Wygotski in der Praxis -

Wygotski in der Praxis (eBook)

pädagogische Inspiration
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
156 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-4968-3 (ISBN)
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Komm mit Leif Strandberg auf eine Reise durch schwedische Vorschulen und Klassenräume. Im Dialog mit Kindern, Lehrkräften und Pädagogen zeigt er, wie man die soziokulturelle Theorie in die Praxis umsetzt. Begegne Wygotski konkreter als je zuvor: einladend, inspirierend und entwickelnd. Wir lernen Spielwelten, lehrende Klassenräume, inspirierende Erwachsene und viele pfiffige Kumpel kennen. Leif Strandberg schreibt persönlich mit spannenden, manchmal unerwarteten, Verbindungen zu Theorie, Alltag und Schönliteratur. Das Buch wendet sich an Lehrkräfte und Pädagogen in Vorschulen, Schulen und Horten. Das Buch liefert einen theoretischen und praktischen Hintergrund für den "Baum der Erkenntnis", der 2003 in deutscher Sprache erschien. Dieser ist ein Werkzeug für Pädagogen, um die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu dokumentieren und zu reflektieren. In Leif Strandbergs Buch erhalten wir viele Anregungen, wie wir sie unterstützen können, im Baum der Erkenntnis zu spielen und zu lernen.

Kapitel 2


Aktivität


Aktivität, erste Runde


Piaget und Wygotski verwickeln sich jetzt in eine Diskussion über die Rolle von Aktivität beim Lernen. Wygotski, der im Unterschied zu Piaget, viele und unterschiedliche Lehrererfahrungen in der praktischen Arbeit im Klassenraum hat, berichtet, was er beobachtet hat.

  • Wir sehen, dass erfolgreiche Kinder dabei sind, auf Draht sind … kurz gesagt sind sie aktiv, sie sind in Bewegung, sie tun immer etwas. Ich meine, wenn das Kind in die Schule kommt, dann wird sein Erfolg oder Misserfolg nicht davon bestimmt, was es im Kopf hat, sondern davon, was es tut , wenn es zu uns kommt, beispielsweise, was es mit mir als Lehrer tut. Der Unterschied besteht darin, was die Kinder tun.
  • Ja aber, sagt Piaget, ich spreche ja auch über die vielen Tätigkeiten des Kindes, was du Aktivität nennst.
  • Ja, klar. Für mich ist das Tun das erste. Du weißt, ich lese einen Teil der Bücher von Karl Marx, und dieser Tage fand ich einige Seiten aus einer früheren vergessenen Schrift, die er „Die deutsche Ideologie“ nennt. Wygotski holt das Buch und sagt:
  • Hör mal, was er über die Wurzeln des Bewusstseins sagt, wie die mit dem zusammenhängen, was die Menschen tun, wie die Menschen ihre Aktivität entwickeln:

„Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewusstseins sind unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und Verkehr des Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen als direkter Ausfluss ihres materiellen Verhaltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache der Politik, der Gesetze der Moral, der Religion, Metaphysik usw. eines Volkes sich darstellt, gilt dasselbe. Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen p.p.“ (Marx Engels, Die deutsche Ideologie, ePub. Herausgeber: Karl-Maria Guth, 2016, S. 17)

  • Hoppla, stöhnt Piaget. Ich hatte gehofft, dass wir nicht über Politik reden müssten.

Dieser ganze Große Weltkrieg (den wir heute als Ersten Weltkrieg bezeichnen, Anmerkung von Leif) ist für mich eine so große politische und menschliche Katastrophe, dass ich mich lieber an das kleine Leben halte, an die Individuen und daran, wie sie selbst ihr Verständnis von der Umwelt konstruieren.

-Ja, das verstehe ich, und wir werden Politik vermeiden. Aber das soziale Leben der Menschen, die Gesellschaftsbezogenheit, davon können wir nur schwer absehen … also lass uns nicht über Politik streiten … denn hauptsächlich will ich ja die Aufmerksamkeit auf die Aktivitäten lenken, wie Kinder wirklich sind, wie sie tätig sind, wie sie ihre Aktivitäten entwickeln … kurz gesagt, was Kinder tun.

Wygotski fährt fort:

  • Ich meine, das Tun ist ausschlaggebend, weil so viel Arbeit nötig ist, um Kenntnisse zu erobern: Soll ich ein guter Schäfer werden, muss ich viele Jahre als Schäfer arbeiten. Soll ich belesen werden, so muss ich viele Jahre lesen und schreiben. Und gerade das mit den vielen Jahren Arbeit will ich jetzt betonen. Es sind nicht die Gehirne, die den Studenten in Moskau von dem Hirten in Samarkand unterscheiden, es ist die Praxis, die sie unterscheidet, sie tun ganz einfach den ganzen Tag unterschiedliche Dinge. Aber natürlich haben sie die gleiche Art von Gehirn, das Gehirn eines Homo Sapiens.

Und was sagt das über unseren Klassenraum? Ja, das sagt, dass der Klassenraum eine Arena für die Aktivitäten der Kinder sein muss. Wir müssen solche Verhältnisse im Klassenraum schaffen, dass Kinder dort aktiv sein können, zusammen mit mir und zusammen mit ihren Schulkameraden. Und, wie gesagt, der Lehrer wartet nicht. Der Lehrer liegt genau wie der Dirigent, eine halbe Sekunde vor dem Orchester. Der Lehrer steht bei dem Kann-Stuhl und winkt die Kinder willkommen.

„Was machen die den ganzen Tag?“

Wie ich schon in der Einleitung zu diesem Buch schreibe, so war genau diese bisher ganz allgemeine Stellungnahme ein Wendepunkt in meinen Gedanken. Das, was Kinder tun, wenn sie in der Schule sind, ist der wirklich wichtigste Faktor beim Lernen. Aha, sagte ich mir, das bedeutet, dass du, Leif, aufhören sollst, den Kindern in den Kopf zu schauen, du sollst auf ihre Füße schauen: Was tun die Kinder den ganzen Tag? Ich hatte bisher auf den falschen Körperteil geschaut.

Ich machte deshalb viele kleine „Zeitstudien“, in denen ich beobachtete, wie es im Klassenraum aussah. Dabei ging ich von folgender Frage aus: Wie groß ist der Anteil einer Unterrichtsstunde oder einer Schulwoche, in denen ich die Füße der Kinder sehe und höre, will sagen, ihre Aktivität?

Und was ich sah, das war wirklich treffend und darüber hinaus leicht zu beobachten. Die Kinder, die aus einer Unterrichtsstunde viel mitnahmen, also viel lernten, waren aktiv.

Sie waren voll dabei, ihre Augen waren groß, konnten aber auch zweifelnd aussehen, das spielte eine geringere Rolle, aber das Wichtige war, sie nahmen teil. Sie waren darauf eingestellt, dass es was zu lernen gab, die schauten zum nächsten Stuhl oder zum nächsten Berggipfel, wenn man so will, von wo aus sie den Lehrer berichten, zeigen und erklären hörten.

Sie hörten zu, kommentierte, fragten, antworteten, versuchten, sie schrieben, rechneten, zeichneten, bastelten, erzählten, setzten in Frage, ahmten nach, wiederholten …

Kurz und gut: Sie waren aktiv. Und ich dachte die ganze Zeit an Ingvar Lindbergs 5000 Stunden, die ich nun übersetzte, zu: 5000 Füßen, um die eigenen Aktivitäten der Kinder zu markieren.

Um ein tüchtiger Leser zu werden, muss ich lesen, um ein tüchtiger Schreiber zu werden, muss ich schreiben, will ich gut werden im Essen kochen, muss ich Mahlzeiten zubereiten, um ein guter Fußballspieler zu werden, muss ich Ball spielen. Ich dachte an Björn Borg, der der weltbeste Tennisspieler wurde, wie er an seinem Garagentor in Södertälje stand und schlug und schlug, Ball um Ball am späten Abend, als seine Tennisfreunde schon schliefen. Aktivität!

Wie kann man einen Klassenraum schaffen, der ein solches Garagentor ist? Einen Klassenraum, der ein Trainingslager ist?

Ich dachte auch an die ganz kleinen Kinder. Wie viele Male sehe ich, dass ein Kind von sieben Monaten übt, sich vom Rücken auf den Bauch zu drehen, vom Bauch auf den Rücken? Ist das einmal am Tag? Nein, das sind mindestens 100 Male jeden Tag. Oje! Die meisten Male muss man wohl als missglückt ansehen, das Kind kommt nicht rum. Aber vielleicht sind 10 Versuche von 100 winzig kleine Bewegungen in die richtige Richtung. Und woher sollen diese 10 besser geglückten Ansätze kommen, wenn nicht von 90 gänzlich missglückten Versuchen? Die können ja nicht anders woher kommen als von diesen 90 stolprigen Versuchen.

Was sagt das über unsere Kindergruppen und die Klassenzimmer aus? Ja, diese müssen Arenen sein für 90 missglückte (missglückt sind die natürlich nicht) Versuche, so dass die Kinder die Süße der 10 Versuche spüren können, die etwas weiterführen.

Arbeite weiter, dann kommt das schon…

Wenn ich Lehrerkollegien anleite, sage ich oft: „Hier braucht es ein bisschen Aktivität“. Manchmal reagieren sie dann so: „Du liegst uns dauernd in den Ohren mit Aktivität. Das scheint das Heilmittel für das meiste zu sein. Aber sind nicht gewisse Kinder zu aktiv?

Tatsächlich rede ich immer wieder von Aktivität, weil ich deutlich machen will, dass die Wege zu lernen und entwickeln „ausgetrampelt“ werden müssen. Die Entwicklung beginnt nicht als eine Idee im Kopf des Kindes, eine Idee, die danach in Handlung umgesetzt wird. Das ist eher umgekehrt. Gedanken, Ideen, Gefühle und Willen beginnen in den Aktivitäten des Kindes zu wachsen. Danach beeinflussen die verwobenen Gedanken, die „in den Kopf“ kamen, kommende Aktivitäten, aber dazu kommen wir später.

Um eine Lesefertigkeit zu erobern, braucht man 5000 Schritte. Damit verstehen wir auch, dass diese Schritte viele Ausdrucksformen haben, und viele unterschiedliche Ausdrücke während der langen Fahrt vorwärts Richtung Lesekompetenz. Es sind viele und lange zusammenhängende Fäden von den ersten Aktivitäten eines Neugeborenen, bis er oder sie ein Buch liest.

Lasst uns eine solche Reise machen. Das Kind richtet seinen Blick auf Mama und Papa, sieht in das Gesicht eines anderen Menschen, lauscht auf Laute, die gerade ihm zu gelten scheinen, imitiert Gesten, Mimik, Körperhaltungen, imitiert Laute, formt die ersten Wörter, entdeckt, dass Wörter Sätze bilden können, dass Sätze gewisse Regeln (Syntax) haben, dass ein Wort eine bestimmte Bedeutung hat, dass ein Wort auch eine bestimmte Form (Buchstaben) hat, dass Buchstaben in einer bestimmten Ordnung platziert sind, dass sie einander beeinflussen; entdeckt, dass es Bücher gibt, dass Bücher Geschichten über Dinge und Geschehnisse enthalten, die außerhalb von hier und jetzt liegen, merkt, dass das Spiel so etwas auch möglich macht, experimentiert mit Spielen, stellt...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-7583-4968-0 / 3758349680
ISBN-13 978-3-7583-4968-3 / 9783758349683
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