Sich selbst schreiben -

Sich selbst schreiben (eBook)

Tagebücher, Briefe, Listen und andere Selbstzeugnisse in Kinder- und Jugendmedien der Gegenwart

Inger Lison, Jan Standke (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
334 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8066-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Der Band bietet Beiträge zu aktuellen fiktionalen Tagebucherzählungen und anderen ästhetischen Selbstzeugnissen im Bereich der Kinder- und Jugendmedien. Angeknüpft wird damit sowohl an Traditionslinien des literarischen Selbstzeugnisses als auch an Entwicklungen im Bereich populärer Unterhaltungsmedien der Gegenwartskultur. Berücksichtigt wird ein breites Formenspektrum des literarischen Erzählens von sich selbst - vom Comic-Roman über Tagebuchnarrationen bis zu Erzählungen in Listenform. Perspektiven der Kinder- und Jugendliteraturforschung werden dabei ebenso einbezogen wie literaturdidaktische Überlegungen.

Inger Lison, Dr., wurde an der Georg August Universität in Göttingen promoviert und lehrt am Institut für Germanistik der TU Braunschweig Literaturdidaktik sowie Kinder- und Jugendliteratur. Jan Standke, Prof. Dr., wurde an der Universität Osnabrück promoviert und absolvierte das Referendariat für das Lehramt an Gymnasien. Seit 2017 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der deutschen Literatur am Institut für Germanistik der TU Braunschweig.

Mehr oder weniger


Weitsicht und Einsicht Kirsten Boies in fiktionalen Selbstzeugnissen ihrer Kinder- und Jugendbücher 1985 bis 2022 

Birgit Dankert

1.Einleitung


1985 erschien Kirsten Boies erstes Kinderbuch. Da waren die kulturpolitischen und literaturästhetischen Schlachten der siebziger Jahre um das neue bundesrepublikanische Kinderbuch, um problemorientierten Realismus kontra Eskapismus-verdächtiger Phantastik, um den zukunftsorientierten Blick in die Vergangenheit weitgehend zugunsten programmatischer und formaler Vielfalt geschlagen. Das Tor stand weit offen für einen variationsreichen Gebrauch neu erprobter und der allgemeinen Belletristik entnommener Erzähltechniken wie der erlebten Rede und den Variationen von Ich-Bericht, Brief-Roman und innerem Monolog. Als Einzelerscheinungen waren die Erzählformen in europäischer und US-Kinder- und Jugendliteratur nicht unbekannt. Nun aber herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass die den kindlichen und jugendlichen Protagonisten zugeschriebenen direkten Äußerungen dem Identifikationsprozess der intendierten Leser- und Rezipienten-Gruppe und damit einem demokratischen Kindheitsmodell zuarbeiteten. Die Faszination dieser Kombination von Form, Inhalt, Botschaft, Rezeption und Wirkung ist allgegenwärtig. Fast unabsichtlich hinterfragt wird sie seit einigen Jahren mit literaturwissenschaftlichen Untersuchungen (auto-)biographischer Erzählformen5, auch in Kinder- und Jugendbüchern.

Boies 37 Jahre andauernder Schreibprozess öffnet ein in Umfang und Variationen reiches Untersuchungsmaterial.6 Welche (auto-)biographischen Erzählformen Boie mit den Positionen Autorin, Erzählerin, Protagonist verwendet, welchen Platz sie in ihrem Gesamtwerk einnehmen, ob sie tool, eine Technik unter anderen oder stilistisches Hauptmerkmal in unterschiedlichen Qualitäten bedeuten – Antworten auf diese Fragen sollen zur Erschließung ihres bisher eher abschnittweise und unter literaturpädagogischen Aspekten analysierten Gesamtwerks beitragen.7

Vor die Entscheidung gestellt, Textanalysen nach Zugehörigkeit zu Genres oder in chronologischer Abfolge der Manuskripte zu behandeln, erscheint eine Kombination beider Zugänge aussagekräftig. Sie berücksichtigt sowohl Boies erzähltechnische Experimentier-, Entwicklungs- und Routine-Phasen als auch die Besonderheiten (auto-)biographischen Erzählens in ihren Erstlese-Reihen, in phantastischen, historischen, problemorientierten Texten. Wie Boie Kinder und Jugendliche über sich erzählen lässt, was sie damit bezweckt, was sie erreicht, wo sie sucht, wie sie experimentiert, wo sie – gemessen an ihrem eigenen Anspruch – erfolgreich arbeitet oder abbricht: Antworten auf diese Fragen zum Verständnis ihres poetologischen Ansatzes sucht der Durchgang des fiktiven (auto-)biographischen Teilwerks.

Die Untersuchung berücksichtigt die 1985 bis 2022 publizierten Texte. Einige erschienen in immer neuen sowohl sprachlichen wie buchtechnischen Varianten und Medienadaptionen, andere zunächst in audiovisuellen Fassungen oder direkt im Medienverbund. Der Buchtext bedeutet nicht selten eine nachfolgende Variante. In den unterschiedlichen Druck-Auflagen einzelner Titel, die sich zum Teil über Jahrzehnte erstrecken, wurden vom Verlag auf Veranlassung oder mit Zustimmung der Autorin geringfügige Textänderungen vorgenommen, die allerdings für die Fragestellung dieser Untersuchung irrelevant erscheinen. Die vorliegende Untersuchung geht von der Textversion der gedruckten Originalausgabe aus.8

Von den 122 untersuchten Kinder- und Jugendbüchern sind 63 in erlebter Rede von einem personalen Erzähler mit Reflektorfiguren verfasst. Zu Ich-Berichten9 eines Protagonisten greift die Autorin in 30 Texten. Spielarten des inneren Monologes finden sich in vier Büchern. Ein auktorialer Erzähler von außerhalb der erzählten Biographien lässt sich in 25 ihrer Bücher nachweisen. Biographisches Erzählen von oder über kindliche(n) und jugendliche(n) Protagonisten gehört zur bevorzugten Erzählform jeder intendierten Altersgruppe, Schreibphase und Literaturgenres. Für Boies Anliegen erscheint nicht unwichtig, dass männliche und weibliche Hauptpersonen – auch in den einzelnen Spielarten (auto-)biographischen Erzählens – zumindest numerisch gleichberechtigt zum Zuge kommen.

2.Sprachexperimente


In Paule ist ein Glücksfall (1985), dem viel beachteten ersten Buch Boies, vermittelt eine personale Erzählerin in erlebter Rede Geschehnisse, Bewusstsein, Urteile und Gefühle eines dunkelhäutigen Adoptivkindes in einer bürgerlicher Drei-Generationen-Familie. Als Reflektorfigur durchlebt das männliche Grundschulkind – gleichzeitig Ausnahme und Regel – Episoden, Freuden und Konflikte. Die Autorin wählt sie aus und legt sie „ein für alle Mal“ als Identifikations-Rahmen angesprochener Rezipienten fest.

Mag das Alter und Geschlecht der Figuren wechseln, ihr Konfliktpotenzial variieren, ihre Einsicht sich erweitern, vertiefen oder verschließen, Boie besteht auf dem Zusammenhang zwischen Sprachverhalten und Identität. Zunächst genügen ihr die vertrauten, in den Jahren von Studium und Lehrerinnen-Tätigkeit im deutschen Sprachraum entwickelten Techniken der Ich-Erzählung, des Tagebuch/Brief-Romans und der facettenreichen erlebten Rede. Sie wendet sie variationsreich an, um gesellschaftliche Themen anzusprechen, sie ‚kinder- und jugendliteraturfähig‘ zu machen. Die den Protagonisten Identität und Stimme verleihenden fiktiven (auto-)biographischen Erzähltechniken sind gleichzeitig tool und message. Boie sucht Wege für diese Kombination.

Die Modifikation von Männer- und Frauenrolle in der Familie (Mit Jakob wurde alles anders, 1986), veränderte Lebensmodelle im Alter (Opa steht auf rosa Shorts, 1988), politische Konflikte in unterschiedlichen Erfahrungsräumen (Lisas Geschichte, Jasims Geschichte, 1989), familiäre Psychosen (Das Ausgleichskind, 1990), mütterliche Depression (Mit Kindern redet ja keiner, 1990), männliche Adoleszenz-Probleme (Moppel wär’ gern Romeo, 1991), Leistungsdruck und Einsamkeit in bürgerlicher Umgebung (Mittwochs darf ich spielen, 1993), Protest gegen einen Dioxin-vergifteten Spielplatz (Jeder Tag ein Happening, 1993) – in acht Jahren und Jugendbüchern trainiert Boie die von ihren literaturästhetischen und -pädagogischen Überzeugungen gesteuerte Erzähltechnik realistisch erzählter Ich-Zeugnisse.10 Gleichzeitig erprobt sie deren Varianten in Reihen von Erstlese-Texten, in Bilderbüchern und zögernden Versuchen phantastischer Geschichten.

In welche Erzählsituation sie gerät, wenn eine Berichterstatterin gesellschaftlich relevante Änderungen der Familienkonstellationen zum Fokus ihrer Ausführungen macht, zeigt der Ich-Bericht der 11/12-Jährigen in Boies Jugendroman Mit Jakob wurde alle anders. Die fiktive Autobiographie erhält eine zusätzliche Zeitdimension, weil sie – für den Leser nachvollziehbar – rückblickend etwa eineinhalb Jahre vor dem Einsetzen des erinnernden Erzählens beginnt.

Boie verbindet zwei Narrative bzw. zwei Erfahrungsbereiche mit personellem wie gesellschaftlichem Bezug: der Entschluss des Vaters, temporär Hausmann zu werden und die erste Liebe der Ich-Erzählerin. Kombinationen dieser Art wird Boie immer wieder benutzen. Verschränkt werden dabei unterschiedliche Grundtöne des Berichtes, aber auch wechselnde Einflussnahmen der Instanzen Erzählerin und Autorin. Das ist nachzuvollziehen an zwei Humor-Lagen: der den richtigen Ton noch suchende, etwas bemühte Humor der pubertären Ich-Erzählerin und der satirische Blick der Autorin auf die Gesamtsituation...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-7799-8066-5 / 3779980665
ISBN-13 978-3-7799-8066-7 / 9783779980667
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