So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen! (eBook)
240 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3178-2 (ISBN)
Lena Högemann, Jahrgang 1982, hat sich als Journalistin einen Namen als Expertin zur selbstbestimmten Geburt und zur Situation in der Geburtshilfe gemacht. Ihre Artikel dazu erscheinen u. a. in ZEIT online, im STERN, in der Eltern und in verschiedenen Tageszeitungen. Sie spricht außerdem als Expertin auf Fachveranstaltungen und ist Podcasterin. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Töchter und lebt in Berlin. Mehr unter: https://frauhoegemann.de
Lena Högemann, Jahrgang 1982, hat sich als Journalsitin einen Namen als Expertin zur selbstbestimmten Geburt und zur Situation in der Geburtshilfe gemacht. Ihre Artikel dazu erscheinen u.a. in ZEIT online, im STERN, Tagesspiegel, Freitag oder Baby & Familie. Sie spricht außerdem als Expertin und Speakerin auf Fachveranstaltungen und sit Podcasterin. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Töchter und lebt in Berlin. Mehr unter: https://frauhoegemann.de/
Einleitung
Das ehrliche Buch über Geburten
oder
Was ich meiner Tochter erzähle, wenn sie fragt, wie sie auf die Welt gekommen ist
Der Tag, an dem ich Mutter wurde, war der schlimmste Tag meines Lebens. Die Geburt meiner ersten Tochter war schrecklich. Sie war nicht bloß schmerzhaft. Sie war entwürdigend.
Das, was ich 2015 bei der Geburt in einem Krankenhaus erlebt habe, erleben viele Frauen in Deutschland. Jeden Tag. Für die handelnden Ärzt*innen und Hebammen ist das der Standard. Es ist nichts Besonderes. Für den Chefarzt und die Oberärztin war es geburtsmedizinisch betrachtet eine normale Geburt in einer Klinik, wie sie mir später erklärten. Sie waren sogar froh, dass es so gut ausgegangen ist. Nur ich litt jahrelang unter den Folgen eines Traumas, weil sich mehrere Menschen über meine Grenzen hinweggesetzt haben. Weil andere Leute entschieden haben, was mit mir passiert. Weil ich mich nicht gewehrt habe, als ich Gewalt erlebte.
In einem Moment, in dem Frauen verletzlich sind und Unterstützung und Zuwendung brauchen, landen sie in einem System, das ihnen nicht grundsätzlich wohlgesonnen ist. Ein System, in dem aus wirtschaftlichen Interessen Entscheidungen getroffen werden. In dem sich zu wenige Menschen um zu viele Frauen kümmern und dabei nicht die Selbstbestimmung der Gebärenden im Blick haben. Dass Frauen ihre Geburt selbstbestimmt erleben, ist in vielen Kliniken nicht Ziel der Menschen, die dort arbeiten. Daran zeigt sich, dass in der Geburtshilfe in Deutschland etwas grundlegend falsch läuft. In diesem Buch soll es vor allem darum gehen, wie es trotz allem gelingen kann, in einem Krankenhaus selbstbestimmt zu gebären, und auch gelingen muss – einfach weil die allermeisten Frauen in Deutschland zur Geburt in ein Krankenhaus gehen, über 98 Prozent aller Babys kommen in einer Klinik zur Welt.
In diesem Buch erzähle nicht nur ich davon, wie es ist, bei der Geburt des Kindes Übergriffe und Gewalt zu erleben. Auch andere Mütter kommen zu Wort, eine von ihnen ist Anke. Sie hat mir schon acht Monate nach der Geburt ihres Sohnes von ihrer Geburt berichtet:
Ich fand die Geburt meines Kindes furchtbar. Sie wurde eingeleitet. Ich war zwölf Stunden alleine im Krankenhaus und meine Wehen haben den Muttermund nicht geöffnet. Ich hatte starke Schmerzen und bekam eine PDA (Anmerkung: Die Periduralanästhesie [PDA] dient der Schmerzlinderung.), ohne dass man mir Alternativen anbot. Danach durfte ich nicht mehr auf mein Zimmer. Ich lag die ganze Nacht allein im Kreißsaal, nur mit einem dünnen Laken zugedeckt. Alles, was die PDA bewirkt hat, war, dass meine Beine taub wurden und ich den Urin nicht mehr halten konnte. Im Kreißsaal nebenan hat sich eine Frau die Seele aus dem Leib geschrien. Die Hebamme, die nachts Dienst hatte, hat mich nicht gehört. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und man hatte vergessen, mir eine Klingel zu geben. Am nächsten Morgen habe ich darauf bestanden, dass mein Partner zu mir kommen darf. Aufgrund der coronabedingten Einschränkungen durfte er erst sehr spät zur Geburt dazukommen. Die Geburt hat insgesamt dreißig Stunden gedauert. Nacheinander haben mich fünf Hebammen betreut, die sich teilweise nicht mit Namen vorgestellt haben, sondern einfach in den Raum reingekommen sind und da weitergemacht haben, wo die andere aufgehört hat. Ich war psychisch total fertig, konnte nicht mal mehr richtig reden. Ich habe um einen Kaiserschnitt gebettelt. Die Ärzt*innen und Hebammen haben gesagt, sie machen keinen Kaiserschnitt. Ich würde das so schaffen. Am Ende war es dann zu spät für einen Kaiserschnitt, weswegen die Saugglocke genommen wurde. Das war das absolute Schreckensszenario. Über mich wurde einfach verfügt. Die Hebamme hat mit einer Krankenschwester auf meinen Bauch gedrückt, die haben fast auf mir draufgesessen. Ich wurde barsch angesprochen, nach dreißig Stunden Wehen, in denen ich nicht einmal etwas Richtiges zu essen bekommen hatte. Ich habe mir die Seele aus dem Leib geschrien vor Schmerz. Mir wurde das Kind aus dem Körper gerissen.Diejenigen, die sich noch nicht mit der Geburtshilfe in Deutschland und dem, was Frauen in diesem Zusammenhang erleben, beschäftigt haben, mögen jetzt denken: Wie ist so etwas möglich? Was ist da alles schiefgelaufen? Meine Recherchen zeigen: Auch diese Geburtsgeschichte ist nicht ungewöhnlich oder besonders. Sie ist das Resultat des Systems Geburtshilfe, das offenbar unter den Einschränkungen durch die Coronapandemie noch weniger selbstbestimmte Geburten ermöglicht hat.
Die Mütter in diesem Buch berichten von Eingriffen und Übergriffen. Sie berichten vom Nicht-gesehen-werden und vom Nicht-ernst-genommen-werden. Sie erzählen ihre Geschichte. Sie erzählen, wie es ihnen nach der Geburt ergangen ist und was sie aus dieser Erfahrung gelernt haben. Sie erzählen, wie sie sich durch die Erfahrung verändert haben. Es sind sehr starke Frauen, und ich bewundere jede Einzelne von ihnen. In den letzten Jahren habe ich viele dieser Frauen persönlich kennengelernt. Wir trafen uns in einer Gruppe für Frauen, die über ihre belastenden Geburtserfahrungen sprechen wollten. Wir weinten zusammen. Wir fühlten einen enormen Zusammenhalt. Dann begann ich, über Geburten zu schreiben, interviewte Mütter und Väter zu ihren jeweiligen Erfahrungen damit. Mit allen Eltern, die hier in kurzen Protokollen von ihrer Geburt berichten, habe ich gesprochen, entweder per Telefon oder Videokonferenz, etliche traf ich auch persönlich. Den Kontakt zu ihnen bekam ich über die Gruppe für Frauen nach traumatischen Geburten, teilweise auch über Instagram. Die Frauen und Männer nenne ich nur mit ihren Vornamen, in etlichen Fällen ist dieser geändert. Viele Mütter wollen nicht, dass ihre Kinder je erfahren, wie es ihnen mit und nach der Geburt ging, was ich natürlich respektieren möchte.
Ich bin Feministin. Ich glaube daran, dass Frauen wegen ihres Geschlechts nicht benachteiligt werden dürfen. Das, was viele Frauen bei der Geburt erleben, ist ungerecht, es ist falsch, es ist grausam und es muss aufhören. Wie eine Geburtshilfe aussieht, die die Frau in den Mittelpunkt stellt, werde ich in diesem Buch zeigen. Wir brauchen eine neue Geburtshilfe, die eine selbstbestimmte Geburt zum Ziel hat und als Ansporn sieht. Eine Geburtshilfe, bei der Frauen nach traumatischen Geburten nicht gesagt wird, dass das schon alles richtig so war, sondern bei der ihnen zugehört wird, damit Ärzt*innen und Hebammen es bei der nächsten Frau, bei der nächsten Geburt, die sie betreuen, besser machen können.
Zu meiner These gehört auch, dass wenn eine Frau ein Kind in ihrem Bauch trägt, ihre eigene Unversehrtheit nicht mehr wichtig zu sein scheint. Viele Ärzt*innen und Hebammen sehen in ihr die Hülle für anderes Leben, und das Wichtigste ist, dass dieses andere Leben schnell und gesund auf die Welt kommt. Welche Folgen das für die Frau hat, ist zweitrangig. Und genau deshalb haben wir ein echtes Problem in der klinischen Geburtshilfe. Und darum brauchen wir eine feministische Debatte darüber.
Ich höre viele Podcasts zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Ein Satz aus dem US-Podcast der New York Times, The Daily1 hat mich lange begleitet: »I am a survivor, too.« Dies sagte eine Frauenärztin, als sie davon erzählte, wie sie in einer Klinik für Abtreibungen mit den Patientinnen spricht, die Opfer einer Vergewaltigung geworden waren. Sie meint damit: Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich habe auch eine Vergewaltigung erlebt und überlebt.
»I am a survivor.« Auf Deutsch: Ich bin eine Überlebende. Oder vielleicht eher: Ich habe überlebt. Ich finde diesen Satz sehr stark. Ich finde es stark, wie diese Frau dazu steht, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Diese Frau hat Schreckliches erlebt und ist ihren Weg trotz und mit dieser Erfahrung gegangen. Sie ist Ärztin geworden und hilft jetzt anderen Frauen in einer ähnlichen Situation. In dieser Podcastepisode ging es um das drohende Verbot von Abtreibungen in den USA in Folge des möglichen Aufhebens des Urteils Roe v. Wade im Juni 2022 durch den Supreme Court, den obersten Gerichtshof der USA. Ein weiteres trauriges Kapitel in der Beschneidung von Frauenrechten und dem Versuch, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen einzuschränken. Der Satz »I am a survivor« verfolgt mich seitdem. Wochenlang habe ich darüber nachgedacht, warum. Ich bin kein Opfer einer Vergewaltigung. In diesem Buch wird aber eine Frau berichten, wie sie den Kaiserschnitt, durch den der Arzt ihr Kind auf die Welt brachte, als Vergewaltigung empfindet. Mir geht es bei »I am a survivor« um etwas anderes: Auch ich habe Schreckliches überlebt. Ich habe Gewalt erfahren. Ich habe ein Trauma erlebt und verarbeitet. Auch ich bin eine Überlebende. Und wer da war, wo ich nach der Geburt meiner Tochter war – ganz unten –, der weiß, dass dieser Begriff stimmt.
Was ist nun meine Rolle? Ich bin Journalistin und Autorin. Aber ich bin gleichzeitig Betroffene. Ich bin Opfer, wie viele der Frauen, die ich interviewt habe. Ich weiß, wie es den Frauen geht, die mit mir über ihre oft traumatischen Geburten sprechen, und fühle mit ihnen. Ich habe in den letzten Jahren mit rund fünfzig Müttern und Vätern über die Geburten ihrer Kinder gesprochen. Dreißig von ihnen erzählen in diesem...
Erscheint lt. Verlag | 14.3.2024 |
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Reihe/Serie | Reihe: Wie wir leben wollen | Reihe: Wie wir leben wollen |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Baby • Elternzeit • Geburtshaus • Geburtshilfe • Geburtsvorbereitung • Gewalt • Gynäkologie • Hausgeburt • Hebamme • Klinik • Krankenhaus • Kreißsaal • Neugeborenes • Problem • Säugling • Stress • Trauma |
ISBN-10 | 3-8437-3178-0 / 3843731780 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3178-2 / 9783843731782 |
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Größe: 2,5 MB
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