Die Farbe der Träume (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
459 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77470-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Farbe der Träume -  Rose Tremain
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Ein Neuanfang soll es werden, als Harriet mit ihrem Mann Joseph im 19. Jahrhundert von England nach Neuseeland auswandert. Aber die erhoffte Liebe bleibt aus, genauso wie der Wohlstand, den sie sich erträumten. Als Joseph dem Goldfieber verfällt, bricht er Hals über Kopf auf und läßt seine Frau allein zurück. Doch Harriet gibt nicht auf und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. Voller Abenteuerlust und Freiheitsdrang reist sie ihrem eigenen Traum entgegen ...

<p>Rose Tremain wurde 1943 geboren und wuchs in London auf.<strong> </strong>Sie studierte ein Jahr lang an der Pariser Sorbonne, ging zurück in ihre Heimat und begann ein Anglistikstudium an der University of East Anglia in Norwich, das sie 1967 abschloss. Dort lehrte sie später von 1988-1995 als Dozentin <em>creative writing</em>. Vorher war sie Lehrerin an einer Privatschule für Jungen. Rose Tremain veröffentlichte Romane, Kurzgeschichten, schrieb aber auch für Film, Funk und Fernsehen. Ihr Roman <em>Zeit der Sinnlichkeit </em>wurde 1995 mit Robert Downey Jr., Hugh Grant und Meg Ryan verfilmt (<em>Restoration</em>). Ihr Roman <em>The Road Home</em>, der im Suhrkamp Verlag unter dem Titel <em>Der weite Weg nach Hause </em>erschien, wurde 2008 mit dem Orange Prize for Fiction ausgezeichnet. Tremain lebt mit ihrem Lebenspartner, dem Biographen Richard Holmes, in London und Norwich. Im Jahr 2020 wurde sie von der Queen in den Adelsstand erhoben. Ihr Werk erscheint auf Deutsch im Suhrkamp und Insel Verlag.</p>

Cover 1
Informationen zum Buch/Inhalt 2
Impressum 6
Widmung 7
Motto 9
INHALT 11
ERSTER TEIL 13
Das Lehmhaus. 1864 15
I 15
II 17
II 19
IV 20
V 25
VI 28
VII 33
Beautys Mantel 38
I 38
II 42
III 45
IV 50
Die Orchard-Farm 55
I 55
II 59
III 71
Die Teedose aus China 77
I 77
II 83
III 87
Zwischen den weißen Steinen 93
I 93
II 98
III 101
IV 105
V 107
VI 113
Die Konservierung 117
I 117
II 126
III 132
Die Leine 137
I 137
II 139
III 142
IV 150
Allerlei Geschäfte 155
I 155
II 159
III 160
IV 167
D’Erlangers Hotel 168
I 168
II 172
III 174
IV 175
V 177
VI 182
ZWEITER TEIL 185
Der Aufsteiger 187
I 187
II 192
III 198
Ein sauberes, ordentliches Zimmer 204
I 204
II 207
Das zerrissene Bild 217
I 217
II 222
III 228
Tote Arbeit 232
I 232
II 243
III 249
Die Straße zum Taramakau 251
I 251
II 257
III 260
IV 262
»Der kostbare Name eines Mannes« 265
I 265
II 274
III 279
Der weiße Wurm 283
I 283
II 293
III 294
Der Wald unter der Erde 298
I 298
II 307
III 311
Distanz 317
I 317
II 322
DRITTER TEIL 331
Zum Wasserfall 333
I 333
II 340
III 343
Die Macht der Träume 349
I 349
II 356
III 358
Zwischen zwei Welten 365
I 365
II 373
III 377
Die Flut 380
I 380
II 382
III 385
IV 385
V 386
VI 390
Der Glockenvogel singt 394
I 394
II 398
III 400
IV 405
Zehn Meter Land 413
I 413
II 418
III 421
IV 425
Paak Meis Gelächter 426
I 426
II 428
III 430
IV 432
V 435
VI 436
Häuser aus Holz 441
I 441
II 448
III 453
IV 456
Danksagung 459

DAS LEHMHAUS. 1864


I


Die kältesten Winde kamen aus Süden, und das Lehmhaus stand diesen Winden im Weg.

Joseph Blackstone lag nachts wach. Er überlegte, ob er das Haus wieder auseinandernehmen und an einem anderen Ort, weiter unten im Tal, wo es geschützt stünde, wieder aufbauen sollte. Er zerlegte es im Geiste.

Und im Geiste errichtete er es neu im Windschatten eines sanften Hügels. Doch er sagte nichts und tat nichts. Es vergingen Tage und Wochen, und der Winter kam, und das Lehmhaus stand nach wie vor den verheerenden Winden im Weg.

Es war ihr erster Winter. Die Erde unter ihren Stiefeln war grau, das gelbe Tussockgras von Hagel wie mit Salz bestreut. Die violetten Nachmittagswolken versprachen ein großes Leichentuch aus Schnee.

Eine Haube gegen die Kälte des Raums auf dem Kopf, saß Josephs Mutter Lilian am Holztisch und reparierte Porzellan. Porzellan, das beim Transport aus England zerbrochen war. Aus Fahrlässigkeit, behauptete Lilian Blackstone, aus Ungeschick beim Ein- und Ausladen, aus Achtlosigkeit von Menschen, die nichts vom Wert persönlichen Eigentums verstanden. Joseph erinnerte sie sanft daran, dass man nicht durch die Welt reisen konnte – bis ganz an deren anderes Ende –, ohne dass unterwegs etwas kaputtging. »Etwas«, erwiderte Lilian empört. »Das hier ist sehr viel mehr als nur etwas.«

Ihr wütender Ton bestürzte ihn. Er betrachtete sie mit einer Furcht, die ihr bekannt vorkam. Sie schien völlig versunken in das Porzellan-Puzzle, fast als könne sie sich nicht mehr an die Form alltäglicher Gegenstände erinnern. Wie Buchstaben, die kein Wort ergeben wollten, schob sie die Teile hin und her. Nur ab und an sah sie, wie die Teile zusammenpassten, und wagte, eine Scherbe mit Klebstoff zu bestreichen. Dann drückte sie diese Scherbe mit fast übertrieben leidenschaftlichem Eifer an ihren Platz und bewegte dabei die Lippen, als spräche sie ein Gebet oder formte das einzige französische Wort, das sie kannte: voilà, was sie wie »wulla« aussprach. Und all das bestärkte Joseph nur in seiner Überzeugung: Er hatte seine Mutter nach Neuseeland gebracht, und er hatte sie enttäuscht, so wie er sie immer und immer wieder enttäuscht hatte. Sein ganzes Leben lang – so schien es ihm jedenfalls – hatte er versucht, ihr zu gefallen, aber er konnte sich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem ihr sein Bemühen genügt hätte.

Doch jetzt hatte er eine Ehefrau.

Sie war hoch gewachsen, ihr Haar war braun, und sie hieß Harriet Salt. Lilian Blackstone hatte über sie gesagt: »Sie besitzt Haltung«, und Joseph fand diese Beobachtung zutreffend und scharfsichtiger, als Lilian ahnen konnte.

Er wandte den Blick von seiner Mutter und schaute voller Bewunderung zu dieser Frau, die vor dem unwilligen Feuer kniete und die jetzt sein war. Und plötzlich war sein Herz nur noch von tiefer Dankbarkeit und Zuneigung erfüllt. Er sah, wie sie still und geduldig den Blasebalg betätigte, mit »Haltung« selbst hier im Lehmhaus, um das der Wind toste; selbst hier in diesem kalten, verräucherten Zimmer, wo der Klebstoff roch wie eine strenge Medizin, zu der sie alle drei verurteilt waren. Am liebsten hätte Joseph Harriet umarmt und ihre Haare in seiner Hand zu einem Knoten geschlungen. Er hätte am liebsten den Kopf auf ihre Schulter gelegt und ihr gestanden, was er ihr nie würde gestehen können – dass sie ihm das Leben gerettet hatte.

II


Nach der Ankunft in Christchurch hatte Joseph sich um den Kauf der Baumaterialien für das Lehmhaus gekümmert, hatte Hilfskräfte eingestellt, Pferde und Wagen gemietet für den Transport von Blechen und Kiefernbrettern, Säcken mit Nägeln und Baumwollballen, bis endlich alles beisammen war und bereit für die Fahrt nach Nordwesten, zum Okuku-Fluss.

Harriet hatte ihren neuen Ehemann gebeten, er möge sie mitnehmen. Hatte sich an ihn geklammert und gefleht – sie, die niemals jammerte oder sich beklagte, die stets Haltung bewahrte. Doch sie war eine Frau, die sich nach dem Ungewohnten, dem Fremden sehnte. As Kind hatte sie dieses Andere in ihren Träumen gesehen und wie es in der ungeheuren Dunkelheit des Himmels auf sie wartete: eine wilde Welt, jenseits all dessen, was sie kannte. Und die Vorstellung, ein Haus aus Steinen und Erde zu bauen, Türen und Fenster einzusetzen, einen Kamin und ein Dach gegen das Wetter zu errichten und dann darin zu leben, begeisterte sie. Sie wollte sehen, wie es Gestalt annahm, wie aus dem Nichts etwas wurde. Sie wollte lernen, wie man aus Erde und dem gehäckselten gelben Tussockgras Lehm zum Bauen anmischt. Sie wollte bei allem selbst mit Hand anlegen. Auch wenn es viel Zeit erfordern würde. Auch wenn ihre Haut in der Sommerhitze verbrennen würde. Auch wenn sie jeden Handgriff wie ein Kind neu lernen müsste. Zwölf Jahre lang war sie Gouvernante gewesen. Jetzt hatte sie einen Ozean überquert und war an einem neuen Ort, aber sie wollte immer noch weiter, wollte in die Wildnis.

Joseph Blackstone hatte sie voller Zärtlichkeit angeschaut. Er sah, wie glühend sie sich wünschte, zur nächsten Station ihrer Reise aufzubrechen, doch, wie immer, war da noch Lilian, die berücksichtigt werden musste. Wie immer war die Entscheidung, die er zu treffen hatte, nicht einfach.

»Harriet«, sagte er, »es tut mir leid, aber du musst in Christchurch bleiben. Ich verlasse mich darauf, dass du Lilian hilfst, sich an das Leben in Neuseeland zu gewöhnen. Zum Beispiel muss ein Gesangverein für sie gefunden werden.«

Harriet erwiderte, mit Hilfe von Mrs Dinsdale, in deren sauberer, freundlicher Pension sie wohnten, könne Lilian doch selbst einen Gesangverein für sich finden. »Und dann«, fügte sie hinzu, »wird sie mich nicht mehr brauchen, Joseph, denn sie ist die Sängerin, nicht ich.«

»Hier ist doch alles so fremd«, sagte Joseph. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr diese neue Welt eine Frau von dreiundsechzig Jahren verstören muss.«

»Das Quartier ist nicht fremd.« Harriet blieb beharrlich. »Der Krug und die Waschschüssel haben fast dasselbe Muster wie der Nachttopf, den deine Mutter in Norfolk unter ihrem Bett stehen hatte …«

»Draußen vorm Fenster singen andere Vögel.«

»Ja, aber immerhin singen da Vögel und keine Affen.«

»Das Licht ist anders.«

»Heller. Aber nur eine Schattierung heller. Es wird ihr nichts anhaben.«

Und so ging sie immer weiter, diese Unterhaltung, die keine Unterhaltung war, sondern ein Krieg, ein kleiner Krieg, der allererste, den sie führten, den sie aber niemals ganz vergessen würden und den Harriet schließlich verlor. An dem Morgen, als Joseph zu der ockerfarbenen Ebene aufbrach, musste Harriet sich abwenden, damit Joseph und Lilian nicht sahen, wie zornig sie war.

Sie eilte die Holztreppe zu ihrem Quartier hinauf, ging in den grün gestrichenen Salon und schloss die Tür. Durch das offene Fenster konnte sie den Ozean hören, und sie stellte sich davor und atmete die salzige Luft. Sie wünschte, sie wäre ein Vogel oder ein Walfisch – irgendein Geschöpf, das zwischen dem Tun der Menschen und ihrem Vergessen hindurchschlüpfen und an sein eigenes Ziel gelangen könnte. Denn sie wusste, dass sie in all ihren vierunddreißig Jahren niemals auf die Probe gestellt worden war, niemals die von der Gesellschaft gesetzten Grenzen überschritten hatte. Und jetzt war sie wieder einmal zurückgelassen worden. Joseph würde ihr gemeinsames Haus in der leeren Ebene aus dem Nichts erschaffen, und Joseph würde ein Feuer unter dem Sternenhimmel machen und den Schrei des fernen Buschlands hören. Harriet gähnte. Sie spürte, wie ihr Zorn hier im gepflegten Salon allmählich einer tiefen, lähmenden Langeweile wich.

III


Siedler aus England hießen »Kakadus«, wurde Joseph belehrt.

»Kakadus«? Er konnte sich nicht vorstellen, wieso. Er wusste nicht einmal mehr, was für Vögel Kakadus eigentlich waren.

»Scharr ein bisschen in der Erde, nimm, was du von ihr kriegen kannst, kreisch ein bisschen, und dann zieh weiter, wie ein Kakadu.«

Joseph dachte an einen Papagei, der grau und grämlich zwischen Körnern in einem Käfig trauert. Er sagte, das treffe auf ihn nicht zu. Er sagte, er wolle sich am Okuku-Fluss ein neues Leben aufbauen, Gewinn aus seinem Grund und Boden ziehen, nach Dingen streben, die von Dauer seien.

»Schön für Sie, Mister Blackstone«, meinten die Männer. »Das ehrt Sie.«

Was Joseph nicht erwähnte, war, dass er in England etwas Schändliches getan hatte.

»Sie sind ja ein ganz Nachdenklicher«, sagten die Männer, als sie mit dem Bau des Lehmhauses begannen. Sie mischten Erde und Gras für die Mauern, brachen Steine für den Kamin, und sie waren stärker als Joseph, der häufiger ausruhte. Sie beobachteten ihn dabei, wie er hinunter in die Ebene starrte, die hier »Tafel« hieß – eine weite Fläche mit kaum einem Baum, die sich endlos unter ihm dehnte. Er blickte unbewegt wie eine Eule.

»Einen Penny für Ihre Gedanken? Heimweh?«

»Nein.«

»Würde ich Ihnen aber nicht verdenken, Mr Blackstone. Heimweh, davon verstehen wir hier eine Menge.«

»Nein«, sagte er noch einmal. Er nahm sein Messer, schärfte es und machte sich wieder daran, das Gras zu zerkleinern, und er pfiff dabei, damit die Männer seine Stimmung auch richtig deuteten, seine optimistische Stimmung. Denn während sein Blick über die Ebene schweifte und zu den fernen Bergen hochwanderte, keimte plötzlich so etwas wie Hoffnung in ihm auf. Er war hier. Er war auf der...

Erscheint lt. Verlag 18.6.2012
Übersetzer Christel Dormagen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel The Colour
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belletristische Darstellung • Ehefrau • Emanzipation • Englischer Einwanderer • Geschichte 1864 • Goldsuche • insel taschenbuch 4148 • IT 4148 • IT4148 • Neuseeland
ISBN-10 3-458-77470-X / 345877470X
ISBN-13 978-3-458-77470-9 / 9783458774709
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