Mr. Chartwell (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
256 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-06923-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mr. Chartwell -  Rebecca Hunt
Systemvoraussetzungen
4,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Wer hat Angst vorm schwarzen Hund?
Manchmal erlebt man merkwürdige Überraschungen. So geht es auch - wir schreiben das Jahr 1964 - der jungen und oft recht einsamen Bibliothekarin Esther Hammerhans, als sie einen Untermieter sucht. Denn als der erste Interessent bei ihr klingelt, glaubt sie ihren Augen kaum zu trauen: Vor ihrer Tür steht ein riesiger schwarzer Hund, der sich als Mr. Chartwell vorstellt. Obwohl Esther fest entschlossen ist, den unheimlichen Besucher unverzüglich loszuwerden, nimmt sie ihn zu ihrer eigenen Überraschung doch bei sich auf. Sie kann der bestimmenden, aufdringlichen Art ihres Gastes einfach nichts entgegensetzen.
»Der schwarze Hund«, so hat Churchill die Depressionen genannt, unter denen er sein Leben lang gelitten hat. Und Mr. Chartwell ist niemand anders als jener düstere und verführerische Eindringling, der mit Vorliebe Churchills Seele verdunkelt und der nun droht, auch das Leben von Esther Hammerhans zu überschatten ...
Virtuos, kurzweilig und höchst amüsant erzählt die junge britische Autorin Rebecca Hunt die Geschichte von Esther, Churchill und Mr. Chartwell, dem schwarzen Hund, der sie beide eng verbindet - eine bezaubernde Geschichte darüber, wie merkwürdig das Leben sein kann, wie überraschend und manchmal auch ein ganz klein wenig absurd.

Rebecca Hunt wurde 1979 in Coventry geboren und hat am Central Saint Martin's College, einer bekannten Londoner Hochschule für Kunst und Design, studiert. Rebecca Hunt ist Malerin und lebt in London. Ihr erster Roman 'Mr. Chartwell' stand auf der Longlist des Guardian First Book Award und auf der Shortlist des Galaxy National Book Award, ihr zweiter Roman 'Everland' kam auf die Shortlist des Encore Award 2014.

3

9 Uhr

Sein Fell streifte ihren Arm, als Mr. Chartwell an ihr vorbei durch den Flur in die Küche ging und dort mit wachsam gespitzten Ohren auf sie wartete. Vergeblich. Esther war ratlos an der Haustür stehen geblieben. Die übliche Reaktion, wie aus dem Bilderbuch. Er lauschte. Das Geräusch zaghafter Schritte. Gut, sie schlich hinter ihm her Richtung Küche. Da kam sie, aber unendlich langsam. Bestimmt strömte sie, wenn sie näher heran war, eine ganze Wolke von Adrenalin aus, und richtig, da roch er sie schon.

Mit leerem Gesicht beobachtete Esther von der Tür aus, wie Mr. Chartwell sich eine Tasse schwarzen Tee einschenkte. Seine Zunge lappte hinein und betätigte sich leise und emsig. Er stellte die leere Tasse auf den Tisch zurück und sah mit mildem Pferdeblick zum Fenster hinaus, als bewunderte er die Aussicht. Mit dieser höflichen Geste wollte er Esther Zeit geben, sich auf die Sache einzustellen. Er wusste, es war nicht leicht. Dann wandte er der Vermieterin das Gesicht mit einem Ausdruck zu, der sagte: Ich weiß, was du denkst, aber wie wär’s, wenn wir’s einfach ignorieren? Der Ausdruck sagte auch: Hallöchen!

Als er den Kopf bewegte, fuhr Esther zusammen und schlug die Hände vors Gesicht.

»Hübscher Garten«, sagte Mr. Chartwell. »Bauen Sie Gemüse an?«

Esther blickte ihn über die gespreizten Finger hinweg an. Langsam sanken die Finger. Ihr ängstlicher Ton hatte ungefähr die Schärfe eines Salatblatts, als sie sagte: »Entschuldigung Entschuldigung, aber Sie «

Mr. Chartwell nickte enttäuscht. Es enttäuschte ihn, dass sie die Sache nicht ignorieren konnten, wie er gehofft hatte.

»Sie sind «

Abermals ein enttäuschtes Nicken.

»… ein Hund «

Mr. Chartwells Antwort klang nicht unfreundlich. »Ja.«

Ein langes Schweigen, ohne dass etwas geschah. »Sie sind wirklich riesig für einen Labrador«, sagte Esther schließlich.

»Ich bin kein Labrador.« Mr. Chartwell lehnte sich an den Küchentresen und verschränkte die Arme. Er wirkte recht entspannt.

»Sind Sie ein Gespenst?« Esther ertastete sich einen Stuhl am Tisch und ließ sich daraufplumpsen, ohne hinzugucken. »So eine Art Gespenst?«

Mr. Chartwell sagte: »Es ist kaum zu übersehen, dass ich ein Hund bin. Darauf hatten wir uns vor zwei Sekunden schon geeinigt.«

Esther wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr war gar nicht danach, etwas zu sagen. Ihre Augen wanderten in stetigen Sprüngen von seinem Kopf zu den Füßen. An den Füßen angekommen, sprangen die Augen zum Kopf zurück und traten dann ihre Bahn aufs Neue an.

Mr. Chartwell war unverkennbar ein Hund, ein etwa zwei Meter großer Schrank von einem Hund. Auf allen vieren hätte er kleiner gewirkt, aber er balancierte gekonnt auf den Hinterbeinen, deren umgekehrte Knie nach hinten zeigten. Mit dem mächtigen Brustkasten und den stämmigen Beinen, geeignet für das Laufen über raues und schwieriges Gelände, sah er tatsächlich einem Labrador ähnlich, aber einem kräftiger gebauten und bemerkenswert hässlichen Labrador. Nichts an ihm war schön zu nennen: Sein schwarzes Fell war dicht und wasserabweisend, sein breites Gesicht gespalten von einem vulgären Mund. Von der monströsen grauen Zunge, die ihm weit heraushing, tropfte Speichel auf den Boden.

Gebannt von dem Grauensbild, nahm Esther es langsam wahr. Ihre Furcht zerrann nach und nach. Je länger sie schaute, umso mehr verebbte die Furcht. Sie floss in einen passiven Zustand der Alarmbereitschaft über. Mr. Chartwell ließ sie schauen, obwohl es ihm unangenehm war. Er wischte sich einen weißen Speichelfaden von einer Schlabberlippe. Unmöglich, dabei die Etikette zu wahren.

Irgendwann traute sich Esther zu, das Tier wieder anzusprechen. »Werden Sie mich angreifen?«

»Kaum.« Mr. Chartwell sagte das recht geringschätzig.

Schweigen.

Esther flüsterte: »Sie sind wegen dem Zimmer gekommen?«

»Allerdings«, sagte Mr. Chartwell. Endlich waren sie beim richtigen Thema angelangt.

Wenn sie sich nicht krampfhaft am Stuhl festhielt, würde sie, schien es Esther, herunterfallen und mit der leisen Ergebung abbrechender Zigarettenasche am Boden zerkrümeln. »Sie wollen mein Zimmer mieten?«

Mr. Chartwell nickte. »Ich würde gern hier in die Gegend ziehen.«

»Für wie lange?«, fragte Esther und fügte sofort hinzu: »Warum?«

»Weiß nicht genau. Ein paar Tage«, antwortete Mr. Chartwell, ohne auf das Warum einzugehen.

Esther sagte wahrheitsgemäß: »Ich möchte das Zimmer eigentlich ein wenig länger vermieten. Ein paar Tage wären mir nicht so angenehm.«

»Es könnte länger werden, vielleicht zwei Wochen, vielleicht eine Woche.« Er verstummte. Er ließ den Blick über sie wandern. »Wir werden sehen, wie es läuft«, sagte er leise. »Aber unabhängig davon«, seine Stimme wurde wieder laut und eindringlich, »kann ich Ihnen ein einmaliges Kurzzeitangebot machen, das die Sache außerordentlich angenehm gestalten würde.«

Wieder trat Schweigen ein. Esther sah ihn an. Aberwitzig, so etwas zu sagen, es gab nichts, was die Sache angenehm gestalten konnte.

Mr. Chartwell fuhr fort: »Für die Dauer meines Aufenthalts, Mrs. Hammerhans, könnte ich Sie für die Unannehmlichkeit einer so kurzen Vermietung mit einem Pauschalbetrag entschädigen.«

Sie fragte, wie viel. Sie musste fragen. Er wartete darauf.

Mr. Chartwell, ganz der charismatische Talkmaster, zog ein Los aus der Trommel. »Eintausend Pfund«, sagte er. War das zu viel? Jetzt war es zu spät.

Die Fassungslosigkeit kroch über ihr Gesicht. Eintausend Pfund war ein Riesenbetrag, eine umwerfende Menge Geld. Esthers Jahresgehalt als Bibliotheksangestellte im Westminster Palace betrug nur fünfhundert Pfund. Um die Zugkraft seines Angebots wissend, nickte das Tier selbstsicher mit halb geschlossenen Augen und beobachtete, wie sie die finanziellen Möglichkeiten durchspielte.

Dann aber stach der Zweifel zu. Wo war dieses Geld?

»Haben Sie es bei sich?«, fragte Esther. Höchst unwahrscheinlich. Ausgesprochen verdächtig.

Eine Pfote auf sie gerichtet wie zum Befehl, sich zu trauen, wiederholte er: »Eintausend Pfund

Esther sah ihn ungläubig an und hätte am liebsten gefragt, wie ein Hund zu so viel Geld kommen konnte. Sie tat es nicht, um den brüchigen Frieden zwischen ihnen nicht zu gefährden. »Entschuldigung, sind Sie sicher? Ich frage nur, weil «

Er unterbrach sie. »Ich bin sicher. Eintausend Pfund, jawohl.« Fast überdeutlich seine Barthaare, als er sich dabei vorbeugte. Und noch ein Stück näher. Esther meldete keinen weiteren Zweifel an.

Er räusperte sich. »Das wäre also das Angebot. Könnte ich jetzt das Zimmer sehen?«

Esther dachte darüber nach, die Stirn gerunzelt. Er wollte das Zimmer sehen? Sollte er doch. Wie hätte sie ihn auch daran hindern können? Wenn er auf sie losging, war jede Gegenwehr ihrerseits zwecklos. In einem Kampf mit ihm wäre sie wie ein Schwamm, der in die Zähne einer Kettensäge gerät. Sie winkte ihm, ihr die Treppe hinaufzufolgen.

Als Esther die Tür der Kammer aufmachte und er an ihr vorbeiging, drehte sie ruckartig den Kopf zur Wand, angewidert von dem Höhlenbodengestank. Mr. Chartwell schlug Häkeldecke und Bettzeug zurück und prüfte mit festen Stößen die Matratze. Sie wurde für zufriedenstellend befunden. Mit mehrmaligem Aufreißen und Schließen wurde die Leichtgängigkeit der Schranktür kontrolliert. Er steckte den Kopf hinein, um den Stauraum zu begutachten.

Esther sagte: »So, das ist es. Das ist das Zimmer.«

Mr. Chartwells Augen waren beschäftigt. Sie richteten sich auf den Rosenholzschreibtisch an der einen Wand, den darunterstehenden Holzstuhl. Der Stuhl hatte ein durchgesessenes und von Falten zerfurchtes Polster. Bemühungen, es in eine ordentliche Form zu klopfen, fruchteten nicht, doch der Gedanke, ihn wegzuwerfen, verbot sich. Auf dem Schreibtisch stand ein Aufgebot von Bechern mit Bleistiften, Kugelschreibern und allerlei Kleinkram. In einem Becher eine uralte Zuckerstange, in einem anderen eine Spielzeugkuh aus Plastik und ein Trommelstock mit aufgemaltem Gesicht. Ein abgeschälter Zweig wohnte unter den Bleistiften, daneben ein Kompass und eine kleine Elfenbeinschnitzerei. Wasserringe auf dem Holz erzählten eine Geschichte heißer Getränke. Der Schreibtisch war ein Museum. Mr. Chartwells Pfote wanderte zu einer Schublade und drehte den Griff. Der Griff war locker, und begeistert rüttelte er daran. Er rief sich zur Ordnung.

An der Wand über dem Schreibtisch das kleine blasse Viereck eines abgenommenen Fotos. Mr. Chartwell blickte unverwandt den hellen Fleck an, während Esther sagte: »Es war früher ein Arbeitszimmer. Deswegen steht hier der Schreibtisch.«

Mr. Chartwell wandte sich von dem Fotofleck ab, spielte mit der Wamme an seiner Kehle und ließ sich alles durch den Kopf gehen. »Wie steht’s mit der Benutzung des Wagens?«, fragte er nach einer Weile. »Könnte ich gelegentlich damit fahren?«

»Nein«, log Esther entschieden. »Eine Benutzung des Wagens ist ausgeschlossen.«

Er sah sie an und wusste, dass sie log. Die Wamme wurde hierhin und dorthin gezupft. Seine Augen schweiften über die Decke. »Und die Nachbarn, wie sind die...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2012
Übersetzer Hans-Ulrich Möhring
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Depression • der schwarze Hund • eBooks • England • Roman • Romane
ISBN-10 3-641-06923-8 / 3641069238
ISBN-13 978-3-641-06923-0 / 9783641069230
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99