Resilienz gegen Extremismus -  Hemma Mayrhofer,  Florian Neuburg

Resilienz gegen Extremismus (eBook)

Biografische Fallverläufe im gesellschaftlichen Kontext
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
214 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8116-9 (ISBN)
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Resilienzfaktoren gegen Extremismus wurden bislang noch wenig erforscht, obwohl sie für Präventionsarbeit bedeutsam sind. Dieses Buch fasst die Ergebnisse biografischer Fallstudien zu ehemals radikalisierungsgefährdeten jungen Menschen zusammen. Im Zentrum steht die Frage, wie Resilienzfaktoren gegen extremistische Sinn- und Zugehörigkeitsangebote im biografischen Verlauf ausgebildet und wirksam werden. Die Ergebnisse verdeutlichen, wie Risiko- und Resilienzfaktoren in Verflechtung von individueller und gesellschaftlicher Ebene komplex ineinandergreifen und zu spezifischen Dynamiken führen.

Hemma Mayrhofer, Dr. phil., ist Assistenzprofessorin am Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie der Universität Innsbruck. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind u.a. rechtssoziologische Forschung, sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung, Gewaltforschung, Jugendarbeitsforschung, Evaluations- und Wirkungsforschung.

2.Forschungsdesign und Methodik


Hemma Mayrhofer

Wie eingangs konstatiert, lässt sich aus den vorliegenden wissenschaftlichen Befunden ableiten, dass bei der Erforschung von Resilienz gegen Extremismus eine Fokussierung auf die individuelle Ebene zu kurz greift. Gefragt ist eine Perspektive, die lebensgeschichtliche Verläufe in ihrer sozialen Einbettung und unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontextes zu rekonstruieren und verstehen erlaubt (vgl. Frank/Glaser 2018). Solch einen Blick auf biografische Erfahrungen und Entwicklungswege ermöglichen in besonderer Weise rekonstruktive Verfahren der Biografieforschung,

„[…] [d]enn in der Biographie zeigt sich die wechselseitige Verwobenheit von institutionalisierten Ablaufmustern des Lebenslaufs, historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und den Entwicklungen des Individuums und dessen subjektiven Umgangsweisen mit diesen Verhältnissen“ (Riegel 2018, S. 566).

Über qualitativ-rekonstruktive Auswertungsverfahren kann erschlossen werden, wie der Erzähler bzw. die Erzählerin Ereignisse im Lebenslauf verarbeitet hat (vgl. Fuchs-Heinritz 2009). Sie ermöglichen es,

„[…] die Wirksamkeit von Sozialisationsinstanzen, die lebensgeschichtliche Konstituierung von Sinn und Bedeutung im vergangenen Lebensalltag in der Familie, der Nachbarschaft, in den pädagogischen Institutionen und die daraus entstehenden subjektiven Verarbeitungsformen [zu] analysieren […]“ (Krüger 2006, S. 14).

Dies erlaubt auch über den Einzelfall hinaus relevante Erkenntnisse über biografische Lern- und Bildungsprozesse (vgl. Bartmann/Tiefel 2008). Die vorliegende Studie zu Resilienz gegen Extremismus wählte deshalb einen biografischen Forschungsansatz, da die soziale Einbettung bzw. der Einbezug der Lebensumwelt der jungen Menschen von großer Bedeutung für ein komplexes Modell von Resilienz gegenüber extremistischen Sinnangeboten ist (vgl. Moldenhauer 2014). Umso bemerkenswerter erscheint, dass in der sozialwissenschaftlichen Biografieforschung entsprechende Forschungsinhalte kaum (explizit) eine Rolle spielen.9

2.1.Erhebungsmethoden, Sampling und Erfahrungen mit dem Feldzugang


Der Forschungsfokus lag auf Lebensgeschichten junger Erwachsener, bei denen ein erhöhtes Ausmaß an Gefährdung extremistischen Sinnangeboten gegenüber anzunehmen war und die eine Affinität diesen gegenüber erkennen ließen, sich ihnen aber schlussendlich nicht zuwandten oder früh wieder davon distanzierten bzw. denen es gelang, aus dem Radikalisierungsprozess wieder auszusteigen. Dadurch sollte ausreichend gewährleistet werden, dass nicht nur Risiko-, sondern auch Resilienzfaktoren empirisch erfassbar werden. Nicht angestrebt wurden somit Interviews mit Personen, die sich entweder gar nie einer nennenswerten extremistischen Gefährdung gegenübersahen oder die sich sehr umfassend radikalisiert hatten, auch wenn sich in der Umsetzung zeigte, dass diese Grenzziehungen nur annäherungsweise möglich waren.

Alle interviewten Personen waren ehemalige Nutzer*innen von Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit, da Interventions- und Wirkmöglichkeiten Offener Jugendarbeit in den biografischen Verläufen der jungen Menschen in Hinblick auf den zweiten Studienteil zu Biografiearbeit in der Offenen Jugendarbeit von Interesse waren. Der Feldzugang wurde entsprechend über die ins Projekt eingebundenen Einrichtungen Offener Jugendarbeit realisiert, diese vermittelten Kontakte zu vor allem ehemaligen Nutzer*innen ihrer Einrichtung, auf die die oben beschriebenen Merkmale möglichst weitgehend zutrafen.

In den Erhebungen kam die Methode des narrativ-biografischen Interviews nach Schütze (1983; vgl. auch Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014; Küsters 2009) zur Anwendung, das ein dreiteiliges Vorgehen vorsieht: Am Anfang steht eine allgemein gehaltene Erzählaufforderung und die Stegreiferzählung der interviewten Person (= Biograf*in). Der zweite Teil des Interviews zielt darauf ab, das tangentielle Erzählpotenzial auszuschöpfen, er wird durch narrative, gesprächsimmanente Nachfragen strukturiert. Der dritte Teil umfasst zum einen Nachfragen zu Aspekten, die bislang noch nicht thematisiert wurden und an die auch im zweiten Interviewteil nicht angeschlossen werden konnte. Zum anderen besteht er aus Aufforderungen zur abstrahierenden Beschreibung von Zuständen, Abläufen und Zusammenhängen. Neben Nachfragen, die den*die Biograf*in zu Resümees bzw. Selbstevaluierungen über das eigene Leben stimulieren sollten, wurden dem Forschungsinteresse der Studie BI:JU entsprechend auch Nachfragen integriert, die Interventionen durch Jugendarbeiter*innen und deren Relevanz für das Verhältnis des Biografen bzw. der Biografin zu extremistischen Sinnangeboten zum Inhalt hatten.

Die biografischen Erhebungen wurden durch weitere methodische Ansätze im Sinne einer „between-method“-Triangulation (Flick 2011b, S. 56; Schneider 2014) ergänzt: Konkret wurden ergänzend Netzwerkkarten (vgl. Schwinger 2016) mit den interviewten Personen erhoben, die das Beziehungsnetzwerk der jungen Menschen differenziert erfassten und visualisierten und so wichtige zusätzliche Daten generierten. Zugleich wurde im Interviewsetting geprüft, inwieweit die Bedeutung sozialer Medien in der Identitätsbildung bzw. als Einflussfaktor für den biografischen Verlauf in den Erhebungen erfasst werden kann. Die interviewten Personen wurden gefragt, ob gespeicherte Spuren der „digitalen Biografie“ zugänglich gemacht und für ergänzende Auswertungen gesichert werden können (z. B. frühere Postings auf Facebook etc., denen von der befragten Person biografische Relevanz gegeben wird).

Wenn die befragte Person einverstanden war, dann wurden die Erhebungen um ein themenzentriertes Leitfadeninterview (im Sinne episodischer Interviews – vgl. Flick 2011a) zum*zur konkreten Biograf*in mit einer wichtigen Bezugsperson der Offenen Jugendarbeit erweitert.

Auch wenn bereits in der Projektentwicklung berücksichtigt wurde, dass Kontakte zu ehemaligen Nutzer*innen Offener Jugendarbeit mit früherer Extremismusaffinität nicht so einfach herstellbar sein würden, erwies sich die Realisierung der Interviews als noch deutlich herausfordernder als vermutet. Faktisch erschwerten vor allem zwei Faktoren den Zugang zu den jungen Menschen:

  • Erstens verfügten die Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit häufig über keine Kontaktdaten mehr zu ehemaligen Nutzer*innen ihrer Angebote (das Problem war bereits aus der KIRAS-Studie JA_SICHER bekannt – vgl. Mayrhofer 2017b).

  • Zweitens – und das erschien der wesentlich bedeutsamere Faktor zu sein – wollte sich der überwiegende Teil der jungen Menschen nicht mehr mit der abgeschlossenen schwierigen Lebensphase auseinandersetzen, sondern lieber in der gegenwarts- und zukunftsorientierten Lebensperspektive bleiben.

Im Feldzugang waren deshalb sehr lange Vorlaufzeiten notwendig, mit viel Geduld und durch Erstreckung des Erhebungszeitraums gelang es aber, die angestrebte Zahl biografischer Interviews zu erreichen. Dies ist insbesondere dem großen Engagement der Projektpartner*innen der Offenen Jugendarbeit und der Beratungsstelle Extremismus zu verdanken, sie waren über ungefähr ein Dreivierteljahr hinweg beständig bemüht, Kontakte zur Zielgruppe der Interviews zu erschließen.

  • In Summe konnten 17 narrativ-biografische Interviews mit jungen Menschen geführt werden, die der definierten Zielgruppe ausreichend entsprechen.

  • Mit zwölf der interviewten Personen wurden auch Netzwerkkarten erhoben. Dieser integrierte Erhebungsansatz zur Visualisierung des Kontaktnetzwerks zur Zeit der Nähe zur extremistischen Szene bzw. zu ebensolchem Gedankengut erwies sich als sehr gewinnbringend – auch für manche befragte Personen, da...

Erscheint lt. Verlag 19.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie
ISBN-10 3-7799-8116-5 / 3779981165
ISBN-13 978-3-7799-8116-9 / 9783779981169
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