Schiff der tausend Träume (eBook)

Roman

(Autor)

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2012 | 1. Auflage
640 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401983-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schiff der tausend Träume -  Leah Fleming
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Zwei ungewöhnliche Frauen. Eine schicksalshafte Nacht. Ein ganzes Leben voller Geheimnisse. Als sie an Bord der Titanic gehen, sind sie durch Stand und Herkunft getrennt: die Auswanderin May und die reiche Celeste. Als das unsinkbare Schiff sinkt, kann Celeste May und, wie sie glaubt, deren Kind aus den eisigen Fluten retten. In jener Nacht erwächst zwischen May und Celeste eine Freundschaft, die ihren weiteren Lebensweg auf immer verbindet - ebenso wie das Geheimnis des geretteten Kindes, das die Zukunft dreier Generationen prägen wird: von New York über England bis zu den Hügeln der Toskana... »Fleming ist die geborene Erzählerin!« Kate Atkinson

Leah Fleming stammt aus dem englischen Lancashire. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. Ihre erfolgreichen historischen Romane handeln von starken Frauen und Familien. Sie lebt und arbeitet in den Yorkshire Dales und in einem alten Olivengut auf Kreta.

Leah Fleming stammt aus dem englischen Lancashire. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. Ihre erfolgreichen historischen Romane handeln von starken Frauen und Familien. Sie lebt und arbeitet in den Yorkshire Dales und in einem alten Olivengut auf Kreta. Marion Balkenhol übersetzt aus dem Englischen. Sie übertrug u.a. Romane von Marion Zimmer Bradley und Judy Nunn ins Deutsche. Annette Hahn lebt in Münster und übersetzt aus dem Englischen. Unter anderem übertrug sie Romane von Graeme Simsion, Anne Fortier und Kate Saunders ins Deutsche.

3


Ihr erster Blick auf London und seine prächtigen Gebäude erfüllte May mit Ehrfurcht. Ungläubig schaute sie an Big Ben hoch und erhaschte auf der Brücke einen flüchtigen Eindruck vom Londoner Tower. Sie übernachteten in der Nähe von St. Paul’s in einer Pension, die nicht allzu sauber war. Sie musste nur das schmuddelige Gesicht der Wirtin ansehen, schon drehte May die Matratzen um und überprüfte sie auf Wanzen. Ellen kam in der fremden Umgebung nicht zur Ruhe, und sie verbrachten eine rastlose Nacht. Wenn es so weiterginge, hatte May gesagt, dann hätten sie eine höllisch lange Seereise vor sich. Am Ende wären sie Wracks. Joe hatte gelacht und sie voller Vorfreude durch den Raum gewirbelt. Sie konnte gar nicht anders, als in sein Lachen einzustimmen, seine Laune und seine Begeisterung waren einfach ansteckend.

Früh am nächsten Morgen leisteten sie sich ein Taxi zur Waterloo Station und schickten Postkarten an Freunde in der Baumwollspinnerei, bevor sie aufbrachen. May betrachtete verwundert die Schlangen aus Bussen, Pferdekutschen und Männern mit Schubkarren. Noch nie hatte sie miterlebt, wie viel Betrieb in einer so großen Stadt im frühen Morgenlicht herrschte. Woher kamen all diese Leute?

Allein der Gedanke, dass die nächste große Stadt New York sein würde!

Als sie schließlich Waterloo erreichten, um den Zug zum Schiff zu nehmen, bekam May das Gefühl, noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen zu haben – Männer und Frauen mit Koffern und Taschen, kleine Kinder, die versuchten mitzuhalten. Verzweifelt klammerte sie sich an Joe und Ellen, voller Sorge, von ihnen getrennt zu werden. Rauch, Dampf, Ruß und Lärm trieben sie vor sich her in die wartenden Waggons mit Fahrtziel Southampton. Erschöpft, aufgelöst, eine unter Hunderten, empfand May plötzlich Stolz, dass Joe es wagte, mehr für seine Familie anzustreben als irgendeine kleine Nebenstraße einer Spinnereistadt.

Doch als der Zug auf seinen Gleisen ratterte und sie immer weiter von allem entfernte, was sie je gekannt hatten, wurde ihr wieder unbehaglich zumute. Wie sollten sie sich in einem fremden Land zurechtfinden? Wie würde das Wetter sein? Ob sie überhaupt dorthin passten? Und wenn die Kleine nun krank würde? Das Risiko war enorm. Als der Zug in den Hafen von Southampton einfuhr, sah sie das graue Meer und konnte einen flüchtigen Blick auf das große Schiff werfen. Am Mast flatterte die Flagge der Reederei White Star. Es ragte hoch über den Bäumen und Häusern auf, und ihr Herz hämmerte. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie mussten sich der Schiffsbesatzung anvertrauen, die sie über den Ozean in ihr neues Leben bringen würde.

Als sie an den Anleger kamen, erblickte May den großen Rumpf der Titanic mit den vier Schornsteinen darüber, und ein Schauder rann ihr über den Rücken, ob sie wollte oder nicht. Die Schornsteine waren cremefarben, hatten oben einen schwarzen Rand und krönten eine einhundert Fuß hohe gusseiserne Schiffswand, die wie ein stählerner Berg aufragte.

»Wie um alles in der Welt kann das Ding schwimmen?«, krächzte sie, als sie sich in die Schlange der Einschiffenden reihten, die sich auf das C-Deck begaben. Sie war derart beeindruckt von den ungeheuren Ausmaßen des Schiffes, das in der nächsten Woche ihr Zuhause sein würde, dass sie über den Rock einer Frau vor ihr stolperte, die sich umdrehte und ihr einen wütenden Blick zuwarf.

»Gut gelandet?«, lachte Joe, doch May fand es nicht lustig.

»Meine Füße wollen dieses Schiff nicht betreten«, flüsterte sie.

»Blödsinn«, erwiderte Joe, der ihre Gedanken las. »Der Herrgott selbst könnte dieses Schiff nicht versenken!«

»Ich hoffe, du weißt, was wir tun, Joe. Wir haben so einen weiten Weg vor uns.« Sie zog ihren Mantel fest um sich.

»Sieh doch selbst, das Wasser ist tief genug, um sie oben zu halten. Die Titanic ist nagelneu, und wir haben das Glück, mit ihr zu fahren. In den Zeitungen steht, ihre dritte Klasse ist so gut wie die erste auf anderen Schiffen. Es heißt, sie hat alle Sicherheitsvorkehrungen, die man sich nur denken kann. Sie ist unsinkbar. Mach dir keine Sorgen, May.«

Ihre Fahrkarten wurden überprüft, und ein bebrillter Mann in weißem Mantel untersuchte sie auf Anzeichen von Fieber und nach Läusen, was May höchst beschämend fand. Sie hätten sie bis auf ihr Hemd ausziehen können und nichts außer sauberer Lancashire-Baumwolle gefunden.

Von Stewarts geführt, folgten sie der Schlange auf das C-Deck. Unwillkürlich wurde May von Angst erfasst, als sie durch ein Gewirr von Gängen immer tiefer in das Schiff hinabstiegen. Sie hatte nie viel für Wasser übrig gehabt, nicht einmal eine Bootsfahrt auf dem See in Queens Park hatte ihr Spaß gemacht, obwohl Joe sie gezwungen hatte, in den Becken von Belmont platschend und unter Protest schwimmen zu lernen. Sie hatte das Wasser in Nase und Augen verabscheut und sich nach Kräften bemüht, den Kopf oben zu halten.

Unten im Innern des Schiffes wurden sie zu einer sauberen, holzvertäfelten Kabine mit Kojen geführt, eine von vielen an einem mit Linoleumfliesen belegten Gang zwischen Stahlwänden, der jetzt so breit wie eine Hauptstraße war. Der Durchgang war mit lärmenden Familien überfüllt, rennenden Kindern, die sich in einem Gewirr aus fremden Sprachen aufgeregt etwas zuriefen. Eigenartige Aromen hingen in der Luft: Gewürze, Tabakrauch, Schweiß, das alles vermischt mit dem Geruch nach frischer Farbe.

In der Kabine setzte sich May auf die Koje und überprüfte instinktiv die Größe. »Schon mal eine passende Matratze«, stellte sie fest. Alles war neu: die Laken, die Handtücher, der Bodenbelag. »Ich kriege hier drinnen keine Luft«, sagte sie. »Es ist sauber, aber …« Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie sieben Nächte so verbringen sollte, eingepfercht in diesem Raum, der einer Holzkiste ähnelte, so sauber er auch sein mochte. Er roch wie ein Sarg. Sie schauderte erneut und warf dann einen Blick auf Ellen, die zufrieden über den Boden kroch und alles inspizierte. Noch so eine, die Lust auf Abenteuer hatte. Sie musste sich zusammenreißen. Immerhin waren sie nicht gezwungen, sich die Kabine mit Fremden zu teilen.

»Also gut.« Sie erholte sich. »Dann wollen wir an Deck gehen. Wenn ich frische Luft bekomme, geht es mir gleich besser.«

Während sie sich durch ein Labyrinth aus Gängen und Treppen schlängelten, betrachtete May bewundernd die Schiffsquartiere und vergaß darüber beinahe ihre Bedenken. »Es ist wie eine Stadt«, rief sie und spähte in jeden freien Raum. Ein riesiger Speisesaal war zu sehen, mit langen Holztischen und stabilen Kapitänsstühlen, ähnlich denen in der Sakristei der Kirche. Die Böden waren mit gemustertem Linoleum ausgelegt, das noch nach Klebstoff roch. Irgendwo oben befand sich ein Rauchersalon, doch hier war ein großer Salon mit bequemen Lehnsesseln und einem Klavier in der Ecke. Alles war auf Hochglanz poliert und schimmerte, an den Wänden hingen gerahmte Bilder, in den Ecken standen Topfpflanzen. Kein Staubkörnchen war zu sehen. Das alles war höchst zufriedenstellend, und trotzdem … Sie kam nicht gegen das Gefühl an, dass es viel zu groß war und sie viel zu tief unter der Wasserlinie untergebracht waren.

Joe trug Ellen durch Gänge und über Treppen auf der Suche nach einem freien Platz an Deck, wo sie die Möwen sehen konnten. »Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis wir ablegen«, rief er, und May sah ihm die Aufregung an. Sie drehte sich um und beobachtete andere Passagiere, die mit Umarmungen Abschied von Verwandten nahmen, wobei sie einen Anflug von Neid verspürte. Sie und Joe hatten kaum einen Blutsverwandten. All ihre Hoffnungen ruhten auf »Onkel« George in Idaho. So glücklich ihre kleine Familie auch war, es wäre schön gewesen, das Gefühl zu haben, zu etwas Größerem zu gehören.

Eigenartig, wenn man bedachte, dass sie England vielleicht nie wieder beträten, nie mehr den Union Jack flattern sähen oder die Leute in Lancashire hörten, die sich in ihrem Dialekt auf den Bürgersteigen etwas zuriefen. Wo würde sie eine anständige Tasse Tee finden? Sie hatte gehört, dass man in den Staaten nur Kaffee trank. Joe zeigte Ellen Schiffe an anderen Liegeplätzen, beugte sich über die Reling und beobachtete einen Kran, der eine schöne schwarzgoldene Limousine emporhievte. Weiter oben in der ersten Klasse herrschte sehr viel Wohlstand an Bord, obwohl May wusste, dass man ihresgleichen wohlweislich von solch wichtigen Passagieren fernhalten würde. Sie würden in zwei verschiedenen Welten an Bord leben, doch das machte ihr nichts aus, solange sie alle sicher in New York ankamen.

May drehte sich zu Joe um und fühlte die Brise auf Ellens kalten Wangen. Höchste Zeit, nach drinnen zu gehen. Sie wollte weder mit ansehen, wie das Schiff sich von ihrem Heimatland entfernte, noch den tränenreichen Abschied der Verwandten, die noch einmal für einen letzten Blick auf ihre Lieben stehenblieben. Der Tag war lang gewesen, und sie wollte ihre Erkundung unter Deck weiter fortsetzen. Sollte sie sich verlaufen, waren Stewarts da, die ihr halfen, und sie hatte sich die Nummer ihrer Kabine gemerkt. Je nach Wetterlage würden sie sieben Nächte über sich ergehen lassen müssen, dachte sie seufzend. Sie hoffte nur, dass sie bis Mittwoch durchhielt.

Später schritt Joe ungeduldig in der kleinen Kabine auf und ab. »Warum verkriechst du dich hier drinnen wie ein Einsiedlerkrebs, wenn es doch so vieles zu entdecken gibt? Da spielt ein Klavier, es wird gesungen, und wir können uns das Orchester anhören, einen Happen essen. Ich habe noch nie eine so große Auswahl auf einer Speisekarte gesehen: Pasteten, Torten, Salate. Wir sollten uns den Magen füllen, solange wir können«, riet er...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2012
Übersetzer Marion Balkenhol, Annette Hahn
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Auswanderer • Emigration • England • Familiengeschichte • Geheimnis • Generationen • Liebe • New York • Starke Frauen • Titanic • Toskana • Valentinstag
ISBN-10 3-10-401983-5 / 3104019835
ISBN-13 978-3-10-401983-3 / 9783104019833
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