Säuferkind (eBook)

Mein Leben als Co-Abhängige und wie ich trotzdem glücklich wurde | Ein bewegendes Memoir einer mutigen Frau, die es geschafft hat, aus der Ko-Abhängigkeit auszubrechen.
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3254-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Säuferkind -  Cornelia Hoppe,  Wigbert Löer
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St. Pauli, 70er Jahre: Cornelia Hoppe wa?chst in bitterer Armut mit alkoholkranken Eltern auf. Ihr Spielplatz sind triste Trinkerkneipen mit zwielichtigen Gestalten. Einerseits scha?mt sich Cornelia schon als kleines Kind fu?r ihre Eltern, andererseits sorgt und ku?mmert sie sich um sie - als typisch Co-Abha?ngige. In der Ehe mit einem erfolgreichen Banker scheint sie dann schließlich das Glu?ck gefunden zu haben. Leider merkt Cornelia aber irgendwann, dass auch ihr Mann trinkt und der Teufelskreis von vorne beginnt: Sie leidet still, scha?mt sich, ku?mmert sich, ha?lt trotz allem zu ihm. Irgendwann erkennt sie, dass auch ihre Kinder drohen, co-abha?ngig zu werden. Trotz wirtschaftlicher Abha?ngigkeit schafft es Cornelia schließlich, ihren Mann zu verlassen - und damit sich und ihre Kinder zu retten.   Sa?uferkind ist ein ehrlicher, schonungsloser Bericht, der gleichzeitig Mut macht und zeigt, dass es mo?glich ist, sich aus den Fesseln der Co-Abha?ngigkeit zu befreien.  

Cornelia Hoppe schreibt aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen unter einem geschlossenem Pseudonym.

Cornelia Hoppe schreibt aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen unter einem geschlossenem Pseudonym. Wigbert Löer, geboren 1972, studierte Politikwissenschaft. Er schrieb Sachbücher über Doping ("Muskelmacher") und über Wettmanipulation im Profifußball ("Zockerliga"). Sein mit Oliver Schröm verfasstes Buch "Geld Macht Politik. Das Beziehungskonto von Carsten Maschmeyer, Gerhard Schröder und Christian Wulff" stand mehrere Wochen auf der "Spiegel"-Bestsellerliste. Löer war Redakteur für Investigative Recherche beim »stern«. Er enthüllte dort u.a., dass der CDU-Schatzmeister Helmut Linssen über eine Briefkastenfirma in Panama Geld versteckt hatte. Seine Recherchen im AfD-Milieu führten 2016 dazu, dass ein ganzer Landesverband der Partei aufgelöst wurde. Seit 2019 arbeitet er für die Filmproduktionsfirma EyeOpening.Media und die ARD-Dopingredaktion.

Anders als die anderen


Schönes und Schreckliches • Eifersucht und Gewalt
Auszeiten • Erstklässlerin • Aussetzer • Außenseiter

Mein Bruder Thomas traf auf St. Pauli oder auch im benach­barten Altona andere Jungs in seinem Alter. Ich selbst hatte nur wenige Kinder um mich, im Grunde genommen gar keine. In meiner Kindergartengruppe und später auch in der ersten Klasse war ich das einzige Kind, das jeden Morgen aus St. Pauli in die Neustadt kam. Ich blieb dann immer sehr lange im Hort und konnte mich deshalb nicht mit anderen Kindern verabreden. Meiner Mutter waren andere Mütter auch egal, sie wäre gar nicht auf die Idee gekommen, ein Nachmittagstreffen für mich zu organisieren. »Ich gehe heute mit soundso mit«, solche Sätze habe ich von anderen Kindergartenkindern oft gehört. Ich selbst konnte das niemals sagen.

Einmal immerhin wurde ich zu einem Kindergeburtstag eingeladen, in St. Pauli. Der Junge hieß Alfred und wurde fünf. Sein Vater zog ihn allein auf. Alfreds Vater trank auch, er kannte meine Eltern aus irgendeiner Kneipe. So kam ich zu meiner ersten Einladung. Auch wenn ich ihn niemals als Freund bezeichnet hätte, habe ich mich doch sehr darüber gefreut. Erwartungsfroh und aufgeregt, machte ich mich auf den Weg, begleitet von Thomas. Alfred wohnte mit seinem Vater in einer düsteren Erdgeschosswohnung ganz in unserer Nähe. Als ich ankam, schlug meine Vorfreude schnell in Enttäuschung um. Ich war Alfreds einziger Gast. Nun setzten wir uns mit dem Vater an einen Tisch. Es gab Kuchen. Dann spielten wir Topfschlagen. Schließlich sind Alfred und ich rausgegangen und haben dort irgendetwas gespielt.

An Tagen, an denen meine Mutter die Arbeit schwänzte, weil sie zu viel getrunken hatte, blieb in der Regel auch ich zu Hause. »Wir beiden machen uns das heute gemütlich«, sagte meine Mutter dann zu mir, wenn sie wieder einigermaßen auf den Beinen war. Für mich war es das Größte, auf den einzigen Spielplatz der näheren Umgebung zu gehen. Ich bettelte öfter mal, oft an Samstagen, da musste meine Mutter ja nicht arbeiten. »Ich will auf den Spielplatz, Mutti«, sagte ich dann. In sehr seltenen Fällen hatte ich damit Erfolg.

Abends blieb ich selbst so lange auf, wie ich wollte, weil zu Hause meist niemand auf mich achtete. Wenn ich mit meinen Eltern aus der Kneipe kam und die beiden dann vorm Fernseher weitertranken, habe ich oft noch einfach danebengesessen. Entsprechend müde war ich am nächsten Tag. Manchmal habe ich meiner Mutter dann auch selbst vorgeschlagen, dass wir es uns heute doch lieber gemütlich machen sollten. An einem Werktag, als sie sich bei der Arbeit krankgemeldet hatte, schlug ich meiner Mutter vor, zum Spielplatz zu gehen.

»Nein, ich habe eine bessere Idee«, antwortete meine Mutter.

»Was denn?«, fragte ich neugierig.

»Wirst du sehen«, antwortete meine Mutter und verließ die Wohnung. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie zurückkam – mit zwei vollen Plastiktüten. Die hatte sie auf einer Baustelle mit Sand gefüllt und in der Überzeugung, dass dies doch eine geniale Idee war, in die Wohnung hochgeschleppt.

»Hier kommt deine Sandkiste«, verkündete meine Mutter stolz, ging in die Küche, legte dort auf dem Boden Zeitungsseiten aus und kippte den Baustellensand darauf. Im ersten Moment war ich begeistert. Doch nach einer Weile hatte ich dann genug Förmchen mit dreckigem Baustellensand gefüllt. Ich sah nach meiner Mutter und fand sie mit glasigen Augen auf dem Sofa. Sie hatte nicht nur Sand für mich, sondern auch Alkohol für sich besorgt. Bis unsere Küche wieder sandfrei war, hat es dann Wochen gedauert.

An einem Nachmittag im Sommer sind wir auf einen kleinen Spielplatz gegangen, er lag ganz in der Nähe an der Simon-von-Utrecht-Straße. Ich freute mich wahnsinnig, dass meine Mutter mit mir losging. Nach ein paar Minuten kam eine Frau mit ihrem Kind auf den Spielplatz. Meine Mutter sprach kurz mit ihr, die beiden kannten sich. Dann kam meine Mutter zu mir.

»Ich muss mal kurz weg«, sagte sie. »Du bleibst hier. Die Frau da passt solange auf dich auf.« Ich dachte mir nichts dabei und spielte weiter. Doch irgendwann fragte ich mich, wann meine Mutter eigentlich wiederkommen würde. Die Frau war aber weiterhin da.

Dann erschien Thomas.

»Wo ist Mutti?«, fragte ich.

»Die Treppe runtergefallen«, antwortete er.

Mein Herz begann zu rasen, ich machte mir schreckliche Sorgen, denn die Treppen in unserem Haus gingen ja steil hinab. Gleichzeitig spürte ich Enttäuschung. Nun hat sie sich mal Zeit genommen, dachte ich, und dann ist sie gleich wieder weg und kommt auch nicht wieder.

Ich empfand Angst um meine Mutter und zugleich Enttäuschung aufgrund ihres Verhaltens. Diese Kombination von Gefühlen, die eine Co-Abhängigkeit ausmachen, sollte sich auch bei mir noch unzählige Male einstellen.

An diesem Tag hatte meine Mutter kurz entschlossen die Gunst des Augenblicks genutzt. Dank der anderen Frau musste sie den Nachmittag nicht mit mir auf dem Spielplatz verbringen. Sie war gleich wieder nach Hause gegangen und hatte angefangen zu trinken. Ihre Flaschen versteckte sie immer in der Wohnung, Erdbeersekt meistens und Springer Urvater, einen Weinbrand, den es auch heute noch gibt.

Meine Mutter hatte sich offenbar so großzügig an ihrem Alkoholvorrat bedient, dass sie zwar die vier Etagen bis ins Hochparterre heruntergekommen war, nicht aber die weitere Treppe runter zur Haustür. Dort, kurz vor der Straße, hatte sie das Gleichgewicht verloren, war gestürzt und hatte sich auf den Betonstufen, die mit einer Stahlkante versehen waren, den Hinterkopf aufgeschlagen. Auf dem Boden waren mehrere große Blutflecken zu sehen. Die Platzwunde musste genäht werden. Wie und wo das geschah, weiß ich nicht mehr, aber Thomas und ich machten uns große Sorgen.

Manchmal hat sich auch meine Mutter um mich gesorgt in jener Zeit. »Ich habe so eine Angst, dass dir etwas passieren könnte«, solche Sätze sagte sie mir immer mal wieder. Ich glaubte ihr das damals und glaube auch heute noch, dass sie das so gefühlt hat. Sie konnte eben nur nicht konsequent handeln. Als ich fünf Jahre alt war, hat sie mich schon morgens früh allein zum Brötchenholen geschickt, auch im Winter, wenn es noch dunkel war. Ich musste zweimal ums Eck, in die Hein-Hoyer-Straße, dort gab es im Tiefparterre einen Krämerladen. Einmal stieß ich dabei auf einen Betrunkenen, der in einem Hauseingang saß.

»Willst du ficken?«, blaffte er mich an.

Ich rannte, so schnell ich konnte, zurück nach Hause. Aufgewühlt berichtete ich meinen Eltern, was der Mann mir gesagt hatte, doch die reagierten eher belustigt. Sie ignorierten meine Angst, und es schien sie nicht weiter zu interessieren, dass solche Typen kleine Mädchen ja nicht nur ansprechen konnten.

Schönes und Schreckliches


Nicht weit von unserer Wohnung entfernt lag im Haus Hamburger Berg 2 der Goldene Handschuh. Diese berüchtigte Kneipe, 1953 von einem Amateurboxer namens Nürnberg gegründet, haben meine Eltern häufiger aufgesucht. Die Klientel im Goldenen Handschuh passte zu ihnen. In den Siebzigern kehrten dort noch keine Studierenden und auch keine Touristen ein.

Im Sommer 1975 gestand der Hamburger Fritz Honka vier Frauenmorde. Es kam heraus, dass Honka viel Zeit im Goldenen Handschuh und auch schräg gegenüber im Elbschlosskeller verbracht hatte. Seine Opfer, Frauen aus dem Trinkermilieu, hatte er sich in unserer Straße gesucht. Ich war gerade sieben Jahre alt, als die Zeitungen ausführlich über Honka berichteten. Meine Eltern nahmen keine Rücksicht auf mein Alter und erzählten mir, dass er die Frauen zerstückelt und die Leichenteile ins Klo gesteckt habe. Den Goldenen Handschuh hat sein berühmter Gast damals allerdings nur bekannter gemacht. Im Fenster hängt dort inzwischen sogar ein Schild mit der Aufschrift Honka-Stube. Der Mehrfachmörder Honka, der sich nach vielen Jahren in der geschlossenen Psychiatrie 1998 selbst zu Tode trank, wirkt heute zuweilen wie eine Kultfigur. Ich glaube, dass am Milieu des St. Pauli der Siebzigerjahre in Wirklichkeit nichts kultig war. Das Leben der Leute, die den Goldenen Handschuh und ähnliche Kneipen besuchten, war damals von Sucht und Perspektivlosigkeit geprägt. Bei meinen Eltern war es allerdings nicht so, dass die beiden kein Geld verdienten. Meine Mutter arbeitete weiterhin bei der Berufsgenossenschaft Bau. Mein Vater schlug sich mit Jobs bei Klempnereien durch und war ab und zu auch mal für kürzere Zeit angestellt. Wenn er mal nicht arbeitete, kam finanzielle Unterstützung vom Arbeitsamt. Das Leben armer Leute haben wir dennoch geführt – die Alkoholsucht meiner Eltern verschlang den größten Teil der Einkünfte. Oft funktionierte unser Telefon nicht, weil die Rechnung nicht beglichen worden war. Auch hat man uns immer wieder den Strom abgeschaltet und unseren Anschluss unten im Stromkasten verplombt. In solchen Fällen wurde mein Vater dann allerdings tätig. Er überbrückte die Plombe, sodass der Fernseher wieder lief und wir Licht hatten.

Wenn Geld da war, hat mein Vater am Wochenende gekocht, mitunter richtig leckere Mahlzeiten wie Kohlrouladen oder Scholle. Wir sind auch sonntags manchmal an die Landungsbrücken gegangen, dort...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alkohol • Befreiung • Co-Abhängigkeit • Droge • Familie • Hamburg • Memoir • Partner • Partnerschaft • St.Pauli • Sucht
ISBN-10 3-8437-3254-X / 384373254X
ISBN-13 978-3-8437-3254-3 / 9783843732543
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