Die Passage nach Maskat (eBook)

Kriminalroman

*****

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2022 | 1. Auflage
368 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-8259-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Passage nach Maskat -  Cay Rademacher
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Spätsommer 1929, der letzte Sommer der Goldenen Zwanziger. Niemand erkennt die Vorzeichen der Weltwirtschaftskrise. Noch bestimmen Luxus und Frivolität, Jazz und Kokain den Rhythmus des Lebens - auch auf dem Ozeanliner Champollion, der von Marseille aus Richtung Orient in See sticht. Zu den illustren Passagieren gehören eine skandalumwitterte Nackttänzerin aus Berlin und ein mysteriöser römischer Anwalt, eine adelige englische Lady, ein Schläger aus der Unterwelt - und Theodor Jung, Kriegsveteran und Fotoreporter der Berliner Illustrirten. Er soll eine Reportage über die Reise machen. Seine Frau Dora begleitet ihn. Sie entstammt der Hamburger Kaufmannsfamilie Rosterg, die nach Maskat reist, um mit den sagenhaften Gewürzen Arabiens zu handeln. Theodor hofft, dass die abenteuerliche Passage die Leidenschaft in ihrer Ehe neu entfacht. Doch Doras Familie verachtet ihn, und Bertold Lüttgen, der intrigante Prokurist der Firma, hat selbst ein Auge auf die Tochter seines Chefs geworfen. Als Dora nach wenigen Tagen spurlos verschwindet, wird die Reise für Theodor zum Albtraum - denn nicht nur die Rostergs, auch die anderen Passagiere und Besatzungsmitglieder behaupten, Dora nie an Bord gesehen zu haben. »Die Dialoge funkeln wie die Kristallgläser auf den Tischen der ersten Klasse. Deswegen und dank Cay Rademachers Talent, die Zwanzigerjahre, das Meer und die Atmosphäre auf dem Ozeanliner >Champollion< sinnlich erfahrbar zu machen, ist man so richtig dabei auf der >Passage nach Maskat<.« WELT AM SONNTAG

CAY RADEMACHER,geboren 1965, schreibt in mehrere Sprachen übersetzte Kriminalromane, etwa die >Trümmermörder<-Trilogie aus dem Hamburg der Nachkriegszeit oder die erfolgreiche Provence-Serie um Capitaine Roger Blanc. Außerdem erschienen bei DuMont >Ein letzter Sommer in Méjean< (2019), >Stille Nacht in der Provence< (2020) und >Die Passage nach Maskat< (2022) sowie das historische Sachbuch >Drei Tage im September< (2023). Cay Rademacher lebt mit seiner Familie bei Salon-de-Provence.

MARSEILLE

Theodor Jung stand auf dem Promenadendeck der Champollion und strich gedankenverloren mit dem Zeigefinger über die lange Narbe auf der Innenseite seines linken Handgelenks. Der Schatten eines Schornsteins lag über ihm. Der Mann, der sich neben ihm gegen die Reling lehnte, stand bereits im Sonnenlicht. Sein Monokel reflektierte die Strahlen so stark, dass Jung ihm kaum ins Gesicht sehen konnte. Der Mann deutete mit seiner Zigarette auf die Narbe und sagte kühl: »Wenn Sie das noch mal versuchen, dann hätten wir beide ein Problem weniger.«

Jung schwieg und zog den Ärmel seines hellen Leinenjacketts über das Handgelenk.

»Sie sind erledigt, wenn Sie an Bord bleiben«, fuhr der Monokelträger fort und inhalierte den Rauch der Zigarette. Er hielt ihn außergewöhnlich lange in der Lunge, bis der bläuliche Qualm endlich aus seiner schmalen aristokratischen Nase entwich.

Wie ein Dämon, der aus ihm fährt, dachte Jung, wie ein Dschinn aus einem orientalischen Märchen. Er würdigte ihn noch immer keiner Antwort; welche sollte das auch sein? Denn er war erledigt, und er hatte Angst. Aber nicht vor diesem Mann – sondern vor dem Schiff. Wenn ich sterbe, werde ich auf dem Meer sterben.

Dabei war die Champollion ein eleganter Dampfer der Messageries Maritimes, 1925 gebaut, erst vier Jahre alt. Der Rumpf war mehr als hundertfünfzig Meter lang, schlank und schwarz, der Bug scharf wie eine Messerklinge. Die Aufbauten leuchteten weiß in der Mittagssonne. Auf dem Promenadendeck waren Rettungsboote in ihren Davits verzurrt, das nächste war nur ein paar Schritte von ihm entfernt. Drei schwarze Schornsteine ragten über ihn in den azurblauen Himmel. Aus den beiden vorderen kräuselten sich dünne, bitter nach Kohle riechende Rauchspiralen in die warme Luft, aus dem dritten, in dessen Schatten er stand, qualmte nichts – er war eine Attrappe, um das Schiff noch imposanter erscheinen zu lassen. Wie alles an Bord Illusion und Hybris war, dachte Jung: dieser unzerstörbare Stahlrumpf. Diese soliden Rettungsboote. Diese weite Kommandobrücke. Alles falsche Sicherheiten. Jung wusste, wie gnadenlos das Meer sein konnte. Wie Spanten unter dem Aufprall von Brechern stöhnten. Wie salzig die Luft schmeckte, wenn der Sturm den Schaum von den Kämmen blies. Und wie leer der Ozean war, wie unglaublich leer. Er war schon viele Seemeilen gefahren, nicht nur auf den Wellen, sondern sogar tief unter ihnen … Er wusste, wie kalt es dort unten war.

»Wir legen in ein paar Stunden ab. Noch ist Zeit. Überlegen Sie es sich noch einmal«, fuhr der Mann neben ihm fort, das linke Auge glitzerte dunkel durch den Qualm seiner Zigarette, vielleicht vor Gier oder Spott. Oder Mordlust. Das rechte Auge blieb hinter dem Monokel verborgen. Er sah aus wie ein Automatenmensch aus einem Film von Fritz Lang, schnippte die Kippe achtlos über Bord, zog ein silbernes Etui aus der Jackettasche und steckte sich eine neue Zigarette an. Er machte sich nicht die Mühe, Jung eine anzubieten.

»Sie promenieren die Gangway hinunter und nehmen ein Taxi«, schlug er vor. »Heute Abend geht noch ein Schnellzug vom Gare Saint Charles nach Paris, morgen könnten Sie schon wieder in Berlin sein. Sie lassen sich von Dora scheiden, Sie verzichten auf Ihre Anteile an der Firma. Dann sind Sie ein freier Mann. Wenn Sie jedoch an Bord bleiben, werden Sie es bereuen.«

Jung musterte ihn. Berthold Lüttgen war achtundzwanzig, nur zwei Jahre jünger als er, aber irgendwo in diesen zwei Jahren verlief die Grenze zwischen alten Menschen und neuen Menschen. Jung war noch im Krieg gewesen, Lüttgen nicht. Die alten Menschen schreckten nachts aus ihren Träumen auf. Die neuen Menschen schliefen traumlos. Lüttgen war schlank, und die Eleganz seiner Kleidung ließ ihn größer wirken, als er in Wirklichkeit war: weißer Sommeranzug, weißer Borsalino, weiße Sommerhandschuhe, auf die Kappen seiner braun-weißen ledernen Sommerschuhe war das Monogramm »BL« gestickt.

»Ich bleibe an Bord. Und ich werde mich nicht von Dora scheiden lassen«, erklärte Jung schließlich ruhig, obwohl er diesen Kerl am liebsten am Kragen gepackt und über die Reling zehn Meter hinunter auf den Pier geschleudert hätte.

Lüttgen deutete auf die Leica, die an einem Lederriemen von Jungs Schulter baumelte. »Fotografie ist doch bloß Schneegestöber. Mit den Bildern, die Sie für dieses Revolverblatt knipsen, werden Sie niemals gutes Geld verdienen. Deshalb klammern Sie sich an diese Ehe. Sie lieben nicht Ihre Gattin, sondern deren Vermögen. Dabei müssen Sie sich nur einen Ruck geben, Mann! Heutzutage liegt doch das Geld auf der Straße. Packen Sie Ihre Siebensachen, solange noch Zeit dafür ist, das ist Ihre Chance auf ein neues Leben. Gehen Sie nach Babelsberg zum Film, wenn Sie unbedingt durch eine Linse gucken wollen. Oder machen Sie Reklame. Oder suchen Sie Ihr Glück an der Börse. Mit Aktien kann man heute gar nicht mehr verlieren.«

»Ich habe Dora geheiratet, weil ich sie liebe – und nicht, weil ihr ein Teil der Firma gehört, die Sie nur zu gerne übernehmen wollen«, erwiderte Jung kalt. Er spürte aber, dass er sich nicht mehr lange würde beherrschen können. Vielleicht war das Lüttgens Ziel? Ihn so zu provozieren, dass er sich noch im Hafen zu einer Schlägerei hinreißen ließ? Damit ihn die Gendarmen festnahmen und er in einem französischen Gefängnis schmorte? Während Lüttgen auf der Champollion in See stach, zusammen mit Dora … »Ich werde bis Maskat an Bord bleiben«, wiederholte er entschlossen, »und Ihre Pläne durchkreuzen.«

Lüttgen warf die erst halb gerauchte Zigarette mit einer heftigen Bewegung über die Reling. »Zwei Wochen können sehr lang sein«, sagte er leise und ging grußlos fort.

Jung blickte über den Hafen. Die Champollion hatte am Môle de la Pinède festgemacht. Die Häuser von Marseille türmten sich dahinter wie Klippen auf: ockergelb, grau oder blassrot verputzt, rußig vom Kohlenqualm unzähliger Dampfer. Auf dem Asphalt des Kais standen Ballen und Kisten vor den weit geöffneten Toren der Lagerhallen. Arbeiter dirigierten mit heiseren Kommandos den Kranführer des Schiffes, der einen bordeauxfarbenen Hispano-Suiza H6 vorsichtig anhob, in einem eleganten Bogen durch die Luft schwenkte und schließlich langsam in den hinteren Frachtraum absenkte. Jung fragte sich flüchtig, für wen und wo diese Limousine wohl wieder ausgeladen werden würde. Für einen Potentaten am Hof zu Kairo oder für einen der Direktoren der Suezkanal-Gesellschaft in Port Said? Für einen Scheich in Aden oder für den Sultan in Maskat? Oder würde der Wagen den langen Weg bis Indochina zurücklegen, um zukünftig vom Prinzen von Siam durch die Straßen Saigons gesteuert zu werden? Die Arbeiter riefen und gestikulierten selbst dann noch, als der Hispano-Suiza längst unter den Stahlplatten der Champollion verschwunden war. In Marseille schienen alle Leute ständig mit Ausrufezeichen zu sprechen. Jung betrachtete die Docker und versuchte zu erraten, woher sie wohl kamen: Italiener, Kabylen, Kambodschaner, Armenier, Senegalesen.

Die aus schwarzen und weißen Steinen gemauerte Kathedrale La Major glänzte im Mittagslicht, eine Festung Gottes in Schachbrettfarben vor dem verruchten Hafenviertel Panier. Panier, das waren verkommene alte Häuser, drei, vier, fünf Stockwerke hoch, dazwischen Gassen wie Risse im Erdboden, geschmückt mit den zahllosen bunten Fahnen der Wäsche, die an kreuz und quer gespannten Leinen in der Glut dörrte. Zur Rechten blickte Jung bis auf das Fort Saint-Jean, eine von der Zeit zernagte Festung. Dahinter der Vieux Port, in dem schon die alten Griechen geankert hatten. Quer über den Alten Hafen spannte sich die Schwebebrücke, ein stählernes Ungetüm, zwei Eiffeltürme, zwischen die Ingenieure eine Art Himmelsbrücke gebaut hatten: eine eckige Gondel, die an einem Turm in die Höhe fuhr wie ein Aufzug, dann unter einem Stahlrahmen wie eine Schwebebahn in schwindelerregender Höhe das Wasser querte, um am anderen Turm wieder in die Tiefe zu sinken. Genialität und Größenwahn. Sie hätten ja auch einfach eine Fähre einsetzen können, um Menschen und Fracht von einer Seite des Hafens zur anderen zu bringen, doch das hätte nicht zu Marseille gepasst.

Jung nahm seine Leica, schraubte das 3,5-Zentimeter-Objektiv ab, steckte es in seine Jacketttasche und holte von dort das 9-Zentimeter-Elmar hervor. Mit dem Teleobjektiv schoss er in dem Moment ein Foto, als die Gondel mitten über dem Vieux Port schwebte, während eine wettergegerbte Dreimastbark in den Hafen glitt: Das zwanzigste Jahrhundert schwebte über dem neunzehnten, das Versprechen der Zukunft über dem Veteranen der Vergangenheit – genau solche symbolträchtigen Bilder liebte sein Schriftleiter Kurt Korff.

Korff hatte »TJ« zum Markenzeichen gemacht – Jung war einer der wenigen Lichtbildner der Berliner Illustrirten, unter dessen Fotos der Chef Initialen druckte, in winziger Schrift, aber immerhin: Wer die Hauptstadtpresse kannte, der kannte Jung.

Dabei hatte Jung eigentlich nichts, das ihn zum Darling der Berliner Salons machte. Seit er aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, schnitt er seine hellblonden Haare so kurz, dass die Kopfhaut hindurchschimmerte. Er war hager, seine blauen Augen hinter der runden Nickelbrille schienen seit dem Krieg zu groß für sein Gesicht zu sein. Durch Zufall war er an eine Leica und an die erste Reportage für die Berliner Illustrirte gekommen, 1,8 Millionen verkaufte Hefte jede Woche, Hektik, Ruhm, Reisen in die Welt – es war wie eine Droge, die ihn davon abhielt, noch einmal das Rasiermesser an den Unterarm zu...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Technik
Schlagworte 20er Jahre • Agatha Christie • Ägypten • Anita Berber • Babylon Berlin • Champollion • Cosy Crime • Das Geheimnis der Mumie • Der neue Rademacher • Exotischer Krimi • Goldene Zwanziger • Hieroglyphen • Howard Carter • Kreuzfahrtschiff Krimi • Krimi Goldene Zwanziger • Mord auf dem Kreuzfahrtschiff • Mord im Orientexpress • nostalgischer Krimi • Passage nach Maskat • Pyramiden • Rademacher historischer Krimi • Spannender historischer Krimi • Spannung auf dem Meer • Stein von Rosette • Tod auf dem Nil • Volker Kutscher • wie Agatha Christie • Wie Hercule Poirot • Wohlfühlkrimi
ISBN-10 3-8321-8259-4 / 3832182594
ISBN-13 978-3-8321-8259-5 / 9783832182595
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