Ludifizierung und Gamification -

Ludifizierung und Gamification (eBook)

Digitale Entgrenzungen und Transformationen des Spiels

Gabriele Weiß (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
113 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8049-0 (ISBN)
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Im Zentrum des Bandes steht die Frage, ob und inwiefern das Spiel - als Lebensform, Praxis, als pädagogisches Mittel - im Zuge der Digitalisierung einen Wandel durchläuft. Hierzu nähern sich die Beiträger:innen primär vor dem Hintergrund bildungstheoretischer Erwägungen dem Problemkreis. Dieser beinhaltet beispielsweise Fragen danach, ob es zu Entgrenzungen zwischen Serious Games und didaktischen Praktiken kommt, ob und inwiefern eine Gamification pädagogischer Praxis festzustellen und wie diese zu bewerten ist. Der Band greift bisherige Versuche auf, das Spiel begrifflich wie konzeptuell pädagogisch zu bestimmen, und erörtert, wie in digitalisierten Lebenswelten sich pädagogische Aufgaben wie auch soziale Verhältnisse aufgrund von Ludifizierungsprozessen wandeln. Zweifelsohne stellen sich Veränderungsprozesse für unterschiedliche pädagogische Handlungsfelder different dar; im Band geht es jedoch um allgemeine und generalisierbare Beobachtungen und Konsequenzen für theoretische Erwägungen.

Gamification – Pädagogisierung des Spiels oder Ludifizierung des Pädagogischen?


Gabriele Weiß

Einleitung


Der Untertitel des vorliegenden Bandes „Digitale Entgrenzungen und Transformationen des Spiels“ geht von der Annahme aus, dass die kulturellen Praktiken des Spiels sich im Zuge der Digitalisierung verändern und hierbei ihre Grenzen überschreiten. Auch pädagogische Praxen entgrenzen sich und damit stellt sich die schon viel ältere Frage nach dem Verhältnis von Spiel und Pädagogik zueinander neu. Entgrenzungen bergen zwei Möglichkeiten: Sie überschreiten Grenzen und lassen diese bestehen oder sie beseitigen Grenzen. Um diese Differenz zu öffnen und in der Schwebe zu halten, soll im Folgenden der Zusammenhang von Spiel und Pädagogik thematisiert werden, ihre Abgrenzungen voneinander und auch beider Entgrenzungen. Dennoch ist es meine These, dass eine Grenze zwischen Spiel und Pädagogik bleiben muss, auch wenn diese changiert, sich bewegt und nicht zu fixieren ist. Mein Anliegen ist es, Grenzen des Spiels, wie die der Pädagogik, gegenseitig zu irritieren und derart in Frage zu stellen, dass ein Diskursraum – vielleicht auch ein Spielraum – entsteht. Diese positiv zu sehende Irritation soll mit dem Phänomen „Gamification“ dargelegt werden, in welchem sich die drei Diskursfelder Spiel, Pädagogik und Digitalisierung überschneiden.

1Gamification und ihre Entgrenzungen


Das Wort „Gamification“ übt eine Faszination1 aus, welche die exakt wörtliche Übersetzung ins Deutsche nicht einholen kann. „Spielifizierung“ wird zwar gelegentlich verwendet (vgl. Stampfl 2012, S. 16), hat sich aber weder im populären noch wissenschaftlichen deutschsprachigen Diskurs durchgesetzt. Dies nicht nur, weil die erste Literatur zu Gamification aus dem englischsprachigen Raum stammt, sondern auch, weil die Kontexte, in denen das Phänomen überwiegend diskutiert wird (Game-Studies und Medienwissenschaften), international in englischer Sprache kommunizieren. Doch der ursprüngliche Kontext, in welchem Gamification seinen Siegeszug begann, waren wirtschaftliche Kreise des Marketings und Unternehmertums (vgl. Stampfl 2012) gepaart mit psychologischen Sichtweisen der Leistungs- und Motivationssteigerung (vgl. Sailer 2016). Das führt zu der seltsamen Begebenheit, dass in den Game-Studies Gamification meist kritisch gesehen wird, aufgrund eines „marketinggetriebenen Konzept[s] von Gamification“ (Raczkowski/Schrape 2018), aber dennoch aus den wissenschaftlichen Erforschungen der Game-Studies und den Kreationen der Game-Designer wie Game-Entwickler ein Rethinking (vgl. Fuchs et al. 2014) und praktische Innovationen von Gamification hervorgebracht werden.

Der Zeitpunkt der Konjunktur von Gamification – kurz nach dem Millennium – erklärt sich auch biographisch bzw. demographisch; die sogenannte „Generation Gaming“, welche selbstverständlich mit Computerspielen aufwuchs, trat ins Erwachsenenalter und Arbeitsleben ein. „Die Generation Gaming hat eine spielerische Perspektive auf alle Bereiche ihres Lebens“ (Stampfl 2012, S. 46; Herv. G.W.). Sie denken, interagieren, kommunizieren, lernen und arbeiten in einer anderen, d.h. spielerischen Art und Weise (vgl. ebd., S. 50). Um diese Generation als Arbeitende sowie Kunden adäquat anzusprechen, ließen sich Ausbildner, Manager und Wissenschaftler der Erwachsenenbildung wie Berufs- und Wirtschaftspädagogik etwas Neues einfallen mit dem Ziel Motivation und Leistung zu steigern.

Der Begriff und Hype von Gamification ist demnach eine recht junge Erscheinung im post-digitalen Zeitalter, obwohl das, was dahintersteckt, spätestens seit Beginn der Zeit diskutiert wird als die Pädagogik das Spiel für ihre Zwecke entdeckte. Für diese Inanspruchnahme steht das lateinische Wort „Ludifizierung“, welches auf den viel älteren Diskurs um Spiel und seinen Bezug zum Alltag verweist, dessen Beginn oft bei Schiller verortet wird und seinem berühmten Satz: „[D]er Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (Schiller 1795/2005, S. 355). Zwischen Schillers Ideen zur ästhetischen Erziehung und den heutigen Game-Studies liegt ein weites Feld. Und dennoch wird in den meisten Thematisierungen von Gamification auf die Klassiker der Thematisierung von Spiel wie Schiller und Huizinga (1938/1994) verwiesen. Denn – und jetzt doch einmal in Deutsch – um Spielifizierung zu erklären, muss zuvor Spiel erklärt werden.

Es scheint mir bedeutsam, dass von „Gamification“ als terminus technicus erst im Zusammenhang mit digitalen Spielen die Rede ist. Insofern lässt sich die dahinterliegende Idee einer Übertragung von Spielelementen in nicht-spielerische Kontexte differenzieren als Gamification, wenn es um digitale Devices geht und Ludifizierung, wenn es allgemein darum geht, Spiele über ihren Rahmen hinaus einzusetzen, d.h. zu entgrenzen. Im Folgenden wird das Wort „Gamification“ nur verwendet, wenn es sich um digitale Übertragungen und Anwendungen von Spielelementen handelt. Der Transfer von digitalen Spielelementen wird erst ab dem Zeitpunkt relevant, als die digitale Technik erstens für viele zugänglich und zweitens so weit entwickelt war, dass sie über Sensoren verfügte, welche Aktivitäten messen und aufzeichnen können (vgl. Sailer 2016, S. 5 f.). Voraussetzung für Gamification sind demnach das Messen, Quantifizieren und „Verdatung beziehungsweise Verpunktung“ (Raczkowski/Schrape 2018, S. 315) der Tätigkeiten und deren computerisierten Speicherung für den Vergleich mit andern.

Um eine Definition von Gamification wird im wissenschaftlichen Diskurs ab 2011 gerungen. „Die Grundidee von Gamification besteht darin, einzelne Aspekte aus Spielen in einen Arbeits- oder Lernprozess zu übertragen, in der Hoffnung, hierdurch Motivation und folglich Leistung beim Lernen, beim Arbeiten oder bei Alltagsaktivitäten fördern zu können“ (Sailer 2016, S. 2). Eine der ersten und immer wieder zitierten Definitionen stammt von Deterding, Dixon, Kahled & Nacke: „gamification is the use of game design elements in non-games contexts“ (Deterding et al. 2011, S. 2). Gamification meint die Übertragung einzelner spielerischer Elemente in Kontexte des Nicht-Spielerischen, d.h. in den Alltag, die Arbeit oder in pädagogische Settings. Einzelne differente Spielelemente aus Videospielen werden für individuelle Selbstoptimierung, berufliche Leistungssteigerung bis hin zu Umweltrettungsanliegen genutzt – und genau in dieser Nutzbarmachung liegt das Problem – nicht für den Nutzen, sondern für das Spiel und seine Entgrenzung.

Schon die Begriffsbestimmung von „Gamification“ setzt eine Grenze voraus und überschreitet diese gleichzeitig. Um Elemente, Aspekte, Mechanismen bis hin zu einer Logik aus dem Spielerischen in das reale, wirkliche, alltägliche Leben übertragen zu können, muss eine Differenz angenommen werden. Diese Differenz – Grenze, oder auch Rahmen (vgl. Bateson 1985) genannt – ist wesentlich in den zahlreichen Versuchen Spiel als Phänomen oder Praxis theoretisch wie empirisch habhaft zu werden, d.h. Spiel als solches zu identifizieren.

Der Kulturanthropologe Johan Huizinga suchte in seinem Buch „Homo ludens“ 1938 nach wesentlichen Kennzeichen des Spiels. Ein Hauptkennzeichen ist für ihn, dass Spiel nicht das gewöhnliche Leben ist, es ist ein Heraustreten aus diesem (vgl. Huizinga 1938/1994, S. 16 f.). Mit dieser Kennzeichnung wird Spiel in Relation zum Nicht-Spiel gedacht – quasi ex negativo. Die Relation zum Nicht-Spiel muss aber präsent bleiben beim Spielen, der Spieler hat das „Bewußtsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘“ (ebd.; S. 37). Verliert man dieses Bewusstsein, wird das Spiel zum Ernst. Man sagt dazu ganz treffend: die Spielerin „kippt ins Spiel“ – Gamer nennen es Immersion. Damit wird das Spiel zum Ernst. Was Gamification jedoch bezweckt, ist den Ernst (Alltag, Arbeit, Lernen) zum Spiel zu machen.

...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-7799-8049-5 / 3779980495
ISBN-13 978-3-7799-8049-0 / 9783779980490
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