Einander vertrauen statt Mauern bauen -  Anja Cantzler

Einander vertrauen statt Mauern bauen (eBook)

Bedürfnisorientierte Zusammenarbeit mit Familien in Kita, Krippe und Kindertagespflege
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
128 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83357-1 (ISBN)
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In der Zusammenarbeit von Kita und Familien geht es um eine professionelle Balance zwischen Einfühlungsvermögen und Grenzen. Hierbei ist es wichtig, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen - der Kinder, Familien und der Fachkräfte. Denn am Ende geht es allen um ein gemeinsames Ziel: Das Wohl des Kindes.  Anja Cantzler beschreibt die vielen Tücken im pädagogischen Alltag anhand von elf Beispielen und zeigt Lösungsansätze auf für ein bedürfnisorientiertes und vertrauensvolles Miteinander zwischen Kita und Elternhaus.

Anja Cantzler ist Diplom-Sozialpädagogin, Coach (DGfC), Supervisorin (DGSv) und freiberufliche Referentin in der Weiterbildung von Erzieher:innen sowie Autorin.

2 „Das ist hier kein Elterngarten!“


Familien wollen sich wohlfühlen können

Für das Gelingen einer bedürfnisorientierten und partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Familien und Fachkräften ist es wichtig, dass beide Seiten sich miteinander wohlfühlen und sich gegenseitig offen und herzlich begegnen. In der Praxis gibt es bedauerlicherweise immer wieder Fachkräfte, denen aus den unterschiedlichsten Gründen, die Anwesenheit von Eltern eher unangenehm ist. In diesen Einrichtungen wird darauf geachtet, dass die Bindungspersonen beim Bringen und Abholen sich möglichst kurz oder gar nicht in der Kita aufhalten. Nicht selten wird diese Praktik damit argumentiert, dass die so gestaltete Übergangssituation für Kinder und Familien klarer und einfacher ist. Die Förderung der Selbstständigkeit des Kindes spielt hierbei oftmals eine große Rolle. Solange dieser Übergang immer wieder mit Blick auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes und seiner Familie evaluiert wird, ist dagegen nichts einzuwenden. Kritisch wird es dann, wenn dadurch einer Haltung Ausdruck verliehen wird, bei der Eltern eher als störend und unerwünscht betrachtet werden.

Das Beispiel


In der Kita „Wunderland“ ist es üblich, dass die Kinder morgens bis zur Eingangstür gebracht werden und dort eine Fachkraft ihre Anwesenheit vermerkt. Die Kinder verabschieden sich von ihren Begleitpersonen im Eingangsbereich und bewältigen den Gang zur Garderobe selbstständig. Beim Abholen wiederholt sich das Prozedere, indem die fertig angezogenen Kinder entweder draußen von den Eltern abgeholt werden oder bei schlechtem Wetter von ihren Eltern an der Eingangstür in Empfang genommen werden. So bleibt die Kita den Tag über eine weitestgehend elternfreie Zone. Einzige Ausnahme ist die Zeit der Eingewöhnung, in der Eltern die Kinder bis in die Gruppe begleiten. Aber auch hier wird darauf hingearbeitet, dass sich die Eltern möglichst schnell aus dem Gruppenalltag verabschieden. Während der Eingewöhnung war es für Maxi kein Problem, sich von der Mutter zu lösen. Doch seit er sich bereits an der Tür verabschieden soll, fällt es ihm morgens zunehmend schwerer, seine Mutter gehen zu lassen. Maxis Mutter fühlt sich mit dieser Situation sehr unwohl. Sie fühlt sich ausgeschlossen und hat das Gefühl, nicht mitzubekommen, was in der Kita stattfindet und wie es ihrem Kind dort geht. Hinzu kommt, dass Maxi erst zwei Jahre alt ist und noch nicht viel über den Tag zu Hause erzählen kann.

An einem Morgen fasst sich die Mutter ein Herz und spricht Fachkraft Ben an. Sie äußert den Eindruck, ihr Kind täte sich sehr schwer mit dem morgendlichen Ankommen, und sie habe das Gefühl, dass es für Maxi besser wäre, wenn sie ihr Kind über die Eingangsschwelle hinaus in die Gruppe begleiten könne.

Ben, die Fachkraft der Gruppe, entgegnet daraufhin: „Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht und die Kinder sind dadurch viel selbstständiger und kompetenter. Sie müssen Ihrem Kind auch einfach mal etwas zutrauen. Die anderen Kinder bekommen das super geregelt. Außerdem sind wir hier ein Kindergarten und kein Elterngarten. Wo kämen wir denn hin, wenn auf einmal alle Eltern morgens mit in die Gruppe kämen?“

Maxis Mutter verlässt ohne eine weitere Antwort die Kita. In ihr bleibt ein Gefühl von Unsicherheit und Unwohlsein zurück. Ihre Sorge um Maxis Wohlbefinden ist nach dem Gespräch eher größer geworden.

Was ist hier passiert?


Ben reagiert auf die Anfrage von Maxis Mutter vermutlich aus einer organisationsbezogenen Perspektive. Er betont, dass es sich um einen Kindergarten handelt, was auf klare Strukturen und festgelegte Abläufe hindeutet. Er bezieht sich hierbei auf Vorgaben, die in der Kita für das tägliche Ankommen und Verabschieden der Kinder üblich sind. Seine Ablehnung könnte darauf basieren, dass er mögliche Ausnahmen als einen Präzedenzfall betrachtet, der zu einem erhöhten Bedarf an individueller Betreuung führen könnte. Seine Sorge besteht vermutlich darin, dass dies zu Unstimmigkeiten im Team oder einem erhöhten Arbeitsaufwand für das Personal führe, wenn viele Bindungs- und Bezugspersonen eine verstärkte Begleitung wünschten.

Ben lehnt die intensivere Anwesenheit der Familien in der Gruppe auch möglicherweise deswegen ab, um die klaren Grenzen zwischen der familiären und der pädagogischen Rolle zu wahren. Er könnte der Ansicht sein, dass zu intensive Präsenz der Bindungspersonen den pädagogischen Prozess stören oder die sozialen Interaktionen der Kinder beeinträchtigen könnte. Außerdem möchte er möglicherweise sicherstellen, dass die Kinder eine eigenständige Entwicklung innerhalb der Gruppensituation erfahren und nicht übermäßig von ihren Bindungspersonen abhängig werden. Dies könnte u. a. auch in der vorherrschenden pädagogischen Philosophie und Haltung der Einrichtung begründet sein.

Durch die Anwesenheit von Eltern fühlt sich Ben möglicherweise beobachtet. Das Gefühl des Beobachtet-Seins könnte aus der Befürchtung resultieren, dass die Mutter seine pädagogische Herangehensweise infrage stellt oder eine Ausnahme von den etablierten Regeln verlangt. Dies kann einen gewissen Druck auch gegenüber den anderen Kolleg:innen auslösen, besonders wenn Ben befürchtet, dass aufgrund einer Ausnahme andere Eltern ähnliche Wünsche äußern könnten.

Die Begründung von Ben, dass es sich um einen Kindergarten und nicht um einen Elterngarten handle, löst bei Maxis Mutter offensichtlich Unsicherheit und Frustration aus. In dem Beispiel äußert sie den Eindruck, dass Maxi sich schwertut mit der üblichen Praxis, und sie möchte Maxi intensiver begleiten, weil sie sich Sorgen um sein Wohlbefinden macht. Bens klare Ablehnung ruft bei ihr das Gefühl hervor, nicht ausreichend verstanden oder unterstützt zu werden. Es kann auch dazu führen, dass sie sich in ihrer Rolle als Elternteil nicht ausreichend eingebunden oder respektiert fühlt.

Die klare Ablehnung von Ben und seine Begründung könnte von Maxis Mutter als Signal verstanden werden, dass Eltern in der Kita nicht besonders willkommen sind. Die Betonung des Unterschieds zwischen Kindergarten und Elterngarten erweckt durchaus den Eindruck, dass eine verstärkte Beteiligung der Eltern nicht nur unerwünscht ist, sondern auch als störend betrachtet wird. Dies wirkt sich unweigerlich beeinträchtigend auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kita und Familien aus.

Was hätte Ben anders machen können?


Zunächst einmal sollte Ben für sich prüfen, warum er in dieser Situation so vehement in die Abwehrhaltung geht. Ist es seine eigene Haltung oder Überzeugung oder ist sein Handeln unreflektiert durch die bestehende Praktik der Einrichtung bestimmt? Muss oder will er tatsächlich, Eltern ausnahmslos den Wunsch verweigern, das eigene Kind morgens nach Bedarf weiter zu begleiten als bis zur Einrichtungstür?

Anstatt direkt in eine Abwehrhaltung zu gehen, könnte Ben auf Maxis Mutter einfühlsamer reagieren, indem er zunächst Verständnis für ihre Sorgen zeigt. Er kann erklären, dass er die Bedenken hinsichtlich des Wohlbefindens von Maxi nachvollziehen kann und dass er gemeinsam mit ihr nach Möglichkeiten suchen möchte. Dazu bedarf es auch eines Perspektivwechsels, in dem sich Ben in Maxis Mutter hineinversetzt und sich fragt: „Wie geht es der Mutter gerade?“

Davon ausgehend könnte Ben betonen, dass die Einbindung der Eltern in den Betreuungsprozess ein gemeinsames Ziel ist und dass er offen für einen konstruktiven Dialog ist, um eine Lösung zu finden, die im besten Interesse von Maxi liegt. Er könnte darauf hinweisen, dass er die Dynamik in der Gruppe berücksichtigen muss und sich nicht ohne weiteres über die im Team getroffenen Absprachen hinwegsetzen kann, aber gleichzeitig bereit ist, flexible Ansätze zu finden, die die Bedürfnisse sowohl der Eltern als auch der Kinder berücksichtigen.

Ein solches Handeln setzt eine dialogische Grundhaltung voraus. Um sich auf einen echten Dialog mit einem Gegenüber einzulassen, braucht es für alle Beteiligten ein Gefühl von Sicherheit, Offenheit und Vertrauen. Es geht darum, die Gedanken, offene und verdeckte Bedenken und das Gesagte aufzunehmen und auf dieser Basis das Gespräch miteinander zu gestalten. Dazu braucht es Wertschätzung von der Fachkraft gegenüber den Bindungspersonen des Kindes und die Bereitschaft, sich auf diese einzulassen, sie anzunehmen und ihnen zuzuhören. Gelingende Dialoge bedürfen einer ganz großen Portion Empathie seitens der Fachkraft.

Dialogische Grundhaltung

Eine dialogische Grundhaltung bezieht sich auf die Bereitschaft der Gesprächspartner:innen, aktiv zuzuhören, unterschiedliche Perspektiven zu respektieren und konstruktiv auf Meinungen einzugehen, um einen offenen und gegenseitigen Austausch zu fördern

(vgl. Glöser 2019, S. 39).

Indem er die Mutter als Gesprächspartnerin respektiert und miteinbezieht, könnte Ben eine positive und unterstützende Atmosphäre schaffen. Eine solche...

Erscheint lt. Verlag 10.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-451-83357-3 / 3451833573
ISBN-13 978-3-451-83357-1 / 9783451833571
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