Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation (eBook)

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2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Edition Nautilus (Verlag)
978-3-96054-355-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation -  Stephanie Haerdle
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Die Geschichte weiblichen Spritzens ist auch eine Geschichte des weiblichen Körpers, seiner Abwertung und Bejahung Auch Frauen ejakulieren und squirten beim Sex? Aber ja doch! Bis zu 69 Prozent aller Frauen spritzen beim Kommen. Trotzdem werden weibliche Ejakulation und Squirting auch heute noch kontrovers diskutiert. Fu?r die Einen sind die Flüssigkeiten ein Mythos, fu?r die Anderen sexueller Alltag. Was weiß man wirklich über diesen Aspekt weiblicher Lust, welche Forschungsergebnisse gibt es und weshalb liegen noch immer so viele Details im Dunkeln? Die Suche nach Spuren und Zeugnissen führt bis weit in die vorchristliche Zeit und rund um den Erdball. Jahrtausendelang waren die Säfte ein selbstverständlicher Teil sexuellen Erlebens. In Europa wurde die weibliche Ejakulation überhaupt erst ab dem späten 19. Jahrhundert belächelt, tabuisiert und schließlich weitgehend vergessen - bis die Vorstellung einer spritzenden Frau geradezu obszön wurde. Feministinnen der zweiten Welle entdeckten den »Freudenfluss« begeistert wieder - oder attackierten ihn als frauenfeindliche Männerphantasie. Squirting-Performerinnen wie Shannon Bell, Annie Sprinkle oder Deborah Sundahl vermittelten ihre Kenntnisse rund um das weibliche Abspritzen via Video, Performance oder Workshop, bis das Squirten schließlich das Mainstream-Pornobusiness eroberte und dort für Milliardenumsätze sorgte. »Spritzen« ist eine lustvolle Reise: Stephanie Haerdle vermittelt ihre Erkenntnisse höchst interessant und unterhaltsam und zeigt, wie sehr der Wunsch nach Kontrolle der Weiblichkeit unsere Wahrnehmung und unser Wissen u?ber die Jahrhunderte bis heute beeinflusst.

Stephanie Haerdle, geboren in Freiburg, studierte Neuere deutsche Literatur, Kulturwissenschaft und Gender Studies (M. A.) in Berlin, wo sie auch heute lebt. 2007 erschien ihr Buch »Keine Angst haben, das ist unser Beruf! Kunstreiterinnen, Dompteusen und andere Zirkusartistinnen« (AvivA Verlag). »Spritzen« wurde ins Französische und ins Englische u?bersetzt.

Stephanie Haerdle, geboren in Freiburg, studierte Neuere deutsche Literatur, Kulturwissenschaft und Gender Studies (M. A.) in Berlin, wo sie auch heute lebt. 2007 erschien ihr Buch »Keine Angst haben, das ist unser Beruf! Kunstreiterinnen, Dompteusen und andere Zirkusartistinnen« (AvivA Verlag). »Spritzen« wurde ins Französische und ins Englische übersetzt.

VORWORT


Is it so frightening to believe that woman can,
in a sense, ejaculate too?

Juliet Richters, Bodies, Pleasure and Displeasure1

Die Gesellschaft kann die weibliche Ejakulation genau deswegen nicht anerkennen,
weil sie Männer und Frauen gleich macht
.

Fanny Fanzine2

Auch Frauen spritzen beim Sex? Aber ja doch! Bis zu 69 Prozent3 aller Frauen ejakulieren und/oder squirten beim Kommen. Egal ob Frauen einen Teelöffel voll Flüssigkeit verspritzen oder ihrem Höhepunkt das Auswringen der Bettlaken folgt – Frauen und ihre Partner:innen lieben diesen Aspekt weiblicher Sexualität. Eine 2013 veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 78,8 Prozent der Femmes-Fontaines, wie die spritzenden Frauen in Frankreich genannt werden,4 und 90 Prozent ihrer Partner:innen die Ejakulation als »Bereicherung ihres Sexuallebens«5 erleben. Trotzdem werden Ejakulation und Squirting auch heute noch kontrovers diskutiert. Für die Einen sind sie ein Mythos, für die Anderen sexueller Alltag. Was weiß man wirklich über diesen Aspekt weiblicher Lust, welche Forschungsergebnisse gibt es und weshalb liegen noch immer so viele Details im Dunkeln? Gibt es eine »Geschichte der weiblichen Ejakulation«? Wie dachte man, was wusste man zu anderen Zeiten über das Fließen und Spritzen der Frau? Was wurde wieder vergessen und warum? Wie wurde das Phänomen interpretiert und instrumentalisiert? Wie erklärte man sich in früheren Kulturen die Ergüsse, in welche Vorstellungen von Körper, Lust, Sex und Zeugung fügten sich die vulvarischen Säfte zum Beispiel in erotischen Schriften Chinas oder Indiens ein? Kannte die griechische und römische Antike den Freudenfluss und wie interpretierten die nahezu ausschließlich männlichen Ärzte, Philosophen und Dichter die Flüssigkeiten in Mittelalter und Früher Neuzeit? Wie und von wem wurde das weibliche Spritzen wiederentdeckt und von welchen Vorstellungen, Fantasien und Ängsten war die Rückeroberung begleitet? Wie also sieht die Kulturgeschichte dieser expressiven genitalen Flüssigkeiten aus?

Die Suche nach Spuren und Zeugnissen weiblicher Säfte führt bis weit in die vorchristliche Zeit und rund um den Erdball. Und die Funde überraschen: Jahrtausendelang war die Ejakulation sowohl für den Mann als auch für die Frau ein selbstverständlicher Teil sexuellen Erlebens. In Europa wurde die weibliche Ejakulation überhaupt erst ab dem späten 19. Jahrhundert geleugnet, bekämpft, verdrängt, tabuisiert und schließlich weitgehend vergessen.

Interessant an ihrer Geschichte ist aber nicht nur, in welchen Kulturen, wann und warum sie selbstverständlicher Ausdruck weiblicher Sexualität gewesen ist. Spannend ist auch, warum die Vulva-Ejakulation immer wieder vergessen, abgelehnt oder als »männliche Sexfantasie«6 ins Reich des Fantastischen verbannt wurde, bis die Vorstellung einer spritzenden Frau geradezu obszön schien.

Ein japanischer Holzschnitt zeigt einen Mann, der die orgasmische Flüssigkeit einer Frau auffängt

Die Geschichte der vulvarischen Säfte ist auch eine Geschichte der Frau und ihrer Lust, des weiblichen Körpers, seiner Verehrung und Abwertung. In vielen Kulturen entsprach das Ejakulat dem männlichen Erguss. Beide Flüssigkeiten wurden als manchmal gleichrangige, manchmal unterschiedlich wertvolle, immer aber als einander ergänzende »Zeugungsstoffe« gedeutet. Insbesondere in den Kulturen, in denen der weibliche Körper als ein dem männlichen Körper sehr ähnlicher interpretiert wurde und in denen Sex und weibliche Lust einen hohen Stellenwert hatten, spritzte auch die Frau. Als Ei- und Samenzelle unter dem Mikroskop sichtbar und die menschlichen Zeugungsvorgänge verstanden wurden, verschwand die weibliche Ejakulation zwar nicht aus den Betten, wohl aber aus dem medizinischen Diskurs, der jetzt die Deutung dieser Flüssigkeit prägte. Nun, da in der Eizelle der weibliche Beitrag zur Zeugung erkannt worden war, war der »weibliche Samen« bedeutungslos. »Was nicht auf Zeugung gerichtet oder von ihr überformt ist, hat weder Heimat noch Gesetz. Und auch kein Wort. Es wird gleichzeitig gejagt, verleugnet und zum Schweigen gebracht. Es existiert nicht nur nicht, es darf nicht existieren (…)«, schreibt Michel Foucault.7

Aber auch die Unterdrückung weiblicher Lust – empfand die Frau überhaupt Lust?, fragten sich Ärzte im 19. und frühen 20. Jahrhundert –, die Tabuisierung von Sex, der Entwurf des weiblichen Körpers als explizites Gegenstück zum männlichen, das »Dogma des komplementären Geschlechts« (Laura Méritt)8 sowie die Vaginafeindlichkeit eines Teiles der Zweiten Frauenbewegung trugen dazu bei, dass die weibliche Ejakulation zum Mythos erklärt wurde.

Für unzählige Frauen und Menschen mit Vulva aber ist das Abspritzen auch heute ein selbstverständlicher Aspekt ihrer Sexualität. Warum wird Ejakulation und Squirting mit solcher Skepsis begegnet?

EIN SCHRITT VOR, ZWEI ZURÜCK


Seit den 1980er Jahren erschienen etliche Untersuchungen und Studien zur weiblichen Ejakulation, seit 2011 ergänzt durch Forschungen zum Squirting. Mediziner:innen untersuchten die Phänomene anatomisch, biochemisch, endoskopisch und radiologisch, sie gingen ihnen mit Ultraschall und Kernspintomografie auf den Grund. Und trotzdem sind sich Sexualwissenschaftler:innen, Urolog:innen, Patholog:innen, Anatom:innen und Gynäkolog:innen bis heute nicht einig, wo und wie genau die Flüssigkeiten entstehen und wie und wohin Frauen ejakulieren und squirten. Irritierenderweise wurden und werden neue Erkenntnisse zum Spritzen und zu den Teilen der weiblichen Anatomie – weibliche Prostata, Klitoriskomplex, Harnröhre (Urethra) –, die mit ihm in engster Verbindung stehen, immer wieder »vergessen«. So hat zum Beispiel das Federative International Committee for Anatomical Terminology (FICAT), dessen Ziel die Festlegung einer international einheitlichen, verbindlichen medizinischen Terminologie ist, 2001 beschlossen, den Begriff »weibliche Prostata« (»female prostate«) in die nächste Ausgabe der weltweit geltenden Terminologia Histologica aufzunehmen. In der 2019 veröffentlichten Ausgabe der Terminologia Anatomica des Federative International Programme for Anatomical Terminology (FIPAT), einer Nachfolgeinstitution der FICAT, werden als Standardbegriffe »para-urethral glands of female urethra« bzw. »para-urethral ducts of female urethra« verwendet und »female prostate« nur als ein weiterer Terminus aufgeführt. Ein Rückschritt. Sucht man heute in aktuellen medizinischen Standardwerken und Lehrbüchern nach Informationen über die weibliche Prostata oder konsultiert populäre Online-Portale, wird man enttäuscht: Falls die weibliche Prostata erwähnt wird, dann vereinfachend und ohne eine einheitliche Terminologie zu verwenden.9 Dass die weibliche Prostata ein funktionierendes Organ ist und das Homolog (also auf die gleiche embryologische Anlage zurückzuführen) der männlichen Prostata, bleibt meist unerwähnt.10 Die Prostata und die Ejakulation werden in der Regel ausschließlich im Zusammenhang mit dem männlichen Körper beschrieben und erklärt.11 Die Artikel zur »Prostata« in der deutschen Wikipedia oder auf NetDoktor sind Beiträge zur männlichen Vorsteherdrüse.

Medizin und Anatomie waren und sind keine stable sciences, sondern geprägt von sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Faktoren. Lange lagen sie in der Hand von Männern und wurden so von männlichen Perspektiven, Wünschen und Bedürfnissen geformt. Strukturen des weiblichen Körpers, die nicht in ein bestimmtes Konzept von Weiblichkeit passten, wurden nicht wahrgenommen oder ignoriert. Gesellschaftlich verankerte Frauenverachtung spiegelte sich auch im Desinteresse am weiblichen Körper, seiner Anatomie, sexuellen Reaktion und Lust. Frauenkörper wurden lange als minderwertige Ausgaben des männlichen Körpers verstanden. Selbst heute lesen sich einige Formulierungen in Standardwerken der Medizin noch wie ein schwaches Echo dieser Sichtweise: Die weibliche Urethra sei »nur« drei bis fünf Zentimeter lang, die Muskelschicht der Scheide »nur«12 schwach entwickelt, die Klitoris entspreche »entwicklungsgeschichtlich dem Penis«13 (dass das männliche Genitale auch als »Abweichung von der grundsätzlich weiblichen Strukturierung« verstanden werden kann, wird Mary Jane Sherfey zeigen, die den Penis als »wuchernde Klitoris«14 interpretiert).

Männer sahen, was sie sehen wollten, und Männer erforschten oder finanzierten, was sie interessierte, auch deshalb, weil Frauen der Zugang zu Wissenschaft und Forschung so lange verschlossen war. Anna Fischer-Dückelmann, eine der ersten Frauen, die...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abspritzen • Annie Sprinkle • China • cum shot • Deborah Sundahl • ejakulieren • female ejaculation • Feminismu • Frauenbewegung • Frauengesundheit • Frauengesundheitsbewegung • Frauenkörper • Freudenfluss • G-Fläche • G-Punkt • Gräfenberg • G-Spot • Indien • Kamasutra • Körper • Kulturgeschichte • Laura Méritt • Misogynie • Orgasmus • Porno • Prostata • Sex • Sexismus • Shannon Bell • Squirting • Vagina • Vulva • weibliche Prostata
ISBN-10 3-96054-355-7 / 3960543557
ISBN-13 978-3-96054-355-8 / 9783960543558
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