Der heilige Eddy (eBook)

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2012 | 2. Auflage
256 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60002-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der heilige Eddy -  Jakob Arjouni
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Der heilige Eddy handelt vom mysteriösen Verschwinden eines Berliner Großunternehmers und High-Society-Stars, von Klatschjournalisten, einer Stadt außer Rand und Band, einem Volkshelden wider Willen und vom wunderbarsten Duft der Welt.

Jakob Arjouni, geboren 1964 in Frankfurt am Main, veröffentlichte Romane, Theaterstücke, Erzählungen und Hörspiele. Er war 21 Jahre alt, als sein Frankfurter Privatdetektiv Kemal Kayankaya in ?Happy birthday, Türke!? zum ersten Mal ermittelte. Es folgten vier weitere Fälle, für ?Ein Mann, ein Mord? erhielt Jakob Arjouni 1992 den Deutschen Krimipreis. Sein Werk ist in 23 Sprachen erschienen. Jakob Arjouni starb 2013 in Berlin.

Jakob Arjouni, geboren 1964 in Frankfurt am Main, veröffentlichte Romane, Theaterstücke, Erzählungen und Hörspiele. Er war 21 Jahre alt, als sein Frankfurter Privatdetektiv Kemal Kayankaya in ›Happy birthday, Türke!‹ zum ersten Mal ermittelte. Es folgten vier weitere Fälle, für ›Ein Mann, ein Mord‹ erhielt Jakob Arjouni 1992 den Deutschen Krimipreis. Sein Werk ist in 23 Sprachen erschienen. Jakob Arjouni starb 2013 in Berlin.

[7] Deger- oder Dregerlein

»Darf ich Ihnen mal ein Kompliment machen …«

Herr Deger- oder Dregerlein, Eddy konnte sich den Namen einfach nicht merken, warf einen kurzen Blick auf die wenigen verbliebenen Gäste, ob ihm auch keiner zuhörte, ehe er sich über den Teller mit leeren Austern- und Krabbenschalen beugte und mit gesenkter Stimme sagte: »Ich komme jetzt schon zum dritten Mal zur ›Combär‹ nach Berlin, aber ehrlich gesagt, Sie sind der erste wirklich nette Mensch, den ich hier treffe.«

»Na ja, genau genommen und im wahrsten Sinne des Wortes habe ja ich Sie getroffen.« Eddy lächelte verlegen, und Herr Deger- oder Dregerlein lehnte sich herzlich lachend in den Stuhl zurück.

»Na, da haben Sie natürlich recht! So ein dummer Unfall aber auch! Wie in einem dieser Filme, nicht wahr? Auf einer Banane!«

In Wahrheit war Eddy fast zwei Stunden im [8] neuen Hauptbahnhof herumgeschlendert, ehe er glaubte, mit Deger- oder Dregerlein endlich den idealen Mann gefunden zu haben: um die fünfzig, gemütlicher Typ, ordentliche Kleidung, der dunkelblaue Cashmere-Mantel ungefähr in Eddys Größe, gutmütiges, offenes Gesicht, gerade angekommen und sichtlich orientierungslos zwischen hastenden Reisenden und einem Wald aus Wegweisern, Anzeigetafeln, blinkenden Reklamen und Leuchtschriften. Er war am Fuß der Rolltreppe stehengeblieben, die ihn vom Ankunftsgleis runter auf die dritte Etage des vor einem halben Jahr eröffneten Glas- und Stahlpalasts gebracht hatte. Die kleine auberginefarbene Wochenendreisetasche fest zwischen die Beine geklemmt, sah er sich aufmerksam um und schien bemüht, hinter die Ordnung der von unzähligen Rolltreppen und Aufzügen durchzogenen, sich in der Mitte über vier Ebenen öffnenden Riesenhalle zu kommen. Dabei schüttelte er immer wieder milde lächelnd den Kopf, als wollte er sagen: Diese Hauptstädter! Müssen immer extra dick auftragen, als täten es nicht auch ein paar Gleise und Fahrkartenschalter – bei uns in Dings zum Beispiel funktioniert das schon seit Generationen.

Eddy zog die Banane aus der Manteltasche, die er von zu Hause mitgebracht hatte, und aß sie mit [9] großen Bissen, während er sich durch einen Strom von Menschen und Rollkoffern einen Weg zu dem Mann mit auberginefarbener Tasche bahnte. Dabei blickte er sich ein paarmal um, als suche er ein Hinweisschild. Tatsächlich hielt er nach Beamten des Sicherheitsdienstes Ausschau und versuchte, die für den Bereich zuständige Überwachungskamera zu orten. Doch wie fast jedes Mal entdeckte er weder Beamte noch Kameras. Umso genauer choreographierte er seinen Sturz. Etwa drei Meter vor dem Mann blieb er mitten im Menschen- und Rollkofferstrom plötzlich stehen, ließ sich von einem Dicken anrempeln, stolperte über seine eigenen Beine, drehte eine Pirouette Richtung Rolltreppe, ließ die leere Bananenschale fallen, machte einen Ausfallschritt und noch einen, trat auf die Schale, rutschte aus, versuchte sich zu fangen, nahm dadurch erst richtig Fahrt auf und sauste Arme und Kopf vorneweg in den dunkelblauen Cashmere-Mantel.

»Na, aber …!«, hörte Eddy den Mann über sich, gefolgt von einem lauten Ächzen, während sie gemeinsam in die schmutzige Ecke neben der Rolltreppe stürzten. Noch im Fallen suchte Eddy den Boden nach frisch ausgespuckten Kaugummis ab. Die waren schwer aus feiner Wolle rauszukriegen, und er wollte seinen möglicherweise zukünftigen [10] Mantel nicht schon vorm ersten Anprobieren ruinieren.

»O mein Gott!«, rief Eddy, während er und der Mann Anstalten machten, sich aufzurappeln. »Bitte entschuldigen Sie! Das ist mir ja so was von peinlich! Ich weiß gar nicht …«

Nachdem der Mann noch halb im Liegen als Erstes seine Tasche an sich gerissen hatte, saß er nun aufrecht auf einen Arm gestützt und musterte den vor ihm auf den Knien hockenden, ihm die Hände zur Hilfe entgegenstreckenden Eddy misstrauisch von oben bis unten.

Denn man hörte ja so einiges über Berlin – ihn würde so ein kleiner Hauptstadthalunke jedenfalls nicht hinters Licht führen!

Doch anscheinend fiel das Ergebnis der Musterung eher positiv aus. Eddy hatte sich für den Job im Hauptbahnhof auch angemessen in Schale geworfen: weiche dunkelbraune Wildlederschuhe, dunkelbraune Cordhose, weißes Hemd unter hellbeigem V-Ausschnitt-Pullover, moosgrüner Dufflecoat und ein bunt gemusterter Kenzo-Schal. Aus einer Jackentasche ragte die FAZ, und an der rechten Hand trug er einen sehr einfachen, flachen, billigen Silberring, bei dessen Anblick fast jeder dachte: Der sieht so einfach und billig aus – da er ihn trägt, muss er eine ganz besondere Bedeutung [11] für ihn haben, Erbstück oder Liebesgeschichte, wie sympathisch, billiger Ring, wahre Werte. Eddy hatte das an mehreren Bekannten getestet. Tatsächlich war der Ring nichts weiter als einfach und billig, und Eddy trug ihn nur zu dieser speziellen Aufmachung. Irgendwas zwischen Museumsmitarbeiter, Feuilletonredakteur und Antiquitätenhändler.

Abgesehen davon war Eddy inzwischen schon über vierzig, und angegraute Haare, sogenannte Denkerstirnfalten und eine leichte, freundlich-versöhnliche Mattheit im Blick ließen sich nur schwer mit dem Bild verbinden, das bei der Bezeichnung Hauptstadthalunke entsteht.

»… Ja, wie konnte denn das passieren?« Statt misstrauisch oder vorwurfsvoll wirkte der Mann nun nur noch erstaunt.

»Es ist wirklich zu blöd, aber …«

Eddy brach ab, hob hilflos die Schultern und deutete mit zerknirschtem Ausdruck auf die nicht weit von ihnen liegende Bananenschale. Das war der Schlüsselmoment: Wenn der Mann jetzt nicht den Kopf schüttelte, von einem ungläubigen Schmunzeln gepackt wurde und so was wie »Gibt’s ja nicht!« sagte, dann konnte man die Sache vergessen. Einmal war Eddy das mit einem Amerikaner passiert. Der hatte auf die Bananenschale [12] gedeutet und in düsterem Ton festgestellt: »That’s really dangerous! Someone could get seriously injured! That makes me so angry! We should call security, they should go after the guys who did that.« Eddy hatte es noch versucht mit »But it’s kind of funny too, isn’t it? I mean, it’s like in the movies«, aber nur ein »You think nearly breaking a leg is funny?« geerntet. Woraufhin sich Eddy mit »I’m really sorry, but it was nice to meet you« davongemacht hatte.

Doch mit Deger- oder Dregerlein lief es wie am Schnürchen. Er sah die Bananenschale, öffnete den Mund und hielt einen Augenblick inne, ehe er den Mund noch weiter öffnete und ein lautes, tiefes, in der Brust dröhnendes Lachen anstimmte. Die Art Lachen, bei der einem zum Lachen vielleicht gar nicht unbedingt zumute ist, sondern die vor allem dem Gefühl entspringt, den Umständen ein Lachen schuldig zu sein.

Entsprechend rief er: »Ist ja wie in einem Witz!« Und weil Eddy nicht gleich reagierte: »Verstehen Sie? Diese Witze, wo einer auf der Bananenschale ausrutscht! Aber dass einem das mal wirklich passiert! Ist ja zum Piepen!«

Eddy tat, als könne er sich dem ansteckenden Lachen seines Gegenübers nicht entziehen, und stimmte wie gegen seinen Willen mit ein. Bis er [13] sich schließlich räusperte und kleinlaut zu bedenken gab: »Nur, dass ich Ihnen ganz unwitzig weh getan habe.«

»Ach, das geht schon. Meine Knochen halten was aus.«

»Trotzdem, es ist mir wirklich sehr unangenehm. Kommen Sie …«

Eddy half ihm beim Aufstehen und klopfte ihm ein paar helle Schlieren und einen Strohhalm vom Mantel. An der linken Brustseite ortete er die Brieftasche.

»Lassen Sie nur, der war eh reif für die Reinigung.«

»Ein schöner Mantel. Reisen Sie ab, oder sind Sie gerade angekommen?«

»Angekommen. Mit dem Zug aus Bochum.«

»Bochum! Ich habe eine Tante in Bochum!«, sagte Eddy, als sei das ein wirklich bemerkenswerter Zufall. Er nahm immer die Tante. Mutter, Vater oder Geschwister tönten ihm zu gewichtig, als wollte er gleich die ganze Familiengeschichte erzählen, das Wort »Onkel« hatte, wie er fand, einen pädophilen Beigeschmack, und wer erinnerte sich schon an Nichten oder Neffen. Tante dagegen klang leicht und unschuldig nach Plätzchen und Postkarten und zeugte trotzdem von echtem Familienbewusstsein.

[14] »Ach ja?«, fragte der Mann höflich.

»Ja. Vor ein paar Jahren habe ich sie dort besucht, hat mir gut gefallen.«

»Nun, wenn man die richtigen Ecken kennt.«

Eddy reichte dem Mann die auberginefarbene Reisetasche vom Boden. »Sagen Sie, ich weiß ja nicht, was Ihre Pläne sind, aber ich habe gerade meine Frau zum Zug gebracht und wollte sowieso einen Happen zu mir nehmen – darf ich Sie zum Ausgleich für dieses Missgeschick vielleicht zum Mittagessen einladen?«

»Na, das ist aber ein nettes Angebot.«

»Aber selbstverständlich.«

»Warten Sie …«

Der Mann sah auf seine Armbanduhr. Sehr dick und golden mit antiken Ziffern. Die kann er behalten, dachte Eddy.

»… Ich muss um fünf am Checkpoint Charlie sein. Dort ist die ›Combär‹, wissen Sie?«

»Tut mir leid, aber davon habe ich, glaube ich, noch nichts gehört.«

»Computermesse. Meine Branche. Hab zwei Läden in Bochum.«

»Ach, na das trifft sich ja prima! Da können Sie mich gleich beraten. Ich bin, was Computer betrifft, nämlich eine echte Null, muss mir aber jetzt einen neuen anschaffen.«

[15] »Kein Problem. Dregerlein mein Name: Mit Dregerlein da hast du Schwein!«

»Ha-ha – das ist gut!...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2012
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Boulevard • High Society • Journalist • Kapitalismus • Kapitalist • Medien • Millionär • Trickbetrüger • Volksheld
ISBN-10 3-257-60002-X / 325760002X
ISBN-13 978-3-257-60002-5 / 9783257600025
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