Tochter des Regenwaldes -  NEMONTE NENQUIMO,  Mitch Anderson

Tochter des Regenwaldes (eBook)

Meine Wurzeln, mein Volk und unser Kampf gegen die Zerstörung unserer Heimat
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-29388-8 (ISBN)
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»Wir sind einer der letzten Stämme, die eurer Zivilisation unterworfen wurden. Das bedeutet, dass wir einer der letzten Stämme sind, die euch beschreiben können, wie leichtfüßig wir einmal durch das Land gelaufen sind. Es hat uns Tausende von Jahren gekostet, den Amazonas-Regenwald kennenzulernen, seine Wege und seine Geheimnisse zu verstehen und zu lernen, wie wir in ihm und mit ihm leben können. Und es hat eure Zivilisation nur ein paar Jahrzehnte gekostet, um ihn zu zerstören.«

Die Geschichte von Nemonte Nenquimo geht unter die Haut: Sie ist das Porträt einer starken und mutigen Frau, die Geschichte einer uralten Kultur in einer eindrucksvollen Landschaft und ein emotionaler Appell gegen die Zerstörung unseres Planeten - denn die indigenen Völker im Regenwald bewahren einen unglaublichen Schatz, den wir alle zum Leben auf dieser Erde brauchen.

Nemonte Nenquimo wird in den Stamm der Waorani im Regenwald Ecuadors hineingeboren. Von den Stammesältesten lernt sie von klein auf alles über das Leben im Wald, die heilende Kraft der Pflanzen, spirituelle Mächte und jahrhundertealte Erzählungen. Mit vierzehn Jahren verlässt sie den Regenwald das erste Mal, um in der Stadt zur Schule zu gehen - doch sie lebt im ständigen inneren Zwiespalt zwischen der Kultur ihres Stammes und der christlichen, die ihr in der Schule vermittelt wird. Immer häufiger erscheinen ihr ihre Vorfahren in ihren Träumen und flehen sie an, sich auf ihre eigenen Wurzeln zu besinnen - und irgendwann folgt Nemonte diesem Ruf. Sie kehrt zurück in die Gemeinschaft ihres Stammes und kämpft fortan für ihr Volk und gegen den Ausverkauf der Natur.

Wegen ihres Einsatzes wird Nemonte Nenquimo schließlich von den indigenen Völkern vom Stamm der Waorani zur Präsidentin gewählt, und 2019 gelingt ihr ein spektakulärer Sieg gegen die Ölkonzerne und die ecuadorianische Regierung, der über 200.000 Hektar Regenwald vor der Zerstörung schützt. Nun erzählt sie ihre Geschichte.

Mit Ihrem Kauf helfen Sie, den Regenwald zu schützen: Pro Buch geht 1? an die von Nemonte Nenquimo und Mitch Anderson gegründete Organisation Amazon Frontlines

»Ich hatte das Glück, sie kennenzulernen, und ich hatte noch mehr Glück, von ihr zu lernen.« Leonardo DiCaprio über Nemonte Nenquimo

»Wenn ihr die Klimakrise verstehen und etwas dagegen tun wollt, lest dieses Buch« Emma Thompson

  • Die Geschichte einer Kämpferin im Regenwald - für ihr Volk, für ihre Wurzeln, gegen die Zerstörung
  • Eine Reise in die unberührte Natur und zu einer uralten Kultur - inspirierend und faszinierend
  • Nemonte Nenquimo ist Stammesführerin der Waorani und erreichte im Jahr 2019 einen historischen Sieg gegen die ecuadorianische Regierung und die Ölkonzerne


Nemonte Nenquimo ist Anführerin des Stammes der Waorani. Sie wurde im ecuadorianischen Amazonasgebiet geboren, einem der artenreichsten und am stärksten bedrohten Regenwälder der Erde. Sie ist Mitbegründerin der von Indigenen geführten gemeinnützigen Ceibo Alliance und ihrer Partnerorganisation Amazon Frontlines. Nemonte führte ihr Volk zu einem historischen juristischen Sieg gegen die Ölindustrie, der über 200.000 Hektar Regenwald vor der Zerstörung bewahrte und einen Präzedenzfall für indigene Rechte in der gesamten Region schuf. 2020 erhielt sie den Goldman Environmental Prize für Mittel- und Südamerika und wurde in die BBC 100 Women und TIME 100 Most Influential People in the World aufgenommen.

Kapitel 2

Pas Schritte rissen mich aus dem Tiefschlaf. Er lief im Dunkeln durch den Raum. Der Palmholzboden bebte. In der Ferne war ein klagendes Heulen zu hören.

Ich setzte mich auf. Meine zahmen Glühwürmchen stoben wie goldene Funken in meinem Moskitonetz umher.

Ich folgte Pa hinaus auf den Hof. Es war diesig. Der Mond war von einem gelben Lichtkranz umgeben. Um uns herum sausten Fledermäuse durch die Luft, in einem wilden und gleichzeitig absolut präzisen Flug. Die Erde war feucht und kalt. Es wirkte, als würde sie atmen.

Eine Zeit lang sagte Pa nichts. Seine Gestalt zeichnete sich im Mondlicht ab. Langes schwarzes Haar, muskulöse Arme. Der Nachtjasmin duftete schwer und süß. Ich hörte das ii-ii-tidi-kwump eines Hokkos im nahe gelegenen Wald. Dann erklang erneut das klagende Heulen.

»Meñe«, sagte mein Vater und hob einen Finger in die Luft. »Ein Jaguar.«

»Weint er?«, fragte ich.

Pa schwieg kurz.

»Wenn wir sterben, werden wir zu Jaguaren«, sagte er. »Dann leben wir im Wald und jagen Pekaris und Wollaffen. Aber wir werden nicht einfach irgendwelche Jaguare. Wir werden Geisterjaguare. In diesen Wäldern leben die Seelen unserer Vorfahren. Sie erinnern sich an alles. Sie tragen Traurigkeit, Wut, Rache, Lieder und Heilkräfte in sich. Nur wenige von uns können mit ihnen sprechen. Die meneras und die meñewëmpo – die Jaguarmütter und Jaguarväter.«

Ich erinnerte mich daran, dass Víctor ein meñewëmpo werden würde, und überlegte, ob ich eines Tages vielleicht eine menera sein könnte.

Pa schaute in die Nähe von Mengatowes Haus.

»Ist der Jaguar auf der anderen Seite des Flusses?«

»Ja, auf dem Kamm.«

Schweigend lauschten wir in die Nacht hinein.

»Du erinnerst dich nicht mehr an deinen Großvater, oder?«

»Nein«, sagte ich.

»Piyemo hat dich fest im Arm gehalten. Er hat dir etwas vorgesungen, als du zur Welt kamst. Manchmal, wenn ich allein im Wald unterwegs bin, kann ich meinen Vater spüren. Plötzlich nimmt der Wind zu und alles wird still und ein bisschen dunkler. Dann weiß ich, dass mein Vater mich beobachtet.«

»Ist das Opa, der da jetzt im Wald heult?«

»Ich weiß es nicht.«

»Pa«, sagte ich. »Kommen manche von uns in den Himmel, wenn wir sterben?«

Er schaute zum Mond hinauf und atmete tief durch.

»Mincaye und Yowe haben zum Himmel gesungen«, fuhr ich fort. »Sie haben gesagt, dass sie erlöst worden sind und dass sie im Himmel leben werden, weil sie sich mit dem Blut von Jesus gewaschen haben.«

Pa dachte kurz nach. Dann sagte er: »Sie sind verrückt.«

»Aber warum sagen sie dann so was?«

»Sie glauben an den Gott der Weißen.«

»Glaubst du an den Gott der Weißen?«

»Nein, hier im Wald ist er nutzlos.«

»Aber warum sprechen sie dann zum Himmel?«

»Es gibt keinen guten Grund dafür«, sagte Pa. »Gott spricht ihre Sprache nicht. Er kann sie nicht verstehen. Deshalb reden sie so lange mit geschlossenen Augen auf ihn ein. Sie warten, dass er antwortet, aber er tut es nicht.«

»Weiß Rachel, wie man zu Gott spricht?«

»Ja, sie kann mit ihrem Wengongi reden. Er hat sie angewiesen, bei uns zu leben. Als Mincaye und Yowe und der Rest der Guikita-Familie ihren Bruder am Strand gespeert haben, hat ihr Gott ihr Macht über uns verliehen.«

Also doch! Rachel lebte bei uns, um die Männer, die ihren Bruder umgebracht hatten, zu Christen, zu Predigern zu machen.

»Was für eine Macht hat er ihr denn gegeben?«

»Es ist wie bei einer Boa, die ein Beutetier erstarren lässt, indem sie mit der Zunge zuckt. Das Tier wird schwach und wehrlos. Das ist mit unserem Volk passiert, durch die Dinge, die sie uns geschenkt hat, und die Geschichten, die sie erzählt hat. Dann hat uns die Krankheit dahingerafft.«

Was genau meinte Pa mit der Boazunge? Waren das blaue Kleid, der Zucker, die Tabletten alle Bestandteil von Rachels Macht?

»Ist Rachel ein schlechter Mensch?«

»Das weiß ich nicht. Aber sie ist keine von uns.«

Lange Zeit schwiegen wir.

»Nemonte, ich war noch ein kleiner Junge, als wir zu Rachel Saint nach Teweno gezogen sind. Ich habe alles gesehen. Wir hatten dort nichts zu suchen; es war nicht unser Zuhause. Unsere Familie war die stärkste von allen – die Nenquimo-Nihua-Familie. Wir waren viele junge und gesunde Krieger. Wir liefen mehrere Monde lang bis zu dem Fluss, wo die Bocachicos leben. Ich war sehr hungrig, als wir ankamen, aber ich hielt den Mund geschlossen. Ich habe das Essen, das sie uns gaben, verweigert. Stattdessen habe ich meine Tage damit verbracht, Garnelen aus den Flüssen zu fischen und sie nachts über dem Feuer zu grillen. Ich habe viele Monde lang im Dreck und in der Asche geschlafen, neben Rachel Saints Hund.«

»Wir waren dort nicht glücklich«, fuhr er fort. »Die Ältesten sprachen darüber, die weiße Frau umzubringen und in unsere alten Gebiete zurückzukehren. Aber dann kroch die Krankheit in unsere Knochen. Die Krankheit, die sie Polio nennen. Viele sind daran gestorben. Andere Krieger wie Nenecawa konnten danach nicht mehr laufen und keinen Speer mehr werfen. Rachel hat zum Himmel gebetet, ebenso wie Mincaye und Yowe und die anderen. Aber ihr Gott hat nicht auf sie gehört. ›Unser Wengongi ist zornig‹, sagten sie. ›Das ist die Strafe dafür, dass ihr nicht an ihn glaubt.‹«

Das Heulen auf dem Hügelkamm war verstummt. Wir standen schweigend unter den Sternen. Ich wollte meinen Vater nach dem alten Mengatowe fragen. Hatte er sich wirklich in einen Jaguar verwandelt, um meinen kleinen Bruder zu heilen? Ich wollte Pa fragen, warum die Jaguargeister unser Volk nicht vor der Krankheit der Weißen beschützt hatten. Aber Pa ging bereits zurück zum Haus. Die Sonne würde erst in ein paar Stunden aufgehen.

*

Viele Monde verstrichen. Meine Eltern hatten aufgehört, zur Kirche zu gehen. Ma wusste, dass Rachel ihr verübelte, was sie getan hatte: Sie hatte vor den Augen des ganzen Dorfes den alten Mengatowe gerufen, um meinen kleinen Bruder zu heilen. Sie hatte auf die Kräfte des Schamanen gesetzt, statt auf Gott zu vertrauen.

Obwohl wir nicht mehr in die Kirche gingen, schickte Ma mich weiterhin jede Woche zur Sonntagsschule. Dabei wollte ich gar nicht dorthin. Eines Morgens, als der Regen auf das Blechdach des Gotteshauses trommelte, schlug Rachel ein Bilderbuch auf und hielt es in die Höhe.

»Wisst ihr, wer das ist?«, fragte sie. Das Prasseln des Regens übertönte ihre Stimme. Sie warf mir ein kaltes Lächeln zu. »Inés, weißt du, wer das ist?«

Ich wand mich in meinem Kleid, das nicht mehr himmel-, sondern schmutzigblau war. Inés war mein christlicher Name. Ich hatte ihn von Dayuma erhalten, der mächtigsten Waorani-Frau in unserem Dorf. Dayuma war vor langer Zeit während der Kämpfe aus dem Wald geflohen und hatte sich bis zu einem Ort durchgeschlagen, an dem sie Rachel kennenlernte – womöglich im Himmel. Und Rachel hatte Dayuma aufgefordert, sie sicher in den Wald zu bringen. Sie wollte bei den Waorani leben. Heute nannten Rachel und Dayuma einander »Schwester« und Dayuma half Rachel, unser Dorf zu leiten. Wir alle wussten, dass Dayuma, wenn sie zu uns sprach, für gewöhnlich Rachels Worte weitergab.

Jetzt hielt sie zusammen mit Rachel das Bilderbuch. Ich spähte zu ihr, um zu sehen, ob sie mir bei der Antwort helfen konnte, aber sie schaute weg.

»Das ist der Teufel«, erklärte Rachel ungeduldig. »Kinder, welche Farbe hat das Herz des Teufels?«

»Schwarz!«, riefen alle im Chor. »Sein Herz ist schwarz!«

»Gut!« Rachel nickte. »Der Teufel kennt viele Tricks, um dunkle Gedanken in eurem Herzen zu säen.«

Ich erschrak. Der Teufel hatte buschige Augenbrauen, eine breite Nase und dicke Lippen. Seine Haut war dunkel und er war stark behaart. Er sah genauso aus wie Donasco, der Vater meiner Mutter. Mir lief es kalt den Rücken runter. Ich hatte zwei Großväter. Pas Vater, der mächtige Krieger Piyemo, war ein Jaguar, der nachts im Wald heulte. Und Mas Vater war der Teufel.

»Welche Farbe hat Gott?«, rief Rachel über den prasselnden Regen hinweg.

»Weiß!«, schrien die Kinder. »Gott ist weiß!«

Einige Tage später, als ich gerade im flachen Teil des Flusses planschte, sah ich Großvater Donasco an der Biegung auftauchen. Er stakte langsam gegen die Strömung.

»Der Teufel!«, rief ich wie im Spiel. »Der Teufel kommt!«

Ich fühlte eine Mischung aus Freude, Furcht und Erstaunen. Barfuß lief ich zurück zu unserem oko.

Meine Mutter schimpfte: »Halt den Mund, du dummes Kind. Warum nennst du deinen Großvater so?«

Ma war immer besorgt, wenn Opa zu Besuch kam. Alle wussten, dass er ein Schamane war. Aber nicht wie der Jaguarvater Mengatowe oder der Hexer Awa. Großvater war anders. Er war kein Waorani, sondern ein Záparo – ein Mitglied eines Nachbarstammes, der langsam ausstarb. Die Záparo vermischten ihr Blut mit den Kichwa, doch jeder wusste, dass sie über besondere Kräfte verfügten. Ma befürchtete, dass die Dorfbewohner ihren Vater für einen Hexer halten und ihm die Schuld an sämtlichen Krankheiten, Unfällen und Missgeschicken im Dorf geben könnten.

Durch seine breite, flache Nase, seine behaarte Brust und seine durchdringenden schwarzen Augen sah er dem Teufel aus dem Bilderbuch sehr ähnlich. Außerdem hatte er eine seltsame Art, sich zu bewegen – als...

Erscheint lt. Verlag 12.6.2024
Übersetzer Elisabeth Schmalen, Katharina Uhlig
Zusatzinfo mit Bildteil
Sprache deutsch
Original-Titel We Will Not Be Saved
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2024 • Abholzung • Amazonas • Biografie • Biographien • eBooks • Freiheitskampf • Geographie • Indigene Völker • Naturschutz • Neuerscheinung • Regenwald • Südamerika • Umweltzerstörung
ISBN-10 3-641-29388-X / 364129388X
ISBN-13 978-3-641-29388-8 / 9783641293888
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