Imperium (eBook)

Roman
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2012 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30601-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Imperium -  Christian Kracht
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Eine deutsche Südseeballade In »Imperium« erzählt Christian Kracht eine Aussteigergeschichte in den deutschen Kolonien der Südsee, indem er virtuos und gut gelaunt mit den Formen des historischen Abenteuerromans eines Melville, Joseph Conrad, Robert Louis Stevenson oder Jack London spielt. Die Welt wollte er retten, eine neue Religion stiften, gar ein eigenes Reich gründen - eine Utopie verwirklichen, die nicht nur ihn selbst, sondern die Menschheit erlöst, fernab der zerstörerischen europäischen Zivilisation, die gerade aufbricht in die Moderne und in die Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Doch in der Abgeschiedenheit der Südsee, in einer Kolonie des wilhelminischen Deutschland, gerät ein von einem vegetarischen Spleen besessener Sonnenanbeter in eine Spirale des Wahnsinns, die die Abgründe des 20. Jahrhunderts ahnungsvoll vorwegnimmt.In seinem vierten Roman zeichnet Christian Kracht die groteske, verlorene Welt von Deutsch-Neuguinea, eine Welt, die dem Untergang geweiht ist und in der sich doch unsere Gegenwart seltsam spiegelt. Zugleich aber ist Christian Krachts »Imperium« eine erstaunliche, immer wieder auch komische Studie über die Zerbrechlichkeit und Vermessenheit menschlichen Handelns.

Christian Kracht, 1966 in der Schweiz geboren, zählt zu den modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Seine Romane »Faserland«, »1979«, »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten«, »Imperium«, »Die Toten« und »Eurotrash« sind in über 30 Sprachen übersetzt. 2012 erhielt Christian Kracht den Wilhelm-Raabe-Preis, 2016 den Schweizer Buchpreis und den Hermann-Hesse-Literaturpreis.

Christian Kracht, 1966 in der Schweiz geboren, zählt zu den modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Seine Romane »Faserland«, »1979«, »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten«, »Imperium«, »Die Toten« und »Eurotrash« sind in über 30 Sprachen übersetzt. 2012 erhielt Christian Kracht den Wilhelm-Raabe-Preis, 2016 den Schweizer Buchpreis und den Hermann-Hesse-Literaturpreis.

II


In Port Said, vor einer halben Ewigkeit (die in Wirklichkeit nur wenige Wochen gedauert hatte), als man fälschlicherweise seine elf Überseekisten mit den eintausendzweihundert Büchern ausgeladen hatte und er sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden wähnte, hatte er das letzte Mal geweint, ein, zwei fast salzlose Tränen, aus Verzweiflung und aus dem dumpfen Empfinden, ihn verlasse nun zum ersten Male wirklich der Mut. Nachdem er, vergeblich den Hafenmeister suchend, die Zeit genutzt hatte, um einen noch im Mittelmeer geschriebenen, an einen guten Frankfurter Freund gerichteten Brief auf die Post zu geben, den er, um ihn vor Feuchtigkeit zu schützen, in ein Baumwolltuch gewickelt hatte, trank er bei Simon Arzt auf der Terrasse anderthalb Stunden lang ungesüßten Pfefferminztee, während ein stummer Nubier mit einer weißen Serviette Gläser abtrocknete, in denen sich der Kanal im blendenden Wüstenlicht schimmernd brach.

Der ganze Thoreau, Tolstoi, Stirner, Lamarck, Hobbes, auch Swedenborg, die Blavatsky und die Theosophen, alles weg, alles fort. Ach, vielleicht war es besser so, das ganze unnütze Denken futsch, anderswohin verschifft. Aber er hing so daran! Mißmutig machte er sich erneut auf den Weg zur Mole und seinem Schiff nach Ceylon. Es kam ihm der Einfall, man müsse unter den Hafenarbeitern einige Piaster verteilen, also grub Engelhardt in seinen Kitteltaschen und sprach einen Seemann an, dessen Herkunft (Grieche? Portugiese? Mexikaner? Armenier?) aufgrund einer bedauerlichen, halbseitigen Gesichtslähmung durch Taxierung seiner Physiognomie allein nicht zu entschlüsseln war. Er gab ihm das Geld, hörte den Mann schmatzend die Scheine zusammenfalten. Aber, aber, bitte sehr, Effendi, da waren doch seine Bücher! Man entschuldigte sich bei ihm und lud die Kisten ohne große Umstände wieder an Bord, es sei ein Mißverständnis, man habe einen dummen Fehler begangen und Herbertshöhe anderswo vermutet, an der Küste Deutsch-Ostafrikas. Engelhardts Brief an den Freund aber, in dem von Europavergiftung und dem Garten Eden die Rede war, fand sich, nicht ausreichend frankiert, in der Amtsstube der französischen Post von Port Said wieder und kam dort auch zu liegen und schließlich ganz zu ruhen. In einem Rezeptakel für solcherlei Kuverts unter einem Tisch verstaubte er und wurde von anderen Briefen zugedeckt und nach vielen Jahren, in deren Verlauf ein, zwei Weltkriege durchmessen wurden, von einem koptischen Altpapierhändler in stattliche Pakete gebündelt und geschnürt, auf einem Eselskarren zu einer armseligen Hütte hinaus an den Rand der Wüste Sinai kutschiert, was Engelhardt aber, dessen Schiff am Abend noch mitsamt ihm und seinen Bücherkisten Richtung Ceylon auslief, niemals erfahren sollte.

In Colombo gab es gleich zwei herrschaftliche Grand Hotels – das an einem großen Maidan gelegene Galle Face und das etwas außerhalb und südlich der Stadt auf einem Hügel erbaute Mount Lavinia. Engelhardt, der sonst gewiß eine eher bescheidene Unterkunft angesteuert hätte, war zu der Überlegung gekommen, sich in Ceylon einmal etwas zu gönnen, und bestieg eine Rikscha, nachdem er einem uniformierten Boy mehrere Annas gegeben hatte, damit dieser sich um Verbleib und Bewachung seines Gepäcks kümmere, das abermals vom Schiff entladen und am Hafen gelagert werden mußte. Er machte es sich auf der außerordentlich breiten Sitzbank gemütlich und wollte sich in aller Ruhe zum Galle Face Hotel fahren lassen. Aber es ging zu schnell! Die nackten Füße des kleinen alten Ceylonesen klatschten lautmalerisch und monoton auf der Straße vor und unter ihm; Engelhardt überlegte, ob der Rikscha-Wallah wohl so schnell rannte, weil der Asphalt so heiß war, oder ob die Geschwindigkeit sozusagen Teil der Erwartungshaltung der Fahrgäste war, die rasch zum Ziele kommen wollten. Er beugte sich herunter, um das Männchen an der Schulter zu berühren und ihm mitzuteilen, er brauche sich doch bitte seinetwegen nicht so zu beeilen, aber dieser verstand ihn nicht und beschleunigte noch seinen Lauf, weswegen er, schlußendlich an der Vorfahrt des Grand Hotels angekommen, schweißüberströmt und japsend neben der Rikscha zusammenbrach.

Der uniformierte Portier, ein stattlicher Sikh mit prächtigem weißem Bart, kam herbeigerannt, überzog den armen Rikscha-Wallah mit vorwurfsvollen Flüchen, nahm unter Dutzenden von Entschuldigungen Engelhardt das Handgepäck ab und bugsierte, dem auf der Straße liegenden, keuchenden Alten dabei eine Münze vor die Füße werfend, unseren Freund in die kühle und kavernenhafte Empfangshalle, um dort mit routinierter Bewegung die flache Hand auf eine kleine silberne Klingelglocke zu schlagen, die man just für diesen Zweck auf dem Empfangstresen befestigt hatte.

Engelhardt schlief lange und traumlos in einem großen, weißen Zimmer. Ein moderner elektrischer Ventilator summte an der Decke über ihm; ab und an zischte irgendwo im Raume ein Salamander sein meckerndes Locklied und schob dann seine Zunge Richtung Mücke, der er sich lauernd millimeterweise genähert hatte. Gegen vier Uhr morgens klapperten die Fensterläden, ein Wind kam auf, und es regnete eine Stunde lang. Engelhardt aber hörte nichts davon, in zutiefst entspannter Rückenlage schlummerte er auf den frisch gestärkten Laken, die Hände auf der Brust gefaltet. Sein langes Haar, vor dem Schlafengehen vom praktischen Haargummi befreit, welches es bei Tag am Hinterkopfe zusammenhielt, umspielte dunkelblond und wellend das auf dem weißen Kissen ruhende Haupt, als sei er Wagners schlafender Jung Siegfried.

Anderntags, im Abteil des überaus langsam fahrenden Zuges nach Kandy dann, unterwegs zur alten Königsstadt Ceylons, hatte ihm ein tamilischer Gentleman gegenüber gesessen, dessen blauschwarze Haut in seltsamem Kontrast zu den schlohweißen Haarbüscheln stand, die ihm dergestalt aus den Ohren ragten, als seien sie links und rechts an seinem Kopf befestigt, wollige Blumenkohlröschen. Es ging mit einschläfernd langsamer Fahrt durch schattige Kokoshaine und smaragdene Reisfelder. Der Herr trug schwarzen Anzug und einen hohen weißen Kragen, der ihm die Würde eines Richters oder eines Staatsadvokaten verlieh. Engelhardt las in einem vergnüglichen Buch (Dickens), während vor dem Fenster eine Spitzkehre nach der anderen überwunden wurde und die Sicht weit hinaus über sanft ansteigende Teefelder ging – Tee, der in begehbaren Furchen wuchs, aus denen bunt bekleidete, dunkelhäutige Pflückerinnen herausragten, den grün gefüllten Sammelkorb auf dem Rücken.

Schon hatte der Herr ihn fragend angesprochen, und Engelhardt, die eben gelesene Seite seines Buches mittels feuchtem Daumen und Zeigefinger festhaltend, bat höflich, die Frage zu wiederholen, da das Angelsächsische des Herrn in Melodie und Tonalität derart fremd zur Betonung kam, daß Engelhardt wohl einen Australier, selbst einen Texaner noch gut verstanden hätte, diesen ehrwürdigen Tamilen aber fast gar nicht. Während der Staub des Nachmittags auf Sonnenstrahlen durch das offene Zugfenster tanzte, sprachen sie so gut es eben ging – man hatte sich geeinigt, das beiderseitig nur als Mittlersprache verwendete Idiom bedächtig und langsam zu gebrauchen – über die Reliquien des Heiligen Lord Buddha und speziell, denn schon bald steuerte Engelhardt die Konversation dorthin, über die Kokosnuß.

Der Gentleman erklärte mit sanften Gesten, er sei als Tamile zwar dem Hinduismus verpflichtet, doch laut dem geweihten Text der Bhagavata Purana sei der Buddha einer der Avatare Vishnus, der vierundzwanzigste, um es genau zu sagen, und deshalb sei er – und rasch stellte er sich mit einem Händedruck, den Engelhardt als angenehm trocken und fest empfand, als Herr K.V. Govindarajan vor – auf dem Weg nach Kandy, um sich den Zahn des Buddha zu besehen, der dort in einem Tempelschrein verehrt werde. Es handele sich bei der Reliquie um den dens caninus, den links oben gelegenen Eckzahn. Govindarajan zog anmutig mit der Spitze seines dunklen Ringfingers eine Lefze hoch und demonstrierte anschaulich die Verortung des fraglichen Zahnes; Engelhardt sah in das knochenweiße Gebiß, welches in einem kerngesunden, rosaroten Zahnfleisch steckte, und erschauerte innerlich vor Wohligkeit. Die einfachen, langsamen und doch anrührend pathetischen Ausdrucksweisen seines Gegenübers erfüllten ihn mit einer plötzlichen, heftig empfundenen Vertrautheit.

Rasch griff er nach Govindarajans Hand und fragte ihn freiheraus, ob er Vegetarier sei. Aber ja, gewiß, kam die Antwort, er selbst und seine Familie habe sich seit Jahren nur von Früchten ernährt. Engelhardt konnte den Zufall dieser Begegnung kaum fassen, ihm gegenüber im Abteil saß nicht nur ein Geistesbruder, ein Seelenfreund, sondern ein Mann, dessen Ernährung ihn auf Gottes Stufe stellte. Waren nicht die dunklen Rassen den weißen um Jahrhunderte voraus? Und stellte nicht der Hinduismus, dessen höchster Ausdruck der Vegetarismus, also die Liebe war, im Weltengefüge eine Kraft dar, dessen allumspannendes, lichtes Rauschen dereinst jene Länder, denen das Christentum zwar Nächstenliebe geschenkt, darin aber nicht die Tiere einbezogen hatte, überstrahlen würde wie ein blendender Komet? Hatten nicht Rousseau und Burnett, dem Vegetarier Plutarch folgend, und als fällige Replik auf Hobbes’ Leviathan, behauptet, der dem Menschen angeborene Urinstinkt sei der Verzicht auf Fleisch? Und hatte nicht sein gräßlicher Onkel Kuno versucht, ihm als kleinen Jungen den Verzehr von Schinken dadurch schmackhafter zu machen, daß er ihm lachend und feixend aus dem dünnen Schweinefleischlappen eine rosa Zigarre gedreht,...

Erscheint lt. Verlag 24.3.2012
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte August Engelhardt • Aussteiger • Christian Kracht • deutscher Imperialismus • Deutsches Reich • Deutsch-Neuguinea • Faserland • Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten • Insel • Insel-Kolonie • Kabakon • Kolonie • Ozeanien
ISBN-10 3-462-30601-4 / 3462306014
ISBN-13 978-3-462-30601-9 / 9783462306019
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