Die Schule neu erfinden -  Peter Sutter

Die Schule neu erfinden (eBook)

Damit das Lernen wieder Freude macht

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
284 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-3474-0 (ISBN)
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Obwohl sich alle Kinder auf den ersten Schultag freuen, verlieren die allermeisten diese anfängliche Freude im Verlaufe ihrer Schulzeit immer mehr. Dass dies nicht an den Kindern liegt, sondern an einer Schule, die sich viel zu wenig an den tatsächlichen Lern- und Lebensbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientiert, davon ist Peter Sutter, pensionierter Oberstufenlehrer und Grossvater von sechs Enkelkindern zwischen einem und zehn Jahren, zutiefst überzeugt. Er gelangt deshalb zu einer radikalen Kritik des bestehenden Schulsystems. Doch er beschränkt sich nicht auf die Kritik, sondern zeigt auch Wege auf, wie die Schule umgestaltet oder gar von Grund auf neu erfunden werden könnte, damit das Lernen wieder Freude macht und die Kinder und die Jugendlichen wieder so lustvoll, selbstbestimmt und erfolgreich lernen könnten, wie sie alle dies in ihren ersten Lebensjahren getan hatten.

Peter Sutter wurde 1950 geboren. Er ist verwitwet, Vater von drei erwachsenen Kindern und Grossvater von sechs Enkelkindern im Alter zwischen einem und zehn Jahren. Nach der Ausbildung zum Sekundarlehrer an der Universität Zürich war er während 38 Jahren als Oberstufenlehrer in Buchs SG tätig, war Mitbegründer des Werdenberger Kleintheaters fabriggli und der Freien Volksschule Buchs, heute «La Nave». Während acht Jahren war er Mitglied des Buchser Gemeinderates, wo er sich unter anderem für den Aufbau der offenen Jugendarbeit engagierte. Zudem wirkte er als Initiant und Regisseur von zahlreichen Kinder- und Jugendtheaterprojekten. Im Jahre 2000 erschien sein Buch «Schafft die Schule ab - Vision einer neuen Lern- und Bildungskultur.» Seinen Traum von einer Schule, die nicht vor allem auf Lehrpläne, Schullektionen, Prüfungen und Selektion ausgerichtet ist, sondern sich an den tatsächlichen Lern- und Lebensbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientiert, hat er bis heute nicht aufgegeben. Denn er ist davon überzeugt, dass die Kinder in freieren, offeneren und selbstbestimmteren Formen des Lernens nicht weniger, sondern viel besser und viel mehr lernen würden als in der traditionellen Jahrgangsklassen- und Lehrplanschule.

DIE SCHULE UND DAS LERNEN


WAS DIE SACHE DES KINDES WAR, WIRD ZUR SACHE DER ERWACHSENEN


«Man lässt die Kinder bis ins fünfte Jahr im vollen Genuss der Natur», stellte Pestalozzi fest, «man lässt jeden Eindruck derselben auf sie wirken, sie fühlen ihre Kraft. Und nachdem sie also fünf ganzer Jahre diese Seligkeit des sinnlichen Lebens genossen, macht man auf einmal die ganze Natur um sie her vor ihren Augen verschwinden, stellt den reizvollen Gang ihrer Zwanglosigkeit und ihrer Freiheit tyrannisch still, wirft sie, wie Schafe in ganze Haufen zusammengedrängt, in eine stinkende Stube, kettet sie Stunden, Tage, Monate und Jahre unerbittlich an das Anschauen elender, reizloser und einförmiger Buchstaben.»

Freilich tönt das in unseren heutigen Ohren viel zu krass. Und gewiss lassen sich die Schulen zur Zeit Pestalozzis kaum mit den «modernen» Schulen des 21. Jahrhunderts vergleichen. Doch im Kern ist es doch immer noch das Gleiche: Was die Sache der Kinder war, wird zur Sache der Erwachsenen. Fortan kümmern sich speziell hierfür ausgebildete Expertinnen und Experten, die Lehrkräfte, um jenes Lernen, welches die Kinder vier oder fünf Jahre lang so erfolgreich, perfekt und hochprofessionell aus eigener Kraft gemeistert hatten. Lehrerinnen und Lehrer, oft aber auch Eltern gehen sogar so weit, den Kindern weiszumachen, dass erst jetzt der eigentliche «Ernst des Lebens» beginne, ganz so, als hätten die Kinder nicht, ohne jemals zur Schule gegangen zu sein, schon längst die allergrössten Lernleistungen ihres Lebens fast ganz alleine aus eigener Kraft vollbracht.

Kein Wunder, dass die meisten Kinder darauf mit Missmut, Enttäuschung und Widerstand reagieren. Freilich nicht schon am ersten Tag, denn da sind sie noch voller Hoffnung, dass das Lernen auch in der Schule so lustvoll und abenteuerreich weitergehen würde, wie es in den ersten Lebensjahren begonnen hatte. Vielleicht auch noch nicht einmal im Verlaufe des ersten oder zweiten Schuljahrs, denn jedes Kind hat ein beinahe unerschütterliches Vertrauen, dass es die Erwachsenen gut mit ihm meinen. Doch früher oder später verlieren die allermeisten Kinder die Freude am Lernen, zumindest an jenen Formen des Lernens, wie sie von der Schule organisiert werden. Wie auch die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm aufgrund zahlreicher Befragungen von Kindern und Jugendlichen feststellte, nimmt die Freude der Kinder an der Schule von Schuljahr zu Schuljahr kontinuierlich ab, bis sie zum Ende der obligatorischen Schulzeit einen absoluten Tiefpunkt erreicht. 3

Die tiefere Ursache für all dies liegt wohl darin, dass sich die individuellen Lernpläne der einzelnen Kinder und ein von Erwachsenen vorgegebener Lehrplan, in dem festgehalten ist, in welchem Schuljahr welche Lernziele erreicht werden sollen, grundsätzlich widersprechen, ja geradezu gegenseitig ausschliessen. Wie wir beim Lernen der ersten Lebensjahre beobachten konnten, war dieses eben gerade deshalb so erfolgreich, weil die Kinder stets spontan und intuitiv ihren je momentanen Lernbedürfnissen auf ihren je individuellen Lernwegen folgen konnten. Im Gegensatz dazu werden in der Schule die Auswahl und die Reihenfolge der Lerngegenstände und der Unterrichtsthemen sowie das Tempo und die Methoden des Lernens weitgehend von der Lehrperson bestimmt.

Dass die Kinder nichts von dem, was sie in den ersten Lebensjahren lernen, je wieder vergessen, ein grosser Teil des in der Schule Gelernten aber früher oder später wieder in Vergessenheit gerät, ist kein Zufall, sondern die ganz logische Folge davon, dass die Schule, um ihren eigenen Lehrplan durchzusetzen, zwangsläufig die individuellen Lernpläne der Kinder missachten und verdrängen muss. Das ist nicht die Schuld der einzelnen Lehrerin, des einzelnen Lehrers, sondern die zwangsläufige Folge des herrschenden Schulsystems als Ganzem. Denn es kann, wie schon Pestalozzi feststellte, nicht verschiedene gute Wege für das Lernen geben, gut ist einzig und allein der Weg der «Natur». Lernen und Lehren sind nicht zwei sich gegenseitig sinnvoll ergänzende Tätigkeiten, im Gegenteil: Zu vieles Lehren verunmöglicht echtes Lernen. «Alles, was man dem Kinde beibringt», sagt der Entwicklungspsychologe Jean Piaget, «kann es selber nicht mehr entdecken».

MASSLOSE ÜBERSCHÄTZUNG SCHU− LISCHEN LERNENS


Wie masslos die Wirkung schulischen Lernens nach wie vor überschätzt wird, hat sich jüngst anlässlich der Coronapandemie gezeigt. Politikerinnen, Politiker, Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten sprachen im Jahr 2020 bezüglich der schulischen Corona-Massnahmen von einer «verlorenen Generation» und nicht mehr aufzuholenden «Bildungsdefiziten». Nun konnte aber gemäss den Ergebnissen der jüngsten Pisa-Studie kein kausaler Zusammenhang zwischen der Dauer von geschlossenen Schulen und Bildungsleistungen festgestellt werden. Norwegen, das seine Schulen vergleichsweise kurz schloss, und Schweden, das ganz darauf verzichtete, gehören zu jenen Nationen mit höheren Einbussen bei den schulischen Leistungen. Auf der anderen Seite gibt es Länder mit langen und strikten Coronamassnahmen wie Lettland, Irland oder Italien, die fast keine Pisapunkte einbüssten. Die Schweizer Schülerinnen und Schüler schnitten insgesamt genau gleich gut ab wie beim letzten Mal. «Schulschliessungen zwischen einem und sechs Monaten weisen keine negativen Zusammenhänge mit den Kompetenzen bei Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften auf», steht im offiziellen Schweizer Pisa-Bericht. 4

Aber eigentlich hätten wir das auch vorher schon wissen können. Obwohl Kinder und Jugendliche in der Schweiz von Kanton zu Kanton höchst unterschiedlich lange zur Schule gehen und auch die Stundendotation der einzelnen Fächer recht unterschiedlich ist, konnte bis heute noch nicht festgestellt werden, dass die Bewohnerinnen und Bewohner einzelner Kantone in ihrem späteren Berufsleben in Bezug auf ihre Kenntnisse und Fertigkeiten grössere Stärken oder Schwächen aufgewiesen hätten als Bewohnerinnen und Bewohner anderer Kantone. Dies gilt nicht einmal für den Kanton Graubünden, wo früher nur während der Wintermonate schulischer Unterricht stattfand. Wenn ich mit meinem Freund aus dem Engadin über Gott und die Welt philosophiere, habe ich jedenfalls nie den Eindruck, ich wäre ihm auf irgendeine Art und Weise überlegen, bloss weil ich im Verlaufe meines Lebens so viel länger zur Schule gegangen bin als er.

Doch all dessen ungeachtet setzt die Schule auf Teufel kaum raus alles daran, den Kindern und Jugendlichen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel beizubringen. Absurderweise wird das sogar von Schuljahr zu Schuljahr immer noch weiter vorangetrieben. Geniesst das Kind in der Spielgruppe noch fast unbegrenzte Freiheiten und kann es stets selber entscheiden, wo und wann es sich mit welchen Dingen beschäftigen will, so tauchen im Kindergarten bereits so etwas wie organisierte «Lektionen» auf, mit denen diese Freiheit eigentätigen Lernens schon ein erstes Mal ein wenig beschnitten wird. Und dann geht es immer so weiter. Von Schuljahr zu Schuljahr wird der Anteil freien, selbstbestimmten Lernens immer mehr eingeschränkt, während der Anteil des von den Lehrkräften organisierten Unterrichts immer grösser wird, bis er auf der Oberstufe ganz und gar die Oberhand gewonnen hat, Schülerinnen und Schüler nur noch im 50-Minuten-Takt von Lektion zu Lektion gehetzt, mit einer immer grösseren Schulstoff abgefüllt, durch eine Vielzahl von Prüfungen permanent unter Druck gesetzt und schon längst nicht mehr gefragt werden, ob sie das, was sie lernen müssen, auch tatsächlich lernen wollen. Und dies ausgerechnet in einem Alter, wo ihre Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit doch, gegenüber neun Jahren zuvor, um ein Vielfaches zugenommen haben müssten, so dass man ihnen eigentlich bei ihrem Lernen noch viel mehr Freiheit und Selbstbestimmung einräumen müsste, als man dies gegenüber den Kindern in der Spielgruppe oder im Kindergarten getan hatte. Kein Wunder, nimmt die Freude am schulischen Lernen von Schuljahr zu Schuljahr ganz genau in dem Masse kontinuierlich ab, als die Selbstbestimmung systematisch immer mehr von der Fremdbestimmung verdrängt wird.

LEHRPLAN 21 : 363 KOMPETENZEN UND 2304 KOMPETENZSTUFEN


Als sich pädagogische Fachleute im Jahre 2006 erstmals trafen, um einen neuen gesamtschweizerischen Lehrplan auszuarbeiten, hätte ja aufgrund aller vorhandenen pädagogischen und lernpsychologischen Erkenntnisse durchaus die Chance bestanden, so etwas wie einen Lehrplan grundsätzlich in Frage zu stellen und stattdessen alle Bemühungen auf eine möglichst optimale Begleitung des individuellen, in jedem einzelnen Kind angelegten Lernpotenzials auszurichten. Herausgekommen ist das Gegenteil: ein 470-seitiges Monstrum, in dem in Form von 363 Kompetenzen und 2304 Kompetenzstufen definiert ist, was die Kinder im Laufe von neun Schuljahren alles lernen sollen. Allein wenn man sich im Folgenden die Unterrichtsziele im Teilbereich Textverständnis anschaut, verschlägt es einem...

Erscheint lt. Verlag 7.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-7583-3474-8 / 3758334748
ISBN-13 978-3-7583-3474-0 / 9783758334740
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