Die Herrlichkeit des Lebens (eBook)

Seit 14. März 2024 im Kino
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2011 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30065-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Herrlichkeit des Lebens -  Michael Kumpfmüller
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Der internationale Bestseller von Michael Kumpfmüller über die letzte Liebe Kafkas Überlebensgroß ist der Mythos Franz Kafka, dessen Nachruhm als Schriftsteller scheinbar mit einem weithin unglücklichen Leben erkauft wurde. Doch nun wirft Michael Kumpfmüller ein helles, fast heiteres Licht auf den berühmten Dichter und zeichnet liebevoll und diskret einen Menschen, der in seinem letzten Jahr die große Liebe findet und sein Leben in die Hand nimmt, bevor es dafür zu spät ist. Im Sommer 1923 lernt der tuberkulosekranke Franz Kafka, als Dichter nur Eingeweihten bekannt, in einem Ostseebad die 25-jährige Köchin Dora Diamant kennen. Und innerhalb weniger Wochen tut er, was er nicht für möglich gehalten hat: Er entscheidet sich für das Zusammenleben mit einer Frau, teilt Tisch und Bett mit Dora. In Berlin wagt er mit ihr das gemeinsame Leben, mitten in der Hyperinflation der Weimarer Republik. Den täglich kletternden Preisen, den wechselnden Untermietquartieren, den argwöhnischen Eltern zum Trotz: Bis zu seinem Tod im Juni 1924 werden sich Franz Kafka und Dora Diamant, von wenigen Tagen abgesehen, nicht mehr trennen. Aus dieser wahren Geschichte macht Michael Kumpfmüller einen feinsinnigen, behutsamen und kenntnisreichen Liebesroman. Kafkas Tagebücher, seine Briefe und letzten Texte kennt er genau und webt sie zart in die Erzählung ein. Aber ebenso sehr widmet er sich Doras Sicht, dem Blick der verliebten jungen Frau auf ihren rätselhaften, sterbenden Mann. Und so gelingt Kumpfmüller eine tief anrührende Parabel über das Leben und die Liebe, das Schreiben und den Tod. »Michael Kumpfmüller pokert hoch, wenn er die Liebsgeschichte zwischen Franz Kafka und Dora Diamant nacherzählt. Doch er gewinnt, und die Lesenden ohnehin.« Kulturtipp, Schweiz Der Bestseller »Die Herrlichkeit des Lebens« von Michael Kumpfmüller wurde von Georg Maas und Judith Kaufmann verfilmt und ist seit 14. März in den Kinos zu sehen. In den Hauptrollen spielen Henriette Confurius (»Tannbach - Schicksal eines Dorfes«), Sabin Tambrea (»Babylon Berlin«), Manuel Rubey (»Braunschlag«) und Daniela Donja Golpashin (»Ich und die Anderen«). 

Michael Kumpfmüller, geboren 1961 in München, lebt als freier Autor in Berlin. Im Jahr 2000 erschien mit dem gefeierten Roman »Hampels Fluchten« seine erste literarische Veröffentlichung, 2003 sein zweiter Roman »Durst« und 2008 »Nachricht an alle«, für den er vor dem Erscheinen mit dem Döblin-Preis ausgezeichnet wurde. »Die Herrlichkeit des Lebens« wurde 2011 zum Bestseller und von der literarischen Kritik hochgelobt. Mittlerweile ist der Roman in 27 Sprachen übersetzt und 2024 unter der Regie von Georg Maas und Judith Kaufmann verfilmt worden. Zuletzt erschienen bei Kiepenheuer & Witsch die Romane »Tage mit Ora« (2018), »Ach, Virginia« (2020) und »Mischa und der Meister« (2022).

Michael Kumpfmüller, geboren 1961 in München, lebt als freier Autor in Berlin. Im Jahr 2000 erschien mit dem gefeierten Roman »Hampels Fluchten« seine erste literarische Veröffentlichung, 2003 sein zweiter Roman »Durst« und 2008 »Nachricht an alle«, für den er vor dem Erscheinen mit dem Döblin-Preis ausgezeichnet wurde. Bei seiner Veröffentlichung im Jahr 2011 wurde der Roman »Die Herrlichkeit des Lebens« zum Bestseller und von der literarischen Kritik hochgelobt. Mittlerweile ist er in 24 Sprachen übersetzt worden. Zuletzt erschienen seine Romane »Die Erziehung des Mannes« (2016), »Tage mit Ora« (2018) und »Ach, Virginia« (2020).

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1


Der Doktor kommt spätabends an einem Freitag im Juli. Das letzte Stück von der Bahnstation im offenen Wagen hat kein Ende genommen, es ist noch immer sehr heiß, er ist erschöpft, aber jetzt ist er da. Elli und die Kinder warten in der Empfangshalle auf ihn. Er hat kaum Zeit, sein Gepäck abzustellen, da stürmen Felix und Gerti auf ihn zu, reden auf ihn ein. Seit dem frühen Morgen waren sie am Meer, wollen am liebsten gleich wieder hin und ihm zeigen, was sie gebaut haben, eine riesige Sandburg, der Strand ist voll von ihnen. Nun lasst ihn doch erst mal, mahnt Elli, die die verschlafene Hanna auf dem Arm hat, aber sie reden immer weiter von ihrem Tag. Elli fragt: Wie war die Reise? Willst du etwas essen? Der Doktor überlegt, ob er etwas essen will, denn Appetit hat er keinen. Trotzdem geht er kurz nach oben in die Ferienwohnung, die Kinder zeigen ihm, wo sie schlafen, sie sind elf und zwölf und suchen tausend Ausreden, warum sie noch nicht ins Bett können. Das Fräulein hat einen Teller mit Nüssen und Früchten vorbereitet, eine Karaffe Wasser steht bereit, er trinkt, sagt der Schwester, wie dankbar er ihr ist, denn in den nächsten drei Wochen wird er hier essen, sie werden viel Zeit zusammen verbringen, wobei sich zeigen muss, wie er das auf die Dauer findet.

Der Doktor erhofft sich nicht viel von diesem Aufenthalt. Er hat schlimme Monate hinter sich, zu Hause bei den Eltern wollte er nicht länger bleiben, da kam die Einladung an die Ostsee gerade recht. Das Quartier hat die Schwester aus der Zeitung, eine Annonce, die vorzügliche Betten und solide Preise versprach, dazu Balkone, Veranden, Loggien, direkt am Hochwald mit herrlichem Blick auf die See.

Sein Zimmer liegt am anderen Ende des Flurs. Es ist nicht allzu groß, aber es gibt einen Schreibtisch, die Matratze ist hart, außerdem hat es zur Waldseite hin einen schmalen Balkon, der Ruhe verheißt, wenngleich von einem nahe gelegenen Gebäude Kinderstimmen zu hören sind. Er packt seine Sachen aus, ein paar Anzüge, Wäsche, Lektüre, das Schreibpapier. Er könnte Max berichten, wie die Gespräche im neuen Verlag verlaufen sind, aber das kann er dieser Tage noch erledigen. Es war seltsam, nach all den Jahren in Berlin zu sein, und vierundzwanzig Stunden später ist er hier in Müritz, in einem Haus, das sich Glückauf nennt. Elli hat bereits einen Scherz darüber gemacht, sie hofft, dass der Doktor in der Seeluft ein paar Kilo zunimmt, obwohl sie beide wissen, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist. Alles wiederholt sich, denkt er, die Sommer seit Jahren in irgendwelchen Hotels oder Sanatorien, und dann die langen Winter in der Stadt, wo er manchmal für Wochen das Bett nicht verlässt. Er ist froh, allein zu sein, setzt sich ein wenig auf den Balkon, wo noch immer die Stimmen sind, dann geht er zu Bett und findet ohne Mühe in den Schlaf.

 

Als er am nächsten Morgen erwacht, hat er mehr als acht Stunden geschlafen. Er weiß sofort, wo er ist, er ist am Meer in diesem Zimmer, weit weg von allem, was er bis zum Überdruss kennt. Die Stimmen der Kinder, die ihn gestern in den Schlaf begleitet haben, sind auch wieder da, sie singen ein Lied, auf Hebräisch, wie nicht schwer zu erkennen ist. Sie sind aus dem Osten, denkt er, es gibt Ferienheime für diese Kinder, vor zwei Tagen in Berlin hat Puah, seine Hebräischlehrerin, erwähnt, dass es auch eins in Müritz gibt, und nun ist es in unmittelbarer Nähe. Er tritt auf den Balkon und sieht zu ihnen herüber. Mit den Liedern sind sie fertig, sie sitzen vor dem Haus an einem langen Tisch und frühstücken, sehr laut und fröhlich. Vor einem Jahr in Planá hat er sich an solchen Geräuschen sehr gestört, aber jetzt freut er sich beinahe über das Geplapper. Er erkundigt sich bei seiner Schwester, ob sie etwas von ihnen weiß, aber Elli weiß nichts und scheint sich zu wundern, dass er plötzlich so aufgeregt ist, fragt nach seiner Nacht, ob er mit dem Zimmer zufrieden ist, ja, er ist zufrieden, er freut sich auf den Strand.

Der Weg ist weiter als gedacht, man geht fast eine Viertelstunde. Gerti und Felix tragen die Taschen mit den Badesachen und dem Proviant, rennen ein Stückchen vor und wieder zurück zu ihm, der nur langsam nachfolgt. Das Meer liegt silbrig glatt in der Sonne, überall sieht man Kinder in bunten Badekleidern, die im flachen Wasser plantschen oder mit Bällen spielen. Elli hat zum Glück einen eigenen Strandkorb für ihn gemietet, rechts von der Landungsbrücke, sodass er alles gut im Blick hat. Rund um die gestreiften Strandkörbe sind überall kniehohe Sandburgen gebaut, mindestens jede zweite ist mit einem Davidstern aus Muscheln geschmückt.

Gerti und Felix wollen ins Wasser und freuen sich, dass er mitkommt. Im Uferbereich ist das Wasser badewannenwarm, aber dann schwimmt er mit den beiden hinaus, bis sich auch kältere Strömungen bemerkbar machen. Gerti möchte, dass er ihr zeigt, wie man toter Mann macht, es ist gar nicht schwer, und so treiben sie eine Weile im glitzernden Wasser, bis vom Ufer die Stimme von Elli zu hören ist. Er soll es nicht übertreiben, mahnt sie. Hat er gestern Abend nicht leichtes Fieber gehabt? Ja, gibt der Doktor zu, aber seit heute Morgen ist das Fieber weg. Trotzdem tut es jetzt gut, ruhig im Strandkorb zu sitzen, es muss weit über dreißig Grad haben, in der Sonne ist es kaum auszuhalten. Auch Gerti und Felix sollen es mit der Sonne nicht übertreiben, sie legen gerade mit Kiefernzapfen die Anfangsbuchstaben seines Namens in den Sand. Lange sitzt er einfach da und schaut den Kindern zu, hört ab und zu einen Fetzen Jiddisch, die mahnende Stimme eines der Betreuer, die nicht älter als Mitte zwanzig sind. Gerti hat Kontakt zu einer Gruppe Mädchen, von denen sie auf Nachfrage berichtet, ja, sie kämen aus Berlin, sie machen Ferien wie wir, in einem Heim nicht weit von uns.

Der Doktor könnte stundenlang so sitzen. Elli fragt ihn dauernd, wie er sich fühlt, immer in diesem mütterlich besorgten Ton, den er an ihr schon kennt. Er hat mit Elli nie so reden können, wie er mit Ottla reden kann, dennoch kommt er jetzt auf Hugo und Else Bergmann, die ihn eingeladen haben, mit ihnen nach Palästina zu gehen, nach Tel Aviv, wo es ebenfalls einen Strand gibt und lachende Kinder wie hier. Elli muss nicht viel dazu sagen, der Doktor weiß, was sie von solchen Plänen hält, im Grunde glaubt er selbst nicht daran. Aber die Kinder sind eine große Freude, er ist froh und dankbar, hier unter ihnen zu sein. Er kann sogar schlafen in all dem Trubel, in der größten Mittagshitze über eine Stunde, bevor ihn Gerti und Felix noch einmal ins Wasser holen.

 

Am zweiten Tag beginnt er, die ersten Gesichter zu unterscheiden. Seine Augen schweifen nicht mehr wahllos, er entwickelt Vorlieben, entdeckt ein paar lange Mädchenbeine, einen Mund, Haare, eine Bürste, die durch diese Haare fährt, ab und zu einen Blick, drüben die große Dunkle, die mehrmals herübersieht und dann so tut, als sei sie’s nicht gewesen. Zwei, drei Mädchen erkennt er an der Stimme, er beobachtet, wie sie weit vorn ins Wasser springen, wie sie durch den heißen Sand laufen, Hand in Hand, unter fortwährendem Gekicher. Er hat Schwierigkeiten mit ihrem Alter. Mal hält er sie für siebzehn, dann scheinen es doch noch Kinder zu sein, und eben dieses Changieren macht das Vergnügen, sich mit ihnen zu beschäftigen, aus.

Vor allem die große Dunkle hat es ihm angetan. Er könnte Gerti fragen, wie sie heißt, denn Gerti hat bereits mit ihr gesprochen, aber auf diese Weise möchte er sein Interesse nicht zeigen. Er würde sie gerne zum Lachen bringen, denn leider lacht sie nie. Sie wirkt trotzig, als würde sie sich seit Langem über etwas ärgern. Am späten Nachmittag sieht er sie vom Balkon, wie sie im Garten der Ferienkolonie den Tisch deckt, und dann, am Abend, wie sie in einem Theaterstück die weibliche Hauptrolle spielt. Was sie sagt, kann er nicht verstehen, aber er sieht, wie sie sich bewegt, mit welcher Hingabe sie spielt, offenbar in der Rolle einer Braut, die gegen ihren Willen verheiratet werden soll, so jedenfalls reimt er sich die Handlung zusammen, er hört das Lachen der Kinder, den Applaus, zu dem sich die Dunkle mehrfach verbeugt.

Noch als er Elli und den Kindern davon berichtet, ist er voller Wehmut. Vor dem Krieg hat er Leute vom Theater gekannt, den wilden Löwy, den sein Vater so verachtet hat, die jungen Schauspielerinnen, die ihren jiddischen Text kaum konnten, aber was lag in ihrem Spiel für eine Kraft, wie hatte er damals noch geglaubt.

 

Als Gerti das Mädchen am nächsten Vormittag zu seinem Strandkorb führt, sieht er es erstmals lächeln. Anfangs ist sie schüchtern, aber als er ihr sagt, dass er sie spielen gesehen hat, wird sie bald zutraulich. Er erfährt, dass sie Tile heißt, macht ihr Komplimente. Wie eine richtige Schauspielerin habe sie ausgesehen, worauf sie erwidert, sie habe hoffentlich wie eine Braut ausgesehen, denn eine Schauspielerin habe sie nicht gespielt. Dem Doktor gefällt ihre Antwort, sie lachen und lernen sich näher kennen. Ja, sie sei aus Berlin, sagt sie, weiß auch, wer der Doktor ist, denn in der Buchhandlung, in der sie arbeitet, hat sie vor Wochen eines seiner Bücher ins Schaufenster gelegt. Mehr scheint sie von sich nicht preisgeben zu wollen, nicht solange Gerti dabeisteht, und so lädt sie der Doktor zu einem Spaziergang auf der Landungsbrücke ein. Sie möchte Tänzerin werden, stellt sich heraus, was auch der Grund für ihren Kummer ist, sie hat Ärger mit ihren Eltern, die es um jeden Preis verhindern wollen. Der Doktor weiß nicht recht, wie er sie trösten soll, der...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2011
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Franz Kafka • Gesellschaft • Liebe • Liebesroman • Michael Kumpfmüller • Partnerin • Selbständigkeit • Weimarer Republik • Zusammen-Leben
ISBN-10 3-462-30065-2 / 3462300652
ISBN-13 978-3-462-30065-9 / 9783462300659
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