Der Markt hat nicht immer recht -  Wilfried Stadler

Der Markt hat nicht immer recht (eBook)

Warum Wertschöpfung wichtiger ist als Geldschöpfung
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2015 | 2. Auflage
232 Seiten
Linde Verlag Wien Gesellschaft m.b.H.
978-3-7094-0642-7 (ISBN)
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Finanzkrise - nein danke!

Niedrigstzinsen, spekulative Blasen an den Börsen, Stagnation statt Wachstum - zwar konnte das Finanzsystem nach dem Schock der Lehman-Pleite durch kostspielige Rettungspakete vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Hochkomplexe Bankenregulative schaffen nun jedoch anstelle von Stabilisierung neue Unsicherheit und die Lobbys der Großbanken verhindern Beschränkungen eines ausufernden Casino-Kapitalismus. In der vollständig überarbeiteten Neuauflage seines Buches zeigt Wilfried Stadler, wie das Bankensystem wieder zum Dienstleister der Realwirtschaft werden kann, sodass der Wertschöpfung Vorrang vor der Geldschöpfung eingeräumt wird.

Dr.Wilfried Stadler ist Bank- und Unternehmensberater, Aufsichtsrat in mehreren Unternehmen und Honorarprofessor für Wirtschaftspolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Titelei 
3 
Inhalt 5
Vorwort zur aktualisierten und erweiterten Neuauflage 7
Wertschöpfung vor Geldschöpfung: Warum es dieses Buch gibt 8
Kapitel 1: Staccato: Eine kurze Chronik der Finanzkrise 10
Das Menetekel: Der New-Economy-Schock 12
Von Subprime bis Lehman 18
Nine-fifteen und die Folgen 23
Die unverschuldeten Leiden der Realwirtschaft 31
Rettungspakete und Haushaltskrisen 36
Kapitel 2: Finanzierungskulturen im Konflikt: Die systemischen Ursachen der Krise 42
USA–Europa: Traditionen und Gegensätze 43
Vom Vorsichtsprinzip zur kapitalmarktorientierten 
49 
Der verhängnisvolle Irrweg von Basel 55
Ratingagenturen: Übermächtig und überfordert 65
Finanzinnovationen: Experimente im globalen 
77 
Weiße Flecken der Regulierung 85
Die Bonusfalle: Mehr Fremdkapital – höhere Prämien 94
Kapitel 3: Euro-Zone, EZB und Rettungsschirme 104
Die besondere Rolle der Banken in Europa 105
Europäische Staatsschuldenkrise: Rettung ins 
109 
Kapitel 4: Auf der Suche nach einer zeitgemäßen Ökonomie 
120 
Die neue Finanzmarkt-Ökonomie: Der Markt hat nicht immer recht 121
Nobelpreise für die reine Lehre 127
Auf dem Weg zu einem neuen Paradigma 132
Elemente einer neuen Finanzmarktarchitektur 138
Kapitel 5: Die neuen Spielregeln: Was ist 
144 
Basel III – Haben wir dazugelernt? 146
Der nationale Handlungsspielraum 155
Europa: Wann sonst, wenn nicht jetzt? 160
Reformbedarf bei Finanzinnovationen 171
Was global durchsetzbar ist 181
Kapitel 6: Die „neue Normalität“: Weniger ist mehr 191
Die Zukunft der Unternehmensfinanzierung 192
Veranlagungen und Vermögensmanagement 198
Kapitel 7: Wertschöpfung vor Geldschöpfung: Ein Ausblick 208
Das Bankensystem: Eine wirtschaftsethische Großbaustelle 209
Wall Street gegen Main Street: Wer macht die Regeln? 215
Aus der Werte-Krise zum ordnungspolitischen Neubeginn 220
Literaturhinweise 231
Abbildungsnachweis 234
Über den Autor 236

Das Menetekel: Der New-Economy-Schock


Und tatsächlich fand das gegen Ende schon wirklichkeitsfremde Treiben an den Börsen wenige Wochen nach Blinders ungetrübtem Ausblick im Frühsommer 2000 sein abruptes Ende. Die Ausschläge der Börsenkurse zeigen, wie verzerrt und irreal die Wert-Vorstellungen waren. Niemals zuvor und nie mehr danach waren die Kurs-Gewinn-Verhältnisse so extrem hoch.

Abb. 1: Historische Kurs-/Gewinn-Verhältnisse und Zinsentwicklung in den USA

14Die gezeigten Werte stellen einen Durchschnitt dar. Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 45 bedeutet nichts anderes, als dass das aktuelle Kursniveau beim 45-fachen des Jahresgewinn-Mittelwertes der amerikanischen Unternehmen lag. Die Entwicklung der langfristigen Zinsen zeigt, dass ein niedriges Zinsniveau die Kursentwicklung an den Börsen fördert.

Noch weit darüber, nämlich bei bis zu 200, lagen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse im New-Economy-Segment der US-Technologiebörse NASDAQ. Zahlreiche Unternehmen verzeichneten damals sogar hohe Steigerungen ihrer Bewertungen an den Börsen, ohne jemals Gewinn geschrieben zu haben. Die Anleger – und mit ihnen die Analysten der Investmentbanken – gingen nicht selten so weit, dass sie Unternehmen ermunterten, möglichst keine Gewinne zu machen, sondern immer höhere Schulden mit dem Ziel der Expansion und Markterweiterung. Unternehmen, die aus ihrer Sicht zu früh Gewinne machten – und damit auf aggressive Markteroberung verzichteten –, wurden mit bitteren Kommentaren und Kursabschlägen bestraft.

Nicht wenige Unternehmen änderten ihre Firmennamen und schmückten sie mit der Endung „.com“. Dies machte sie den anderen, raketenartig an Wert gewinnenden Technologieunternehmen verwandt und versprach für sich schon eine Kurssteigerung. Von daher sprach man später auch von einer „Dot-com bubble“. Damals als Universitätsabsolvent nicht in einer Internet-Firma zu arbeiten galt geradezu als Makel – so wie einige Jahre später coole Karrieren nur in Investment-Banken möglich schienen.

Renommierte Beratungsunternehmen machten sich gemeinsam mit den Börsenkandidaten ans „story building“, also den Aufbau von mit möglichst viel Zukunftsphantasie angereicherten Geschäftsmodellen. Der systematische Aufbau von Erwartungshaltungen erhöhte die Chancen auf einen attraktiven Kurs bei der Börseneinführung (IPO) 3 , wurde doch der Unternehmenswert an auf den Gegenwartswert diskontierten, künftig erhofften Cashflows gemessen. In Wirklichkeit stammten jedoch mehr als 85 Prozent der (Markt-) Wertsteigerungen an der Technologiebörse NASDAQ von nur etwa 40 der rund 1.200 notierten Unternehmen.

15Auch nach der Börseneinführung wurden meist extrem hohe Nettoverluste in Kauf genommen 4 , wenn damit nur das Umsatzwachstum angetrieben werden konnte. Schließlich kamen anstelle von Kurs-Gewinn-Verhältnissen in Ermangelung von Gewinnen Kurs-Umsatz-Verhältnisse in Mode. Die meisten der jungen Börsenstars waren wesentlich höher bewertet als so manches stolze Traditionsunternehmen, das der von den Analysten der Investmentbanken etwas herablassend so bezeichneten „Old Economy“ angehörte. Für „brick and mortar“ – also Ziegel und Mörtel – als Symbol für traditionelle, baulich-maschinelle Investitionen hatte man wenig übrig.

Während traditionelle Bewertungen solcher „Old-Economy“-Unternehmen im damaligen Börsenumfeld etwa beim Zweieinhalbfachen des Kapitals lagen, wurde das immaterielle Vermögen der „New-Economy“-Unternehmen so hoch eingeschätzt, dass ihre durchschnittliche Bewertung beim 40-fachen des Kapitals zu liegen kam.

Unternehmensbewertungen basierten am Höhepunkt des Hypes schließlich nicht mehr auf Fundamentalanalysen, also der Auswertung betriebswirtschaftlicher Fakten. Vielmehr wurden anhand von Schlüsselgrößen – wie etwa der Zahl der Kunden von Telekom-Unternehmen – einfach Vergleichswerte von einem am Kapitalmarkt überschätzten Unternehmen der gleichen Branche auf das nächste übertragen.

Einen vergleichbaren Technologie-Hype sollte es erst wieder mehr als ein Jahrzehnt danach geben. So zahlte etwa Facebook im Vorfeld seines Börsengangs vom Mai 2012 eine Milliarde USD für das erst 18 Monate davor gegründete Unternehmen Instagram. Facebook nützte die Wachstumsstory von Instagram, mit dessen App auf Smartphone aufgenommene Fotos bearbeitet und ins Internet gestellt werden können, um seine eigene Börsen-Story noch attraktiver zu machen. Auf die Gründer Systrom (40 Prozent) und Krieger (10 Prozent) entfiel die Hälfte des Verkaufserlöses. Das kleine Unternehmen mit 13 Mitarbeitern machte zum Zeitpunkt des Kaufes durch Facebook noch keine namhaften Umsätze, hatte aber bereits 30 Millionen User.

16Irrationale Übertreibungen


Alan Greenspan hatte schon im Dezember 1996 vor einer irrationalen Übertreibung („irrational exuberance“) auf den Kapitalmärkten gewarnt. Weil es am Tag nach seiner bei einem Abendempfang gehaltenen Rede zu weltweiten Kurseinbrüchen kam, blieb seine Wortwahl, die vier Jahre später zum Titel des Bestsellers von Robert Shiller wurde, im Gedächtnis der Finanzwelt fest verankert. 5 Sie bewies die Macht, aber auch die Wirkungslosigkeit der Rhetorik des in den Folgejahren zum Hexenmeister der Finanzmärkte hochstilisierten Notenbankpräsidenten. Denn bald nach seiner Rede stiegen die Börsenkurse wieder und taten dies fast ohne Unterbrechung bis zu ihrem jähen Absturz im Frühjahr 2000.

Der Optimismus dieser Jahre war so groß, dass der renommierte Ökonom Rüdiger Dornbusch vom MIT (Massachusetts Institute of Technology) die Meinung vertrat, es werde wohl nie mehr zu einer Rezession kommen.

Mit dem Einbruch im zweiten Quartal des Jahres 2000 war nun wirklich wieder „alles anders“. Allein am „Neuen Markt“ der Frankfurter Börse, einem eigens für innovative Technologie-Unternehmen der „New Economy“ geschaffenen Segment, verloren Anleger seit den Rekordständen im März 2000 binnen eines Jahres mehr als 85 Prozent der Gesamt-Kapitalisierung. Kaum drei Jahre später, nachdem sich die Zahl der gelisteten Aktiengesellschaften durch Insolvenzen, Ausschlüsse und Übernahmen laufend dezimiert hatte, wurde der „Neue Markt“ wieder aufgegeben.

Die Summe der Wertverluste durch das Platzen der Dotcom-Blase wird auf 8 Billionen US-Dollar geschätzt, doch die Folgen für die Realwirtschaft hielten sich vor allem deshalb in Grenzen, weil der spekulative Vermögensaufbau davor nicht durch Schulden finanziert war. 6

Im Herbst 2001 referierte ich beim Finanzsymposium Alpbach über die Folgeerscheinungen der „New Economy“. Der Text liest sich heute so, als hätte ich damals geahnt, was gegen Ende dieses Jahrzehnts der Finanzkrisen auf uns zukommen würde:

17„Wir könnten von Glück reden, wäre die aktuelle Krise der Kapitalmärkte nach dem Platzen der New-Economy-Blase nichts als eine weitere, für einzelne Investoren eben schmerzliche Episode in der Börsengeschichte. Ich fürchte allerdings, dass uns das Scheitern der kollektiven Suggestion, es ließen sich die Gesetze der Betriebswirtschaftslehre und der Finanzmärkte aus den Angeln heben, noch länger beschäftigen wird. …

Wir müssen heute auf den Kapitalmärkten eine ganze Reihe von Kollektivirrtümern korrigieren: Es ist ein Irrtum, dass Finanzrenditen nachhaltig über den Renditen der Realwirtschaft liegen können. Es ist ein Irrtum, stets von voller Kapitalmarkt-Effizienz auszugehen und auf der Annahme zu bauen, dass die Kapitalmärkte immer Recht haben. Und es erweist sich als höchst problematisch, dass sich die Geldpolitik der Notenbanken auf die Eindämmung der Inflation auf niedrigem Niveau konzentriert, während sich an unbeobachteten Nebenschauplätzen, abseits der offiziell gemessenen Geldmengen, inflationäre Spekulation in Vermögenswerte – asset inflation – ungeheuren Ausmaßes entwickeln kann.

Die historisch einzigartige Größenordnung veranlagungssuchenden, bei institutionellen Investoren in Fonds gebundenen Kapitals, das bei voller Freiheit der Konvertierung in jede beliebige Währung und jede beliebige Asset-Klasse zu kurzfristigen Verwerfungen auf den Kapitalmärkten führen kann, wirft völlig neue Fragestellungen auf. Und je mehr die traditionell über Bankbilanzen abgebildete, kreditorientierte...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Volkswirtschaftslehre
ISBN-10 3-7094-0642-0 / 3709406420
ISBN-13 978-3-7094-0642-7 / 9783709406427
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