Faszientherapie beim Hund (eBook)

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2024 | 2. Auflage
176 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-245374-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Faszientherapie beim Hund -  Barbara Welter-Böller,  Maximilian Welter,  Hedi John
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<p><strong>Faszination Faszien - bringen Sie Bewegung in den Hund</strong><br></p><p>Ausgezeichnet illustriert und klar verständlich vermittelt dieses Buch Grundlagen und Praxis der Faszientherapie beim Hund.<br></p><p>Das osteopathisch versierte Autorenteam um Barbara Welter-Böller erläutert die Biomechanik und Pathologie der Faszien und zeigt, wie sich Einschränkungen auf das parietale, viszerale und craniosacrale System auswirken. Die zahlreichen direkt umsetzbaren Befundungs- und Behandlungsmethoden werden detailliert beschrieben. Damit erhalten Sie konkrete therapeutische Einsatzmöglichkeiten bei der Behandlung von Schmerzen, Verspannungen, orthopädischen Problemen und Stress beim Hund.<br></p><p>Mit vielen Tipps und Hintergrundwissen aus dem Praxisalltag wendet sich dieses Buch sowohl an Kleintierpraktiker und ganzheitlich tätige Tierärzte als auch an Tierphysiotherapeuten und Tierheilpraktiker.<br></p><p>Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform VetCenter zur Verfügung (Zugangscode im Buch).<br></p>

3 Faszien als „Sinnesorgane“


3.1 Embodiment (Körperwahrnehmung)


Gesunde Faszien sind für eine gute Körperwahrnehmung verantwortlich. Sie besitzen viele Rezeptoren, die Rückmeldungen zu Haltung und Bewegung geben. Faszienstörungen führen zu einer gestörten Tiefensensibilität. In der Humanmedizin konnte beobachtet werden, dass bei alten Personen, die häufig mit initialem Fersenkontakt gehen, oft der Übergang von der Achillessehne zur Plantarsehne degeneriert, sodass zwischen diesen Strukturen keine Verbindung mehr besteht. Dies äußert sich in einem sehr unsicheren, tappenden Gang und erklärt die vielen, oft lebensbedrohlichen Stürze alter Menschen. An diesem Beispiel kann man die enorme Bedeutung der Faszien für die Tiefensensibilität erkennen.

Es sind vor allem 4 Arten von Nervenendigungen, die die Rückmeldung über Haltung und Bewegung geben. Sie filtern die aufgenommenen sensorischen Impulse und leiten sie weiter. Es hat sich gezeigt, dass diese Sensoren nicht nur in den oberflächlichen Faszien vorkommen, sondern auch in den Muskelfaszien und Sehnen. Sie senden unablässig Signale mit Informationen über die Körperstellung. Sie kommen sogar häufiger vor als Motoneuronen. Beim Menschen ist z. B. die Zahl der sensorischen Neuronen des Ischiasnervs ca. dreimal höher als die der motorischen Neuronen.

Ob man Bewegung wahrnimmt, hängt also vornehmlich von den Rezeptoren des Fasziensystems ab. Faszien sind ein Teil des Gehirns und des Nervensystems, die gemeinsam Haltung und Bewegung steuern. Sie sind das größte Sinnesorgan und nehmen eine Fläche ein, die sogar größer als die Hautoberfläche ist.

Merke

Gesunde Faszien garantieren eine gute Körperwahrnehmung, die auch als Embodiment (sich zu Hause fühlen) bezeichnet wird.

3.2 Rezeptoren der Faszien


Faszien besitzen 4 verschiedene Mechanorezeptoren (Propriozeptoren):

  • Golgi-Rezeptoren

  • Vater-Pacini-Körperchen

  • Ruffini-Körperchen

  • freie Nervenendigungen (interstitielle Rezeptoren)

Diese Rezeptoren registrieren Bewegung, Stellung und Lage des Körpers im Raum und reagieren auf Druck unterschiedlicher Qualität. Sie sind darüber hinaus auch für die Nozizeption und für Schmerzsignale zuständig. Die 4 Mechanorezeptoren reagieren jeweils auf unterschiedliche mechanische Reize.

3.2.1 Golgi-Rezeptoren


Golgi-Rezeptoren kommen in folgenden Geweben vor:

  • Gelenkkapseln und Ligamenten

  • Muskel-Sehnen-Übergängen

  • Muskelhüllen und Aponeurosen (Faszienplatten)

Sie schützen einen zu stark kontrahierenden Muskel reflektorisch vor Sehnenaus- und abrissen, indem sie dafür sorgen, dass der Tonus sofort gesenkt wird. Dies lässt sich gut bei Gewichthebern beobachten: Laden diese sich 1 kg zu viel Gewicht auf, lassen sie die Gewichtsstange einfach fallen. Die Golgi-Rezeptoren nehmen die zu hohe Belastung wahr und signalisieren dem Gehirn, dass die Muskulatur und ihre Sehnen geschädigt werden könnten. Ein Beispiel ist auch, wenn der Hund an der Leine reißt und man auf keinen Fall loslassen will, aber bei zu starkem Zug trotzdem einfach loslässt. In der Humantherapie werden die Golgi-Rezeptoren bewusst aktiviert, um den Tonus der Muskulatur zu verringern. Dazu wird bei maximaler Dehnspannung eine maximale Gegenspannung aufgebaut, was dazu führt, dass sich die Muskulatur langsam entspannt. Diese Methode wird auch als Anspannungs-Entspannungs-Dehnen (AED) bezeichnet. Dieses Vorgehen ist in der Hundetherapie jedoch nicht möglich.

3.2.2 Vater-Pacini-Körperchen


Vater-Pacini-Körperchen kommen in folgenden Strukturen vor:

  • Muskelfaszien

  • Ligamenten der Wirbelsäule

  • Gelenkkapseln

  • Muskel-Sehnen-Übergängen

Nach Robert Schleip sind sie die „jungen Wilden“ der Mechanorezeptoren. Sie brauchen ständig neue Reize. Bei monotoner Stimulation ist bei ihnen nach 2 Sekunden keine Aktivität mehr messbar. Sie reagieren auf schnelle Druckwechsel, Manipulationen, Vibrationen und sanftes Wiegen und führen zu Entspannung. Über die Funktion der Vater-Pacini-Körperchen lassen sich z. B. die Wirkung von Manipulationstechniken, Recoiltechnik sowie die stark lösende Wirkung der rhythmischen Mobilisation und des Shiftens erklären.

3.2.3 Ruffini-Körperchen


Ruffini-Körperchen finden sich in:

  • allen Arten von Faszien

  • den Muskelhüllen

  • den Gelenkkapseln und Bändern

  • den Aponeurosen

  • der thorakolumbalen Faszie und der Dura mater

Sie reagieren auf langsame Reize und bei Druck auf eine große Fläche mit tangentialen Scherkräften und langsamen Dehnungen. Bei Reizung verringert sich die Sympathikusaktivität und führt so zu Entspannung. Die meisten von uns kennen diesen Effekt, der bei einer entspannenden Massage mit Querdehnungen oder beim Stretching eintritt. Die entspannenden Effekte des Tellington TTouches, einer von Linda Tellington-Jones entwickelten manuellen Körperarbeit für Tiere, sind durch ihre z. T. tangentiale Ausführung so nachvollziehbar.

3.2.4 Interstitielle Rezeptoren


Interstitielle Rezeptoren oder auch freie Nervenendigungen sind die am wenigsten erforschten Rezeptoren, scheinen aber sehr wichtig zu sein. Sie machen 80 % der Mechanorezeptoren aus und kommen überall vor, sogar in den Knochen. Sie sind Bestandteil der Oberflächenfaszie, des Periosts und des Fettgewebes. Lange galten sie als Nozizeptoren, gehören jedoch vorwiegend zu den Mechanorezeptoren, einige auch zu den Chemo- oder Thermorezeptoren. Es gibt auch multimodale interstitielle Rezeptoren, die auf mehrere Reizarten ansprechen. Zudem haben sie eine interozeptive Funktion (Interozeption = Wahrnehmung von Innenreizen), sie senden eine afferente „Innenweltmeinung“ über die emotionalen Körperempfindungen an den Cortex insularis ( ▶ Abb. 3.1). Der Cortex insularis ist ein kleiner Bereich am lateralen Schläfenteil des Gehirns, der für die emotionale Bewertung von Schmerz zuständig ist. In diesem Bereich finden sich auch Geruchs- und Geschmackssinn sowie das auditive Denken. Dieser Bereich ist dafür verantwortlich, dass Clickertraining mit Hunden möglich ist.

Merke

Mit den interstitiellen Rezeptoren könnte erklärt werden, dass Faszien indirekt mit Emotionen verbunden sind. Wenn z. B. ein Kind vor Freude hüpft, ist dies ein schönes Beispiel für Faszienrecoil. Wenn man glücklich ist, federt der Gang, man fühlt sich leicht. Auch die Hunde springen und hüpfen, wenn sie sich freuen. Ist man dagegen traurig, schleicht und schleppt man sich eher durch die Gegend.

Abb. 3.1 Faszien transportieren und filtern Emotionen, wie die Augen des Hundes zeigen.

Die interstitiellen Neuronen dienen weiterhin als Ergorezeptoren, d. h. sie ökonomisieren Bewegungen. In der Formatio reticularis werden bekannte, wiederkehrende Bewegungen gefiltert und nur neue und unvorhergesehene Reize weitergeleitet. Die Funktion der Ergorezeptoren ist für das Training außerordentlich wichtig. Schon nach einem 1- bis 2-wöchigen Training mit 3 Trainingseinheiten in der Woche, z. B. Agility, kann man bei Hunden eine verbesserte Bewegungseffizienz bemerken. Eingeübte Bewegungen sind effektiv und vor allem effizient, denn sie laufen automatisch ab, wie bei einem geübten Autofahrer das Schalten der Gänge. So erklärt sich die Geschicklichkeits- und Ausdauerzunahme der Hunde, z. B. durch Agility-Training.

Mechanorezeptoren besitzen unterschiedliche Reizschwellen. Die Hälfte von ihnen hat eine hohe Reizschwelle und reagiert erst auf hohen mechanischen Druck. Die andere Hälfte der Rezeptoren reagiert nur auf sanfte Berührung. Diese Wirkung ist bislang noch nicht völlig geklärt. So kann man z. B. bei verschiedenen Personen unterschiedliche Reaktionen auf denselben Reiz beobachten, z. B. wenn die Person sich versehentlich die Hand an etwas stößt: Die einen reiben diese Stelle sehr stark, die anderen pusten darüber. Die Technik des myofaszialen Releases geht daher auf beide Reaktionsformen ein (Kap. ▶ 6.2.3).

3.2.5 „WDR-Programm“


80 % der Propriozeptoren sind interstitielle Rezeptoren, zu denen auch die Wide-Dynamic-Range-Neuronen (WDR-Neuronen) zählen. Diese können unterschiedliche Informationen aus der Peripherie aufnehmen, wie z. B. Schmerz oder niederschwellige mechanische Reize. Da Bewegung zu den niederschwelligen mechanischen Reizen...

Erscheint lt. Verlag 20.11.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Veterinärmedizin Kleintier
Schlagworte Befundung • Behandlung • Diagnostik • Faszientherapie • Ganzheitlich • Hund • Hundekrankheit • Osteopathie • Stress • Tierheilpraktiker • Tiermedizin
ISBN-10 3-13-245374-9 / 3132453749
ISBN-13 978-3-13-245374-6 / 9783132453746
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