Insekten essen (eBook)

Gebrauchsanweisung für ein Nahrungsmittel der Zukunft
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
159 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75646-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Insekten essen - Florian J. Schweigert
Systemvoraussetzungen
9,49 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Insekten essen - wieso das denn? Die Antwort lautet: Weil sie eine proteinreiche Nahrung sind, deren Produktion obendrein umwelt- und klimafreundlich ist und weil es die halbe Welt macht. In der EU sind Lebensmittel mit Insekten mittlerweile zugelassen, der Landeanflug auf die Regale der Supermärkte hat begonnen. Das Buch des Ernährungswissenschaftlers Florian J. Schweigert über ein Nahrungsmittel der Zukunft steckt voller Wissen über historische und exotische Essgewohnheiten, über die Herstellung von Honig, über das Leben der Insekten und ihre Verwendung in der Heilkunde. Und am Schluss gibt es sogar einige bewährte Rezepte - mit Insekten.

Florian Schweigert ist Ernährungswissenschaftler und Veterinärmediziner. Er ist Professor für Physiologie und Pathophysiologie der Ernährung an der Universität Potsdam.

Einleitung


Die Landmasse ist limitiert, und die Ozeane sind überfischt. Der Klimawandel und der damit im Zusammenhang stehende Wassermangel haben schwerwiegende Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion. Schon heute können bereits eine Milliarde Menschen nicht ausreichend ernährt werden und müssen hungern – ungeachtet der Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen, die bereits im Jahr 1948 in Artikel 25 Nahrung als primäres Recht aller Menschen verankerte.

Wir – damit meine ich die Menschheit insgesamt – müssen uns ernsthafte Gedanken darüber machen, was wir essen und wie wir es produzieren. Es reicht nicht mehr, die Effizienz zu steigern oder Nahrungsmittelabfälle zu vermindern. Wir müssen neue Wege finden. Grundsätzlich stehen der Gattung Mensch höchst vielfältige Quellen aus dem Tier- und Pflanzenreich zur Verfügung, um den Energie- und Nährstoffbedarf zu decken. Während die Menschen in weniger entwickelten Ländern viele dieser Nahrungsquellen nutzen, unter anderem auch verschiedenste Arten von Insekten, beschränken sie sich in den Industrienationen auf die «westliche Diät»: eine energiereiche, jedoch nährstoffarme Kost, die eher den Gesetzmäßigkeiten des Marktes und der Wirtschaft folgt als biologischen oder ökologischen Prinzipien und die zu einem Verlust an Vielfalt führte. Dieser Trend erreicht infolge der Globalisierung auch die Schwellen- und Entwicklungsländer, wo die Veränderung der Ernährungsmuster nun bereits ebenfalls erste negative Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit zeitigt.

Entomophagie, der Verzehr von Insekten, ist nicht die Lösung aller Probleme, sie ist «nur» eine Teillösung – allerdings eine gewichtige. Sie kann einen bedeutenden Beitrag dazu leisten, die zahlreichen Herausforderungen zu meistern, die im Zusammenhang mit dem Einfluss von Nahrung auf unsere Umwelt stehen. Das Einzige, was uns im Weg steht, ist die Art und Weise, wie wir Insekten wahrnehmen.

Der Begriff «Entomophagie» leitet sich von den griechischen Worten entomos (Insekt) und phagein (essen) ab. Häufig wird stattdessen auch der Begriff «Insektivorie» verwendet. Es besteht aber ein wichtiger Unterschied in der Bedeutung: Insektivorie bezeichnet in der Biologie eine Ernährungsweise, die ausschließlich oder ganz wesentlich auf Insekten fußt, wie es bei Igeln oder Maulwürfen der Fall ist, und ist damit vergleichbar mit der Bezeichnung Carnivorie und Herbivorie für eine vor allem auf Fleisch beziehungsweise auf Pflanzen basierende Ernährung.

Entomophagie ist seit Jahrtausenden bekannt. In Asien, Afrika, Australien und Lateinamerika essen über zwei Milliarden Menschen Käfer, Raupen, Bienen, Wespen oder Ameisen. Nicht nur sind Insekten – insbesondere in Entwicklungsländern – eine wichtige Ergänzung zu den kohlenhydratreichen, aber proteinarmen Grundnahrungsmitteln wie Reis, Getreide, Kartoffeln oder Maniok, manche von ihnen gelten als wahre Delikatesse.

Jahre nach meinem fischigen Mehlwurmmahl aus Kindertagen führte mich eine Summer School der Universität Potsdam zu dem Thema, wie wir in 50 Jahren die Welt mit Proteinen und Nährstoffen versorgen werden können, nach Vietnam. Bei einer Veranstaltung an der Universität von Thai Nguyen nördlich von Hanoi waren auch Insekten als Nahrung der Zukunft ein wichtiger Diskussionspunkt. Unser Gastgeber dort lud mein Team und mich für den nächsten Tag zu einem Ausflug an einen malerischen See in der Nähe von Thai Nguyen ein. Zu unserer Überraschung brachte er am nächsten Morgen seine beiden Kinder, sechs und zwölf Jahre alt, mit. Der Grund dafür sei, so erklärte er uns, das Restaurant, in dem wir mittags einkehren würden, was er ihnen bislang aber nicht verraten habe. Als er den beiden daraufhin sagte, wohin wir zum Essen gehen würden, brach bei den Kindern unbändige Freude aus. Ich verstand zwar nichts von dem, was da in der mir fremden Sprache gesprochen wurde, war mir aber sicher, dass nicht der Name McDonald’s gefallen war. Ich fragte nach und erfuhr, dass wir in einem sehr traditionellen Restaurant einkehren würden, in dem es neben klassischen regionalen Speisen eine hervorragende Auswahl an Käfern und Raupen verschiedenster Art gab. Das weckte mein Interesse als Ernährungswissenschaftler, und ich war neugierig und sehr gespannt, was mich wohl erwartete.

Das Restaurant zog sich über einige hundert Meter am Seeufer entlang. Einfache Tische und Bänke, offene Küchen an mehreren Stellen, das war’s. Kein Schnickschnack, kein Chichi. Wir setzten uns und überließen unserem Gastgeber voller Vertrauen die Auswahl der Speisen. Mein Team und ich verstanden natürlich nicht, was geordert wurde, doch da die Kinder schier außer Rand und Band gerieten, mussten es wohl lauter Leckereien sein. Wenige Augenblicke nach der Bestellung kam die Kellnerin mit mehreren schuhkartongroßen hübschen Schachteln an unseren Tisch und reihte sie vor uns auf. Im Deckel der Boxen befand sich eine mit Klarsichtfolie abgedeckte Aussparung, und neugierig warfen wir einen Blick ins Innere. In den Behältnissen hüpften, krabbelten und krochen verschiedenste Raupen und Käfer, die nun von unserem Gastgeber und seinen Kindern «geprüft» wurden, bevor sie in der Küche zubereitet werden würden. Frischer geht es wohl nicht. Keine 20 Minuten später kam eine Unzahl von Schüsseln und Schalen auf den Tisch, und mein Team und ich beäugten neugierig – und zugegebenermaßen etwas skeptisch –, was uns da kredenzt wurde: kross gebratene schwarze Käfer in einer kräftig roten Soße, ein prächtiger Kontrast für das Auge; Seidenwürmer in Ei, farblich nicht sonderlich spannend Ton in Ton; Raupen in einer gelben Soße und zig weitere Varianten. Die Kinder waren nicht mehr zu halten, was man von mir nicht behaupten konnte. Ich muss zugeben, dass es mich trotz meines – damals allerdings vorwiegend wissenschaftlichen – Interesses an Insekten als Nahrungsmittel durchaus Überwindung kostete, die Speisen zu probieren, und ein Seitenblick auf meine Teammitglieder verriet mir, dass es ihnen genauso ging. Doch schon nach den ersten Bissen schwanden meine Vorbehalte. So ungewohnt die Gerichte vor allem in Hinblick auf die Textur waren, so spannend war die Vielfalt an Geschmackserlebnissen: nussige Käfer, fruchtige Maden und dergleichen. Weniger gut mundeten mir die gekochten Sagowürmer, denn wenn man sie zerbiss, entleerte sich eine etwas zähe klebrige Flüssigkeit in den Mund. Nicht unbedingt meine Sache, aber ich mag ja auch nicht jedes deutsche Essen. Alles in allem schmeckte es jedenfalls vorzüglich. Obwohl wir alle kräftig zulangten, blieb am Ende viel übrig, da die Portionen sehr reichhaltig waren. Die Kinder freute es, denn die Reste nahmen sie in einem Doggybag mit nach Hause, sodass auch die Mutter und die Großmutter in den Genuss der Leckereien kamen.

Meine anfängliche Skepsis sowie die Begeisterung der Kinder machten mir klar, dass Essgewohnheiten eigentlich nur eine Frage der frühkindlichen Prägung sind. Und da es mir in dem Restaurant ausgezeichnet geschmeckt hat und ich mich damals schon mit der sogenannten Eiweißlücke in der Welternährung beschäftigte, war es naheliegend, mich eingehend mit Entomophagie auseinanderzusetzen. Heute betrachte ich Insekten nicht mehr als exotisches Nahrungsmittel. Vielmehr sind sie im Lauf meiner Forschungsarbeiten und durch meine Erfahrungen mit der Ernährungssituation in Entwicklungsländern zu einem Teil meiner Nahrungspräferenz geworden. Ich esse sie natürlich nicht täglich, aber ich freue mich jedes Mal über eine Gelegenheit dazu.

Bevölkerungswachstum, Verstädterung und Wohlstand werden in den kommenden Jahrzehnten zu einem steigenden Bedarf an Nahrung im Allgemeinen und an tierischem Eiweiß im Besonderen führen. Mit der herkömmlichen Tierhaltung (Rind, Schwein, Geflügel) wird weder eine globale Ernährungssicherung erreicht werden können, zumal sie bereits jetzt anfängt, an ihre Grenzen stoßen, noch wird sie die Nachfrage nach tierischen Proteinen decken können, die aktuellen Schätzungen zufolge in den nächsten vier Jahrzehnten um 75 Prozent zunehmen wird. Auch der aktuelle Trend hin zur veganen Ernährung in Ländern wie Deutschland wird hier, wenn man die Bevölkerungsrelation zwischen Industrieländern sowie Schwellen- und Entwicklungsländern in Betracht zieht, keinen spürbaren Einfluss haben.

Dies stellt nicht nur Schwellen- und Entwicklungsländer, sondern auch Industriestaaten vor große Herausforderungen aus ernährungswissenschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Sicht. Sich diesen Herausforderungen zu stellen ist denn auch eine zentrale Forderung der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen – der Food and Agriculture Organization, kurz FAO. Anders...

Erscheint lt. Verlag 16.7.2020
Reihe/Serie Beck Paperback
Zusatzinfo mit 10 Abbildungen und 2 Tabellen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Ernährung • Ernährungssicherung • Essen • Insekten • Nahrung • Nahrungsmittel • Ökologie • Protein • Proteingehalt • Umwelt • Versorgungssicherheit • Wahrnehmung
ISBN-10 3-406-75646-8 / 3406756468
ISBN-13 978-3-406-75646-7 / 9783406756467
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 4,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Über ein sagenhaftes Tier

von Rudolf Neumaier

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
17,99
Eine Mensch-Umwelt-Geschichte

von Werner Bätzing

eBook Download (2023)
C.H.Beck (Verlag)
24,99