Mama kann nicht mehr (eBook)
240 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31257-7 (ISBN)
Julia Knörnschild ist Podcasterin, Gag-Maschine, Buchautorin und professionelle Laiensängerin. Aber vor allem ist sie Zweifach-Mutter - der wohl härteste Job von allen, den sie mal besser, mal schlechter wuppt. Und genau davon erzählt sie tagtäglich mit wahnsinnig viel Humor und Authentitttttizität. Außerdem liebt sie es, auf Instagram die Menschheit über Angelegenheiten wie Mentale Gesundheit, Elternthemen und Zyklusherausforderungen aufzuklären.
Julia Knörnschild ist Podcasterin, Gag-Maschine, Buchautorin und professionelle Laiensängerin. Aber vor allem ist sie Zweifach-Mutter – der wohl härteste Job von allen, den sie mal besser, mal schlechter wuppt. Und genau davon erzählt sie tagtäglich mit wahnsinnig viel Humor und Authentitttttizität. Außerdem liebt sie es, auf Instagram die Menschheit über Angelegenheiten wie Mentale Gesundheit, Elternthemen und Zyklusherausforderungen aufzuklären.
Kleiner Exkurs: Alkohol. Ja, auch das noch.
Es ist schon krass, wie normal es ist, Alkohol zu trinken, und dass einfach null darüber gesprochen wird. In der Blase, in der ich mich bewege, trinkt man gerne Wein, und wenn man dann auch noch weiß, warum welche Traube am besten schmeckt, wenn man sogar noch ein besonderes Wissen über den Wein hat, dann wird das gerne gesehen. Ich hätte bei mir nie ein Alkoholproblem vermutet, weil in meinem Kopf nur Menschen ein Problem mit Alkohol hatten, wenn sie Schnaps tranken. UND DA BEGINNT DAS PROBLEM: Egal, was man trinkt, sobald man Alkohol dafür nutzt, um sich einigermaßen wohlzufühlen, um die eigene Stimmung aufzubessern oder die Gedanken zu betäuben, sprechen wir von Alkoholmissbrauch.
In der Tagesklinik mussten alle Patient*innen auf Alkohol und andere Drogen verzichten. Da mussten wir sogar einen Vertrag unterschreiben. Weil ich Alkohol als Emotionsregulator genutzt hatte, hatte ich ein Alkoholproblem diagnostiziert bekommen. Damit hatte ich mir physisch und psychisch geschadet. Deshalb wurde bei mir sogar öfters unangekündigt der Urin getestet. Dann kam die Pflegerin zu mir in den Gruppenraum und winkte mit dem Plastikbecher. Ich wusste also jedes Mal: In wenigen Minuten werde ich mir auf die Hand pinkeln. Ich nahm das Becherchen und ging dann den langen Flur entlang, bog rechts in die Toiletten ab, um meine Pflicht zu erfüllen. Wenn es drei Toilettentüren gibt, nehme ich immer die in der Mitte. Die letzte nimmt ja jeder. Viele Leute denken, dass die erste Tür die beste ist, aber ich setze immer auf die goldene Mitte. Je mehr Toiletten, umso anstrengender wird die Auswahl der richtigen Kabine. Am Flughafen zum Beispiel, wenn es etwa zwanzig Toiletten gibt, dann nehme ich ungefähr die siebte Tür. Ist doch vollkommen logisch, oder? Aber zurück zum Urin, ich musste mich jetzt konzentrieren. Bis heute weiß ich nicht, in welchem Winkel mein Urinstrahl aus mir rauskommt. Ich versuche jedes Mal, den Becher leicht angewinkelt an meine Harnröhre anzusetzen. So auch dieses Mal. Und wieder schaffte ich es, die Toilettenbrille, meine Beine, den Boden und meine komplette Hand vollzupinkeln. Zwei Schwangerschaften lang musste ich bei jedem Gynäkologinnenbesuch in einen Becher pinkeln. Und trotzdem pisste ich mir immer wieder auf die Hand. Das Schlimmste an diesem Malheur allerdings war, dass ich auch auf den Boden gepinkelt hatte. Und das ist sicher vorher auch schon jemand anderem passiert, also war meine Pisse am Boden mit dem Urin von anderen Menschen gemischt. Köstlich. Was sollte ich jetzt machen? Sollte ich meine Pisse wegwischen und damit auch direkt die Pisse von der Person vor mir? Oder sollte ich einfach alles genau so lassen und dann freute sich die nächste Person? Natürlich entschied ich mich dafür, einen Riesenberg Klopapier abzurollen, ich rollte und rollte und rollte und rollte und rollte und rollte und rollte, bis ich eine fußballgroße Kugel aus Klopapier in meiner Hand hielt, und dann wischte ich den Boden trocken, und das unten ohne. Meine Hose hing noch an den Schuhen, irgendwie konnte ich das alles in dem Moment nicht koordinieren. Ich schaffte es nicht, eine Priorität zu setzen. Ich hätte mir auch einfach erst die Hose hochziehen können, aber die Priorität lag eindeutig bei meiner Pisse.
In solchen Situationen denke ich immer: Wie machen andere das? Setzen die sich Scheuklappen auf und hauen einfach schnell ab? Das kann man doch nicht bringen! Was ist, wenn schon eine Therapeutin vor genau dieser Kabine wartete? Richtig unangenehm wurde es natürlich erst, wenn man in der Klinik mal groß musste. Da kämpfte dann jede*r für sich selbst. Ich war mal auf einem großen Festival hinter der Bühne auf einem Dixi-Klo, weil es nicht anders ging. Als ich fertig war, musste ich dem Künstler der Band, die bald auf der Bühne auftreten sollte, die Tür aufhalten. Er ist direkt nach mir in das Dixi-Klo rein, in dem ich vorher groß war. Und ich wette, alle, die dieses Buch hier lesen, kennen diesen Mann. Herrlich war das.
Aber zurück zu der Situation auf der mittleren Toilette in der Tagesklinik. Ich wischte also die Pisse von mir und der anderen Person weg, zog meine Unterhose und Hose hoch und machte mich schnell vom Acker. In der Klinik gab es keine Klappe, in die man den Becher reinstellte, so wie bei meiner Gynäkologin. Oh nein! Ich musste den vollgepissten Becher, der übrigens auch übergelaufen war, durch drei von vier Klinikflure tragen. Also ging ich in einem leichten Trab, wie ein Pferd, um möglichst nicht aufzufallen. Mit dieser Gangart fällt ja auch keiner auf. Ich musste an drei Personen vorbei, je älter die Patient*innen waren, umso unangenehmer war’s mir. Ich erreichte das Büro der Pflegerin, um den Pissbecher feierlich zu überreichen. Da sagte die Pflegerin doch tatsächlich zu mir: »Liebe Frau Knörnschild, das ist wirklich sehr nett, aber sie müssen den Becher in der Toilette stehen lassen.« Ich lief sofort rot an. Das war mir sehr peinlich, weil in ihrem Raum noch eine Mitpatientin saß und der Becher durchsichtig war. Also ging ich zurück zur Toilette, stellte den Becher superschnell ab und rannte weg. Das war dann eher ein Galopp. Ich ging zurück in den Gruppenraum und tat so, als wären die letzten zehn Minuten nicht passiert.
Als meine Psychiaterin in der Tagesklinik zum ersten Mal das Wort »Emotionsregulation« aussprach, wurde mir einiges klar. Es gibt Phasen, in denen ich introvertiert, und Phasen, in denen ich extrovertiert bin. Mittlerweile ziehe ich mich einfach zurück, wenn es mir nicht gut geht. In der Zeit vor der Tagesklinik habe ich öfter Alkohol getrunken. Also gerne mal ein Glas Wein am Abend. Einfach, damit ich mich fühlte wie in meiner guten Zeit. Damit ich mich niemals als eine unsichere, introvertierte Person wahrnehmen musste. Ich mochte mich, wenn ich ganz leicht einen sitzen hatte. Mutig, lustig und frech war ich dann. Diese Person wollte ich einfach immer sein. Ich sah Alkohol als kleinen Zaubertrank. Wein hatte mir geholfen, ein richtiges Hochgefühl zu erleben, was mich meine Sorgen vergessen ließ. Wein hatte mir auch geholfen, kurz zu vergessen, dass ich eine gestresste Mama war, die sich einfach nicht in ihre Mutterrolle einfinden konnte.
In der Therapie lernte ich viel über den Zusammenhang zwischen Alkohol und Emotionsregulation. Es war eine kleine Herausforderung, aber ich nahm mir fest vor, für einen sehr langen, unabsehbaren Zeitraum keinen Alkohol zu trinken. Ich musste herausfinden, wer ich wirklich war, ohne diesen vermeintlichen Fake-Emotions-Unterdrücker. Während und nach der Zeit in der Tagesklinik arbeitete ich wirklich hart an mir selbst, lernte neue Bewältigungsstrategien und gewann Erkenntnisse über meine wahren Probleme. Die Zeit ohne Alkohol war für mich eine Zeit der Verarbeitung, des Sortierens und Verstehens. Quasi eine Zeit der Selbstreflexion und des Trennens von Gedanken, Menschen und Projekten, die mir nicht guttaten. Deshalb war es entscheidend, dass ich keinen Alkohol trank. Ich musste mir auch selbst beweisen, dass ich stark genug war, meine Emotionen auf andere Weise zu regulieren. Ich muss aber auch sagen, dass ich eine Person der Extreme bin und schnell schwarz-weiß denke. Deshalb war auch klar: ganz oder gar nicht. Also habe ich erst mal komplett aufgehört, Alkohol zu trinken, aber offengelassen, ob ich jemals wieder trinken würde.
Ich schaffte es! Monate vergingen, und ich fand Wege, um mit meinen Gefühlen umzugehen, ohne an ein Weinchen zu denken. Ich entdeckte durch die Klinik neue Hobbys, wie Yoga und Rudern. Ich fand raus, wie gerne ich schrieb, um Dinge zu verarbeiten. Durch die Ergotherapie fand ich zurück zum Malen und im Sommer nach der Tagesklinik gründete ich selbst einen Chor. Es fühlte sich so krass an, endlich meine Bedürfnisse kennenzulernen. In dieser Klarheit checkte ich meine Ressourcen. Ich malte zum Beispiel, wenn es mir nicht gut ging oder ich etwas verarbeiten musste. Das half mir. Ich verstand, dass beim Malen nicht das Ergebnis zählte, sondern der Prozess. Gerade wenn ich zum Verarbeiten malte, sollte es kein Bild sein, was am Ende an der Wohnzimmerwand hing. Aber natürlich malte ich auch Bilder, die mir persönlich gefielen, um mir etwas Gutes zu tun. Es fühlte sich auch gut für mich an, die Bilder dann aufzuhängen oder zu verschenken.
Und dann kam irgendwann, lange nach der Zeit in der Tagesklinik, der Moment, in dem ich mich entschied, ab und zu Alkohol zu trinken und mir dazu eigene Regeln zu setzen. Ich wollte nicht mehr im Schwarz-Weiß-Denken gefangen sein. Ich fühlte mich sortiert und ready. Ich wollte beweisen, dass ich in der Lage war, einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol zu finden. Nach fast einem Jahr der Abstinenz wagte ich es, wieder zu trinken. Mein Psychiater riet mir, wenn ich merkte, dass ich cravings bekam, das sofort zu unterbinden, indem ich es laut aussprach oder meinen Mann bat, mir dabei zu helfen. Das besprach ich jede Woche mit meiner Therapeutin, die genau reinhörte, ob es okay für mich war oder ob ich dabei war, Alkohol zu missbrauchen. Die ersten Schlücke fühlten sich völlig okay für mich an. Ich war im guten Teil meines Zyklus, ich hatte gute Laune, ich hatte keinen Stress, keine ungelösten Probleme. Die Sterne standen also gut, würden Astrolog*innen sagen. Ich war mit Freundinnen auf einem großen Event und wagte es, ein Glas Wein zu bestellen. Ich war bereit herauszufinden, ob ich mit dieser Alltagsdroge umgehen konnte, ohne mich selbst zu verlieren. Es sollte ein Experiment sein, unter Beobachtung meiner Therapeutin und meiner...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2024 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
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ISBN-10 | 3-462-31257-X / 346231257X |
ISBN-13 | 978-3-462-31257-7 / 9783462312577 |
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