Der Bahnwärter (eBook)

Sizilien-Roman
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2012 | 1. Auflage
160 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-30781-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Bahnwärter -  Andrea Camilleri
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«?Der Bahnwärter? ist eine leidenschaftliche Parabel auf blinden Schmerz und wahre Liebe.» La Repubblica An der abgelegenen Eisenbahnstrecke zwischen Vigàta und Castellovitrano liegt das Häuschen von Nino, dem Bahnwärter, und seiner Frau Minica. Nur zwei Mal am Tag kommt ein Zug vorbei. Sonntags gibt Nino mit seinem Freund Totò ein kleines Konzert beim Friseur des Ortes, einer auf der Mandoline, einer auf der Gitarre, um sich fünf Lire zu verdienen; oder er klemmt sich zwei Stühle unter den Arm und setzt sich mit seiner Frau ans Meeresufer. Als Minica nach vielen vergeblichen Versuchen endlich ein Kind erwartet, ist das Glück perfekt. Doch mit dem Krieg kommt die Gewalt und zerstört das Idyll. Nun muss Nino um Minicas Leben und um ihre Liebe kämpfen. «Camilleri ist mehr als Montalbano. Seine Fabeln sind faszinierend, geheimnisvoll und voller Liebe, durchwoben von zauberhafter Phantasie.» Liberal

Andrea Camilleri wurde 1925 in Porto Empedocle, Sizilien, geboren. Er war Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Seine erfolgreichste Romanfigur ist der sizilianische Commissario Montalbano. Insgesamt verfasste Camilleri mehr als 100 Bücher und galt als eine kritische Stimme in der italienischen Gegenwartsliteratur. Andrea Camilleri war verheiratet, hatte drei Töchter und vier Enkel und lebte in Rom. Er starb am 17. Juli 2019 im Alter von 93 Jahren in Rom.

Andrea Camilleri wurde 1925 in Porto Empedocle, Sizilien, geboren. Er war Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Seine erfolgreichste Romanfigur ist der sizilianische Commissario Montalbano. Insgesamt verfasste Camilleri mehr als 100 Bücher und galt als eine kritische Stimme in der italienischen Gegenwartsliteratur. Andrea Camilleri war verheiratet, hatte drei Töchter und vier Enkel und lebte in Rom. Er starb am 17. Juli 2019 im Alter von 93 Jahren in Rom.

Zwei


Einige Tage nachdem Minica gesagt hatte, sie sei schwanger, rief der Bahnhofsvorsteher von Vigàta frühmorgens im Bahnwärterhäuschen an und teilte Nino mit, dass gegen elf Uhr zwei Offiziere des Staatlichen Zivilschutzes eintreffen würden, die sich etwas in der Gegend ansehen müssten. Nino solle sich zu ihrer Verfügung halten.

«Wie kommen sie denn her?»

«Mit der Lore.»

Statt der zwei kamen vier Militärs an.

Einer war ein Tenente, einer ein Maresciallo, und zwei waren einfache Soldaten. Sie brachten eine ganze Armada von Apparaten mit, die der Landvermessung und Bodenuntersuchung dienten.

Sie waren allesamt vom Festland. Der Tenente, ein spindeldürrer blonder Mann, sagte Nino, er solle die Lore, mit der sie angekommen waren, auf dem toten Gleis abstellen, weil sie sich einen halben Tag dort aufhalten müssten und vor vier bis fünf Stunden nicht abreisen könnten.

«Wollt Ihr, dass ich meiner Frau sage, sie soll zu Mittag oder zu einer anderen Uhrzeit etwas zu essen herrichten?»

«Danke, wir haben selbst etwas zu essen dabei. Aber …»

«Sprecht nur!»

«Habt Ihr vielleicht etwas Wasser für uns?»

«So viel Ihr wollt! Wir haben einen Brunnen.»

Sie verabschiedeten sich und machten sich über das Gleis in Richtung Montereale auf. Nino sah, dass sie nach ungefähr fünfzig Metern stehen blieben und zu arbeiten begannen.

Nach etwa zwei Stunden kam ein Soldat mit vier Feldflaschen zu ihm.

«Wir haben unser ganzes Wasser aufgetrunken. Die Sonne ist schrecklich unerbittlich. Könntet Ihr die Flaschen vielleicht auffüllen?»

«Darf ich einen Vorschlag machen?», fragte Nino.

«Was denn für einen?»

«Wie wär’s, wenn ich zwei Flaschen mit Wasser fülle und die beiden anderen mit gutem Wein?»

Die Augen des Soldaten fingen an zu leuchten.

«Das klingt nach einer hervorragenden Idee!»

Nino hatte eine noch fast volle Weinflasche übrig, denn er selbst trank nur wenig und Minica überhaupt nichts.

«Was macht ihr denn da eigentlich?»

«Wir sammeln Daten für den Bau einer aus mehreren Bunkern bestehenden Anlage entlang der Küste. Fünfzig Meter von hier in Richtung Montereale, genau bündig mit dem Bahnwärterhäuschen, wird einer stehen und ein weiterer symmetrisch rechts, in Richtung Sicudiana. Wir gehen über Fiacca hinaus.»

«Entschuldigung, aber was sind denn diese ‹Bunker›?»

«Das sind kleine, in die Erde eingelassene Forts aus Stahlbeton; von außen ist gerade nur die Kuppel zu sehen, und sie haben einen großen Stahlgitterschlitz, durch den man mit dem Maschinengewehr nach draußen schießen kann.»

«Und wann fangt ihr mit den Arbeiten an?»

«Wenn wir alle notwendigen Messungen durchgeführt haben. Ich denke, in etwa vierzehn Tagen.»

 

Eines Sonntagabends, als sie gerade ihr Konzert im Friseursalon beendet hatten, zahlte der Barbier Don Amedeo Vassallo die vereinbarten fünf Lire pro Kopf an Totò und Nino aus, verabschiedete sie aber nicht wie sonst, sondern sagte:

«Wartet einen Augenblick!»

Er schloss die Tür ab, damit kein verspäteter Kunde mehr eintreten konnte.

«Gibt’s was Besonderes, Don Amedè?», fragte Nino.

«Wenn ihr noch fünf Minuten Geduld habt, kommt jemand, der mit euch reden will.»

«Aber … Verzeihung, ich will nicht so spät nach Hause kommen!»

«Auf den Mann ist Verlass: Wenn ich sage, fünf Minuten, dann sind’s auch fünf Minuten!»

«Und wer ist dieser Mann?»

Don Amedeo tat so, als hätte er nichts gehört. Er zog seinen weißen Kittel aus, verschwand in dem Kabuff hinter dem Friseursalon, kehrte zurück mit einem Besen und machte sich daran, den Boden zu fegen.

Totò und Nino setzten sich in die Drehsessel und warteten. Nach einer Weile wurde leise an die Tür geklopft, und Don Amedeo ging öffnen.

«Bona sira euch allen!», grüßte Don Simone Tallarita, nachdem der Barbier ihn hereingelassen hatte.

«Küss die Hand!», sagte Don Amedeo.

«Küss die Hand!», sagten Totò und Nino im Chor und erhoben sich aus ihren Sesseln.

Don Simone Tallarito war schließlich ein hochgeachteter Mann.

«Setzt euch doch, Jungs!», wies Don Simone die beiden Musiker an und setzte sich selbst in den dritten Sessel.

Und dann, an Don Amedeo gewandt:

«Amedè, schneid mir die Haare ein bisschen nach!»

«Sofort, unverzüglich!»

Der Barbier zog wieder seinen weißen Kittel an, griff zu Kamm und Schere und begann, in aller Stille zu arbeiten. Auch Don Simone sagte kein Wort.

Totò und Nino sahen sich verdutzt an. Was wollte Don Simone von ihnen? Ganz sicher hatte er sie nicht extra warten lassen, damit sie zuschauen konnten, wie seine Haare geschnitten wurden!

Endlich, nachdem er auch noch seine Jacke abgebürstet hatte, entschloss sich Don Simone zum Reden.

«Jungs, ich muss euch um einen Gefallen bitten.»

«Zu Ihren Diensten!»

«Morgen Nacht, Punkt zwölf, müsst ihr ein Ständchen für mich singen.»

Totò und Nino zuckten zusammen.

Ein Ständchen? Das konnte doch nur für eine Frau bestimmt sein! Wandelte Don Simone mit seinen über siebzig Jahren etwa immer noch auf Freiersfüßen? Sollte er sich wirklich noch einmal wie ein Jüngling verliebt haben?

Es war allgemein bekannt, dass Don Simone in den Köpfen der Menschen lesen konnte, die er vor sich hatte. Und auch dieses Mal lag er richtig. Er lächelte und sagte:

«Natürlich nicht für mich! Es ist für einen Freund.»

«Gebt uns die Adresse!», sagte Nino.

«Via Madonna del Carmine 18. Ihr könnt euch nicht vertun, es ist ein Haus mit nur einem Stockwerk.»

«In Ordnung, Don Simone. Hat dieser Freund eine Vorliebe für irgendeine besondere Kanzone?», fragte Nino.

«Ja. Wer singt denn von euch beiden?»

«Ich», sagte Totò.

«Du musst nur eine Kanzone singen, und basta.»

«Nur eine?»

«Nur eine.»

«Und welche?»

«Der Bock, der trägt zwei Hörner.»

Totò und Nino verstummten.

Das war kein Liebeslied! Don Simone wollte vielmehr, dass sie einen Schmähgesang auf einen Mann singen sollten, eine Kanzone, die schlimmer war als eine Beleidigung, fast so, als würde man jemandem ins Gesicht spucken. Und sie musste angepasst werden, je nachdem, an wen sie gerichtet war. Eine durchaus gefährliche Angelegenheit, die in einem großen Krach enden konnte, mit Schüssen und Messerstechereien!

«Und an wen richtet sich die Kanzone?», fragte Nino, dessen Mund schlagartig trocken geworden war.

«Er heißt Giugiù Mirabello. Kennt ihr ihn?»

«Nein.»

«Das ist ein Schwätzer, der sich für einen Mann hält. Sollte er sich zeigen, während ihr singt, und euch drohen, dann furzt einfach los. Ganz sicher wird er das für einen Schuss halten und sich in die Hosen scheißen. Abgemacht?»

«Abgemacht!»

«Wie viel schulde ich euch für die Angelegenheit?»

«Nichts», sagte Totò.

«Es ist uns eine Freude», legte Nino noch einmal nach.

Konnte man denn von jemandem wie Don Tallarita Geld verlangen?

«Auf baldige Vergeltung! Euch allen eine gute Nacht.»

Der Barbier eilte, die Tür zu öffnen, und Don Simone verließ den Friseursalon.

«Kennt Ihr diesen Mirabello?», fragte Totò.

«Sicher. Mit fünfzehn hat er jemanden ermordet. Und jetzt hat er sich Don Simone gegenüber wohl unfreundlich verhalten. Just heute ist er von seiner Hochzeitsreise nach Pompeji zurückgekehrt.»

«Oje! Also gehen wir zu ihm und singen ihm vor, dass er Hörner aufhat, während seine Frau direkt neben ihm im Bett liegt?»

Der Barbier öffnete gottergeben die Arme.

 

Nino kehrte nach Hause zurück. Im Vorbeifahren sah er, dass die Soldaten vom Zivilschutz auch am Sonntag nicht ruhten. Mitten auf einem Feld standen vier Lastwagen; einer hatte einen Kran geladen, und auf einem anderen stand ein großer Scheinwerfer, der den Graben, in dem etwa zehn Soldaten arbeiteten, taghell erleuchtete.

Nino verbrachte eine schlechte Nacht. Immer wieder warf er sich auf seinem Lager hin und her und dachte an das, was Don Simone Tallarita ihm und Totò für den folgenden Abend aufgetragen hatte.

«Darf man wissen, was mit dir los ist?», fragte Minica ihn irgendwann.

«Nichts, nichts, ich hab nur zu schnell gegessen, und das Essen liegt mir wie Blei im Magen.»

Er ging hinunter, um einen Schluck Wasser zu trinken, und stellte sich ans Fenster. Die Soldaten hatten nicht aufgehört zu arbeiten, der große Scheinwerfer war noch immer eingeschaltet.

 

Am folgenden Abend machte er sich um halb elf auf den Weg. Doch schon fünfzig Meter hinter dem Bahnwärterhäuschen musste er die Lore anhalten. Auf den Gleisen lag ein Block aus Stahlbeton, der von dem Kran langsam in die Höhe gehoben wurde.

«Eine Minute noch!», sagte einer der beiden Soldaten, die die Arbeit überwachten.

«Ach, deine Frau liegt schlafend im Bett, und du gehst deine kleine Freundin besuchen?», foppte ihn der andere und lachte.

Inzwischen kannte man sich gut, er und die zehn Soldaten, die beim Bau des Bunkers eingesetzt waren. Und er hatte eine weitere Flasche Wein kaufen müssen.

Er kam zur Verabredung mit Totò, die für halb zwölf vor dem Café Castiglione vereinbart war. Zu dieser Stunde hatte das Café bereits geschlossen.

«Kannst du deinen Text?», fragte Nino seinen Freund.

«Ja.»

«Und wie geht er?»

Totò sang mit zurückgenommener Stimme:

Der Bock, der trägt zwei Hörner,

indes ich nicht versteh:

Auch Giuggiù trägt zwei...

Erscheint lt. Verlag 2.4.2012
Reihe/Serie Metamorphosen-Trilogie
Übersetzer Moshe Kahn
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • Ehefrau • Legende • Sizilien • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-644-30781-4 / 3644307814
ISBN-13 978-3-644-30781-0 / 9783644307810
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