schienen. Um...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2012
Übersetzer Werner Schmitz
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affäre • England • Englische Literatur • Erneuerbare Energien • Frauenheld • Gier • Klimawandel • Naturwissenschaft • Nobelpreis • Physik • Physiker • Politik • Professor • Universität
ISBN-10 3-257-60029-1 / 3257600291
ISBN-13 978-3-257-60029-2 / 9783257600292
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