Risikofallen (eBook)

und wie man sie vermeidet
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
198 Seiten
Herbert von Halem Verlag
978-3-86962-627-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Risikofallen -  Hans Mathias Kepplinger
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Risiken sind unvermeidbarer Bestandteil des Lebens. Für die Einschätzung, ob wir ein Risiko eingehen wollen oder nicht, fehlen uns eindeutige Entscheidungsgrundlagen - aber es gibt bessere und schlechtere. Außerdem gibt es Fallen und Irrwege. Um sie zu erkennen, braucht man eigene Urteilskraft. Dazu gibt es keine Alternative. Im Kern geht es um drei Fragenkomplexe: 1) Wie kann man die Größe von Risiken ermitteln, wo liegen die Grenzen dieser Möglichkeiten und was sollte man bei der Verringerung eigener Risiken beachten? 2) Wie berichten Medien über Risiken, welche Ursachen haben problematische Darstellungen und wie kann man damit sinnvoll umgehen? 3) Welche Fehler machen wir bei der Einschätzung von Risiken und wann sollte man eigene Folgerungen aus Risikoberichten kritisch bedenken? Grundlagen der Darstellung sind empirische Untersuchungen, darunter historische Studien zur Entwicklung der vom Menschen und durch die Natur verursachten Risiken, Experimente zur Wahrnehmung und Beurteilung von Risiken, Studien zu den Ursachen von problematischen Medienberichten über Schäden und Risiken, Untersuchungen zum Einfluss von Risikoberichten auf unsere Vorstellungen von Risiken und unsere oft fragwürdigen Folgerungen daraus. Ausgangspunkte der Kapitel zu einzelnen Problemen sind allgemein interessierende Fragen zu bekannten Risiken. Wichtige Ergebnisse werden in einfachen Tabellen dargestellt und mit einprägsamen Schaubildern illustriert. Jedes Kapitel endet mit einer kurzen Zwischenbilanz, die an zentrale Befunde erinnert und Hinweise darauf gibt, was man in konkreten Fällen beachten sollte. Durch diesen klaren Aufbau bietet das Buch Mediennutzern, Politikern, Unternehmern und Kommunikationsberatern sowie Studierenden der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften eine klar strukturierte Darstellung der Möglichkeiten zur Vermeidung unnötiger Risiken.

Hans Mathias Kepplinger, geb. 1943, hat in Mainz, München und Berlin Politologie, Geschichte und Publizistikwissenschaft studiert. Er war Heisenberg-Stipendiat und von 1982 bis 2011 Professor für Empirische Kommunikationsfor­schung an der Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Verhältnis von Realität, Realitätsdarstellung der Medien und Realitätswahrnehmung der Bevölkerung; das Selbstverständnis und die Arbeitsweise von Journalisten; die Kommunikation in Konflikten, Krisen und Skandalen sowie die Wirkung von Medien auf Protagonisten von Berichten - Politiker, Juristen, Manager, engagierte Bürger. Kepplinger war Gastwissenschaftler u.a. an der UC Berkeley, der Harvard University und den Universitäten in Tunis, Lugano und Zürich. Er ist Autor von mehr als 300 wissenschaftlichen Aufsätzen und 30 Büchern. 2012 wurde er von der World Association of Public Opinion Research für die Kombination von Bevölkerungsumfragen, Medienanalysen und Realitätsindikatoren mit dem ?Helen Dinerman Award? ausgezeichnet.

Hans Mathias Kepplinger, geb. 1943, hat in Mainz, München und Berlin Politologie, Geschichte und Publizistikwissenschaft studiert. Er war Heisenberg-Stipendiat und von 1982 bis 2011 Professor für Empirische Kommunikationsfor­schung an der Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Verhältnis von Realität, Realitätsdarstellung der Medien und Realitätswahrnehmung der Bevölkerung; das Selbstverständnis und die Arbeitsweise von Journalisten; die Kommunikation in Konflikten, Krisen und Skandalen sowie die Wirkung von Medien auf Protagonisten von Berichten – Politiker, Juristen, Manager, engagierte Bürger. Kepplinger war Gastwissenschaftler u.a. an der UC Berkeley, der Harvard University und den Universitäten in Tunis, Lugano und Zürich. Er ist Autor von mehr als 300 wissenschaftlichen Aufsätzen und 30 Büchern. 2012 wurde er von der World Association of Public Opinion Research für die Kombination von Bevölkerungsumfragen, Medienanalysen und Realitätsindikatoren mit dem ›Helen Dinerman Award‹ ausgezeichnet.

Einleitung
1. Entwicklung und Vergleich von Risiken
1.1 Risikoentwicklungen
1.2 Risikovergleiche
1.3 Risiken der Risikovermeidung
1.4 Risikobilanz für Menschen
1.5 Zwischenbilanz
2. Risikoarten und rationaler Umgang
2.1 Kollektive und individuelle Risiken
2.2 Freiwillige und unfreiwillige Risiken
2.3 Theoretische und praktische Risiken
2.4 Grenzwerte
2.5 Korrelationsanalysen
2.6 Epidemiologische Analysen
2.7 Wissenschaftliche Prognosen
2.8 Risikoausgleich
2.9 Zwischenbilanz
3. Wahrnehmung und Einschätzung von Risiken
3.1 Risikovorstellungen von Laien
3.2 Risikoschätzungen
3.3 Laien
3.4 Unrealistischer Optimismus
3.5 Männer und Frauen im Vergleich
3.6 Zwischenbilanz
4. Verhalten bei Risiken
4.1 Wahrscheinlichkeit und Schadensgröße
4.2 Risiken und Chancen
4.3 Emotionen
4.4 Informationsansprüche
4.5 Pseudosicherheit
4.6 Zwischenbilanz
5. Akteure und Arenen
5.1 Akteure
5.2 Arenen
5.3 Zwischenbilanz
6. Reale und dargestellte Risiken
6.1 Darstellungsfallen
6.2 Ereignis- und Berichtshäufigkeit
6.3 Vermittlung relevanter Informationen
6.4 Kommunikationsblockaden
6.5 Zwischenbilanz
7. Veränderung der Darstellung von Risiken und Schäden
7.1 Generelle Aspekte
7.2 Medienhypes
7.3 Zwischenbilanz
7.4 Medientrends
7.5 Veränderung realer und dargestellter Risiken und Schäden
7.6 Ursache von Medientrends
7.7 Zwischenbilanz
8. Mediennutzung
8.1 Generelle Aspekte
8.2 Öffentliche Risiken
8.3 Nichtöffentliche Risiken
8.4 Zwischenbilanz
9. Medienwirkungen
9.1 Generelle Aspekte
9.2 Risikokenntnisse
9.3 Risikoschätzungen
9.4 Risikoängste
9.5 Framing
9.6 Fehleinschätzungen von Risiken
9.7 Emotionen
9.8 Zwischenbilanz
10. Paradoxe Risikoängste
10.1 Veränderung der Risikoquellen
10.2 Entfremdung von Risikoursachen
10.3 Risikovermarktung
10.4 Wohlstandstribute
11. Was tun?
11.1 Betroffene und Beobachter
11.2 Probleme von Entscheidern
11.3 Generelle Probleme

Literatur
Register
Endnoten

EINLEITUNG


Auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle wandte sich ZeroCovid mit dem Internetaufruf »Das Ziel heißt Null Infektionen! Für einen solidarischen europäischen Shutdown« an die Öffentlichkeit. Das Ziel sollte in drei Schritten erreicht werden – erstens durch gemeinsames und schnelles Handeln der europäischen Länder, zweitens nach Zielerreichung stabil geringe Fallzahlen durch vorsichtige Lockerungen der Einschränkung und Eindämmung lokaler Ausbrüche; drittens durch eine gemeinsame Vision für regionale und nationale Aktionspläne. Ergänzt wurde der Stufenplan durch Forderungen zur Verstaatlichung des Gesundheitssystems, zur staatlichen Unterstützung von Bedürftigen und zur Finanzierung aller Maßnahmen durch Zwangsabgaben der Vermögenden. Das löste einen Medienhype aus. Innerhalb weniger Wochen erschienen dazu 98 Beiträge in renommierten Medien. Mit dabei waren mit ihren Online- und Offline-Ausgaben ZEIT, Welt und Süddeutsche Zeitung, taz; Spiegel, Focus und Stern; ARD, ZDF, Deutschlandfunk und SWR – ein beachtlicher Erfolg einer Aktivistengruppe, von der man zuvor noch nichts gehört hatte. Die meisten Berichterstatter und Kommentatoren hielten die Vorschläge und Forderungen für realitätsfern, mehrere kritisierten ihre sozialistische Grundierung, einige äußerten begeisterte Zustimmung.

Trotz der heterogenen Berichterstattung war die Zustimmung in der Bevölkerung erstaunlich: Bis Ende Februar hatten mehr als 100.000 Gleichgesinnte den Aufruf von ZeroCovid unterschrieben. Eine Ursache war die plausible Forderung nach einer Koordinierung der Maßnahmen in Europa, wobei offenblieb, wer das wie herbeiführen und kontrollieren sollte. Eine weitere Ursache war der Medienhype, der den Aufruf bedeutsam erscheinen ließ. Noch eine Ursache war die kapitalismuskritische Tendenz mehrerer Formulierungen. Daneben spielte vermutlich ein selten beachtetes Motiv eine Rolle – die Null-Risiko-Illusion vieler Menschen. Alle wollen so wenig wie möglich Infektionen. Das ist trivial und muss nicht betont werden. Die entscheidende Frage lautet: wie wenig und zu welchem Preis? Wer Null-Infektionen will, wird Opfer einer Illusion. Weder ein Überwachungsstaat wie China, ein Inselstaat wie Neuseeland noch eine gut isolierbare Stadt wie Melbourne konnten neue Infektionen völlig verhindern. Wie soll das möglich sein in Europa, wo täglich Tausende Lastwagen und Güterzüge von Norden nach Süden, Osten und Westen fahren müssen, damit das Leben nicht zusammenbricht? Solche Einwände lassen Menschen nicht gelten, die Null-Risiko-Illusionen erliegen. Andere glauben an Null-Risiken ohne große Überlegungen und wieder andere wählen bei Entscheidungen intuitiv die Möglichkeit, die Null-Risiko verspricht. Den Glauben daran ändern auch warnende Hinweise nicht und deshalb fallen Zehntausende auf ›risikolose‹ Investitionen herein oder setzen auf ›totsichere‹ Aktien.

Haben Menschen schon immer so gedacht und gehandelt? Das kann man im Rückblick nicht zweifelsfrei klären. Hinweise gibt der Vergleich von zwei gefahrvollen Expeditionen. Christoph Columbus stach am 3. August 1492 mit drei Segelschiffen in See, um Indien in Richtung Westen zu erreichen. Schon einige Tage später verlor die kleine Flotte auf Gomera einen Monat, weil eines der Schiffe falsch besegelt war. Nach einer Woche auf See drohte eine Meuterei, weil ein Kompass keine verlässlichen Angaben machte. Nach weiteren Wochen drohten neue Meutereien, weil Lebensmittel und Trinkwasser ausgingen, Krankheiten ausbrachen und Offiziere am Erfolg der Reise zweifelten. Gerettet wurde die Expedition durch das Auftauchen eines Vogels: Land war in der Nähe. Nach mehr als zwei Monaten erreichten sie eine Insel. Bei Erkundungsfahrten lief das Flaggschiff auf ein Riff und war nicht zu retten. Aus den Resten ließ Columbus ein Fort zum Schutz der Zurückgelassenen bauen und segelte mit zwei Schiffen nach Osten. Mitte März 1493 erreichte er seinen Ausgangshafen und wurde frenetisch gefeiert. Noch im gleichen Jahr brach er mit einer Flotte von nun 17 Schiffen zu seiner zweiten Reise auf.

Die Raumfähre Columbia startete am 16. Januar 2003 in Florida. Der Start war mehrfach verschoben worden, um mehr Zeit für Vorbereitungen zu haben und um die Sicherheit der Raumfähre zu optimieren. An Bord waren sieben Astronauten. Die Auswertung routinemäßiger Filmaufnahmen vom Start ergab, dass sich ein Stück der Schaumstoffisolierung vom Außentank gelöst und die linke Tragfläche getroffen hatte. NASA-Ingenieure vermuteten nur geringe Schäden am Hitzeschild. Es war schon öfter vorgekommen und die Bilder deuteten darauf hin, dass der Schaumstoff beim Aufprall zerstört wurde. Die NASA-Flugleitung entschied, den Flug wie geplant durchzuführen. Als die Columbia am 1. Februar bei der Rückkehr in die dichtere Atmosphäre eintrat, brach sie über Texas auseinander. Dabei kamen alle sieben Astronauten ums Leben. Anfang 2004 gab Präsident George W. Bush bekannt, dass das Space-Shuttle-Programm beendet werden soll. So geschah es und die USA waren danach bei Flügen zur Raumstation auf die Hilfe Russlands angewiesen.

Eine Ursache der unterschiedlichen Reaktionen auf die Beinahe-Katastrophe von Columbus und die Katastrophe der Columbia war, dass die Spanier – anders als die NASA – die Aussicht auf Reichtümer vor Augen hatten. Das erklärt sie aber nur oberflächlich. Hätte man Columbus vor der Abfahrt gefragt, ob alle Risiken beseitigt sind, hätte er die Frage vermutlich nicht verstanden. Damals gehörten Risiken zum Leben. Jeder konnte ihre schrecklichen Folgen in der eigenen Umgebung sehen. Selbstverständlich wollten die Menschen auch damals Schäden vermeiden und natürlich hatten sie Angst, so wie die Matrosen von Columbus. Risiko und Vertrauen waren aber keine Gegensätze, sondern bedingten einander. Hätte es keine Risiken gegeben, hätte man kein Vertrauen haben müssen. Daran zweifelten die Matrosen und deshalb drohten Meutereien. Wer heute ein theoretisch und praktisch erkennbares Risiko eingeht, verdient kein Vertrauen. Deshalb war nach der zweiten Space-Shuttle-Katastrophe das Ende absehbar. Aus unserer Sicht gehört das Risiko des Scheiterns nicht zum Handeln. Wir glauben intuitiv an ein Null-Risiko. Null-Risiken gibt es aber nicht, weder im Privatleben noch im beruflichen Alltag und schon gar nicht bei wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen.1 Das gilt für individuelle Risiken bei der Entscheidung zwischen Treppe und Aufzug zur Vermeidung von Covid-19 und kollektive Risiken als Nebenfolgen von politischen Maßnahmen, darunter die Auswirkungen von Lockdowns auf die beruflichen Existenz von Zehntausenden in Handel, Gastronomie und Kultur.

Der bewusste und unbewusste Einfluss von Null-Risiko-Illusionen wurde in zahlreichen Experimenten getestet und bestätigt. Im praktischen Leben sind sie eine Ursache vieler Fehlentscheidungen. Spieler und Manager neigen nach großen Verlusten dazu, ungewöhnliche Risiken einzugehen, um die Verluste auszugleichen und verlieren dadurch alles. Diese Risikofalle ist durch Dostojewskis Roman Der Spieler zum Teil der Weltkultur geworden. Hoch verschuldete Kommunen ließen sich zum Kauf von riskanten Papieren verleiten, was sie noch tiefer in die Schuldenfalle rissen. Das Gegenstück ist unrealistischer Optimismus beim Vergleich eigener Risiken mit denen anderer Menschen. Dazu gehören vermeintlich risikolose Treffen von Familien und Cliquen in privaten Räumen nach ihrem Verbot auf Straßen und Plätzen. Sie haben zur wachsenden Zahl der Corona-Erkrankungen beigetragen.

Bei Null-Risiko-Illusionen handelt es sich aus zwei Gründen um eine besonders problematische Risikofalle. Erstens können sie dazu verleiten, Angst und Schrecken zu verbreiten, damit Menschen alle Verbote befolgen. Diese Praxis ist nicht neu. Nach einem ungefährlichen Betriebsunfall bei der Hoechst AG 1993 reagierten die Anwohner wie üblich gelassen. Spekulative Berichte über drohende Gefahren verängstigten sie. Befeuert haben ihre Ängste Katastrophenwarnungen des Kieler Toxikologen Otmar Wassermann. Die Liveübertragung überbordender Emotionen in einer Kirche stellte sie allen vor Augen. Der Höhepunkt war eine Bild- Kampagne zum Schutz angeblich gefährdeter Kinder. Ohne nennenswerten Widerspruch von Politik, Verwaltung und Unternehmen wurden sie nach Mallorca ›ausgeflogen‹.2 Solche Entscheidungen schaffen keine Sicherheiten, sondern verursachen Pseudosicherheiten. Vermutlich hat den Kindern der Flug auf die Insel und der Urlaub gefallen. Allerdings war beides mit größeren Risiken verbunden als der Aufenthalt in Höchst. Das geringe Risiko wurde verlagert und vergrößert. Pseudosicherheiten sind Risikofallen. Sie können schwerwiegende Folgen haben – der panikartige und planlose Ausstieg aus der Kernenergie hat die Risiken nicht beseitigt, sondern vergrößert, weil wir in Zukunft als Reserve nicht auf deutsche Kernkraftwerke zurückgreifen...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2022
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Kommunikation / Medien Journalistik
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Berichterstattung • Corona • Covid-19 • Fehleinschätzung • Medien • Medienhype • Medientrend • Optimismus • Pessimismus • Pseudosicherheit • Risiken • Risiko • risikoursachen • Risikovermeidung • Schandensgröße • Wahrscheinlichkeit
ISBN-10 3-86962-627-5 / 3869626275
ISBN-13 978-3-86962-627-7 / 9783869626277
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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