Kissinger (eBook)
944 Seiten
FinanzBuch Verlag
978-3-98609-513-0 (ISBN)
Walter Isaacson, geboren 1952, ist Journalist und Schriftsteller. Er begann seine Karriere bei der »Sunday Times«, bevor er zum »Time Magazine« wechselte, dessen Herausgeber er 1996 wurde. In der Zeit nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war er als Vorstand bei CNN tätig, bis er 2003 die Leitung des Aspen Institute übernahm, die er bis 2018 innehatte, um sich danach einer Geschichtsprofessur an der Tulane University zu widmen. Neben seiner journalistischen und akademischen Tätigkeit gilt Walter Isaacson als einer der renommiertesten Biografen unserer Zeit und ist als Autor mit Büchern über Benjamin Franklin, Henry Kissinger, Leonardo da Vinci und Elon Musk hervorgetreten - wobei »Steve Jobs. Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers« zum Weltbestseller avancierte und allein in Deutschland über eine Million Exemplare verkaufte. Isaacson wurde 2021 mit der National Humanities Medal ausgezeichnet.
Walter Isaacson, geboren 1952, ist Journalist und Schriftsteller. Er begann seine Karriere bei der »Sunday Times«, bevor er zum »Time Magazine« wechselte, dessen Herausgeber er 1996 wurde. In der Zeit nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war er als Vorstand bei CNN tätig, bis er 2003 die Leitung des Aspen Institute übernahm, die er bis 2018 innehatte, um sich danach einer Geschichtsprofessur an der Tulane University zu widmen. Neben seiner journalistischen und akademischen Tätigkeit gilt Walter Isaacson als einer der renommiertesten Biografen unserer Zeit und ist als Autor mit Büchern über Benjamin Franklin, Henry Kissinger, Leonardo da Vinci und Elon Musk hervorgetreten — wobei »Steve Jobs. Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers« zum Weltbestseller avancierte und allein in Deutschland über eine Million Exemplare verkaufte. Isaacson wurde 2021 mit der National Humanities Medal ausgezeichnet.
Einleitung
Als Professor neigte ich dazu, die Geschichte als von unpersönlichen Kräften gelenkt zu betrachten. Doch wenn man sie in der Praxis erlebt, sieht man den Unterschied, den Persönlichkeiten ausmachen.
Kissinger im Gespräch mit Journalisten auf dem Rückflug von seiner ersten Nahostmission, Januar 1974.
Als seine Eltern mit dem Einpacken der geringen persönlichen Habe fertig waren, die man ihnen aus Deutschland mitzunehmen gestattete, stand der 15-jährige Junge mit der Brille in einer Ecke des Wohnzimmers und prägte sich jedes Detail der Szene genau ein. Er war ein belesenes und nachdenkliches Kind, mit jener seltsamen Mischung aus Ichbewusstsein und Unsicherheit, wie sie zustande kommen kann, wenn man komfortabel, aber verfolgt heranwächst. »Eines Tages werde ich zurückkommen«, sagte er zu dem Zollbeamten, der die Gepäckstücke prüfte. Jahre später wird er sich erinnern, wie der Mann ihn »mit der Verachtung des Alters« betrachtete und nichts dazu sagte.1
Henry Kissinger behielt recht: Er kam an seinen bayerischen Geburtsort zurück, zunächst als Soldat der militärischen Abwehr der US-Army, danach als anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen und schließlich als dominierender Staatsmann seiner Epoche. Doch er sollte als Amerikaner zurückkehren, nicht als Deutscher. Beginnend mit seiner Entdeckung kurz nach der Ankunft in New York, dass er nicht mehr die Straße überqueren musste, um den Schlägen nichtjüdischer Jungen zu entgehen, war er eifrig darum bemüht, als Amerikaner angesehen und akzeptiert zu werden.
Und so geschah es. Als er 1973 zum Außenminister ernannt wurde, war er nach einer Gallup-Umfrage bereits die am meisten bewunderte Person Amerikas. Mehr noch: Als er danach die Außenpolitik leitete – mit der Aura des Ehrengastes einer Cocktailparty –, wurde er zu einer der berühmtesten Persönlichkeiten, die jemals die Fantasie der Welt beschäftigt hatten. Als er einmal Bolivien besuchte, schloss das Protokoll die Teilnahme des Präsidenten des Landes an der Begrüßungszeremonie aus; doch dieser fuhr am betreffenden Abend inkognito zum Flugplatz und mischte sich unerkannt unter die wartende Menschenmenge, sodass er Kissingers Ankunft miterleben konnte.2
Doch gleichzeitig wurde Kissinger auch von großen Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit beschimpft – von liberalen Intellektuellen bis hin zu konservativen Aktivisten, die ihn auf unterschiedliche Weise als Manipulator der Macht ansahen, dem es gefährlich an moralischen Prinzipien mangele. Für die Mandarine des Establishments der Außenpolitik war es einfach schick, ihn im gleichen Atemzug Henry zu nennen und zu verhöhnen. Als George Ball, ein Veteran der amerikanischen Diplomatie, seinem Lektor das Manuskript eines neuen Buches geschickt hatte, meinte dieser: »Wir haben ein großes Problem. In beinahe jedem Kapitel unterbrechen Sie Ihre Ausführungen und hauen erneut auf Henry Kissinger ein.« Darauf Ball: »Sagen Sie mir, in welchem Kapitel ich das vergessen habe, und ich werde sofort die entsprechenden Passagen nachliefern.«3
Angesichts derart divergierender Meinungen über Kissinger muss der Autor eines Buches über ihn zunächst die Frage beantworten: Soll es freundlich oder unfreundlich werden? Das ist eine seltsame Frage, die sich dem Biografen von Henry Stimson oder George Marshall, ja selbst von Dean Acheson nicht stellen würde. Noch Jahre nachdem er das Ministeramt aufgegeben hatte, gab es um Kissinger Kontroversen ganz persönlicher Art – geprägt von Hass und Verehrung, Animosität und Furcht –, die allesamt mit wenig Neutralität ausgefochten wurden.
Kissingers Stil voller Heimlichkeiten und sein chamäleonartiger Instinkt, der das Erkennen der wirklichen Farben bei jedem Thema schwierig machte, verweisen auf das Problem einer objektiven Einschätzung. Unterschiedliche Personen, die bei wichtigen Ereignissen direkt mit ihm zu tun hatten – der Invasion in Kambodscha, der Verminung des Hafens von Haiphong, dem Weihnachtsbombardement von Hanoi –, haben widersprüchliche Eindrücke davon gewonnen, was er wirklich fühlte und dachte.
Wahrscheinlich deshalb bewegen sich die meisten Bücher über seine Politik entweder in Richtung einer entschieden freundlichen Betrachtung oder umgekehrt einer entschieden unfreundlichen. Und wahrscheinlich auch deshalb gibt es bis heute keine umfassende Biografie von ihm. Wiewohl ich dem Leser die Entscheidung überlassen muss, ob es mir gelungen ist: Mein Ziel war eine unvoreingenommene Biografie, die Kissinger in seiner ganzen Komplexität porträtieren soll. Mir schien, dass jetzt genügend Zeit vergangen ist, um eine objektive Betrachtung möglich zu machen. Die Hauptdarsteller haben ihre Karrieren hinter sich, sie besitzen noch ihre Erinnerungen und persönlichen Aufzeichnungen, sind jedoch von früheren Sicherheitsrestriktionen und Ambitionen befreit.
Dies ist keine autorisierte Biografie. Kissinger hat sie vor der Veröffentlichung weder gesehen noch etwa zur Genehmigung vorgelegt bekommen. Er hatte keinerlei Einfluss darauf, was ich in das Buch aufgenommen habe. Es enthält Meinungen und Urteile, die er ganz gewiss diskutieren würde, zumal sein Ego und seine Sensibilität ihm heute sicher sagen, dass seine eigenen Memoiren seinen Leistungen nicht gerecht geworden sind.
Doch andererseits ist dies auch keine unautorisierte Biografie. Als ich mich entschloss, sie zu schreiben, war mein einziger Kontakt zu Kissinger ein Interview für ein Buch mit Aussagen neuerer amerikanischer Politiker gewesen, The Wise Men. Aus Höflichkeit schrieb ich ihm dann einen Brief, als ich an seine Biografie ging.
Seine Antwort verriet kaum Enthusiasmus. Er könne mich nicht davon abhalten, sagte er, doch er habe nicht den Wunsch, mich wegen dieses Projektes zu sehen. Als ich dann seine früheren Mitarbeiter befragte und Dokumente sammelte, begann ich jedoch ein steigendes Interesse seinerseits zu spüren. Denn die Komplexität des Buches faszinierte ihn stark. Niemals hatte er Erinnerungen an sein Leben vor der Nixon-Administration zu Papier gebracht, sein persönliches Leben hatte er ebenso ausgespart wie die Zeit der Ford-Administration und die Jahre danach. Es gehört zu seiner Persönlichkeit, dass er fast besessen alles unternimmt, damit die Menschen ihn verstehen mögen: Wie die Motte vom Licht wird er von seinen Kritikern angezogen und entwickelt geradezu einen Zwang, sie zu bekehren oder sich ihnen wenigstens zu erklären.
So kam es, dass er schließlich voll kooperativ reagierte. Er gewährte mir über zwei Dutzend ausführliche Gespräche, dazu Einsicht in den Großteil seiner amtlichen wie privaten Papiere. Er bat Familienmitglieder, ehemalige Mitarbeiter, Geschäftspartner und frühere Präsidenten, mit mir zusammenzuarbeiten. Er half mir sogar dabei, einige alte Widersacher aufzuspüren.
Obwohl ich versucht habe, ohne jedes Vorurteil an das Projekt heranzugehen, wurden jedoch während der Arbeit gewisse Themen deutlich, von denen ich hoffe, dass der Leser sie gleichermaßen sieht, ja vielleicht sogar davon überzeugt wird. Das Wichtigste, so glaube ich, besteht darin, dass Kissinger ein Fingerspitzengefühl – um das deutsche Wort zu benutzen – für Macht besaß, für die Schaffung eines neuen globalen Kräftegleichgewichts, das Amerika helfen konnte, mit seinem Vietnam-Syndrom nach dem Rückzug von dort fertigzuwerden. Dies wurde jedoch nicht von einem gleichen Gefühl für die Stärke begleitet, die sich aus der Offenheit des demokratischen Systems in Amerika ergibt, oder von einem Gefühl für jene moralischen Werte, die die wahre Quelle des globalen Einflusses der USA darstellen.
Ich habe weiterhin darzustellen versucht, wie Kissingers Persönlichkeit – brillant, verschwörerisch, heimlich, sensibel für Einzelheiten und Nuancen, empfänglich für Rivalitäten und Machtkämpfe, bezaubernd, doch zuweilen trügerisch – sich in die machtorientierte Realpolitik und das geheime diplomatische Manövrieren einfügte, die die Basis seiner Politik darstellten. Denn Politik wurzelt in Persönlichkeit – das wusste Kissinger vom Studium Metternichs her.
Kissinger kam in einem Wirbel großer historischer Umbrüche an die Macht, darunter die Herstellung strategischer Parität zwischen Moskau und Washington, die amerikanische Demütigung in Vietnam und Chinas notwendige Beendigung seiner Zeit der Isolation. Dies war gleichzeitig eine Periode, da überlebensgroße Persönlichkeiten auf der Bühne der Welt agierten, wie Nixon, Mao, Sadat und Kissinger selbst.
Als junger Akademiker hatte Kissinger einst über Bismarck und seine Zeit geschrieben: »Die neue Ordnung war für einen Genius maßgeschneidert, der die ihr innewohnenden Kräfte – sowohl im Inneren des Landes wie auch außerhalb – dadurch zu zwingen versprach, dass er ihre Antagonismen manipulierte.« Das Gleiche könnte für Kissinger...
Erscheint lt. Verlag | 18.2.2024 |
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Übersetzer | Jürgen Schebera |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Erinnerungen • Friedensnobelpreis • Henry Kissinger tot • Kissinger gestorben • Kissinger Todestag • Memoiren • Nachkriegszeit • Nahostkonflikt • Nixon • Sicherheitspolitik • Staatskunst • USA • Vietnamkrieg • Walter Isaacson • Weltordnung |
ISBN-10 | 3-98609-513-6 / 3986095136 |
ISBN-13 | 978-3-98609-513-0 / 9783986095130 |
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