Unsichtbar (eBook)

(Autor)

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2010 | 1. Auflage
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00691-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Unsichtbar -  PAUL AUSTER
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New York, 1967: Der gutaussehende, hochsensible Adam Walker will Dichter werden. Da bietet ihm auf einer Party ein reicher Franzose namens Rudolf Born das Geld zur Gründung einer Literaturzeitschrift an. Adam hält den Vorschlag zunächst für eine Schnapsidee, aber als Born ihn ein paar Tage später zum Essen einlädt, bekommt er die glaubhafte Bestätigung in Gestalt eines Schecks. Allerdings zeigt sich bei diesem Essen auch ein sinistrer Born, ein Mann voll verhaltenem Jähzorn, der Adam betrunken empfängt und ihn zu dem Eingeständnis nötigen will, er begehre seine Freundin. Das tut Adam in der Tat; und Margot sitzt ihm gegenüber und wirft ihm verschattete Blicke zu. Kurz darauf reist Born für ein paar Tage nach Paris, Margot ruft Adam an, und eine Amour fou beginnt. Doch Born ist zu fürchten, er geht, wie sich bald erweisen wird, über Leichen. AUSTER hat noch kein intensiveres und drastischeres Buch über die Liebe und das Schicksal geschrieben. In «Unsichtbar» ist er auf der Höhe seines Schaffens - erfindungsreich, abgründig und direkt am Puls des Lebens.

Paul Auster wurde 1947 in Newark, New Jersey, geboren. Er studierte Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University und verbrachte nach dem Studium einige Jahre in Frankreich. International bekannt wurde er mit seinen Romanen Im Land der letzten Dinge und der New-York-Trilogie. Sein umfangreiches, vielfach preisgekröntes Werk umfasst neben zahlreichen Romanen auch Essays und Gedichte sowie Übersetzungen zeitgenössischer Lyrik.

Paul Auster wurde 1947 in Newark, New Jersey, geboren. Er studierte Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University und verbrachte nach dem Studium einige Jahre in Frankreich. International bekannt wurde er mit seinen Romanen Im Land der letzten Dinge und der New-York-Trilogie. Sein umfangreiches, vielfach preisgekröntes Werk umfasst neben zahlreichen Romanen auch Essays und Gedichte sowie Übersetzungen zeitgenössischer Lyrik. Werner Schmitz ist seit 1981 als Übersetzer tätig, u. a. von Malcolm Lowry, John le Carré, Ernest Hemingway, Philip Roth und Paul Auster. 2011 erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis. Er lebt in der Lüneburger Heide.

II


Im dunklen Zeitalter unserer Jugend waren Walker und ich Freunde gewesen. 1965 kamen wir zusammen auf die Columbia, zwei achtzehnjährige Frischlinge aus New Jersey, und in den nächsten vier Jahren bewegten wir uns in denselben Kreisen, lasen dieselben Bücher und hatten dieselben Ziele. Nachdem unser Jahrgang den Abschluss gemacht hatte, verlor ich den Kontakt zu ihm. Anfang der siebziger Jahre traf ich jemanden, der mir erzählte, Adam lebe in London (oder in Rom, er wusste es nicht genau), und das war das letzte Mal, dass ich von ihm hörte. In den folgenden gut dreißig Jahren musste ich nur selten an ihn denken, aber wenn ich es tat, fragte ich mich jedes Mal, wie er es geschafft hatte, so vollständig von der Bildfläche zu verschwinden. Von allen jungen Außenseitern unserer kleinen Collegeclique war Walker mir als derjenige erschienen, aus dem am ehesten etwas werden würde, und ich hatte angenommen, früher oder später auf Artikel über seine Bücher zu stoßen oder Sachen von ihm in irgendwelchen Zeitschriften zu lesen – Gedichte oder Romane, Kurzgeschichten oder Rezensionen, vielleicht auch eine Übersetzung eines seiner geliebten französischen Dichter –, aber dazu ist es nie gekommen, und daraus konnte ich nur schließen, dass der Junge, der für ein Leben in der literarischen Welt bestimmt gewesen war, sich letztlich doch anderen Dingen zugewandt hatte.

Vor knapp einem Jahr (im Frühjahr 2007) brachte mir der UPS-Bote ein Paket in mein Haus in Brooklyn. Es enthielt das Manuskript von Walkers Erzählung über Rudolf Born (Teil I dieses Buchs) und ein Begleitschreiben von Adam, das folgendermaßen lautete:

 

Lieber Jim,

verzeih meine Zudringlichkeit nach so langem Schweigen. Wenn meine Erinnerung nicht trügt, ist es achtunddreißig Jahre her, seit wir zuletzt miteinander gesprochen haben, aber neulich stieß ich auf die Ankündigung einer Veranstaltung, die du nächsten Monat in San Francisco machen wirst (ich lebe in Oakland), und nun möchte ich wissen, ob deine Zeit es dir erlaubt, dich mit mir zu treffen – vielleicht auf ein Essen bei mir zu Hause –, denn ich brauche dringend Hilfe, und ich glaube, du bist der einzige Mensch, den ich kenne (oder kannte), der sie mir gewähren kann. Ich sage das nicht, um dich zu beunruhigen, sondern wegen meiner grenzenlosen Bewunderung für die Bücher, die du geschrieben hast – und die mich so stolz auf dich gemacht haben, stolz, dass ich dich einmal zu meinen Freunden zählen durfte.

Gewissermaßen zur Vorbereitung lege ich den noch nicht fertigen Entwurf des ersten Kapitels eines Buches bei, das ich zu schreiben versuche. Ich möchte daran weiterarbeiten, scheine aber in meinem Kampf und meiner Unsicherheit – Angst ist vielleicht das Wort, nach dem ich suche – gegen eine Wand gelaufen zu sein, und ich hoffe, ein Gespräch mit dir kann mir den Mut geben, sie zu überwinden oder einzureißen. Ich sollte hinzufügen (falls du daran zweifelst), dass es sich nicht um eine erfundene Geschichte handelt.

Auf die Gefahr hin, melodramatisch zu erscheinen, sollte ich auch noch hinzufügen, dass es mir nicht gutgeht, dass ich, um ganz genau zu sein, langsam an Leukämie sterbe und mit etwas Glück vielleicht noch ein Jahr durchhalten werde. Nur damit du weißt, worauf du dich einlässt, falls du dich denn entschließt, dich darauf einzulassen. Ich sehe zum Gruseln aus (keine Haare!, völlig abgemagert!), aber für Eitelkeit ist kein Platz mehr in meiner Welt, und ich habe mein Bestes getan, mich in das zu schicken, was da mit mir passiert, auch wenn ich mich natürlich weiter behandeln lasse. Vor zwei Jahrhunderten galt man mit sechzig als alter Mann, und da keiner von uns geglaubt hat, wir würden auch nur die dreißig überschreiten, ist es doch gar nicht mal schlecht, das Doppelte davon erreicht zu haben, was?

Ich könnte noch mehr schreiben, möchte aber deine Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Der Entschluss, dir dieses Manuskript zu schicken, ist mir nicht leichtgefallen (sicher bombardieren dich zahllose Spinner und Möchtegernschriftsteller mit Briefen), aber ich werde dir gern von meinem Auf und Ab in den vergangenen vier Jahrzehnten berichten, falls du dich entschließt, meine Einladung anzunehmen – was ich inbrünstig hoffe. Was das MS betrifft, spar es dir für den Flug nach Kalifornien auf, wenn du bis dahin zu beschäftigt bist. Es ist so kurz, dass man es in weniger als einer Stunde lesen kann.

In Hoffnung auf eine Antwort,

in alter Solidarität, dein

Adam Walker

 

Wir waren nicht sehr eng miteinander befreundet gewesen – keine gemeinsamen Geheimnisse, keine langen Gespräche unter vier Augen, keine Korrespondenz –, aber es stand außer Frage, dass ich Walker bewunderte, und ich zweifelte nicht daran, dass er mich als ebenbürtig betrachtete, da er mich stets mit Respekt und Wohlwollen behandelt hatte. Er war ziemlich scheu, erinnere ich mich, ein seltsamer Charakterzug bei einem Menschen, der einen so scharfen Verstand besaß und zudem einer der bestaussehenden jungen Männer auf dem Campus war – attraktiv wie ein Filmstar, wie eine Freundin von mir einmal sagte. Aber besser ängstlich als arrogant, finde ich; Leute, die unauffällig in der Masse verschwinden, sind mir lieber als solche, die alle anderen mit ihrer unerträglichen Vollkommenheit einschüchtern. Er war damals eher ein Einzelgänger, aber liebenswert und spaßig, wann immer er aus seinem Bau auftauchte; außer seinem unkonventionellen Humor gefiel mir an ihm besonders das breite Spektrum seiner Interessen, seine Fähigkeit, über Cavalcanti oder John Donne zu sprechen und praktisch im selben Atemzug scharfsinnig und kenntnisreich etwas über Baseball zu erklären, das einem bis dahin noch nie aufgefallen war. Was in seinem Inneren vorging, blieb mir freilich verborgen. Abgesehen davon, dass er eine ältere Schwester hatte (übrigens eine bemerkenswerte Schönheit, was mich auf die Vermutung bringt, dass der gesamte Walker-Clan mit den Genen von Engeln gesegnet war), wusste ich auch nichts über seine Familie oder seine Herkunft und erst recht nichts vom Tod seines kleinen Bruders. Und jetzt war Walker selbst dem Tode nahe; einen Monat nach seinem sechzigsten Geburtstag begann er, Abschied zu nehmen, und nachdem ich seinen zögerlichen, anrührenden Brief gelesen hatte, drängte sich mir der Gedanke auf, dass dies der Anfang sei: Die klugen jungen Männer von einst wurden alt, und binnen kurzem wäre unsere ganze Generation vom Erdboden verschwunden. Statt Adams Rat zu folgen und dem Manuskript bis zu meinem Flug nach Kalifornien keine Beachtung zu schenken, setzte ich mich hin und las es auf der Stelle.

Wie soll ich meine Reaktion beschreiben? Faszination, Belustigung, zunehmendes Grauen und zuletzt Entsetzen. Ohne seinen Hinweis, dass es sich um eine wahre Geschichte handele, hätte ich diese sechzig Seiten wahrscheinlich für den Anfang eines Romans gehalten (Walker wäre nicht der erste Autor, der in seinem Werk eine Figur mit seinem eigenen Namen auftreten lässt), und dann wäre mir der Schluss wenig glaubhaft erschienen – oder vielleicht zu abrupt, auf jeden Fall unbefriedigend –, aber da ich den Text von Anfang an als autobiographisches Bekenntnis las, reagierte ich darauf mit Erschütterung und großer Sorge. Der arme Adam. Er ging so hart mit sich ins Gericht, schrieb mit solcher Verachtung für seine Schwäche in der Beziehung zu Born, mit solchem Abscheu vor seinen kümmerlichen Bestrebungen und seinem jugendlichen Eifer, mit solcher Verbitterung über sein Unvermögen zu erkennen, dass er es mit einem Ungeheuer zu tun hatte, aber wer kann es einem Zwanzigjährigen zum Vorwurf machen, dass er in dem Nebel aus Kultiviertheit und Verdorbenheit, der einen Mann wie Born umgab, die Orientierung verloren hatte? Er hatte mir etwas über mich beigebracht, das mich mit Abscheu erfüllte. Aber was hatte Walker denn falsch gemacht? Er hatte unmittelbar nach der Messerstecherei einen Krankenwagen gerufen, und nach kurzem Zaudern war er zur Polizei gegangen und hatte alles erzählt. Mehr hätte unter den gegebenen Umständen niemand tun können. Walkers Selbstekel konnte unmöglich davon herrühren, wie er sich am Ende verhalten hatte. Was ihn peinigte, war der Anfang, die schlichte Tatsache, dass er sich hatte verführen lassen: Damit hatte er sich sein ganzes weiteres Leben lang herumgequält – so sehr, dass er noch jetzt, da es zu Ende ging, den Drang verspürte, in die Vergangenheit zurückzugehen und die Geschichte seiner Schmach zu erzählen. Seinem Brief zufolge war dies erst das erste Kapitel. Ich fragte mich, was danach noch kommen mochte.

 

Ich schrieb Walker noch am selben Abend, versicherte ihm, dass ich sein Paket erhalten hätte, bekundete meine Sorge und Anteilnahme wegen seines Gesundheitszustands, sagte, wie froh ich trotz allem sei, nach so vielen Jahren von ihm zu hören, wie sehr seine freundlichen Worte über meine Bücher mich bewegt hätten und so weiter. Ja, versprach ich, ich würde meine Termine so einrichten, dass ich seiner Einladung zum Essen folgen könne, und gern wolle ich mit ihm über seine Probleme mit dem zweiten Kapitel seiner Erinnerungen sprechen. Ich habe keine Abschrift meines Briefes, erinnere mich aber, dass ich in einem aufmunternden und bestärkenden Tonfall schrieb; so nannte ich das Kapitel, das er mir geschickt hatte, vorzüglich und verstörend zugleich oder etwas in der Richtung und ließ ihn wissen, meiner Einschätzung nach sei das Projekt es wert, dass er es zum Abschluss bringe. Mehr hätte ich nicht zu sagen brauchen, aber ich konnte meine Neugier nicht bezwingen und schloss daher mit...

Erscheint lt. Verlag 16.7.2010
Übersetzer Werner Schmitz
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1960er Jahre • 60er • amerikanische Romane • Amour fou • Geschichte 1967 • Invisible • Liebesbeziehung • literarische Fiktion • Literarische Zeitung • Mystery • New York • Paris • Spannung • Studentenleben • Surrealismus • US-Literatur
ISBN-10 3-644-00691-1 / 3644006911
ISBN-13 978-3-644-00691-1 / 9783644006911
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