Politische Selbstorganisierung junger Erwachsener -  Selin Kilic

Politische Selbstorganisierung junger Erwachsener (eBook)

Eine qualitative Studie zu kollektiven Aushandlungen von Gruppenprozessen

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
261 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8128-2 (ISBN)
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Junge Erwachsene haben in unterschiedlichen Formen und Dimensionen teil am gesellschaftlichen Leben und gestalten dieses in verschiedenster Weise mit. Ausgehend von einem vielfach problematisierten Verhältnis von Jugend und Politik werden in diesem Buch die politischen Ausdrucksformen junger Erwachsener in ihrer Praxis untersucht. Jenseits formal-demokratischer und institutionalisierter Teilhabemöglichkeiten interessiert sich die Autorin in ihrer Ethnografie für kollektive Aushandlungen von Gruppenprozessen. Dabei werden grundlegende Konstitutionsbedingungen der politischen Selbstorganisierung junger Erwachsener herausgearbeitet und vor dem Hintergrund eines breiten Verständnisses von politischer Partizipation diskutiert.

Selin Kilic, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Marie Meierhofer Institut für das Kind. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Methoden qualitativer Sozialforschung, Kindheits- und Jugendforschung sowie Familienforschung und Intergenerationalität.

2Theoretische Grundlagen


In diesem Kapitel werden die theoretischen Vorannahmen und Perspektiven, die für die empirische Untersuchung sowie die Datenanalyse leitend waren, vorgestellt werden. Es ist es wesentlich, von Vorannahmen und theoretischen Perspektiven zu sprechen – und nicht von einem ausgearbeiteten theoretischen Modell auszugehen, welches dann den Daten „übergestülpt“ wird. Theorie und Empirie bilden in der vorliegenden Studie ein wechselseitiges, aufeinander bezogenes Verhältnis (vgl. dazu Kapitel 3 und 4). „Theorie leitet Empirie an, und Empirie bringt Theorie in die Krise“ (Bereswill und Rieker 2008, S. 400).

Die Theoretisierung des Untersuchungsgegenstandes orientiert sich an der Logik, wie sich dieser der Forscherin gegenüber im Feld präsentiert hat. So basieren die theoretischen Vorüberlegungen vor allem auf der Selbstbezeichnung der beiden Gruppen: selbstorganisierte politische Jugendgruppen resp. Gruppen junger Erwachsener. Das bedeutet folglich, dass zunächst Begriffs- sowie eine Konzeptbestimmung zu Gruppe und Kollektivität vorgenommen werden. Leitende Fragen sind dabei, wie soziale Gruppen zu definieren sind, wie sich diese konstituieren und was das gemeinschaftsstiftende und verbindende Element dabei ist. Diese Herangehensweise erscheint der Autorin zentral, um den Forschungsgegenstand von informelleren und loseren Formen der Vergemeinschaftung, beispielsweise sozialen Bewegungen, abzugrenzen und danach zu fragen, wie Gruppe und Organisationsprozesse im Verhältnis zueinanderstehen.

Im zweiten Teil liegt der Fokus auf jugendtheoretischen Überlegungen. Dies ist dadurch bedingt, dass die Studie sich einerseits im Bereich der Jugendforschung verortet und zweitens sich beide Gruppen auch explizit über ihr Alter resp. ihre generationsspezifische Lage definieren. Im Zentrum dieses Kapitels stehen vor allem unterschiedliche Formen jugendlicher Vergemeinschaftung sowie deren Funktion und Bedeutung für die Heranwachsenden. Darauf aufbauend werden besonders Formen der Vergemeinschaftung und der Kollektivierung betrachtet, anhand derer sich ein Verhältnis zwischen den Jugendlichen und dem Politischen, ausgehend von einem breiteren Partizipationsverständnis, bestimmen lässt. So wird erläutert, inwiefern diese Formen der Vergemeinschaftung auch als Ausdruck politischer Artikulation und Partizipation verstanden werden können. Es wird jedoch bewusst darauf verzichtet, ein Verhältnis von Jugend und Politik näher zu theoretisieren oder einzugrenzen, da genau dieses Verhältnis auch Teil der Forschungsfrage ist und den Analysen sowie den Ergebnissen nicht vorweggenommen werden soll.

2.1(Politische) Selbstorganisierung als soziale Vergemeinschaftung


In diesem Kapitel wird die Kategorie Jugend zunächst aussen vor gelassen. So soll zuerst geklärt werden, wie das soziale Phänomen der Gruppe als eine Form der Vergemeinschaftung und Kollektivität von Menschen theoretisch sowie konzeptionell, jenseits ihrer sozialisatorischen Funktion für Heranwachsende, skizziert werden kann.

Vergemeinschaftung dient hierbei als übergeordneter Begriff, wobei jegliche Formen menschlichen Austausches und menschlicher Interaktionen über einen bestimmten Zeitrahmen subsummiert werden. Gruppe wird dann als spezifischer Modus dieser Sozialität begriffen – und Kollektivität als Eigenschaft, welche einer Gruppe inhärent ist und diese zusammenhält.

Gruppentheoretische Perspektiven

Ob als Selbstbezeichnung oder Fremdzuschreibung – man begegnet Gruppen und Gruppenzusammenhängen in unterschiedlichen Sphären des Alltags. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive handelt es sich jedoch um ein diffuses Konzept, welches unterschiedlich gefasst und ausformuliert wird. Ein homogenes Verständnis davon, was unter einer sozialen Gruppe verstanden wird, wie sich diese im Alltag zeigt und welche Funktionen ihr zukommen, lässt sich nicht finden. Aus diesen Gründen plädiert Neidhardt (2017) dafür, Gruppe als analytische Kategorie zu fassen, welche sich zu empirischen Entitäten auf eine theoretisch steuerbare Weise verhält (Neidhart 2017, S. 434). Während Neidhardt sich schlussfolgernd diesem sozialen Phänomen auf einer systemtheoretischen Perspektive annähert, soll in diesem Kapitel der Blick erweitert werden. Jedoch soll Gruppe als analytisches Konzept verstanden werden und es sollen unterschiedliche Blickwinkel darauf kurz vorgestellt werden, anhand welcher aufgezeigt wird, welche Erkenntnispotenziale damit verbunden sind.

Ausgehend von Schäfers eng gefasster Definition werden zunächst spezifische Merkmale und Aspekte von Gruppen betrachtet. So umfasst für ihn eine Gruppe

eine bestimmte Zahl von Mitgliedern (Gruppenmitglieder), die zu Erreichung eines gemeinsamen Ziels (Gruppenziel) über längere Zeit in einem relativ kontinuierlichen Kommunikations- und Interaktionsprozess stehen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit (Wir-Gefühl) entwickeln. […]. (Schäfers 1999, S. 20)

Die Gruppe wird hierbei als ein soziales System, in welchem Personen in einem regelmässigen Kontakt zueinanderstehen, verstanden. Die Intensität dieser Beziehungen der Gruppenmitglieder kann jedoch variieren. Stabilere Formen zeigen sich durch „relativ feste, wechselseitige Verhaltenserwartungen aneinander“ (Luhmann 1976, S. 34). In diesen Gebilden setzt sich die Gruppe aus einem bestimmten unverwechselbaren Kreis aus Mitgliedern zusammen, wobei Abwesenheiten von Personen auffallen. Diese Interaktionen untereinander bilden einen spezifischen Sinnzusammenhang von Handlungen. Dieser Sinnzusammenhang unterscheidet sich von anderen sozialen Systemen und konstituiert sich unter besonderen, noch zu bestimmenden Bedingungen. Ausgehend von diesen systemtheoretischen Überlegungen leitet sich ab, dass, wenn über Gruppen gesprochen wird, jeweils zwischen einer Innen- und einer Aussenwelt zu differenzieren ist. Auch Brubaker versteht soziale Gruppen im Allgemeinen als ein „gemeinsam interagierendes, erkennendes und orientierendes Kollektiv […], das wirksam kommuniziert und durch Solidarität, gemeinsames Selbstbild und gemeinsame Praxis nach aussen abgegrenzt ist“ (Brubaker 2007, S. 23).

Gruppen, welche über ein implizit ausgearbeitetes Regelwerk verfügen, das sich vor allem in Normen und Werten, welche handlungsleitend für die Gruppenmitglieder sind, widerspiegelt, können als informelle Gruppen bezeichnet werden. Die Informalität bezieht sich vornehmlich auf die interne Ordnung, welche nicht auf strengen Vorgaben oder Regeln beruht, und eher im Hintergrund der Subjekte ausgearbeitet wird. Die Gruppenbildung wird von Preyer (2012, S. 103) als persönlich motiviert, affektiv sowie emotional diffus beschrieben. Die persönliche Orientierung und Beziehung unter den Gruppenmitgliedern sind zentral, wobei die Beziehungen eher mittelfristig als langfristig sind. Es gibt keine formalen Regeln der Interaktion oder der Kommunikation. Im Unterschied zu Organisationen gibt es keine institutionalisierten Verfahren zur Änderung dieser Normen (Tyrell 1983, S. 80).

Wird die interne Ordnung der Gruppe von externen Faktoren bestimmt, kann von formellen Gruppen gesprochen werden. Im Unterschied zu den informellen Gruppen sind diese nicht symbiotisch angelegt, sondern durch externe Regeln und Erwartungen, wie Statuten, Satzungen und Anweisungen, konstituiert. Auch ihre Kommunikations- und Interaktionssysteme sind formalisiert. Ein zentrales Differenzmerkmal stellt dabei überdies die Festhaltung von Mitgliedschaft dar, welche einen Ein- und Austritt von Mitgliedern regelt. Bedingungen für eine Mitgliedschaft sind festgehalten und klar.

Für die vorliegende Untersuchung ist besonders die Frage der Rolle des Individuums in der Gruppe und somit auch das Verhältnis von Individuum und Kollektiv von Interesse. So ist die informelle Gruppe stärker durch einzelne Personen sowie ihre Anwesen- oder Abwesenheit geprägt, während in formellen Gruppen Mitglieder austauschbar sind, da die Struktur der Gruppe auch jenseits einer Person existiert.

Wird die Qualität der Beziehungs- und Interaktionsformen, welche die Gruppenmitglieder ...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-7799-8128-9 / 3779981289
ISBN-13 978-3-7799-8128-2 / 9783779981282
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